Urteil des BGH vom 11.11.2011

Leitsatzentscheidung zu Notwendige Streitgenossenschaft, Anfechtungsklage, Haus, Verschulden, Entstehungsgeschichte

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 45/11
Verkündet am:
11. November 2011
Lesniak
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
WEG § 46 Abs. 1 Satz 1
Zu verklagen sind nach § 46 Abs. 1 Satz 1 WEG ausnahmslos sämtliche (übrigen)
Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft.
BGH, Urteil vom 11. November 2011 - V ZR 45/11 - LG München I
AG Landshut
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. November 2011 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richterin Dr. Stresemann, den Rich-
ter Dr. Roth und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Land-
gerichts München I vom 31. Januar 2011 wird auf Kosten der
Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin ist Mitglied einer aus zwei Wohnhäusern (Haus A und B)
und einer Tiefgarage bestehenden Wohnungseigentümergemeinschaft. Ihr ge-
hört eine in dem Haus B befindliche Eigentumswohnung. Die Gemeinschafts-
ordnung bestimmt, dass die Kosten für die beiden Häuser sowie für die Tiefga-
rage jeweils getrennt abzurechnen und nur von den jeweiligen Eigentümern zu
tragen sind.
Auf der Eigentümerversammlung am 9. März 2010 wurde beschlossen,
Haus B mit Funkzählern für Heizung und Wasser auszustatten. An der Abstim-
mung hierzu nahmen nur die Wohnungseigentümer des Hauses B teil.
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Gegen diesen Beschluss wendet sich die Klägerin mit der gegen alle üb-
rigen Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft erhobenen Beschluss-
mängelklage. Diese hat das Amtsgericht mit der Begründung abgewiesen, die
Wohnungseigentümer des Hauses A seien schon nicht passivlegitimiert. Der
angefochtene Beschluss sei im Übrigen auch nicht zu beanstanden.
Berufung hat die Klägerin fristgerecht nur insoweit eingelegt, als die Kla-
ge gegen die Wohnungseigentümer des Hauses B abgewiesen worden ist. Auf
Hinweis des Berufungsgerichts hat sie ihr Rechtsmittel nach Ablauf der Beru-
fungsbegründungsfrist jedoch auf die Abweisung der Klage gegen die übrigen
Wohnungseigentümer erweitert und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
beantragt. Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen
und die Berufung als unzulässig verworfen. Mit der zugelassenen Revision ver-
folgt die Klägerin ihre Anträge weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht, dessen Urteil u.a. in ZfIR 2011, 364 veröffentlicht
worden ist, steht auf dem Standpunkt, dass bei der Anfechtungsklage ein
Rechtsmittel gegen die eine notwendige Streitgenossenschaft bildenden übri-
gen Wohnungseigentümer nur zulässig sei, wenn es fristgerecht gegen alle
Streitgenossen eingelegt werde. Zwar gelte etwas anderes, wenn durch die
Gemeinschaftsordnung Untergemeinschaften mit eigener Beschlusskompetenz
gebildet worden seien; dann sei die Anfechtungsklage in einschränkender Aus-
legung der Vorschrift des § 46 Abs. 1 WEG ausnahmsweise nur gegen die
übrigen Mitglieder der betreffenden Untergemeinschaft zu richten. Da die
Gemeinschaftsordnung vorliegend jedoch nur eine Regelung über die Kosten-
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verteilung enthalte, hätte die Berufung fristgerecht gegen alle übrigen Mitglieder
der Wohnungseigentümergemeinschaft eingelegt werden müssen. Daran fehle
es hier, weil das Rechtsmittel erst nach Ablauf der Berufungsfrist erweitert wor-
den sei. Wiedereinsetzung könne nicht gewährt werden, weil der Prozessbe-
vollmächtigte der Klägerin im Zweifel den sichersten Weg - hier fristgerechte
Einlegung der Berufung gegen alle übrigen Wohnungseigentümer - hätte ein-
schlagen müssen. Dass er dies nicht getan habe, begründe ein Verschulden,
das sich die Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse.
II.
Dem Rechtsmittel bleibt der Erfolg versagt.
