Urteil des BGH vom 27.01.2012

Leitsatzentscheidung zu Vorkaufsrecht, Grundstück, Gesellschaft, Vorkaufsfall, Miteigentumsanteil

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄUMNISTEIL- UND SCHLUSSURTEIL
V ZR 272/10
Verkündet am:
27. Januar 2012
Langendörfer-Kunz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 463
Bringt der Verpflichtete die mit einem Vorkaufsrecht belastete Sache in eine von
ihm beherrschte Gesellschaft ein und überträgt er anschließend die Gesell-
schaftsanteile entgeltlich an einen Dritten, kann eine den Vorkaufsfall auslösen-
de kaufähnliche Vertragsgestaltung vorliegen.
BGB § 467 Satz 2
Der Verpflichtete kann die Erstreckung des Vorkaufs auf andere Gegenstände
als diejenigen, auf die sich das Vorkaufsrecht bezieht, nicht schon deshalb ver-
langen, weil ein Verkauf im "Paket" für ihn vorteilhaft ist, sondern nur dann, wenn
sich infolge der Trennung der vorkaufsbelasteten Sache kein adäquater Preis für
die verbleibenden Gegenstände erzielen lässt.
BGH, Urteil vom 27. Januar 2012 - V ZR 272/10 - OLG Düsseldorf
LG Wuppertal
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 27. Januar 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die
Richter Dr. Lemke und Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann
und den Richter Dr. Czub für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 9. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 29. November 2010 aufgeho-
ben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Den Klägern gehört seit 1986 eine Eigentumswohnung nebst Stellplatz in
Form eines Wohnungs- und Teilerbbaurechts. Zu ihren Gunsten besteht ein
dingliches Vorkaufsrecht für alle Fälle des Verkaufs des Erbbaugrundstücks.
Über das Vermögen der ursprünglichen Eigentümerin des Erbbaugrund-
stücks (nachfolgend: Schuldnerin) wurde 2001 das Insolvenzverfahren eröffnet
und der Beklagte zu 3 als Insolvenzverwalter bestellt. Dieser bot den Klägern
einen ihrem Wohnungs- und Teilerbbaurecht entsprechenden Miteigentums-
anteil an dem Grundstück zum Kauf an. Das lehnten die Kläger ab, weil ihnen
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der Preis zu hoch erschien, während andere Wohnungserbbauberechtigte ent-
sprechende Angebote akzeptierten.
Mit notariellem Vertrag vom 24. März 2005 übertrug der Beklagte zu 3
das Eigentum an dem Erbbaugrundstück und an weiteren 86, ebenfalls mit
Erbbaurechten belasteten Grundstücken unentgeltlich an die Beklagte zu 1,
einer unmittelbar zuvor gegründeten GmbH & Co. KG. Mit weiterem notariellen
Vertrag vom selben Tag übertrug der Beklagte zu 3 die Gesellschaftsanteile an
der Beklagten zu 1 und an deren Komplementärin zum Preis von 25.000
€ für
die GmbH-
Anteile und von 7,44 Mio € für die Kommanditanteile auf die V.
AG. Die Beklagte zu 1 verwaltet seither die Erbbaurechte für die V. AG.
Die Kläger, die aufgrund der am 24. März 2005 geschlossenen Verträge
den Vorkaufsfall für eingetreten halten, haben das Vorkaufsrecht ausgeübt. Ihre
Klage, mit der sie von den Beklagten zu 1 und zu 3 unter anderem die Übertra-
gung des ihrem Wohnungs- und Teilerbbaurecht entsprechenden Miteigen-
tumsanteils an dem Erbbaugrundstück Zug um Zug gegen Zahlung von
14.860,79 € verlangen, ist in den Tatsacheninstanzen ohne Erfolg geblieben.
Mit der von dem Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Be-
klagte zu 3 beantragt, verfolgen die Kläger ihre Anträge weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht meint, durch die Einbringung des Erbbaugrund-
stücks in die Beklagte zu 1 und die anschließende Übertragung von deren Ge-
sellschaftsanteilen auf die V. AG sei der Vorkaufsfall nicht eingetreten.
