Urteil des BGH vom 26.02.2016

Leitsatzentscheidung zu Öffentlich, Erfüllung, Verwaltung, Ermessen

ECLI:DE:BGH:2016:260216UVZR250.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 250/14
Verkündet am:
26. Februar 2016
Weschenfelder
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
WEG § 21 Abs. 4
Die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Anforderungen an den Stellplatz-
nachweis ist Aufgabe aller Wohnungseigentümer, wenn der Bauträger bei
der Errichtung der Wohnanlage und der Teilung nach § 8 WEG von den der
Baugenehmigung zugrundeliegenden Plänen abgewichen ist und dadurch
die öffentlich-rechtliche Verpflichtung besteht, weitere Stellplätze zu schaf-
fen.
BGH, Urteil vom 26. Februar 2016 - V ZR 250/14 - LG Itzehoe
AG Niebüll
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 26. Februar 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die
Richterinnen Dr. Brückner und Weinland, den Richter Dr. Kazele und die
Richterin Haberkamp
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 11. Zivilkammer des
Landgerichts Itzehoe vom 14. Oktober 2014 wird auf Kosten der
Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der letzte
Absatz des Urteilstenors zu 1 wie folgt lautet:
Es ist beschlossen, die öffentlich-rechtlichen Anforderungen an
den Stellplatznachweis bezüglich der Eigentumswohnung Nr. 339
im
Gebäudeblock
A,
Haus
Metropol,
A. -Straße,
S. zu erfüllen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Die beiden
im Eigentum der Klägerin stehenden Wohnungen (Nr. 337 und 339) sind in der
1968 erteilten Baugenehmigung als eine Wohneinheit (Nr. 337) erfasst. Die
Wohnung wurde später durch den Bauträger geteilt. In der Teilungserklärung
vom 29. Mai 1969 sind beide Wohnungen aufgeführt.
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Eine Klage des Rechtsvorgängers der Klägerin auf bauaufsichtliche Ge-
nehmigung der Nutzungsänderung blieb mangels Stellplatznachweises ohne
Erfolg.
In der Eigentümerversammlung am 31. Mai 2013 wurde unter TOP 12
folgender Beschlussantrag der Klägerin mehrheitlich abgelehnt:
„Die Verwaltung wird ermächtigt, den fehlenden Pkw-Stellplatznachweis
für die Wohnungen 337 und 339 bzw. für alle Wohnungen, zu denen keine
Stellplatznachweise bestehen, durch einen zu beauftragenden Architekten er-
arbeiten zu lassen bzw. an die G
emeinde (…) eine Ablösesumme als Stell-
platzablösung zu zahlen. In diesem Fall wird der Verwalter beauftragt, mit der
Gemeinde (…) Verhandlungen zu führen, eine Stellplatzablösevereinbarung zu
schließen und die vereinbarte Stellplatzablösesumme zu bezahlen. Diese Be-
träge werden aus den Bewirtschaftungskosten finanziert.“
Die Klägerin hat verlangt, den Beschluss für ungültig zu erklären und die
Beklagten zu verpflichten, einen Stellplatznachweis für das Wohnungseigentum
Nr. 337 und Nr. 339 zu führen, hilfsweise einen Stellplatzablösevertrag mit der
Gemeinde für die Ersetzung des Stellplatznachweises für beide Wohnungen
abzuschließen.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläge-
rin hat das Landgericht den angefochtenen Beschluss für ungültig erklärt. Fer-
ner hat es die Beklagten verpflichtet, die öffentlich-rechtlichen Anforderungen
an den Stellplatznachweis in Bezug auf die Wohnung Nr. 339 zu erfüllen. Im
Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Mit der von dem Landgericht zugelasse-
nen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, wollen die Beklag-
ten die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erreichen.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht, dessen Urteil in ZMR 2015, 961 veröffentlicht ist,
meint, der Klägerin stehe nach § 21 Abs. 4 WEG ein unverjährbarer Anspruch
gegen die übrigen Wohnungseigentümer auf erstmalige Herstellung eines ord-
nungsmäßigen Zustandes des gemeinschaftlichen Eigentums und des Son-
dereigentums entsprechend der Teilungserklärung, der Gemeinschaftsordnung,
dem Aufteilungsplan und den Bauplänen zu. Dieser umfasse auch die Einhal-
tung öffentlich-rechtlicher Vorschriften. Zwar entspreche die Errichtung der
Wohnungen nicht dem genehmigten Bauplan. Da jedoch an den beiden Woh-
nungen Sondereigentum begründet worden sei, seien insoweit auch die öffent-
lich-rechtlichen Anforderungen an den Stellplatznachweis nach der Landesbau-
ordnung Schleswig-Holstein (LBO SH) zu erfüllen. Diese Verpflichtung treffe die
Gesamtheit der Wohnungseigentümer als Dauerverpflichtung. Daher wider-
spreche der angegriffene Beschluss ordnungsmäßiger Verwaltung. Welche
Maßnahmen die Wohnungseigentümer zur Herstellung eines ordnungsmäßigen
Zustandes wählten, liege in ihrem Ermessen. Diese könnten - und dies auch
nur in Bezug auf die Wohnung Nr. 339, da die erteilte Baugenehmigung die
Wohnung Nr. 337 umfasse - lediglich dazu verpflichtet werden, die öffentlich-
rechtlichen Anforderungen an den Stellplatznachweis zu erfüllen.
