Urteil des BGH vom 29.01.2016

Leitsatzentscheidung zu Treu Und Glauben, Zwangsvollstreckung, Einverständnis, Hauptsache

ECLI:DE:BGH:2016:290116UVZR97.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 97/15
Verkündet am:
29. Januar 2016
Langendörfer-Kunz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 387; WEG § 16 Abs. 2, § 28 Abs. 2, § 27 Abs.1 Nr. 4
a) Gegen Beitragsforderungen der Wohnungseigentümergemeinschaft kann ein
Wohnungseigentümer grundsätzlich nur mit Forderungen aufrechnen, die
anerkannt oder rechtskräftig festgestellt sind (Fortführung des Urteils des
Senats vom 1. Juni 2012 - V ZR 171/11, NJW 2012, 2797 Rn. 15).
b) Ein Hausverwalter kann eine mit einem Wohnungseigentümer vereinbarte
Lastschriftabrede kündigen, wenn dieser an seiner Ansicht festhält, mit einer
streitigen Forderung gegen eine Beitragsforderung der Wohnungseigentü-
mergemeinschaft aufrechnen zu können, und daraus weitere Konflikte dro-
hen.
BGH, Urteil vom 29. Januar 2016 - V ZR 97/15 - LG Lüneburg
AG Hannover
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 29. Januar 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die
Richterinnen Dr. Brückner und Weinland, den Richter Dr. Kazele und die
Richterin Haberkamp
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des Landge-
richts Lüneburg vom 25. März 2015 wird auf Kosten der Beklagten
zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagten sind Mitglieder der klagenden Wohnungseigentümerge-
meinschaft. Sie erteilten der Hausverwaltung eine Einzugsermächtigung zu
Lasten ihres Kontos. Eine Verpflichtung der Hausverwaltung, die Hausgelder im
Wege des Lastschriftverfahrens einzuziehen, ergibt sich weder aus der Tei-
lungserklärung noch aufgrund eines Beschlusses.
Für 2013 hatten die Beklagten ein monatliches Hausgeld einschließlich
Instandhal
tungsrücklage von 258,63 € zu zahlen. Nachdem die Hausverwaltung
einen Nachzahlungsbetrag aus der Jahresabrechnung 2012 abgebucht hatte,
machten diese geltend, es sei eine Vorauszahlung von 13 € nicht berücksichtigt
worden. Außerdem hätten sie für die Monate Januar bis April 2013 insgesamt
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20 € zu viel an Hausgeld bezahlt. Sie teilten der Hausverwaltung mit, im Juli
2013 sei nur die Abbuchung des um 33 € reduzierten Betrags von 225,63 € ge-
stattet; nach erfolgter Korrektur dürfe in den Folgemonaten wieder der volle Be-
trag eingezogen werden. Im Juli 2013 buchte die Hausverwaltung von dem
Konto der Beklagten 238,63 € ab. Die Beklagten erklärten mit Schreiben vom
25. Juli 2013, dass der Abbuchungsvorgang nicht genehmigt sei. In dem
Schreiben heißt es weiter: „Der rechtswidrige Zugriff auf unser Konto in nicht
genehmigter Höhe trägt demnach den Charakter eines Diebstahls. Bedenken
Sie bitte, dass Diebstahl ein Straftatbestand ist.“ Daraufhin teilte die Hausver-
waltung mit, dass sie ab September 2013 von der Einzugsermächtigung keinen
Gebrauch mehr machen wolle, weil der genehmigte Betrag in Höhe von
225,63
€ die Forderung der Wohnungseigentümergemeinschaft unterschreite.
Die Beklagten antworteten, die Begrenzung habe ausschließlich für den Monat
Juli 2013 gegolten u
nd ab August 2013 dürfe der volle Betrag von 258,63 € ein-
gezogen werden.
In der Folgezeit zog die Hausverwaltung keine Hausgelder ein, die Be-
klagten nahmen keine Überweisungen vor.
