Urteil des BGH vom 15.09.2015

Leitsatzentscheidung zu Eigenes Verschulden, Berufungsschrift, Aufmerksamkeit, Berufungsfrist

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VI ZB 37/14
vom
15. September 2015
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 233 B, Fc
Ein Rechtsanwalt muss den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen immer dann
eigenverantwortlich prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristge-
bundenen Prozesshandlung vorgelegt werden. Dazu muss er gegebenenfalls veran-
lassen, ihm die Handakten vorzulegen.
BGH, Beschluss vom 15. September 2015 - VI ZB 37/14 - OLG Hamm
LG Essen
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. September 2015 durch
den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Wellner und Stöhr und die Richte-
rinnen Dr. Oehler und Dr. Roloff
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 6. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Hamm vom 27. Februar 2014 wird auf
Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.
Beschwerdewert: 325.604,34 €.
Gründe:
I.
Dem Kläger ist das Urteil des Landgerichts am 28. Oktober 2013 zuge-
stellt worden. Gegen dieses Urteil hat er am 28. November 2013 Berufung ein-
gelegt. Die Meldung der Prozessbevollmächtigten der Gegenseite ist ihm am
16. Januar 2014 zugestellt worden und der Hinweis des Oberlandesgerichts
vom 13. Januar 2014, dass innerhalb der Berufungsbegründungsfrist keine Be-
rufungsbegründung vorgelegt worden sei, am 17. Januar 2014. Mit Schriftsatz
vom 23. Januar 2014 hat er am 24. Januar 2014 beantragt, die Frist zur Beru-
fungsbegründung um einen Monat zu verlängern. Am 28. Januar 2014 ist der
Schriftsatz vom 25. Januar 2014 mit der Berufungsbegründung und einem An-
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trag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beim Oberlandesgericht einge-
gangen.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages macht der Kläger gel-
tend, die Berufungsbegründungsfrist sei ohne ein ihm zurechenbares Verschul-
den seines in L. /Österreich ansässigen, aber auch in Deutschland zugelas-
senen Prozessbevollmächtigten versäumt worden. Wie bei Rechtsstreitigkeiten
vor deutschen Gerichten bei ihm üblich, habe sein Prozessbevollmächtigter die
Fristeintragung persönlich veranlasst und im Terminkalender eingetragen. An-
lässlich der Postbesprechung in seiner Kanzlei am 30. Oktober 2013 habe er
die Frist für die Berufungseinlegung für den 28. November 2013 im Kalender
eingetragen. Die Frist zur Berufungsbegründung sei ebenfalls zutreffend be-
rechnet worden. Ihm sei aber der Fehler unterlaufen, diese Frist nicht für den
28. Dezember 2013 im Kalender vorzumerken, sondern erst für den 28. Januar
2014 im Terminkalender einzutragen. Der Grund für diesen Fehler liege darin,
dass er sich in einer psychischen Ausnahmesituation befunden habe. Kurz vor
der Postbesprechung habe er durch ein mit seiner Frau geführtes Telefonat
erfahren, dass sein jüngster Sohn kurz zuvor einen Grandmal-Anfall erlitten ha-
be, der nur mit einem Notfallmedikament habe gestoppt werden können; die
Zukunftsperspektive seines erkrankten Sohnes sei sehr negativ.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht den Wie-
dereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzu-
lässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger müsse sich die
von seinem Prozessbevollmächtigten verschuldete Fristversäumung zurechnen
lassen. Zwar könne das Versäumnis eines Prozessbevollmächtigten als unver-
schuldet gewertet werden, wenn es auf einem durch Krankheit verursachten
Erregungszustand, auf einer krankheitsbedingten Fehleinschätzung der eige-
nen Leistungsfähigkeit oder einer besonderen persönlichen Belastungssituation
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durch Todesfälle naher Angehöriger oder befreundeter Kollegen beruhe. Derar-
tige besondere Umstände hätten das Fristversäumnis jedoch nicht, jedenfalls
nicht allein verursacht. Bei der Frist, deren Falscheintragung der Prozessbe-
vollmächtigte des Klägers am 30. Oktober 2013 vorgenommen habe, habe es
sich nicht um eine unaufschiebbare Maßnahme gehandelt und er hätte diese
zurückstellen können. Selbst wenn der Prozessbevollmächtigte irrtümlich ge-
meint haben sollte, trotz seiner momentanen Erregung zuverlässig arbeiten zu
können, hätte es nahegelegen, bei der weiteren Bearbeitung des Rechtsmittel-
auftrags nach dem 30. Oktober 2013, also nachdem die Störung der Aufmerk-
samkeit geendet hatte, die in der jedenfalls im Rückblick offensichtlichen Aus-
nahmesituation vorgenommenen Maßnahmen noch einmal zu kontrollieren.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbe-
schwerde.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die
maßgeblichen Rechtsfragen durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs
geklärt sind und das Berufungsgericht hiernach zutreffend entschieden hat.
2. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers
mit Recht zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Der Klä-
ger hat die Berufungsbegründungsfrist nicht unverschuldet versäumt, weil er
sich ein eigenes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten hinsichtlich der
Fristversäumung gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Zutreffend
hat das Berufungsgericht ein eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtig-
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ten darin gesehen, dass er bei der weiteren Bearbeitung des Rechtsmittelauf-
trags nach dem 30. Oktober 2013, also nachdem die Störung der Aufmerksam-
keit geendet hatte, nicht mehr geprüft hat, ob die Berufungsbegründungsfrist
richtig notiert worden ist.
Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass der
Rechtsanwalt die Prüfung des Fristablaufs im Zusammenhang mit der Bearbei-
tung der Sache nachprüfen muss, wenn ihm diese zur Vorbereitung einer frist-
gebundenen Prozesshandlung vorgelegt wird. Nach den zur anwaltlichen Fris-
tenkontrolle entwickelten Grundsätzen hat der Rechtsanwalt alles ihm Zumutba-
re zu tun und zu veranlassen, damit die Fristen zur Einlegung und Begründung
eines Rechtsmittels gewahrt werden. Die Überwachungspflicht des Rechtsan-
walts, dem die Handakten zwecks Fertigung der Berufungsschrift vorgelegt
werden, beschränkt sich dabei nicht nur auf die Prüfung, ob die Berufungsfrist
zutreffend notiert ist, sondern erstreckt sich auch auf die ordnungsgemäße No-
tierung der Berufungsbegründungsfrist, die nach § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit
der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils zu laufen beginnt und deren Ablauf
daher im Zeitpunkt der Fertigung der Berufungsschrift bereits feststeht. Mit der
anwaltlichen Verpflichtung, alle zumutbaren Vorkehrungen gegen Fristver-
säumnisse zu treffen, wäre nicht zu vereinbaren, wenn sich der Anwalt bei der
im Zusammenhang mit der Aktenvorlage zwecks Fertigung der Berufungsschrift
gebotenen Prüfung der Fristnotierung auf die Berufungsfrist beschränken und
die Prüfung der bereits feststehenden Berufungsbegründungsfrist aussparen
wollte. Er hat daher bei Vorlage der Handakte zur Fertigung der Berufungs-
schrift auch zu prüfen, dass die Berufungsbegründungsfrist richtig notiert wor-
den ist (vgl. Senatsbeschluss vom 3. Mai 2011 - VI ZB 4/11, juris Rn. 6; BGH,
Urteil vom 25. September 2014 - III ZR 47/14, NJW 2014, 3452 Rn. 8, 10; Be-
schlüsse vom 21. April 2004 - XII ZB 243/03, FamRZ 2004, 1183 f.; vom
1. Dezember 2004 - XII ZB 164/03, NJW-RR 2005, 498, 499).
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Hätte der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei Fertigung der am
28. November 2013 bei Gericht eingegangenen Berufungsschrift kontrolliert, ob
die Berufungsbegründungsfrist richtig notiert worden ist, hätte er bemerken
können, dass ihm am 30. Oktober 2013 insoweit ein Fehler unterlaufen ist und
die fehlerhafte Notierung der Frist auf den 28. Januar 2014 im Terminkalender
korrigieren können. Soweit sein Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag und
mit der Rechtsbeschwerde dahin zu verstehen sein sollte, dass ihm bei Ferti-
gung der Berufungsschrift eine Handakte nicht und vielmehr erst aufgrund der
auf den 21. Januar 2014 notierten Vorfrist - auch mit den bereits am
16. Dezember 2013 in seiner Kanzlei eingetroffenen Unterlagen - vorgelegt
wurde, läge bereits insoweit ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten vor
(vgl. BGH, Urteil vom 25. September 2014 - III ZR 47/14, NJW 2014, 3452
Rn. 8, 10 mwN).
3. Da mithin dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattzugeben war,
hat das Berufungsgericht die Berufung des Klägers wegen Versäumung der
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Berufungsbegründungsfrist zu Recht als unzulässig verworfen.
Galke
Wellner
Stöhr
Oehler
Roloff
Vorinstanzen:
LG Essen, Entscheidung vom 11.10.2013 - 11 O 483/05 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 27.02.2014 - I-6 U 193/13 -