Urteil des BGH vom 15.09.2016

Ablauf der Frist, Erwerb, Gemeinde, Grundbuch

ECLI:DE:BGH:2016:150916BVZR56.16.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZR 56/16
vom
15. September 2016
in dem Rechtsstreit
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. September 2016 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch
und Dr. Brückner, den Richter Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp
beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem
Urteil des 1. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena
vom 28. Januar 2016 wird auf Kosten der Klägerin zurück-
gewiesen.
Der Gegenstandwert des Beschwerdeverfahrens beträgt 60.000
€.
Gründe:
I.
Die beklagte Gemeinde ist Eigentümerin von Waldgrundstücken in Thü-
ringen, in deren Grundbüchern Belastungen nicht eingetragen sind. Die Kläge-
rin berühmt sich als altrechtliche, vom Thüringer Landwirtschaftsministerium
gemäß dem Waldgesetz des Landes anerkannte Waldgenossenschaft fortbe-
stehender altrechtlicher Forstnutzungsrechte (fortan Holzgerechtigkeiten) an
diesen Grundstücken. In einem Vorprozess nahm sie die beklagte Gemeinde
vergeblich auf Ersatz für entgangene Holznutzungen in Anspruch. Im vorliegen-
den Verfahren strebt sie die Eintragung der Holzgerechtigkeit im Grundbuch an,
und zwar in erster Linie in der Form einer Buchung sowohl in den Grundbuch-
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blättern für die Waldgrundstücke als auch zusätzlich in einem eigenständigen
Holzgerechtigkeitsgrundbuch, hilfsweise nur in den Waldgrundbüchern.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat
die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Revision hat es mit Rücksicht
auf den Beschluss des Senats vom 1. Juli 2010 (V ZR 34/10, ZOV 2010, 222)
nicht zugelassen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt die Klägerin ih-
ren Antrag auf Verurteilung der Beklagten zur Zustimmung zur Berichtigung des
Grundbuchs weiter.
II.
Das Berufungsgericht meint, die Grundbücher der Waldgrundstücke der
beklagten Gemeinde seien nicht unrichtig, weil die Gerechtigkeiten jedenfalls
nach § 8 Abs. 1 GBBerG erloschen seien. Es handele sich um nicht eingetra-
gene beschränkte dingliche Rechte an den Waldgrundstücken. Eine Klage auf
Bewilligung der Eintragung dieser Rechte habe die Klägerin vor Ablauf der Frist
nicht erhoben. Die Vorschrift sei „nicht auf DDR-spezifische Umstände oder auf
im Zusammenhang mit der Entstehung der DDR oder während [ihres] Beste-
hens […] begründete Rechte oder Rechtslagen beschränkt“. Sie erfasse auch
Altrechte aus der Zeit vor der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs. So
habe der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 1. Juli 2010 (V ZR 34/10,
ZOV 2010, 222) entschieden. Den von der Klägerin vorgelegten Rechtsgutach-
ten, die diese Entscheidung in Frage stellten, sei nicht zu folgen. Das Gutach-
ten eines Mitglieds der juristischen Fakultät der Universität Freiburg im Breisgau
behandele die Frage nicht; das Gutachten von Mitgliedern der juristischen Fa-
kultät der Universität Göttingen sei nicht überzeugend.
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III.
Die Beschwerde der Klägerin ist unbegründet, weil keiner der in § 543
Abs. 2 Satz 1 ZPO bestimmten Zulassungsgründe vorliegt. Die Rechtssache
hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung des Revisionsgerichts
ist weder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung noch zur Fortbil-
dung des Rechts erforderlich.
