Urteil des BGH vom 24.04.2012

Leitsatzentscheidung zu Verjährungsfrist, Sozialversicherung, Unterzeichnung, Vertreter, Versicherungsschutz

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 329/10
Verkündet am:
24. April 2012
Holmes
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
SGB X § 116
a) Der in § 116 Abs. 1 SGB X normierte Anspruchsübergang findet bei Sozial-
leistungen, die aufgrund eines Sozialversicherungsverhältnisses erbracht
werden, in aller Regel bereits im Zeitpunkt des schadenstiftenden Ereignis-
ses statt, sofern zu diesem Zeitpunkt ein Versicherungsverhältnis besteht.
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b) Bei Sozialleistungen, die nicht aufgrund eines Sozialversicherungsverhältnis-
ses erbracht werden, ist für den Zeitpunkt des Rechtsübergangs maßge-
bend, dass nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls eine
Leistungspflicht ernsthaft in Betracht zu ziehen ist.
c) Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für Sozialleistungen,
die nicht an das Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses anknüp-
fen, sind nicht auf Sozialleistungen eines Sozialversicherungsträgers zu
übertragen.
BGH, Urteil vom 24. April 2012 - VI ZR 329/10 - KG Berlin
LG Berlin
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 24. April 2012 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Wellner,
Pauge und Stöhr und die Richterin von Pentz
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 22. Zivilsenats
des Kammergerichts in Berlin vom 8. November 2010 aufgeho-
ben, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Ber-
lin vom 20. April 2009 wird insgesamt zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin, ein Regionalträger der gesetzlichen Rentenversicherung,
hat gegen die Beklagten mit der im Jahre 2007 erhobenen Feststellungsklage
Ersatzansprüche aus gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1, § 119 Abs. 1 Satz 1 SGB X
übergegangenem Recht der Geschädigten S. P. geltend gemacht, die als
Sechsjährige bei einem Verkehrsunfall verletzt wurde. Der Beklagte zu 2 bog
am 20. Dezember 1995 mit einem bei der Beklagten zu 1 haftpflichtversicherten
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Lkw, dessen Halterin die Beklagte zu 3 war, in B. von der B.-Straße in die K.-
Straße ein. Die Geschädigte, die sich zuvor auf dem Gehweg der K.-Straße
befunden hatte, lief auf die Fahrbahn und geriet dabei mit dem rechten Fuß un-
ter den rechten hinteren Doppelreifen des Lkw. Sie erlitt eine Bruchverletzung
des rechten Fußes sowie eine Luxationsfraktur der Halswirbelsäule. Fünf Minu-
ten später traf ihre Mutter am Unfallort ein.
Im Juli 1999 unterzeichneten die Erziehungsberechtigten der Geschä-
digten eine modifizierte "Abfindungserklärung" der Beklagten zu 1, in der es
unter anderem heißt:
"Gegen Zahlung eines Betrages von DM 175.000 erkläre(n) ich mich/wir
uns zugleich im Namen meiner/unserer Rechtsnachfolger für alle An-
sprüche (ausgenommen sind auf Sozialversicherungsträger oder sonsti-
ge Dritte übergegangene/übergehende Ansprüche) abgefunden, die
mir/uns aus Anlass des oben bezeichneten Schadensfalls gegen … zu-
stehen.
Damit sind sämtliche Ansprüche endgültig und vollständig abgegolten,
und zwar unabhängig davon, ob sie schon entstanden sind oder noch
entstehen werden, ob sie vorhersehbar sind und ob alle Folgeschäden in
die Vorstellungen der Beteiligten einbezogen sind."