II.
Dies hält rechtlicher Nachprüfung im Wesentlichen stand.
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1. Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht davon aus, dass die An-
fechtungsklage begründet ist. Der angefochtene Negativbeschluss entspricht
nicht ordnungsmäßiger Verwaltung, weil die Klägerin von den Beklagten die
Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Anforderungen für den Stellplatznachweis
bezüglich der aus der Teilung entstandenen zusätzlichen Wohnung fordern
kann.
a) Nach § 21 Abs. 4 i.V.m. Abs. 5 Nr. 2 WEG kann jeder Wohnungsei-
gentümer von den übrigen Mitgliedern der Wohnungseigentümergemeinschaft
grundsätzlich verlangen, dass das Gemeinschaftseigentum plangerecht herge-
stellt wird, da unter Instandsetzung auch die erstmalige Herstellung des Ge-
meinschaftseigentums zu verstehen ist (Senat, Urteil vom 20. November 2015
- V ZR 284/14, NJW 2016, 473 Rn. 7, vorgesehen zum Abdruck in BGHZ; Urteil
vom 14. November 2014 - V ZR 118/13, NJW 2015, 2027 Rn. 20). Der ord-
nungsmäßigen Instandhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums dienen auch
Maßnahmen zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Anforderungen (Senat,
Beschluss vom 19. September 2002 - V ZB 37/02, BGHZ 152, 63, 74 f.).
b) Die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Anforderungen an den Stell-
platznachweis bezüglich der Eigentumswohnung Nr. 339 betrifft die erstmalige
ordnungsmäßige Herstellung des Gemeinschaftseigentums.
aa) Für die Bestimmung des ordnungsmäßigen Anfangszustandes des
Gemeinschaftseigentums ist entgegen der Ansicht der Beklagten vorliegend
nicht auf die im Jahre 1968 erteilte Baugenehmigung und die ihr zugrundelie-
genden Baupläne abzustellen. Maßgebend ist vielmehr der Inhalt der Teilungs-
erklärung vom 29. Mai 1969. Mit dieser Teilungserklärung in Verbindung mit
dem Aufteilungsplan wurde erstmals die verbindliche Zuordnung von Räumen
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oder Gebäudeteilen zum Sonder- oder Gemeinschaftseigentum vorgenommen.
Den für die Erstherstellung maßgeblichen Bauplänen und der Baubeschreibung
kann dagegen nur Bedeutung zukommen, wenn der Aufteilungsplan keine Aus-
sage trifft (vgl. Staudinger/Bub, BGB [2005], § 21 WEG Rn. 186a). Dies ist vor-
liegend nicht der Fall. Die Teilungserklärung weist die beiden Wohneinheiten
Nr. 337 und 339 aus, die nunmehr im Eigentum der Klägerin stehen. Dass die
der zuvor erteilten Baugenehmigung zugrunde liegenden Pläne in diesem Be-
reich nur eine Wohneinheit vorgesehen haben, begründet eine formelle Bau-
rechtswidrigkeit.
bb) Die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Anforderungen an den Stell-
platznachweis ist Aufgabe aller Wohnungseigentümer, weil der Bauträger be-
reits bei der Errichtung der Wohnanlage und der Teilung nach § 8 WEG von
den der Baugenehmigung zugrundeliegenden Plänen abgewichen ist und
dadurch die öffentlich-rechtliche Verpflichtung besteht, weitere Stellplätze zu
schaffen.
Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 LBO SH dürfen bauliche Anlagen, bei denen ein
Zu- oder Abgangsverkehr zu erwarten ist, nur errichtet werden, wenn Stellplätze
oder Garagen in ausreichender Größe und in geeigneter Beschaffenheit herge-
stellt werden. Die Stellplätze und Garagen sind gemäß § 50 Abs. 5 Satz 1 HS 1
LBO SH grundsätzlich auf dem Baugrundstück herzustellen. Die Verpflichtung
zur Herstellung von Stellplätzen ist daher auf die bauliche Anlage und das Bau-
grundstück bezogen. Dies rechtfertigt es, die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen
Vorgaben der ordnungsmäßigen Herstellung des Gemeinschaftseigentums zu-
zurechnen. Dass der fehlende Nachweis eines Stellplatzes hier einer bestimm-
ten Wohnung zugeordnet werden kann, lässt die Pflicht der Wohnungseigentü-
mer, den Anforderungen an den Stellplatznachweis nachzukommen, unberührt.
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Entscheidend ist, dass der Stellplatznachweis bereits durch den Bauträger vor
dem Entstehen der werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft zu führen
gewesen wäre (vgl. allgemein auch Staudinger/Bub, BGB [2005], § 21 WEG
Rn. 186). Das Vorbringen der Beklagten, der Bauträger habe auf Veranlassung
eines Käufers die Teilung der Wohnung in zwei Einheiten vorgenommen, ist
unerheblich; denn es stand dem Bauträger bis zu dem Entstehen einer werden-
den Wohnungseigentümergemeinschaft frei, das Grundstück abweichend von
den Bauplänen aufzuteilen (§ 903 BGB; Senat, Urteil vom 14. November 2014
- V ZR 118/13, NJW 2015, 2027 Rn. 10).
Für den Anspruch eines Wohnungseigentümers auf erstmalige ord-
nungsmäßige Herstellung des Gemeinschaftseigentums ist es ohne Belang,
dass ein einzelner Wohnungseigentümer - neben der Gesamtheit der Woh-
nungseigentümer - als öffentlich-rechtlicher Zustandsstörer (vgl. dazu Elzer,
ZMR 2015, 962) angesehen werden kann. Die öffentlich-rechtliche Störerhaf-
tung dient der Einhaltung von im allgemeinen Interesse bestehenden Rechts-
vorschriften und gibt der zuständigen Behörde entsprechende Eingriffsmöglich-
keiten. Hingegen hat sie keine Auswirkungen auf den Anspruch des Woh-
nungseigentümers auf erstmalige Herstellung eines ordnungsmäßigen Zu-
stands des Gemeinschaftseigentums.
2. a) Rechtsfehlerhaft ist dagegen die Annahme des Berufungsgerichts,
die Beklagten schuldeten die Erfüllung des Stellplatznachweises unmittelbar
und könnten daher durch Urteil entsprechend verpflichtet werden. Die Beklag-
ten trifft lediglich die Pflicht, einen Beschluss zu fassen, um die Grundlage für
ein Vorgehen des Verwalters nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG zu schaffen (vgl.
OLG München, NJOZ 2010, 1872, 1873). Kommen sie dieser Verpflichtung
- wie hier - nicht nach, kann das Gericht im Wege der Beschlussersetzungskla-
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ge nach § 21 Abs. 8 WEG anordnen, dass die Anforderungen an den Stell-
platznachweis zu erfüllen sind.
b) Ein Beschlussersetzungsantrag ist von der Klägerin gestellt worden.