1. Das Berufungsgericht nimmt in Übereinstimmung mit dem zitierten
Beschluss des Senats an, dass die Holzgerechtigkeiten, derer sich die Klägerin
berühmt, nach § 8 Abs. 1 GBBerG erloschen sind. Die von der Klägerin vorge-
legten Rechtsgutachten geben dem Senat keine Veranlassung, eine Änderung
seiner Rechtsprechung zu erwägen.
a) Die Vorschrift des § 8 Abs. 1 GBBerG soll die Beleihbarkeit von
Grundstücken wiederher- und sicherstellen. Diese war nach der Einschätzung
des Gesetzgebers bei Erlass der Vorschrift nicht schlechthin dadurch gefährdet,
dass im ehemaligen Ostteil von Berlin und in den Ländern Brandenburg, Meck-
lenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen seinerzeit
massenhaft nicht eingetragene Rechte fortbestanden, sondern dadurch, dass
es dort bei Erlass der Vorschrift viele nicht eingetragene Rechte an Grundstü-
cken gab, die gegen einen gutgläubig lastenfreien Erwerb geschützt waren
(Entwurfsbegründung in BT-Drucks. 12/5553 S. 94). Auf diese Rechte war
§ 892 BGB nicht anzuwenden. Grundpfandrechtsgläubiger konnten deshalb
nicht darauf vertrauen, dass die nach dem Inhalt des Grundbuchs freien Rang-
stellen tatsächlich nicht bereits durch ein oder mehrere andere Rechte belegt
waren. Ein scheinbar erstrangiges Grundpfandrecht konnte zudem nicht ohne
Weiteres als solches behandelt werden, weil mit dem Fortbestehen nicht einge-
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tragener Rechte zu rechnen war. Der Wert eines Grundstücks konnte nicht si-
cher bestimmt werden, weil nicht abzuschätzen war, wie viele Rechte welcher
Art es sein konnten und welche Wertabschläge vorzunehmen waren.
b) Den Anstoß für die Regelung in § 8 GBBerG gaben zwar die besonde-
ren Schwierigkeiten bei der Beleihung von Grundstücken, die seinerzeit im Bei-
trittsgebiet bestanden. Das Problem, das es zu lösen galt, war aber, was die
Verfasser der von der Klägerin vorgelegten Gutachten nicht berücksichtigen,
keine Besonderheit des Sachenrechts in diesen Bundesländern. Denn nach
Art. 187 Abs. 1 EGBGB gibt es auch im ehemaligen Westteil von Berlin und in
den übrigen Bundesländern beschränkte dingliche Rechte an Grundstücken,
die nach wie vor gegen einen gutgläubig lastenfreien Erwerb geschützt sind.
Das zur Lösung dieses Problems von dem Gesetzgeber eingesetzte Instrument
- ein Erlöschen der Rechte kraft Gesetzes bei Nichteinhaltung einer Klagefrist -
ist nicht auf die besonderen Verhältnisse im Beitrittsgebiet zugeschnitten. Es
eignet sich auch für die Behebung von Schwierigkeiten bei der Beleihung von
Grundstücken in den übrigen Teilen des Bundesgebiets. Deshalb hat sich der
Gesetzgeber im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens entschlossen, den Gel-
tungsbereich der Vorschrift nicht auf das Beitrittsgebiet zu begrenzen, sondern
die jeweilige Landesregierung mit § 8 Abs. 3 Satz 3 GBBerG zu ermächtigen,
die Vorschrift des § 8 GBBerG im übrigen Bundesgebiet durch Rechtsverord-
nung in Kraft zu setzen.
c) Dem zu lösenden Problem entsprechend sieht § 8 Abs. 1 Satz 1
GBBerG ein Erlöschen kraft Gesetzes bei Versäumung der Klagefrist nicht nur
für Mitbenutzungsrechte der in Art. 233 § 5 EGBGB bezeichneten Art, sondern
auch für „sonstige [...] nicht im Grundbuch eingetragene [...] beschränkte [...]