Die Geschädigte war jedenfalls bis Juli 2005 nicht Versicherte in der ge-
setzlichen Rentenversicherung.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläge-
rin hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuld-
ner verpflichtet sind, der Klägerin aus nach § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X überge-
gangenem Recht die Schäden zu ersetzen, die ihr dadurch entstehen, dass sie
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der Geschädigten Leistungen nach dem VI. Buch des Sozialgesetzbuchs
(SGB VI) erbringt. Hinsichtlich nach § 119 Abs. 1 Satz 1 SGB X übergegange-
ner Ansprüche hat es die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagten erstreben
mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision die Wiederherstellung
des landgerichtlichen Urteils. Die Klägerin hat die von ihr eingelegte Nichtzulas-
sungsbeschwerde und ihre Revision zurückgenommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hält einen Schadensersatzanspruch der Geschä-
digten gemäß §§ 7, 11, 18 StVG a.F., § 3 Nr. 1, 2 PflVG a.F. für gegeben. Es
meint, bei dem Unfall habe es sich nicht um ein unabwendbares Ereignis ge-
handelt. Der von den Beklagten erhobene Einwand des Mitverschuldens sei
nicht begründet. Eine grob fahrlässige Aufsichtspflichtverletzung der Mutter der
Geschädigten sei nach dem Vortrag der Beklagten nicht gegeben. Der An-
spruch der Geschädigten sei nach § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X bereits zum
Zeitpunkt des Unfalls auf die Klägerin übergegangen. Die Regressansprüche
des Sozialversicherungsträgers müssten nicht nur vor Verfügungen des Ge-
schädigten, sondern auch vor dem Eintritt der Verjährung gesichert werden.
Deshalb sei die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach bei Sozial-
leistungen, die nicht an das Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses
anknüpfen, ein Rechtsübergang auf den Leistungsträger erfolge, sobald nach
den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls Sozialleistungen durch ihn
ernsthaft in Betracht zu ziehen seien, auf den gesetzlichen Anspruchsübergang
auf den Sozialversicherungsträger zu übertragen. Unerheblich sei, dass der
Geschädigte damit gegebenenfalls Ansprüche an einen noch unbekannten
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Leistungsträger verliere, zu dem noch kein Sozialversicherungsverhältnis be-
stehe. Eine Leistungspflicht der Klägerin habe hier schon zum Zeitpunkt des
Unfalls ernsthaft im Raum gestanden. Da wegen des sofortigen Anspruchs-
übergangs für den Verjährungsbeginn mithin auf die Kenntnis der Klägerin ab-
zustellen sei, seien die auf sie übergegangenen Schadensersatzansprüche
nicht verjährt, denn Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände und des
Schuldners habe die zuständige Regressmitarbeiterin der Klägerin frühestens
im Jahr 2004 gehabt. Demgegenüber seien nach § 119 Abs. 1 Satz 1 SGB X
auf die Klägerin übergegangene Ansprüche verjährt, weil hinsichtlich des Bei-
tragsschadens ein Anspruchsübergang erst zu dem Zeitpunkt erfolge, zu dem
der Geschädigte pflichtversichert werde. Für den Beginn der Verjährung sei
insoweit deshalb vorliegend nicht die Kenntnis der Klägerin, sondern diejenige
der Geschädigten bzw. ihrer gesetzlichen Vertreter maßgeblich, die hier spätes-
tens bei Unterzeichnung des Abfindungsvergleichs im Juli 1999 vorgelegen ha-
be.
II.
Das angefochtene Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht
stand.
1. Mit Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsge-
richt einen Übergang des Schadensersatzanspruchs der Geschädigten auf die
Klägerin gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X bereits für den Zeitpunkt des Un-
falls angenommen und den übergegangenen Anspruch mit Rücksicht darauf für
nicht verjährt erachtet hat. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts er-
folgte ein etwaiger Anspruchsübergang frühestens im August 2005.