aa) Dem Wortlaut nach ist ihr Klageantrag zwar darauf gerichtet, die üb-
rigen Wohnungseigentümer zu verpflichten, einen Stellplatznachweis für die
beiden Wohnungen der Klägerin zu führen, hilfsweise einen Stellplatzablösever-
trag zu schließen. Für die Auslegung von Anträgen ist aber nicht allein der
Wortlaut maßgebend. Entscheidend ist vielmehr der erklärte Wille, wie er aus
der Klagebegründung, den sonstigen Begleitumständen und nicht zuletzt der
Interessenlage hervorgeht. Im Zweifel gilt, was nach den Maßstäben der
Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage ent-
spricht (vgl. Senat, Urteil vom 12. Dezember 2014 - V ZR 53/14, NZM 2015,
218 Rn. 9; BGH, Urteil vom 7. März 2013 - VII ZR 223/11, NJW 2013, 1744
Rn. 23). Die Auslegung des klägerischen Antrags kann auch noch das Revisi-
onsgericht vornehmen (vgl. Senat, Urteil vom 12. Dezember 2014 - V ZR 53/14,
aaO Rn. 8).
bb) Hiervon ausgehend ist das als Verpflichtungsantrag formulierte Kla-
gebegehren im Sinne einer Gestaltungsklage nach § 21 Abs. 8 WEG zu verste-
hen. Das Rechtsschutzziel der Klägerin besteht - wie aus der Verbindung mit
der Anfechtung des Negativbeschlusses und dem Klagevorbringen entnommen
werden kann - darin, die in dem Beschlussantrag zu TOP 12 beschriebene
Grundlage für ein Tätigwerden der Verwaltung zur Behebung der formellen
Baurechtswidrigkeit ihrer Wohnungen zu schaffen. Mithin ist die Klage neben
der Beschlussanfechtung auf eine Beschlussersetzung gerichtet. Dass der Kla-
geantrag keinen konkreten Beschlussinhalt wiedergibt, ist unerheblich. Ausrei-
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chend für die Bestimmtheit des Klageantrages ist insoweit - anders als nach der
allgemeinen Vorschrift des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO - die Angabe des Rechts-
schutzziels, weil bei der Beschlussersetzung nach § 21 Abs. 8 WEG das grund-
sätzlich den Wohnungseigentümern zustehende Ermessen von dem Gericht
ausgeübt wird (vgl. Senat, Urteil vom 24. Mai 2013 - V ZR 182/12, NJW 2013,
2271 Rn. 23 mwN).
c) Gemäß § 21 Abs. 8 WEG kann das Gericht an Stelle der Wohnungs-
eigentümer über eine nach dem Gesetz erforderliche Maßnahme nach billigem
Ermessen entscheiden, wenn die Wohnungseigentümer diese nicht treffen, so-
weit sich die Maßnahme nicht aus dem Gesetz, einer Vereinbarung oder einem
Beschluss der Wohnungseigentümer ergibt. Diese Voraussetzungen liegen vor,
da die Beklagten die von der Klägerin beantragte Maßnahme zur Erfüllung der
Vorgaben des § 50 LBO SH und der damit verbundenen Führung des Stell-
platznachweises mehrheitlich abgelehnt haben (vgl. Senat, Urteil vom
15. Januar 2010 - V ZR 114/09, BGHZ 184, 88 Rn. 21).
Wegen des mit der Beschlussersetzung nach § 21 Abs. 8 WEG verbun-
denen Eingriffs in die Privatautonomie der Wohnungseigentümer dürfen Maß-
nahmen nur insoweit angeordnet werden, als dies zur Gewährleistung eines
effektiven Rechtsschutzes unbedingt notwendig ist (Senat, Urteil vom
24. Mai 2013 - V ZR 182/12, NJW 2013, 2271 Rn. 31). Dem ist vorliegend
dadurch Rechnung zu tragen, dass sich die gerichtliche Gestaltung auf die An-
ordnung beschränkt, dass den Anforderungen des § 50 LBO SH im Hinblick auf
die Wohnung Nr. 339 der Klägerin nachzukommen ist. Entgegen der Ansicht
der Revision ist ein Beschluss mit einem derartigen Inhalt auch hinreichend be-
stimmt. Die unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten der Wohnungseigentü-
mer zur Wahrung der Vorgaben des Bauordnungsrechts ergeben sich unmittel-
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bar aus § 50 LBO SH. Auf welchem Weg dies erfolgt, bleibt den Wohnungsei-
gentümern überlassen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Stresemann Brückner Weinland
Kazele Haberkamp
Vorinstanzen:
AG Niebüll, Entscheidung vom 05.02.2014 - 18 C 42/13 -
LG Itzehoe, Entscheidung vom 14.10.2014 - 11 S 13/14 -
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