dingliche
[...] Recht[e]“ vor. Die Vorschrift unterscheidet, anders als die Verfas-
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ser der vorgelegten Gutachten meinen, nicht nach dem Inhalt und der Art dieser
Rechte oder danach, ob sie während des Bestehens der DDR entstanden sind,
sondern nur danach, ob sie ohne Eintragung vor den Wirkungen des öffentli-
chen Glaubens geschützt sind. Unter dieser Voraussetzung erfasst sie auch
beschränkte dingliche Rechte aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Bürgerli-
chen Gesetzbuchs am 1. Januar 1900 (Senat, Urteil vom 28. März 2003
- V ZR 271/02, VIZ 2003, 488, 489). Dieses Regelungskonzept kommt schon im
Text von § 8 Abs. 1 Satz 1 GBBerG, aber zusätzlich noch darin deutlich zum
Ausdruck, dass die angesprochene Ermächtigung der jeweiligen Landesregie-
rung in § 8 Abs. 3 Satz 3 GBBerG, die Vorschrift im übrigen Bundesgebiet
durch Rechtsverordnung in Kraft zu setzen, ausdrücklich die Befugnis umfasst,
sie nicht umfassend, sondern „auch für einzelne Arten von Rechten“ in Kraft zu
setzen. Es unterliegt damit keinem Zweifel, dass § 8 Abs. 1 Satz 1 GBBerG
Holzgerechtigkeiten aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Ge-
setzbuchs erfasst, wenn sie gegen einen gutgläubig lastenfreien Erwerb ge-
schützt sind.
d) Die - von den Verfassern der vorgelegten Gutachten nicht behandel-
te - entscheidende Frage ist deshalb, ob das von der Klägerin in Anspruch ge-
nommene Recht ohne Eintragung gegen den öffentlichen Glauben geschützt
ist. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, deren Kern auf den eige-
nen Ausführungen der Klägerin in der Berufungsbegründung beruht, ist das zu
bejahen.
aa) Der Schutz vor den Wirkungen des öffentlichen Glaubens ergibt sich
nicht allein aus der Fortgeltung der Rechte an sich. Diese würde hier nachei-
nander aus Art. 184 EGBGB, § 6 Abs. 1 EGZGB und Art. 233 § 3 Abs. 1
EGBGB folgen. Diese Vorschriften enthalten indes keine Regelung über eine
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Einschränkung der Wirkungen des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs. Die
Rechte gelten danach vielmehr im Grundsatz unter dem Vorbehalt des Weger-
werbs oder des Rangverlustes durch gutgläubig vorrangigen Erwerb anderer
Rechte fort.
bb) Die Holzgerechtigkeiten, derer sich die Klägerin berühmt, wären
aber, falls sie wirksam entstanden sein sollten, nach Art. 187 Abs. 1 EGBGB
vor den Wirkungen des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs geschützt (ge-
wesen).
(1) Danach können Grundstücke (im gesamten Bundesgebiet) zwar gut-
gläubig frei von (bestehenden) beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten und
anderen beschränkten dinglichen Rechten, aber nicht frei von (bestehenden)
Grunddienstbarkeiten alten Rechts erworben werden. Was unter einer Grund-
dienstbarkeit zu verstehen ist, bestimmt sich, da das Einführungsgesetz zum
Bürgerlichen Gesetzbuche dessen Terminologie folgt, nach dem Bürgerlichen
Gesetzbuch, nicht nach dem früheren Recht. Die Rechte aus der Zeit vor dem
Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs müssen deshalb in die Kategorien
des Bürgerlichen Gesetzbuchs, also in beschränkte persönliche oder Grund-
dienstbarkeiten, eingeordnet werden (BayObLGZ 1962, 341, 357). Stellen sie
sich danach als beschränkte persönliche Dienstbarkeiten dar, sind sie vor den
Wirkungen des öffentlichen Glaubens nicht geschützt und werden dann auch
nicht von § 8 Abs. 1 GBBerG erfasst. Sind sie dagegen als Grunddienstbarkei-
ten zu qualifizieren, unterfallen sie dieser Vorschrift und erlöschen dann nach
deren Maßgabe.
