Urteil des BGH vom 15.06.2012

Leitsatzentscheidung zu Treu Und Glauben, DDR, Grundstück, Verordnung, Genehmigung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 240/11
Verkündet am:
15. Juni 2012
Langendörfer-Kunz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB aF § 275; GVVO (1963) §§ 2, 5 Abs. 2
Ist der Verkäufer eines in der DDR belegenen Grundstücks von seiner Eigentums-
verschaffungspflicht frei geworden, weil die Auflassung nach der Grundstücksver-
kehrsordnung nicht genehmigungsfähig war, kann der Käufer die Übereignung des
Grundstücks nach dem Wegfall des Versagungstatbestandes auch dann nicht ver-
langen, wenn dieses mangels bekannter Erben des Verkäufers gemäß § 10 Abs. 1
Nr. 7 EntschG i.V.m. § 15 GBBerG in den Entschädigungsfonds des Bundes abzu-
führen ist (Fortführung von Senat, Urteil vom 25. März 1994 - V ZR 171/92,
WM 1994, 1250 und Urteil vom 3. Juli 1998 - V ZR 268/97, VIZ 1998, 581).
BGH, Urteil vom 15. Juni 2012 - V ZR 240/11 - OLG Brandenburg
LG Potsdam
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 15. Juni 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter
Dr. Lemke und Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterinnen Dr. Brückner
und Weinland
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Brandenbur-
gischen Oberlandesgerichts vom 21. September 2011 wird auf
Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin ist die Rechtsnachfolgerin von W. . Sie behaup-
tet, dieser habe durch notariellen Vertrag vom 13. Juli 1940 für 22.000 Reichs-
mark in Brandenburg belegene Grundstücke von dem Eigentümer gekauft. Zu
einer Umschreibung des Eigentums an den Grundstücken ist es nicht gekom-
men. Der Eigentümer ist 1945 gestorben; seine Erben sind unbekannt.
Bis Juli 1952 nutzte der im Westteil Berlins wohnende W. die
Grundstücke zu Erholungszwecken. Danach wurden sie durch den Rat der
Gemeinde B. verwaltet und die Mieteinnahmen auf ein für W.
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eingerichtetes Sperrkonto eingezahlt. 1982 gewährte das Landesausgleichsamt
Berlin ihm wegen der „Wegnahme“ der Grundstücke eine Entschädigung nach
dem Lastenausgleichsgesetz.
Der Beklagte ist nach § 11b VermG zum gesetzlichen Vertreter des Ei-
gentümers der Grundstücke bestellt worden. Die Klägerin verlangt von ihm, die
Grundstücke an sie aufzulassen und ihre Eintragung in das Grundbuch zu be-
willigen, hilfsweise Zug um Zug gegen Zahlung des in Euro umgerechneten
Kaufpreises von 22.000 Reichsmark.
Die Klage ist in den Tatsacheninstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der
von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre An-
träge weiter. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht meint, auch wenn davon ausgegangen werde,
dass die Grundstücke 1940 an den Rechtsvorgänger der Klägerin verkauft
worden seien, könne die Klägerin die Übertragung des Eigentums nicht verlan-
gen. Die unbekannten Erben des Verkäufers seien von der Übereignungsver-
pflichtung gemäß § 275 BGB aF frei geworden, weil die Leistung mit dem In-
krafttreten der Grundstücksverkehrsverordnung der DDR im Jahr 1963 unmög-
lich geworden sei. Die danach erforderliche Genehmigung der Auflassung wäre
im Hinblick auf den Wohnsitz von W. im Westteil Berlins nicht zu
erlangen gewesen. Bei der Befreiung von der Leistungspflicht bleibe es auch
nach dem Wegfall des Leistungshindernisses. Dass die Erben des Verkäufers
unbekannt seien und das Grundstück nach erfolglosem Abschluss des Aufge-
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botsverfahrens nach dem Entschädigungsgesetz an die Bundesrepublik
Deutschland falle, führe - auch unter dem Gesichtspunkt Wiedergutmachung
von Teilungsunrecht - zu keiner anderen Beurteilung.
II.
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
1. Das Berufungsgericht geht zutreffend von der Rechtsprechung des
Senats aus, nach der ein Veräußerer von seiner Eigentumsverschaffungspflicht
gemäß der damals in der DDR noch geltenden Bestimmung des § 275 BGB aF
freigeworden ist, wenn aufgrund des Inkrafttretens der Verordnung über den
Verkehr mit Grundstücken vom 11. Januar 1963 (GBl DDR II, S. 159; nachfol-
gend: GVVO aF) mit der Auflassung des verkauften Grundstücks auf absehba-
re Zeit nicht mehr zu rechnen war (Urteil vom 25. März 1994
– V ZR 171/92,
WM 1994, 1250; Urteil vom 3. Juli 1998
– V ZR 268/97, VIZ 1998, 581, 582;
ebenso BGH, Urteil vom 16. März 2005
– IV ZR 246/03, WM 2005, 1232,
1233).