1. Die Revision ist unbeschränkt zulässig. Ob dem Tenor des Berufungs-
gerichts, wonach die Revision bezüglich der Frage zugelassen worden ist,
„ob
die Anfechtungsklage gegen sämtliche übrigen Miteigentümer zu richten war“,
lediglich eine beschränkte Rechtsmittelzulassung zu entnehmen ist, kann offen
bleiben. Eine solche Beschränkung wäre jedenfalls wirkungslos. Die Revisions-
zulassung kann nur auf tatsächlich oder rechtlich abgrenzbare Teile des Ge-
samtstreitstoffs beschränkt werden, die Gegenstand eines Teil- oder Grundur-
teils sein könnten oder auf welche der Rechtsmittelkläger selbst sein Rechtsmit-
tel beschränken könnte (Senat, Urteil vom 16. Juli 2010 - V ZR 217/09, juris
Rn. 9 mwN). Voraussetzung hierfür ist, dass auch im Falle einer Zurückverwei-
sung kein Widerspruch zu nicht anfechtbaren Teilen des Streitstoffs auftreten
kann (BGH, Beschluss vom 7. Juni 2011 - VI ZR 225/10 Rn. 4, juris). An einer
solchen Trennbarkeit fehlt es hier bereits deshalb, weil sämtliche Beklagte not-
wendige Streitgenossen sind (dazu näher unten 2.). Zudem wird die Verwerfung
der Berufung gegen die Wohnungseigentümer des Hauses B mit der nicht frist-
gerecht gegen die Wohnungseigentümer des Hauses A eingelegten Berufung
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begründet. Auch aufgrund dieser Abhängigkeit kann der Streitstoff nicht ge-
trennt werden. Infolge der unwirksamen Beschränkung ist die Revision unbe-
schränkt zulässig (vgl. nur MünchKomm-ZPO/Wenzel, 3. Aufl., § 543 Rn. 44
mwN), so dass dem Senat auch die Entscheidung über die versagte Wiederein-
setzung angefallen ist. Davon gehen auch die Parteien zumindest der Sache
nach aus, wie ihr Vorbringen im Revisionsverfahren belegt.
2. Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil hält einer revisions-
rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.
a) Das Berufungsgericht legt zutreffend zugrunde, dass eine nur gegen
einen Teil der notwendigen Streitgenossen (fristgerecht) eingelegte Berufung
unzulässig ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. Januar 1957 - IV ZR 259/56, BGHZ 23,
73, 74 f; BGH, Urteil vom 19. März 1975
– IV ZR 175/73, FamRZ 1975, 405,
406; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 62 Rn. 38; MünchKomm-ZPO/Wenzel,
3. Aufl., § 543 Rn. 38; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht,
17. Aufl., § 49 Rn. 41; Winte, Die Rechtsfolgen der notwendigen Streitgenos-
senschaft unter besonderer Berücksichtigung der unterschiedlichen Grundlagen
ihrer beiden Alternativen, 1988, S. 291 ff.). So liegt es hier. Zu verklagen sind
nach § 46 Abs. 1 Satz 1 WEG stets sämtliche übrigen Mitglieder der Woh-
nungseigentümergemeinschaft (vgl. nur LG Köln, ZWE 2010, 191; Schultzky,
ZMR 2011, 521, 522 f., Rüscher, JurisPR-MietR 17/2011, Anm. 5 unter C., ZfIR
2011, 369, 370 f. und ZWE 2011, 308, 315; Elzer, MietRB 2011, 218 f. und
257 f.; BeckOK WEG/Dötsch, Edition 10, § 10 Rn. 40a; BeckOK WEG/Elzer,
Edition 10, § 46 Rn. 123; einschränkend LG München I, NJW-RR 2011, 448 f.;
LG Düsseldorf, NZM 2010, 288). Da diese notwendige Streitgenossen nach
§ 62 Abs. 1 ZPO sind (vgl. nur BT-Drucks. 16/887 S. 73; Klein in Bärmann,
WEG, 11. Aufl., § 46 Rn. 62; Bärmann/Pick, WEG, 19. Aufl., § 46 Rn. 2; vgl.