Ein Kaufvertrag über das Grundstück sei nicht geschlossen worden. Es liege
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auch kein Umgehungsgeschäft vor. Die Übertragung der Gesellschaftsanteile
auf die V. AG habe nicht nur dazu gedient, die Rechtsträgerschaft an ei-
nem einzelnen Grundstück gegen Entgelt zu verändern; vielmehr sei ein Unter-
nehmen mit dem Zweck der Gewinnerzielung durch das Generieren von Erb-
bauzinsen verkauft worden. Das zeige sich auch daran, dass die Beklagte zu 1
die Erbbaurechte dauerhaft verwalte.
II.
Die Revision ist begründet. Hinsichtlich der im Verhandlungstermin nicht
vertretenen Beklagten zu 1 ist dies durch Versäumnisurteil auszusprechen,
welches jedoch inhaltlich auf einer Sachprüfung beruht (vgl. Senat, Urteil vom
4. April 1962 - V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 81).
1. Zu Unrecht verneint das Berufungsgericht den Eintritt des Vorkaufs-
falls und hält deshalb alle mit der Klage verfolgten Ansprüche für unbegründet.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats eröffnet § 463 BGB (§ 504
BGB aF) nicht nur dann die Ausübung des Vorkaufsrechts, wenn der Verpflich-
tete mit einem Dritten formell einen Kaufvertrag über den mit dem Vorkaufs-
recht belasteten Gegenstand geschlossen hat. Vielmehr gebietet eine interes-
sengerechte Auslegung der Norm, sie auch auf solche Vertragsgestaltungen
zwischen dem Verpflichteten und dem Dritten anzuwenden, die bei materieller
Betrachtung einem Kauf im Sinne des Vorkaufsrechts so nahe kommen, dass
sie ihm gleichgestellt werden können, und in die der Vorkaufsberechtigte zur
Wahrung seines Erwerbs- und Abwehrinteresses "eintreten" kann, ohne die
vom Verpflichteten ausgehandelten Konditionen zu beeinträchtigen (Senat,
Urteil vom 11. Oktober 1991 - V ZR 127/90, BGHZ 115, 335, 339 f.; Urteil vom
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20. März 1998 - V ZR 25/97, NJW 1998, 2136, 2137; Urteil vom 26. September
2003 - V ZR 70/03, NJW 2003, 3769).
Eine kaufähnliche Vertragsgestaltung in diesem Sinne kann gegeben
sein, wenn der Verpflichtete die mit einem Vorkaufsrecht belastete Sache in
eine von ihm beherrschte Gesellschaft einbringt und anschließend die Gesell-
schaftsanteile entgeltlich an einen Dritten überträgt (vgl. OLG Nürnberg, NJW-
RR 1992, 461, 462; MünchKomm-BGB/Westermann, 6. Aufl., § 463 Rn. 19a;
Soergel/Wertenbruch, BGB 13. Aufl., § 463 Rn. 47). Maßgeblich ist auch hier,
ob ein interessengerechtes Verständnis der gewählten Vertragsgestaltung zu
dem Ergebnis führt, dass allen formellen Vereinbarungen zum Trotz der Wille
der Vertragsschließenden auf eine Eigentumsübertragung (auch) der vorkaufs-
belasteten Sache gegen Zahlung eines bestimmten Preises gerichtet war (vgl.
Senat, Urteil vom 26. September 2003 - V ZR 70/03, aaO. S. 3770); mehrere
Verträge sind dabei in ihrem Zusammenhang zu betrachten (Senat, Urteil vom
15. Juni 1957 - V ZR 198/55, WM 1957, 1162, 1165).
b) Zu Unrecht hält das Berufungsgericht diese Voraussetzungen hier
nicht für gegeben. Mit der Einbringung der Grundstücke in die Beklagte zu 1
und dem Verkauf der Anteile an dieser Gesellschaft beabsichtigte der Beklagte
zu 3, einen Teil der Insolvenzmasse zu verwerten, indem er diese gegen Über-
tragung des Eigentums zu Geld machte. Auch aus Sicht der V. AG han-
delte es sich um ein kaufähnliches Rechtsgeschäft. Das zeigt sich daran, dass
das wirtschaftliche Ergebnis der Transaktion kein anderes gewesen wäre, wenn
der Insolvenzverwalter die 87 Grundstücke an die V. AG verkauft und
diese anschließend eine Verwaltungsgesellschaft gegründet und die Grund-
stücke darin eingebracht hätte.