So liegt es hier. Nach § 2 der Verordnung in der damals geltenden Fas-
sung bedurfte die - noch ausstehende - Auflassung der Grundstücke, die der
Rechtsvorgänger der Klägerin 1940 gekauft haben soll, einer behördlichen Ge-
nehmigung; denn diese Bestimmung fand auch auf Rechtsvorgänge Anwen-
dung, die bis zu dem Inkrafttreten der Verordnung noch nicht entschieden wa-
ren (§ 20 GVVO aF). Eine Genehmigung war jedoch wegen der zwingenden
Versagungsgründe nach § 5 Abs. 2 Buchst. c und f GVVO aF nicht zu erlan-
gen, weil W. als Einwohner West-
Berlins „die ordnungsgemäße
Verwaltung und volkswirtschaftlich erforderliche Nutzung des Grundstücks nicht
gewährleistet“ hätte und durch den Erwerb daher „gesellschaftliche Interessen“
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verletzt worden wären. Damit war den Erben des 1945 verstorbenen Verkäufers
die Erfüllung ihrer Pflicht zur Eigentumsverschaffung aus einem Umstand, den
keine Vertragspartei zu vertreten hatte, nachträglich unmöglich geworden. Dass
die Erben sich zuvor in Verzug befunden hätten und daher gemäß § 287 Satz 2
BGB auch für eine durch Zufall eintretende Unmöglichkeit der Leistung verant-
wortlich gewesen wären, zeigt die Revision nicht auf.
2. a) Die vertragliche Verpflichtung der Erben ist mit dem Wegfall des
Leistungshindernisses im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands nicht wie-
der aufgelebt. Ist der Schuldner gemäß § 275 BGB aF von seiner Leistungs-
pflicht frei geworden, bleibt es hierbei auch dann, wenn die Leistung infolge
einer unerwarteten Entwicklung wieder möglich wird. Denn die Frage, ob ein
Leistungshindernis zu einer dauernden Unmöglichkeit führt, ist nach dem Zeit-
punkt des Eintritts des Hindernisses zu beurteilen (BGH, Urteil vom 11. März
1982
– VII ZR 357/80, BGHZ 83, 197, 200; BGH, Urteil vom 16. März 2005
- IV ZR 246/03, WM 2005, 1232, 1233). Der Annahme, es liege ein der dau-
ernden Unmöglichkeit gleichzustellendes Leistungshindernis vor, liegt die Wer-
tung zugrunde, dass es den Vertragsparteien nicht zumutbar ist, bis zu dem -
nicht absehbaren - Wegfall des Hindernisses an das Rechtsgeschäft gebunden
zu bleiben. Bei den daraus folgenden Konsequenzen - der Befreiung von den
Leistungspflichten - muss es im Interesse der Dispositionsfreiheit der Beteilig-
ten grundsätzlich auch dann bleiben, wenn das Leistungshindernis überra-
schend wegfällt (vgl. MünchKomm-BGB/Emmerich, 4. Aufl., Band 2, § 275 (aF)
Rn. 41).
b) In Ausnahmefällen kann der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242
BGB) zwar die Verpflichtung der Vertragspartner zu einem Neuabschluss des
Rechtsgeschäfts begründen (vgl. RGZ 158, 321, 331 f.). Das Berufungsgericht
nimmt aber ohne Rechtsfehler an, dass der Klägerin ein solcher Anspruch nicht
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zusteht. Ein Anspruch auf Neuabschluss des Rechtsgeschäfts kommt nur in
Betracht, wenn das Leistungshindernis zu einem Zeitpunkt entfallen ist, zu dem
sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht maßgeblich verändert ha-
ben, und wenn es beiden Vertragspartnern auch im Übrigen zuzumuten ist, zu
ihrer ursprünglichen Disposition über den Kaufgegenstand zurückzukehren.
Diese Voraussetzungen sind hier schon deshalb nicht gegeben, weil sich die
wirtschaftlichen Verhältnisse und damit auch die Grundstückspreise von dem
Erlass der Grundstücksverkehrsverordnung im Jahr 1963 bis zu der Aufhebung
der hier maßgeblichen Versagungstatbestände durch den Einigungsvertrag
grundlegend verändert haben.