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a) Nach § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X geht ein auf anderen gesetzlichen
Vorschriften beruhender Anspruch auf Ersatz des Schadens auf einen Sozial-
versicherungsträger über, soweit dieser aufgrund des Schadensereignisses
Sozialleistungen zu erbringen hat, die der Behebung eines Schadens der glei-
chen Art dienen und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu
leistende Schadensersatz beziehen. § 116 SGB X ist mit Wirkung vom 1. Juli
1983 eingeführt worden (vgl. § 120 Abs. 1 SGB X). Die Vorschrift beruht auf
dem früheren § 1542 RVO, wobei der inhaltlichen Ausformung der Vorschrift
durch die Rechtsprechung Rechnung getragen und Zweifelsfragen entschieden
werden sollten; eine Forderung soll bereits im Augenblick des schadenstiften-
den Ereignisses übergehen, sofern der Versicherungsträger dem Geschädigten
Leistungen zu erbringen haben wird (vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf
vom 13. Januar 1981, BT-Drucks. 9/95, S. 27 zu § 122).
b) Soweit es um einen Träger der Sozialversicherung geht, findet der in
§ 116 Abs. 1 SGB X normierte Anspruchsübergang in aller Regel bereits im
Zeitpunkt des schadenstiftenden Ereignisses statt, da aufgrund des zwischen
dem Geschädigten und dem Sozialversicherungsträger bestehenden Sozialver-
sicherungsverhältnisses von vornherein eine Leistungspflicht in Betracht
kommt. Es handelt sich um einen Anspruchsübergang dem Grunde nach, der
den Sozialversicherungsträger vor Verfügungen des Geschädigten schützt (vgl.
Senatsurteile vom 30. November 1955 - VI ZR 211/54, BGHZ 19, 177, 178;
vom 8. Juli 2003 - VI ZR 274/02, BGHZ 155, 342, 346; vom 17. Juni 2008
- VI ZR 197/07, VersR 2008, 1350, 1351 und vom 12. April 2011 - VI ZR
150/10, BGHZ 189, 158 Rn. 8, 23; BGH, Urteil vom 10. Juli 1967 - III ZR 78/66,
BGHZ 48, 181, 184 ff.). Nach diesen Grundsätzen kann vorliegend ein An-
spruchsübergang nicht angenommen werden, denn zum Unfallzeitpunkt be-
stand noch kein Sozialversicherungsverhältnis zwischen der Geschädigten und
der Klägerin.
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c) Das Berufungsgericht hat für den Zeitpunkt des Anspruchsübergangs
demgegenüber die Grundsätze angewandt, die von der Rechtsprechung für
Sozialleistungen entwickelt worden sind, die nicht aufgrund eines Sozialversi-
cherungsverhältnisses erbracht werden. Bei solchen Sozialleistungen ist für den
Zeitpunkt des Rechtsübergangs maßgebend, dass nach den konkreten Um-
ständen des jeweiligen Einzelfalls eine Leistungspflicht ernsthaft in Betracht zu
ziehen ist. Das besondere Band des Sozialversicherungsverhältnisses, das in
anderen Fällen den Boden für den Forderungsübergang schafft und es ermög-
licht, an die Vorhersehbarkeit künftiger Versicherungsleistungen für einen
Rechtsübergang nach § 116 SGB X nur geringe Anforderungen zu stellen,
muss in diesen Fällen durch andere Umstände ersetzt werden, die auf eine
Pflicht zur Erbringung von Sozialleistungen schließen lassen. Ob und wann
Leistungen für den Geschädigten ernsthaft in Betracht zu ziehen sind, kann
nicht allgemein, sondern nur aufgrund der Umstände des jeweiligen Einzelfalls
beantwortet werden. Je nach der gegebenen tatsächlichen Sachlage kann sich
daher der Anspruchsübergang auf den Sozialhilfeträger bereits im Unfallzeit-
punkt, möglicherweise aber auch erst erheblich später vollziehen. Letzteres ist
etwa dann der Fall, wenn die Bedrohung der Sicherung des Arbeitsplatzes
durch die Behinderung des Verletzten infolge einer zunächst nicht vorausseh-
baren Verschlimmerung der Unfallfolgen erst zu einem späteren Zeitpunkt ein-
tritt (vgl. Senatsurteile vom 20. September 1994 - VI ZR 285/93, BGHZ 127,
120, 125 ff.; vom 27. Juni 2006 - VI ZR 337/04, VersR 2006, 1383, 1384 f.; vom
5. Mai 2009 - VI ZR 208/08, VersR 2009, 995 Rn. 6; Bieresborn in von Wulffen,
SGB X, 7. Aufl., § 116 Rn. 4a; Hauck/Noftz/Nehls, SGB X, § 116 Rn. 24 [Stand:
Mai 2011]; Geigel/Plagemann, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 30
Rn. 38).
d) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lassen sich die von
der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für Sozialleistungen, die nicht an
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das Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses anknüpfen, nicht auf So-
zialleistungen eines Sozialversicherungsträgers übertragen. Bei Sozialleistun-
gen aufgrund eines Sozialversicherungsverhältnisses setzt ein Rechtsübergang
zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs vielmehr voraus, dass zu diesem Zeitpunkt schon ein Ver-
sicherungsverhältnis besteht. Denn nur in einem solchen Fall ist bereits im Au-
genblick des Schadenseintritts die mögliche Leistungspflicht eines Sozialversi-
cherungsträgers für die Beteiligten hinreichend klar überschaubar (vgl. Senats-
urteile vom 24. Februar 1983 - VI ZR 243/80, VersR 1983, 536, 537; vom
4. Oktober 1983 - VI ZR 194/81, VersR 1984, 136, 137; vom 14. Februar 1984
- VI ZR 160/82, VersR 1984, 482, 483; vom 20. September 1994 - VI ZR
285/93, BGHZ 127, 120, 124 f.; BGH, Urteil vom 10. Juli 1967 - III ZR 78/66,
BGHZ 48, 181, 188; Bieresborn in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl., § 116 Rn. 2 f.;
Geigel/Plagemann, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 30 Rn. 33; Himmel-
reich/Halm/Engelbrecht, Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht, 4. Aufl.,
Kap. 31 Rn. 16).
Ein Anspruchsübergang auf den Sozialversicherungsträger erfolgt nur
dann nicht im Zeitpunkt des Schadenseintritts, wenn die Entstehung einer Leis-
tungspflicht völlig unwahrscheinlich, also geradezu ausgeschlossen ist (vgl. Se-
natsurteile vom 17. April 1990 - VI ZR 276/89, VersR 1990, 1028, 1029; vom
20. September 1994 - VI ZR 285/93, BGHZ 127, 120, 125; vom 8. Juli 2003
- VI ZR 274/02, BGHZ 155, 342, 346; vom 2. Dezember 2008 - VI ZR 312/07,
VersR 2009, 230, 231; vom 12. April 2011 - VI ZR 158/10, aaO, Rn. 8; BGH,
Urteil vom 10. Juli 1967 - III ZR 78/66, BGHZ 48, 181, 186).
Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, für den Anspruchs-
übergang genüge es, dass nach den Umständen die Begründung eines Sozial-
versicherungsverhältnisses nicht fernliegend erscheine, wird dies dahin einge-
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schränkt, es reiche nicht aus, dass die spätere Begründung eines "Sozialleis-
tungsverhältnisses" (gemeint wohl: Sozialversicherungsverhältnisses) lediglich
denkbar sei, ohne dass hierfür konkrete Anhaltspunkte vorlägen (Kass-
Komm/Kater, § 116 SGB X Rn. 36 f. [Stand: April 2011]). So soll nach dieser
Auffassung ein Anspruchsübergang auf den Krankenversicherungsträger nicht
zum Zeitpunkt des Schadenseintritts erfolgen, wenn der Geschädigte zu diesem
Zeitpunkt einer privaten Krankenversicherung angehört oder wenn ein Jugend-
licher vor Beendigung der Schulzeit geschädigt worden ist, seine spätere Be-
schäftigung zu diesem Zeitpunkt aber noch offen war (KassKomm/Kater, aaO,
Rn. 37).