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Anders als das Berufungsgericht meint, lässt sich diese Bewertung nicht
unter Hinweis darauf in Frage stellen, nicht der Verkauf der Grundstücke habe
im Vordergrund gestanden, sondern die Übertragung eines - durch die Ausglie-
derung eines Betriebsteils der Schuldnerin in die Beklagte zu 1 entstandenen -
Unternehmens mit dem Zweck der Gewinnerzielung durch die Einnahme von
Erbbauzinsen. Hierbei wird bereits verkannt, dass die Veräußerung eines Un-
ternehmens, welches keinen anderen Zweck hat, als die in seinem Eigentum
stehenden Grundstücke zu verwalten, wirtschaftlich dem Verkauf dieser Grund-
stücke gleichsteht. Im hier zu beurteilenden Fall kommt hinzu, dass ein solches
selbständiges Unternehmen zu keiner Zeit existierte; denn die Beklagte zu 1 ist
erst am Tag des Verkaufs der Gesellschaftsanteile und damit erkennbar
zwecks Verwertung der Grundstücke gegründet worden. Dass mit den Anteilen
an der Beklagten zu 1 eine Sachgesamtheit auf die V. AG übertragen
wurde, ist für den Eintritt des Vorkaufsfalls ohne Bedeutung (vgl. § 467 BGB).
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist es schließlich ohne Belang,
dass die Beklagte zu 1 noch existiert. Denn die Feststellung, was durch den
Verkauf von Gesellschaftsanteilen bewirkt werden soll, hängt nicht davon ab,
wie der Käufer dieser Anteile nach dem Erwerb mit der Gesellschaft und deren
Vermögen verfährt.
2. Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als
richtig dar (§ 561 ZPO).
a) Entgegen der Auffassung des Beklagten zu 3 scheitert der gegen ihn
gerichtete Anspruch auf Verschaffung des Eigentums an dem der Wohnung
der Kläger zugeordneten oder zuzuordnenden Miteigentumsanteil nicht daran,
dass die Beklagte zu 1 zwischenzeitlich als Eigentümerin in das Grundbuch
eingetragen worden ist. Ausgeschlossen wäre der Anspruch nur dann, wenn
dem Beklagten zu 3 die Leistung deshalb unmöglich geworden wäre (§ 275
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Abs. 1 BGB). Dies setzte voraus, dass sich das durch die Veräußerung einge-
tretene Leistungshindernis nicht durch einen Rückerwerb des Grundstücks bzw.
des Miteigentumsanteils, auf das sich das Vorkaufsrecht der Kläger bezieht,
beheben lässt (vgl. Senat, Urteil vom 30. Oktober 2009 - V ZR 42/09, NJW
2010, 1074, 1075 Rn. 11). Hierzu ist nichts festgestellt.
b) Dem Anspruch steht nicht die Vorschrift des § 471 BGB entgegen,
wonach das Vorkaufsrecht ausgeschlossen ist, wenn der Verkauf aus der In-
solvenzmasse erfolgt. Ein dingliches Vorkaufsrecht, wie es nach den getroffe-
nen Feststellungen hier besteht, kann auch dann ausgeübt werden, wenn das
Grundstück von dem Insolvenzverwalter aus freier Hand verkauft wird (§ 1098
Abs. 1 Satz 2 BGB); dem steht die Eigentumsübertragung aufgrund kaufähnli-
chen Rechtsgeschäfts gleich.
III.
Das angefochtene Urteil kann somit keinen Bestand haben; es ist aufzu-
heben (§ 562 Abs. 1 ZPO).
1. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, weil bislang keine Fest-
stellungen dazu getroffen worden sind, ob das zugunsten der Kläger bestehen-
de dingliche Vorkaufsrecht auf einem ihrem Wohnungs- und Teilerbbaurecht
entsprechenden Miteigentumsanteil des Grundstücks lastet oder ob es aus an-
deren Gründen zu dem Erwerb eines solchen Anteils berechtigt; ferner stehen
Feststellungen zu der Ausübung des Vorkaufsrechts (§§ 464, 469 BGB) und zu
dem Inhalt des mit den Klägern gegebenenfalls zustande gekommenen Kauf-
vertrages (§ 464 Abs. 2, § 467 Satz 1 BGB) aus.