3. Entgegen der Auffassung der Revision ist es dem Beklagten auch
nicht unter dem Gesichtspunkt der Wiedergutmachung von Teilungsunrecht
verwehrt, sich auf das Erlöschen der Leistungspflicht des Verkäufers zu beru-
fen. Dabei kann zugunsten der Revision unterstellt werden, dass die
– entge-
gen der Auffassung des Berufungsgerichts - nur einjährige Aufgebotsfrist des
§ 15 Abs. 3 Satz 1 GBBerG (i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 1 EntschG)
bereits abgelaufen und das Grundstück daher an den Entschädigungsfonds
(§ 9 Abs. 1 Satz 1 EntschG) abzuführen ist.
Nach der im Einigungsvertrag enthaltenen Regelung des Art. 232 § 1
EGBGB bleibt für die Schuldverhältnisse, die vor dem 3. Oktober 1990 ent-
standen sind, das bisherige Recht des Beitrittsgebiets maßgebend. Das gilt
auch für Fragen der Genehmigungsbedürftigkeit und -fähigkeit von Rechtsge-
schäften (Senat, Urteil vom 25. März 1994
– V ZR 171/92, WM 1994, 1250,
1251). Verfassungsrechtlich ist dies unbedenklich. Der Bundesgesetzgeber war
im Rahmen der Schaffung der Voraussetzungen für den Beitritt nach Art. 23
Satz 2 GG befugt, an die in der DDR bestehenden tatsächlichen und rechtli-
chen Verhältnissen anzuknüpfen (vgl. BVerfG, ZOV 1992, 382, 384; Senat,
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Urteil vom 4. März 1994
– V ZR 287/92, WM 1994, 1263, 1264). Das gilt auch,
soweit Rechtvorschriften der DDR zu einem Rechtsverlust geführt haben, der
unter der Geltung bundesdeutschen Rechts nicht eingetreten wäre. Ob und
inwieweit hierfür eine Wiedergutmachung gewährt wird, bestimmt sich allein
nach dem zur Bereinigung von DDR-Unrecht geschaffenen Sonderrecht (vgl.
Senat, Urteil vom 7. März 2008
– V ZR 89/07, NJW-RR 2008, 1045 Rn. 8).
Sieht dieses
– wie für Rechtsverluste aufgrund von § 5 Abs. 2 Buchst. c und f
GVVO
– keinen Ausgleich vor, sind die Gerichte nicht berufen, einen solchen
durch Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben oder im Rahmen
der Ausfüllung anderer allgemeiner Rechtsbegriffe zu schaffen.
Etwas anderes gilt hier nicht deshalb, weil das Grundstück, auf den sich
der Übereignungsanspruch des Rechtsvorgängers der Klägerin bezog, an den
Entschädigungsfonds abzuführen sein dürfte und deshalb ohne Nachteil für
einen Dritten auf die Klägerin übertragen werden könnte. Andernfalls ergäbe
sich nämlich eine zufällige und damit gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende un-
gleiche Behandlung im Übrigen gleichgelagerter Sachverhalte. Während Käufer
von Grundstücken, deren Eigentümer im Aufgebotsverfahren nicht zu ermitteln
sind, das Eigentum erwerben könnten, bliebe es für alle übrigen von den ge-
nannten Versagungsgründen der GVVO betroffenen Käufer bei dem Erlöschen
ihres Übereignungsanspruchs. Zu einer solchen, dem Gesetzgeber verbotenen
Ungleichbehandlung (vgl. BVerfGE 102, 254, 299) darf auch die Rechtsanwen-
dung durch die Gerichte nicht führen.
4. Schließlich kann die Klägerin nichts daraus herleiten, dass das Bun-
desamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen sie über die Einlei-
tung des Aufgebotsverfahrens nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG i.V.m.
§ 15 GBBerG informiert und ihr Gelegenheit gegeben hat, etwaige erbrechtliche
Ansprüche anzumelden. Die Aufforderung erweckt in keiner Weise den An-
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schein, dass das Grundstück nach Ablauf der Aufgebotsfrist an die Klägerin
fallen wird, und bietet deshalb keinen Anknüpfungspunkt für den von der Revi-
sion erhobenen Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Krüger
Lemke
Schmidt-Räntsch
Brückner
Weinland
Vorinstanzen:
LG Potsdam, Entscheidung vom 10.11.2010 - 3 O 53/10 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 21.09.2011 - 4 U 195/10 -
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