Dem Berufungsgericht ist zuzugeben, dass in Fällen, in denen zum Zeit-
punkt des Schadenseintritts noch kein Sozialversicherungsverhältnis bestand
und der Anspruchsübergang deshalb erst zu dem Zeitpunkt erfolgt, zu dem eine
Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers in Betracht kommt, dessen
Rückgriff gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X daran scheitern kann, dass der
Geschädigte über seinen Schadensersatzanspruch - etwa durch Abschluss ei-
nes Abfindungsvergleichs - verfügt hat oder aber der Anspruch wegen inzwi-
schen eingetretener Verjährung nicht mehr durchsetzbar ist. Es ist nicht zu ver-
kennen, dass damit das Ziel der gesetzlichen Regelung nicht in allen Fällen
erreicht wird, denn Zweck des § 116 SGB X ist es zu vermeiden, dass der
Schädiger durch die dem Geschädigten zufließenden Sozialleistungen haf-
tungsfrei gestellt oder aber der Geschädigte doppelt entschädigt (bereichert)
wird (vgl. Senatsurteil vom 8. Juli 2003 - VI ZR 274/02, BGHZ 155, 342, 349
mwN, sowie BGH, Beschluss vom 30. März 1953 - GSZ 1/53, 2/53, 3/53, BGHZ
9, 179, 184 ff., zu § 1542 RVO; KassKomm/Kater, § 116 SGB X Rn. 5 ff.
[Stand: April 2011]). Bereits der Wille des Gesetzgebers bei der Schaffung des
§ 1542 RVO war auf eine möglichst weitgehende Entlastung des öffentlichen
Versicherungsträgers gerichtet. Dieser und nicht der Schädiger soll durch die
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vom Gesetz getroffene Regelung geschützt werden. Grundsätzlich verdient da-
her eine Gesetzesauslegung den Vorzug, die es ermöglicht, den verantwortli-
chen Schädiger heranzuziehen, und nicht den Schädiger auf Kosten des Sozi-
alversicherungsträgers entlastet (vgl. Senatsurteile vom 30. November 1955
- VI ZR 211/54, BGHZ 19, 177, 183; vom 2. Dezember 2008 - VI ZR 312/07,
VersR 2009, 230 Rn. 12).
Eine solche Auslegung verbietet sich indessen in den Fällen, in denen
zum Zeitpunkt des Schadenseintritts das Entstehen einer Leistungspflicht des
Sozialversicherungsträgers bereits deshalb offen ist, weil noch kein Sozialversi-
cherungsverhältnis besteht und auch völlig ungewiss ist, ob ein solches zu ei-
nem späteren Zeitpunkt jemals begründet werden wird. Würde es für den
Rechtsübergang auf den Sozialversicherungsträger schon genügen, dass nach
den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls seine Leistungspflicht
ernsthaft in Betracht zu ziehen ist, würden auch jenem Geschädigten eigene
Schadensersatzansprüche genommen, der nicht Mitglied einer Sozialversiche-
rung ist. Er verlöre mithin eigene Ansprüche, ohne im Ausgleich dafür Leis-
tungsansprüche gegen Sozialversicherungsträger zu erlangen (vgl. Fuchs, JZ
2012, 134, 138). Ein Anspruchsübergang auf den Sozialversicherungsträger
würde zudem auch die Rückgriffsmöglichkeit privater Versicherer gemäß § 86
Abs. 1 VVG aushöhlen. Dem kann entgegen der Auffassung des Berufungsge-
richts nicht entgegengehalten werden, dass die Mehrzahl der Erwerbstätigen in
Deutschland einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgeht. Dem
Geschädigten, der zum Zeitpunkt des Schadenseintritts nicht Mitglied einer So-
zialversicherung ist, kann sein Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger
nicht mit der Erwägung abgesprochen werden, die Mehrzahl der Geschädigten
sei gesetzlich versichert. Die Gründe, aus denen für Sozialleistungen, die nicht
an das Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses anknüpfen, ein An-
spruchsübergang für den Zeitpunkt des Schadenseintritts hergeleitet wird, sind
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daher entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auf Fallgestaltungen, in
denen es um Leistungen von Sozialversicherungsträgern geht, nicht übertrag-
bar.