auch Lüke, FS für Merle, 2010, S. 229, 233 f.), muss sich auch die Berufung
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gegen sämtliche Streitgenossen richten. Entgegen der Auffassung der Revision
ist die Vorschrift des § 46 Abs. 1 Satz 1 WEG nicht einschränkend auszulegen.
aa) Nach dem klaren und unzweideutigen Normtext ist die Anfechtungs-
klage gegen die übrigen Wohnungseigentümer zu richten. Ausnahmen, die an
die materiellrechtliche Betroffenheit anknüpfen, sieht die Regelung - anders als
§ 48 Abs. 1 Satz 1 WEG für die Beiladung - nicht vor.
bb) Wie die Entstehungsgeschichte der Vorschrift belegt, beruht die Fas-
sung des § 46 Abs. 1 Satz 1 WEG auf einer bewussten Entscheidung des Ge-
setzgebers (vgl. auch Schultzky, ZMR 2011, 521, 522). Der Gesetzentwurf der
Bundesregierung enthielt zunächst keine Regelung des Anfechtungsgegners
(BT-Drucks. 16/887 S. 7). In der Begründung heißt es, es bestehe kein Rege-
lungsbedürfnis; der Entwurf gehe davon aus, dass bei Beschlussanfechtungen
alle Wohnungseigentümer mit Ausnahme des Anfechtenden Beklagte seien
(BT-Drucks. 16/887 S. 38). Der Bundesrat bat sodann unter Hinweis auf abwei-
chende Meinungen in der Literatur um die Klarstellung, gegen wen die Anfech-
tungsklage zu richten sei (BT-Drucks. 16/887 S. 50 f.). Die Bundesregierung
kam dieser Bitte nach und fügte in § 46 Abs. 1 Satz 1 WEG die Regelung ein,
dass die Anfechtungsklage gegen die übrigen Wohnungseigentümer zu erhe-
ben sei (BT-Drucks. 16/887 S. 73). Diese Regelung wurde
– mit einer weiteren
– vom
Rechtsausschuss dem Bundestag vorgelegt und schließlich gebilligt (BT-
Drucks. 16/3843 S. 13 u. 28). Ausnahmen wurden nicht vorgesehen, obwohl die
Problematik der Mehrhausanlagen bekannt war (vgl. BT-Drucks. 16/887 S. 39
u. 51). Angesichts dieser klaren gesetzgeberischen Entscheidung ist bei der
Bestimmung des Klagegegners für eine Anknüpfung an Kriterien materiellrecht-
licher Betroffenheit kein Raum (vgl. auch Senat, Beschluss vom 14. Mai 2009
V ZB 172/08, NJW 2009, 2135, 2136 Rn. 13). Schon deshalb kann dem von der
Revision ins Feld geführten - noch zum alten WEG-Recht ergangenen - Se-
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natsbeschluss vom 2. Oktober 1991 (V ZB 9/91, BGHZ 115, 253, 255 f.) nichts
Ausschlaggebendes für eine einschränkende Auslegung des nunmehrigen § 46
Abs. 1 Satz 1 WEG entnommen werden. Das gilt umso mehr, als sich die Ent-
scheidung lediglich zu der von dem Senat verneinten Frage verhält, ob bei der
Geltendmachung eines nur einem Wohnungseigentümer gegen den Verwalter
zustehenden Schadensersatzanspruches in Verfahren nach § 43 Abs. 1 Nr. 2
WEG aF auch die anderen Wohnungseigentümer zu beteiligen waren; um die
Bestimmung des Gegners in Anfechtungsverfahren (§ 43 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m.