Mit der Klage macht die Wohnungseigentümergemeinschaft einen Betrag
vo
n 1.293,15 € für die Monate September 2013 bis Januar 2014 nebst Rechts-
hängigkeitszinsen geltend. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Das
Landgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision
zugelassen. Nach Zustellung des Berufungsurteils und vor Einlegung der Revi-
sion haben die Beklagten die Klageforderung nebst Zinsen an die Klägerin
überwiesen. Diese hat daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt
erklärt, hilfsweise beantragt sie die Verwerfung der Revision als unzulässig oder
deren Zurückweisung als unbegründet. Die Beklagten wollen die Abweisung der
Klage erreichen, hilfsweise stimmen sie der Erledigungserklärung zu.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung u.a. in ZMR 2015, 626 ver-
öffentlicht ist, meint, die Klägerin habe die vereinbarte Lastschriftabrede wirk-
sam gekündigt, so dass sie ab September 2013 das Hausgeld nicht mehr von
dem Konto der Beklagten habe einziehen müssen. Ein Widerruf des Einver-
ständnisses mit dem Lastschrifteinzug sei möglich, wenn der Gläubiger ein be-
rechtigtes Interesse habe und berechtigte Interessen des Schuldners dem nicht
entgegenstünden. Das sei hier der Fall. Zwischen den Parteien habe über die
Höhe des im September 2013 zu zahlenden Hausgeldes Streit bestanden. Die
Beklagen hätten zudem das von ihnen zuvor erklärte Einverständnis zum Last-
schrifteinzug einseitig eingeschränkt, indem sie die Weisung erteilt hätten, le-
dig
lich einen Betrag von 225,63 € abzubuchen. Unter diesen Umständen sei es
der Hausverwaltung nicht zumutbar gewesen, sich in weitere Konflikte zu ver-
wickeln. Dies hätte einen erheblichen Mehraufwand bedeutet und den Zweck
des Lastschriftverfahrens vereitelt. Die Hausverwaltung verstoße nicht gegen
Treu und Glauben, wenn sie sich nur bei den Beklagten weigere, die Hausgel-
der per Lastschrift einzuziehen.
II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
1. Die Revision der Beklagten ist zulässig. Die vorbehaltlose Überwei-
sung der Klageforderung nebst Zinsen nach Zustellung des Berufungsurteils
und vor Einlegung der Revision hat weder zu einem Wegfall der durch die Ver-
urteilung eingetretenen Beschwer der Beklagten geführt noch ist hierin ein
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Rechtsmittelverzicht zu sehen; es liegt daher auch kein Fall der Erledigung des
Rechtsstreits in der Hauptsache vor.
Anders wäre nur dann zu entscheiden, wenn der Schuldner nicht nur zur
Abwendung einer Zwangsvollstreckung aus einem für vorläufig vollstreckbaren
Urteil bezahlt, sondern den Klageanspruch (endgültig) erfüllen will. Ob das eine
oder andere anzunehmen ist, richtet sich nach den dem Zahlungsempfänger
erkennbaren Umständen des Einzelfalles (BGH, Urteil vom 16. November 1993
- X ZR 7/92, NJW 1994, 942, 943). Vorliegend haben die Beklagten nach Ver-
kündung des Berufungsurteils gezahlt, ohne dass die Klägerin eine Zwangsvoll-
streckung angekündigt hatte. Der Inhalt des von der Klägerin vorgelegten Kon-
toauszugs enthält keine Angaben, die eine Aussage darüber zulassen, ob (le-
diglich) zur Abwendung einer aufgrund des vorläufig vollstreckbaren Urteils
möglichen Zwangsvollstreckung gezahlt worden ist, oder ob es mit dem Unter-
liegen in der Berufungsinstanz für die Beklagten sein Bewenden haben soll. Bei
dieser Sachlage ist wegen des verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatzes
der prozessualen Meistbegünstigung (BVerfGE 49, 220, 226; 77, 275, 284; 84,
366, 369 f.) nicht anzunehmen, dass der Zahlung eine streitbeendende und die
Beschwer ausschließende Bedeutung zukommt (vgl. BGH, Urteil vom
16. November 1993 - X ZR 7/92, NJW 1994, 942, 943; Senat, Urteil vom
14. März 2014 - V ZR 115/13, NJW 2014, 1180 Rn. 8).
2. Die Revision ist unbegründet.
Die Beklagten sind verpflichtet, das rückständige Hausgeld und die In-
standhaltungsrücklage für September 2013 bis Januar 2014 zu zahlen. Das
Berufungsgericht nimmt zu Recht an, dass sie die Klägerin nicht darauf verwei-
sen können, von der Einzugsermächtigung Gebrauch zu machen und den ge-
schuldeten Betrag von ihrem Konto einzuziehen.
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a) Allerdings haben die Beklagten der Hausverwaltung ursprünglich eine
Einzugsermächtigung erteilt und diese damit ermächtigt, die zu leistenden Zah-
lungen mittels Lastschrift von ihrem Konto einzuziehen. Durch die Lastschriftab-
rede wird die Zahlungsverpflichtung des Schuldners zu einer Holschuld (§ 269
BGB). Der Schuldner hat das aus seiner Sicht zur Erfüllung Erforderliche somit
getan, wenn er den Leistungsgegenstand zur Abholung durch den Gläubiger
bereithält, d.h. im Lastschriftverfahren dafür sorgt, dass ausreichend Deckung
auf seinem Konto vorhanden ist (BGH, Urteil vom 20. Juli 2010 - XI ZR 236/07,
BGHZ 186, 269 Rn. 26 mwN; Urteil vom 10. Juni 2008 - XI ZR 283/07, BGHZ
177, 69 Rn. 24). Die Einziehung ist Sache des Gläubigers.
b) Die Klägerin hat die Lastschriftabrede jedoch wirksam gekündigt.
aa) Dabei kommt es nicht darauf an, - weswegen das Berufungsgericht
die Revision zugelassen hat - ob der Gläubiger jederzeit und ohne besonderen
Grund die Lastschriftabrede kündigen kann (vgl. BGH, Urteil vom 19. Oktober
1977 - IV ZR 149/76, BGHZ 69, 361, 367; Urteil vom 7. Dezember 1983
- VIII ZR 257/82, NJW 1984, 871, 872; zum Meinungsstand vgl. Ellenberger in
Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 58 Rn. 190;
Grundmann in Großkomm. HGB, 5. Aufl., Bankvertragsrecht Dritter Teil
Rn. 109; Haertlein/Thümmler, WM 2008, 2137, 2143; Häuser, WM 1991, 1, 3;
Schwarz, ZIP 1989, 1442, 1446). Denn ein Recht des Gläubigers zur Kündi-
gung der Lastschriftabrede steht jedenfalls dann außer Frage, wenn ein sachli-
cher Grund besteht und die berechtigten Interessen des Schuldners an dem
Fortbestand der Lastschriftabrede dem Interesse des Gläubigers, sich von der
Lastschriftabrede zu lösen, nicht entgegenstehen. Ein Hausverwalter kann des-
halb eine mit einem Wohnungseigentümer vereinbarte Lastschriftabrede kündi-
gen, wenn dieser an seiner Ansicht festhält, mit einer streitigen Forderung ge-
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gen eine Beitragsforderung der Wohnungseigentümergemeinschaft aufrechnen
zu können, und daraus weitere Konflikte drohen.
bb) So verhält es sich hier. Die Hausverwaltung war aufgrund des Ver-
haltens der Beklagten im Zusammenhang mit der Abbuchung des Hausgeldes
für den Monat Juli 2013 zur Kündigung der Lastschriftabrede berechtigt.