e) Nach diesen Grundsätzen ist der Forderungsübergang auf die Kläge-
rin nach § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X im Streitfall frühestens mit dem Eintritt der
Geschädigten in die gesetzliche Rentenversicherung erfolgt, also auch nach
dem Klägervortrag nicht vor August 2005. Bis dahin bestand kein Rentenversi-
cherungsverhältnis zwischen der zum Zeitpunkt des Schadenseintritts erst
sechs Jahre alten Geschädigten und der Klägerin. Die zukünftige Begründung
eines Sozialversicherungsverhältnisses war seinerzeit allenfalls denkbar. Mithin
fehlte das besondere Band, das den Boden für den Forderungsübergang
schafft (vgl. Senatsurteil vom 20. September 1994 - VI ZR 285/93, BGHZ 127,
120, 125).
Wie das Berufungsgericht nicht verkennt, bilden Ansprüche der Geschä-
digten aus der Rentenversicherung ihrer Mutter kein verbindendes Element für
den Forderungsübergang auf die Klägerin als Rentenversicherungsträgerin.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird der Anspruchsüber-
gang nach § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X zwar dadurch nicht berührt, dass später
ein anderer Sozialversicherungsträger gleichartige Leistungen zu erbringen hat;
in solchen Fällen tritt vielmehr der zweite Sozialversicherungsträger in Bezug
auf die Ersatzansprüche des Geschädigten die Rechtsnachfolge des ersten an
(vgl. Senatsurteile vom 24. Februar 1983 - VI ZR 243/80, VersR 1983, 536,
537; vom 9. Januar 1990 - VI ZR 86/89, VersR 1990, 437, 439; vom 17. April
1990 - VI ZR 276/89, VersR 1990, 1028, 1029). In der Rentenversicherung be-
steht jedoch für Kinder kein umfassender Versicherungsschutz, wie er etwa im
Krankenversicherungsrecht mit der Familienversicherung nach § 10 SGB V
vorgesehen ist. Die Möglichkeit, dass der Rentenversicherungsträger Kindern
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von Versicherten gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI unter bestimmten
Voraussetzungen Leistungen für Heilbehandlungen gewähren kann, ist damit
nicht vergleichbar, denn diese Regelung knüpft an das bestehende Versiche-
rungsverhältnis der Eltern an. Im Streitfall bilden Ansprüche der Geschädigten
aus einem eigenen Rentenversicherungsverhältnis daher grundsätzlich keine
Einheit mit etwaigen Ansprüchen, die zu ihren Gunsten aufgrund des Versiche-
rungsverhältnisses ihrer Mutter bestanden haben.
f) Wie die Revision mit Recht geltend macht, hat die von den Beklagten
erhobene Einrede der Verjährung Erfolg. Der Lauf der Verjährungsfrist begann
spätestens im Juli 1999, so dass spätestens im Juli 2002 Verjährung eingetre-
ten ist. Die Klägerin muss die vor dem Forderungsübergang eingetretene Ver-
jährung gemäß §§ 412, 404 BGB gegen sich gelten lassen (vgl. Senatsurteil
vom 4. Oktober 1983 - VI ZR 194/81, VersR 1984, 136, 137; BGH, Urteil vom
10. Juli 1967 - III ZR 78/66, BGHZ 48, 181, 183; Hauck/Noftz/Nehls, § 116
SGB X Rn. 25 [Stand: Mai 2011]).
Der Beginn der Verjährung bestimmt sich gemäß Art. 229 § 6 Abs. 1
Satz 2 EGBGB nach § 852 Abs. 1 BGB a.F., § 14 StVG, § 3 Nr. 3 PflVG a.F.
Gemäß § 852 Abs. 1 BGB a.F. verjährt der Schadensersatzanspruch von dem
Zeitpunkt an, in dem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Er-
satzpflichtigen Kenntnis erlangt. Nach der Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofs ist der Schaden im Sinne des § 852 Abs. 1 BGB a.F. als Schadens-
einheit zu verstehen. Dies bedeutet, dass bereits die allgemeine Kenntnis von
dem Schaden genügt, um die Verjährungsfrist in Lauf zu setzen; wer sie er-
langt, dem gelten auch solche Folgezustände als bekannt, die im Zeitpunkt der
Erlangung jener Kenntnis nur als möglich voraussehbar waren. Der Grundsatz
der Schadenseinheit beruht auf den Geboten der Rechtsklarheit und Rechts-
sicherheit. Daraus folgt, dass Ausnahmen von diesem Grundsatz nur in eng
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begrenzten Fallkonstellationen hinnehmbar sind. Dies gilt für die Fälle, in denen
sich schwere Folgezustände bei anscheinend ganz leichten Verletzungen oder
vorübergehenden Gesundheitsstörungen erst später unerwartet einstellen (vgl.