Abs. 4 Nr. 2 WEG aF) ging es nicht.
cc) Schließlich untermauern Gründe der Rechtssicherheit und Rechts-
klarheit die aus der sprachlichen Fassung und der Entstehungsgeschichte der
Norm gewonnene Auslegung. Bei der Bestimmung des richtigen Klagegegners
ist darauf Bedacht zu nehmen, dass auch eine nicht anwaltlich vertretene Partei
ohne komplizierte rechtliche Überlegungen ermitteln kann, gegen wen eine An-
fechtungsklage zu richten ist. Dies schließt es entgegen der Auffassung der
Revision aus, die Vorschrift unter Heranziehung von Kriterien einschränkend
auszulegen, die - wie etwa die materiellrechtliche Betroffenheit - im Wortlaut der
Vorschrift keine Stütze finden (vgl. auch BT-Drucks. 16/887 S. 51). Es erscheint
nicht sachgerecht, Anfechtungsklägern
– zumal solchen ohne anwaltliche Ver-
tretung
– die Prüfung anzusinnen, ob eine von der Rechtsprechung bereits an-
erkannte Ausnahmekonstellation vorliegt, ob der in Rede stehende Streitfall
dieser zumindest vergleichbar ist und ob eine einschränkende Auslegung des
§ 46 Abs. 1 Satz 1 WEG je nach Sachlage daran scheitert, dass im konkreten
Fall alle übrigen Wohnungseigentümer - etwa mit Blick auf die Regelung des
§ 10 Abs. 8 WEG - materiell betroffen sind. Vor diesem Hintergrund gilt daher
auch dann nichts anderes, wenn durch die Gemeinschaftsordnung - anders als
hier - Untergemeinschaften mit eigener Beschlusskompetenz gebildet worden
sind.
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b) Gemessen daran, hat das Berufungsgericht zu Recht eine fristgerech-
te Berufungseinlegung gegen sämtliche notwendige Streitgenossen verneint.
Das bewusst auf die Wohnungseigentümer des Hauses B beschränkte
Rechtsmittel ist nicht innerhalb der Monatsfrist des § 517 ZPO erweitert worden.
Der beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand steht entgegen, dass
die Fristversäumnis auf einem der Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurech-
nenden Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruht (§ 233 ZPO). Da
Rechtsanwälte verpflichtet sind, sich umfassend über die Rechtslage zu infor-
mieren, sind Irrtümer über die Rechtslage regelmäßig nicht als unverschuldet
anzusehen. In Zweifelsfällen muss der für den Mandanten sicherste Weg be-
schritten werden (BGH, Beschluss vom 3. November 2010
– XII ZB 197/10,
NJW 2011, 386 Rn. 19 mwN). Jedenfalls daran fehlt es hier.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin konnte nicht davon ausgehen,
dass das Berufungsgericht sich dem Amtsgericht bei der Frage einer ein-
schränkenden Auslegung der Regelung des § 46 Abs. 1 Satz 1 WEG anschlie-
ßen würde. Vielmehr muss jeder verständige Prozessbevollmächtigte insbe-
sondere auch eine am Wortlaut der Regelung ausgerichtete Auslegung in
Rechnung stellen. Das gilt umso mehr, als über die Frage der Passivlegitimati-
on zwischen den Parteien bereits im ersten Rechtszug gestritten worden ist. Es
hätte daher einem auf der Hand liegende Gebot anwaltlicher Vorsicht entspro-
chen, vorsorglich fristgerecht Berufung gegen alle übrigen Wohnungseigentü-
mer einzulegen. Der Grundsatz, dass die Wiedereinsetzung bei Fehlern des
Gerichts mit besonderer Fairness zu handhaben ist (BVerfGE 110, 339, 342),
betrifft zumindest grundsätzlich nur solche Fallgestaltungen, in denen sich Feh-
ler des Gerichts unmittelbar auf die Rechtsmitteleinlegung beziehen, wie etwa
bei der Erteilung einer falschen Rechtsmittelbelehrung. Im vorliegenden Fall
hingegen hat das Amtsgericht lediglich zu der materiellrechtlichen Frage der
Passivlegitimation eine unzutreffende Rechtsauffassung zugrunde gelegt. Die
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Entscheidung, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang das Berufungsver-
fahren durchgeführt werden sollte, lag ausschließlich im Verantwortungsbereich
der anwaltlich vertretenen Klägerin.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Krüger
Stresemann
Roth
Brückner
Weinland
Vorinstanzen:
AG Landshut, Entscheidung vom 19.07.2010 - 3 C 637/10 -
LG München I, Entscheidung vom 31.01.2011 - 1 S 15378/10 -
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