Zwischen den Parteien entstanden Meinungsverschiedenheiten über die
Höhe des im Juli 2013 zu zahlenden Hausgeldes, weil die Beklagten meinten,
mit einer streitigen Forderung aufrechnen zu können (§ 387 BGB). Die darauf
gestützte Weisung der Beklagten, nicht das im Wirtschaftsplan ausgewiesene,
sondern ein reduziertes Hausgeld einzuziehen, musste die Hausverwaltung
nicht beachten. Sie war vielmehr berechtigt und verpflichtet, das fällige Haus-
geld sowie die Instandhaltungsrücklage einzuziehen (§ 28 Abs. 2, § 27 Abs. 1
Nr. 4 WEG). Gegen Beitragsforderungen der Wohnungseigentümergemein-
schaft kann ein Wohnungseigentümer grundsätzlich nur mit Forderungen auf-
rechnen, die anerkannt oder rechtskräftig festgestellt sind. Das ergibt sich aus
der Natur der Schuld und dem Zweck der geschuldeten Leistung. Die im Wirt-
schaftsplan ausgewiesenen Vorschüsse sollen zur Verwaltung des Gemein-
schaftseigentums in dem betreffenden Wirtschaftsjahr tatsächlich zur Verfügung
stehen (vgl. Senat, Urteil vom 1. Juni 2012 - V ZR 171/11, NJW 2012, 2797
Rn. 15 zum Zurückbehaltungsrecht; vgl. auch Bärmann/Becker, WEG, 13. Aufl.,
§ 28 Rn. 93; Jennißen in Jennißen, WEG, 4. Aufl., § 28 Rn. 208; Staudinger/
Bub, BGB [2005], § 28 WEG, Rn. 228 ff.; Weitnauer/Gottschalg, WEG, 9. Aufl.,
§ 16 Rn. 28). Ob von dem Aufrechnungsverbot Hauptforderungen auszuneh-
men sind, die auf einer Notgeschäftsführung (so etwa BayObLGZ 1977, 67, 71;
vgl. auch BayOblG, ZMR 2005, 214, 215; Jennißen in Jennißen, WEG, 4. Aufl.,
§ 28 Rn. 208; Weitnauer/Gottschalg, WEG, 9. Aufl., § 16 Rn. 28) oder auf der
Inanspruchnahme des Wohnungseigentümers durch einen Gläubiger der Woh-
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nungseigentümergemeinschaft gemäß § 10 Abs. 8 WEG beruhen (vgl. KG,
ZWE 2002, 363, 364; Bärmann/Becker, WEG, 13. Aufl., § 28 Rn. 93), bedarf
hier keiner Entscheidung.
Da die Beklagen auf ihrem irrigen Standpunkt, aufrechnen zu können,
beharrten, musste die Hausverwaltung mit Rücklastschriften rechnen. Außer-
dem musste sie befürchten, dass es auch künftig zu Meinungsverschiedenhei-
ten über Abbuchungen kommen werde. Dies bedeutete für sie einen erhebli-
chen Mehraufwand, der dem Zweck der Lastschriftabrede - die Beschleunigung
und Vereinfachung des Zahlungsverkehrs - zuwiderläuft. Zudem hatten die Be-
klagten eine Strafanzeige angedroht. Die Hausverwaltung war daher berechtigt,
ihr Einverständnis mit dem Lastschrifteinzug zu widerrufen.
Berechtigte Interessen der Beklagten stehen der Kündigung nicht entge-
gen. Die Hausverwaltung hat ihnen unmissverständlich mitgeteilt, von der Ein-
ziehungsermächtigung keinen Gebrauch mehr zu machen. Sie haben damit
Gelegenheit erhalten, sich darauf einzustellen, die künftig fällig werdenden Be-
träge zu überweisen oder einen Dauerauftrag einzurichten.
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IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Stresemann
Brückner
Weinland
Kazele
Haberkamp
Vorinstanzen:
AG Hannover, Entscheidung vom 29.04.2014 - 483 C 635/14 -
LG Lüneburg, Entscheidung vom 25.03.2015 - 9 S 91/14 -
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