(2) In dem Fall, der der Entscheidung des Senats vom 1. Juli 2010 zu-
grunde lag, ging es um Holzgerechtigkeiten, die auf einen Rezess zurückgingen
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und nach diesem Rezess den Inhabern von Gerechtigkeitshäusern, also den
Inhabern bestimmter bebauter Grundstücke in der benachbarten Gemeinde,
zustanden. Der Bezug der Nutzungsberechtigung zu den Eigentümern an ei-
nem solchen Gerechtigkeitshaus rechtfertigte die Qualifikation als Grunddienst-
barkeit und damit auch die Anwendung von Art. 187 EGBGB, der zu den frühe-
ren Vorschriften gehört, die nach den Überleitungsvorschriften in § 6 Abs. 1
EGZGB und Art. 233 § 3 Abs. 1 EGBGB auf solche Rechte weiterhin anzuwen-
den sind. Dann aber fand § 8 GBBerG auf diese Gerechtigkeiten Anwendung
mit der Folge, dass sie danach mangels rechtzeitiger Klageerhebung erloschen
waren.
(3) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht zwischen
dem von dem Senat seinerzeit entschiedenen und dem vorliegenden Fall kein
tatsächlicher oder rechtlicher Unterschied. Diese Feststellung, an die der Senat
ohnehin gemäß § 559 ZPO gebunden ist, trifft dessen ungeachtet im entschei-
denden Punkt nach der eigenen Darstellung der Klägerin im Nichtzulassungs-
beschwerdeverfahren auch zu. Danach sind die Mitglieder der Klägerin nämlich
- wie in dem von dem Senat entschiedenen Fall - Inhaber von Gerechtigkeits-
häusern. Die daraus folgende Zuordnung der Gerechtigkeiten zu diesen Grund-
stücken und deren Qualifikation als Grunddienstbarkeiten würde noch bestätigt,
wenn, was die Klägerin in den Tatsacheninstanzen allerdings nicht vorgetragen
hat, die Holzgerechtigkeiten in den Grundbüchern dieser Gerechtigkeitshäuser
als verbriefte Rechte eingetragen sein sollten. Solche Vermerke entsprächen
nämlich inhaltlich einem Herrschvermerk, dessen Eintragung nach § 9 Abs. 1
Satz 1 GBO nur bei subjektiv-dinglichen beschränkten dinglichen Rechten, also
nur bei Grunddienstbarkeiten, nicht bei beschränkten persönlichen Dienstbar-
keiten zulässt. Solche Vermerke schlössen einen gutgläubigen Erwerb nicht
aus (BayObLG, NJW-RR 1987, 789; vgl. auch Senat, Beschluss vom 15. Sep-
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tember 2011 - V ZR 246/10, ZOV 2011, 251 Rn. 10) und genügten auch nicht
als Eintragung, die einem Erlöschen nach § 8 Abs. 1 GBBerG entgegensteht.
Diese muss nämlich in dem Grundbuch des dienenden, nicht in dem des herr-
schenden Grundstücks erfolgen.
2. Auf die übrigen geltend gemachten Zulassungsgründe kommt es da-
nach nicht an. Insoweit wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO von
einer Begründung abgesehen.
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IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Den Gegen-
standswert hat der Senat nach dem Wert der in Anspruch genommen Rechte in
Übereinstimmung mit den Vorinstanzen geschätzt.
Stresemann Schmidt-Räntsch Brückner
RiBGH Dr. Göbel ist infolge
Urlaubs an der Unterschrift
gehindert.
Karlsruhe, den 23. September 2016
Die Vorsitzende
Stresemann Haberkamp
Vorinstanzen:
LG Mühlhausen, Entscheidung vom 24.07.2015 - 6 O 446/14 -
OLG Jena, Entscheidung vom 28.01.2016 - 1 U 643/15 -
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