Senatsurteil vom 3. Juni 1997 - VI ZR 71/96, VersR 1997, 1111 f. mwN).
Im Streitfall kommt es gemäß § 166 Abs. 1 BGB auf die Kenntnis der ge-
setzlichen Vertreter der Geschädigten an (vgl. Senatsurteil vom 13. April 1999
- VI ZR 88/98, VersR 1999, 1126, 1127; MünchKommBGB/Schramm, 6. Aufl.,
§ 166 Rn. 55). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wussten diese
spätestens zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abfindungsvergleichs im Juli
1999 von dem Schaden und von den Beklagten als Ersatzpflichtigen. Die von
der Klägerin pauschal geltend gemachten zukünftigen Schäden waren in dieser
Form bereits damals als möglich voraussehbar. Unerwartete Verletzungsfolgen
stehen nicht im Raum. Der Lauf der Verjährungsfrist begann daher spätestens
mit der Unterzeichnung des Abfindungsvergleichs im Juli 1999. Spätestens im
Juli 2002 ist somit die dreijährige Verjährungsfrist gemäß § 195 BGB, die der
Frist des § 852 Abs. 1 BGB a.F. entspricht, abgelaufen (vgl. Art. 229 § 6 Abs. 1
Satz 1 und 2 und Abs. 3 EGBGB).
Auch der gebotene Schutz der Sozialversicherungsträger und deren an-
erkanntes Interesse an effektiven Rückgriffsmöglichkeiten rechtfertigen keine
andere Beurteilung. Zwar hat der Gedanke, den Belangen der Sozialversiche-
rungsträger Rechnung zu tragen, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
zum Zeitpunkt des Anspruchsübergangs auf den Sozialversicherungsträger
entscheidend beeinflusst. Der Gesetzgeber hat jedoch - ausgehend von dem
Grundgedanken, dass die Rechtsposition des Schuldners durch einen Forde-
rungsübergang nicht verschlechtert werden darf - in §§ 404, 412 BGB bestimmt,
dass dem Schuldner die bestehenden Gegenrechte gegenüber dem Zessionar
erhalten bleiben. Davon hat der Gesetzgeber für den Forderungsübergang nach
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§ 116 SGB X keine Ausnahme vorgesehen. Den Gerichten ist es daher ver-
wehrt, die Gesetzesanwendung nach dem Schutzbedürfnis der Sozialversiche-
rungsträger auszurichten, selbst wenn sie dieses Schutzbedürfnis höher bewer-
ten wollten als den Schutz des Schuldners (vgl. Senatsurteil vom 4. Oktober
1983 - VI ZR 194/81, VersR 1984, 136, 137 zu § 1542 RVO). Da die Beklagten
gemäß § 214 BGB berechtigt sind, die Leistung zu verweigern, ist der Feststel-
lungsantrag der Klägerin unbegründet.
2. Das angefochtene Urteil ist demnach aufzuheben, soweit zum Nachteil
der Beklagten erkannt worden ist. Da für eine abschließende Entscheidung kei-
ne weiteren Feststellungen erforderlich sind, kann der Senat in der Sache
selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO) und die Berufung der Klägerin gegen
das Urteil des Landgerichts insgesamt zurückweisen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1
ZPO, §§ 565, 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO.
Galke
Wellner
Pauge
Stöhr
von Pentz
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 20.04.2009 - 59 O 215/07 -
KG Berlin, Entscheidung vom 08.11.2010 - 22 U 106/09 -
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