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
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a) Ein Nachteil im Sinne von § 467 Satz 2 BGB (§ 508 Satz 2 BGB aF),
der den Beklagten zu 3 zu dem Einwand berechtigte, der Vorkauf müsse auf
alle 87 Grundstücke oder auf alle Miteigentumsanteile des vorkaufsbelasteten
Grundstücks erstreckt werden, ist nicht schon im Wegfall der Vorteile zu sehen,
die sich aus der Veräußerung der Grundstücke im "Paket" ergeben. Grundsätz-
lich bestimmt das Vorkaufsrecht, und nicht der den Vorkaufsfall auslösende
Vertrag, welche Gegenstände der Berechtigte erwerben kann; er ist deshalb in
der Ausübung seines Rechts nicht gehindert, wenn der vorkaufsbelastete Ge-
genstand als Teil einer Sachgesamtheit veräußert wird (vgl. Senat, Urteil vom
23. Juni 2006 - V ZR 17/06, BGHZ 168, 152, 157 f. Rn. 23 f.). Die Bestimmung
des § 467 Satz 2 BGB, die aus Gründen der Billigkeit den Nachteil berücksich-
tigt, welcher mit der Trennung des vorkaufsbelasteten Gegenstands von der
Sachgesamtheit verbunden sein kann, ist als Ausnahme von diesem Grundsatz
restriktiv zu handhaben. Kein Nachteil im Sinne dieser Vorschrift ist es, wenn
der Mengenverkauf für den Vorkaufsverpflichteten vorteilhafter war als ein Ein-
zelverkauf; denn mit der Auflösung des "Pakets" musste der Verpflichtete an-
gesichts des Vorkaufsrechts von vornherein rechnen. Die Erstreckung des Vor-
kaufs auf sämtliche Gegenstände kann der Verpflichtete nur dann verlangen,
wenn sich infolge der Trennung des vorkaufsbelasteten Gegenstands kein
adäquater Preis für die verbleibenden Sachen erzielen lässt (vgl. Soergel/Wer-
tenbruch, BGB, 13. Aufl., § 467 Rn. 9). So kann es beispielsweise liegen, wenn
zusammen mit dem vorkaufsbelasteten Grundstück eine isoliert nicht sinnvoll
nutzbare Fläche oder ein speziell für ein Haus angefertigter Einrichtungsgegen-
stand verkauft worden ist.
b) Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, auf
sachdienliche Anträge hinzuwirken (§ 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dabei ist zu be-
achten, dass ein gemäß § 464 Abs. 2 BGB zustande gekommener Kaufvertrag
zwischen den Klägern und dem Beklagten zu 3 als dem Verfügungsberechtig-
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ten über das Vermögen der aus dem Vorkaufsrecht verpflichteten Schuldnerin
bestünde, so dass sich ein Auflassungsanspruch nur gegen den Beklagten zu 3
richten kann.
Hilfsansprüche, die dazu dienen, die Eigentumsumschreibung auf die
Kläger zu ermöglichen (§ 1098 Abs. 2 i.V.m. § 888 Abs. 1 BGB; vgl. Senat, Ur-
teil vom 11. Oktober 1991 - V ZR 127/90, BGHZ 115, 335 sowie Krüger/Hertel,
Der Grundstückskauf, 9. Aufl., Rn. 988 ff.), kommen gegen die Beklagte zu 1 in
Betracht, da sie - und nicht die wirtschaftlich als Käuferin der Grundstücke an-
zusehende V. AG - als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen ist. Ent-
sprechendes gilt für zwischenzeitlich erfolgte Belastungen der Sache (vgl. Se-
nat, Urteil vom 20. März 1998 - V ZR 25/97, NJW 1998, 2136, 2138).
Krüger
Lemke
Schmidt-Räntsch
Stresemann
Czub
Vorinstanzen:
LG Wuppertal, Entscheidung vom 16.12.2009 - 3 O 178/09 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 29.11.2010 - I-9 U 87/10 -
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