Urteil des BGH vom 20.07.2012

Kompetenz, Nichtigkeit, Grundstück, Gebäude, Verwaltung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 231/11
Verkündet am:
20. Juli 2012
Lesniak
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 20. Juli 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die
Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Czub und die Richterinnen
Dr. Brückner und Weinland
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg
- Zivilkammer 18 - vom 14. September 2011 wird auf Kosten des
Klägers mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Berufung des
Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg
vom 9. März 2010 in der Weise zurückgewiesen bleibt, dass die
Klage hinsichtlich TOP 3 und TOP 6 der Eigentümerversammlung
vom 29. April 2009 als unzulässig abgewiesen wird, soweit nicht
zugunsten des Klägers entschieden worden ist.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft,
die nach der Gemeinschaftsordnung in drei Untergemeinschaften gegliedert ist.
Am 29. April 2009 wurden auf der Jahresversammlung der Untergemein-
schaft A, der der Kläger angehört, unter anderen die Jahresabrechnung der
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Untergemeinschaft für das Jahr 2008 (TOP 3), der Gesamtwirtschaftsplan und
die Einzelwirtschaftspläne für das Jahr 2010 (TOP 6) sowie die Verteilung der
das Teileigentum betreffenden Verwaltergebühr in diesem Wirtschaftsplan
(TOP 7) beschlossen.
Der Kläger hat am 25. Mai 2009 eine Klage gegen die übrigen Woh-
nungseigentümer der Untergemeinschaft A bei dem Amtsgericht eingereicht,
mit der er beantragt hat, die zu TOP 3, 6 und 7 gefassten Beschlüsse für
unwirksam zu erklären. Die Klageschrift ist - nach Zahlung des am 30. Juni
2009 angeforderten Kostenvorschusses am 22. August 2009 - den Beklagten
am 31. August 2009 zugestellt worden.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat
festgestellt, dass die zu TOP 3 und zu TOP 6 gefassten Beschlüsse teilweise,
nämlich hinsichtlich der das Grundstück und alle Wohnungseigentümer
betreffenden
Kostenpositionen
(Gehwegreinigung,
Versicherungen
und
Verwaltungsgebühren), und der Beschluss zu TOP 7 insgesamt nichtig sind; im
Übrigen hat es die Klageabweisung bestätigt. Mit der von ihm zugelassenen
Revision verfolgt der Kläger den Antrag weiter, insgesamt die Nichtigkeit der zu
TOP 3 und zu TOP 6 gefassten Beschlüsse festzustellen. Die Beklagten
beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht (dessen Urteil in ZMR 2012, 123 ff. veröffentlicht
ist) meint, dass die angefochtenen Beschlüsse zu TOP 3 und 6 teilweise nichtig
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seien. Zwar weise die Gemeinschaftsordnung den Untergemeinschaften eine
eigene Beschlusskompetenz auch für die aufzustellenden Wirtschaftspläne und
die Jahresabrechnungen zu. Diese sei jedoch auf die allein sie betreffenden
Kostenpositionen
beschränkt
und
schließe
nicht
die
Befugnis
zur
Beschlussfassung über die auf alle Wohnungseigentümer zu verteilenden
Lasten ein. Insoweit habe die Klage mit dem Hauptantrag auf Feststellung der
Nichtigkeit teilweise Erfolg, weil in der Jahresabrechnung für 2008 und dem
Wirtschaftsplan für 2010 auch solche Positionen enthalten seien. Im Übrigen sei
die Klage auch mit dem Hilfsantrag, die Beschlüsse für ungültig zu erklären,
unbegründet, da der Kläger die Anfechtungsfrist von einem Monat nach § 46
Abs. 1 Satz 2 WEG nicht gewahrt habe.
II.
Die Revision bleibt ohne Erfolg, weil die Klage zwar nicht als
unbegründet, aber als unzulässig hätte abgewiesen werden müssen. Der Senat
hat - allerdings erst nach Erlass des angefochtenen Urteils - entschieden, dass
eine
Klage,
mit
der
ein
Beschluss
einer
Untergemeinschaft
der
Wohnungseigentümer angefochten oder für nichtig erklärt werden soll
(Beschlussmängelklage), gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 WEG stets gegen alle
übrigen Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft als notwendige
Streitgenossen zu richten ist. Die nur gegen einen Teil der Mitglieder der
Wohnungseigentümergemeinschaft gerichtete Klage ist deshalb unzulässig
(Senatsurteile vom 11. November 2011 - V ZR 45/11, NJW 2012, 1224, 1225
Rn. 10 ff., vom 10. Februar 2012 - V ZR 145/11, juris Rn. 5 und vom 2. März
2012 - V ZR 89/11, juris Rn. 6).
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III.
Eine Aufhebung des Berufungsurteil (§ 562 Abs. 1 ZPO) und Zu-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO)
mit dem Ziel der Behebung des Zulässigkeitsmangels durch eine
Klageerweiterung auf die anderen Wohnungseigentümer ist auch in diesem Fall
nicht veranlasst.
1. Richtig ist allerdings, dass ein solches Verfahren grundsätzlich dann
geboten ist, wenn der Umstand, dass die Klage nur gegen einen Teil der
Streitgenossen erhoben wurde, auf Fehler oder Versäumnisse des Gerichts
zurückzuführen ist und der Zulässigkeitsmangel nicht auf einem Verschulden
des Klägers beruht (vgl. Senatsurteil vom 2. März 2012 - V ZR 89/11, juris
Rn. 7). Es entspricht dann dem Grundsatz fairer Verfahrensführung, der es den
Gerichten insbesondere verwehrt, aus eigenen oder ihnen zurechenbaren
Fehlern oder Versäumnissen Verfahrensnachteile für die Beteiligten abzuleiten
(BVerfGE 75, 183, 190; 110, 339, 342 und NJW 1996, 1811), dem Kläger
Gelegenheit zur Behebung des Zulässigkeitsmangels zu geben. Ob ein solcher
Fehler des Gerichts vorliegt, bedarf hier jedoch keiner Entscheidung.
2. Eine Aufhebung und Zurückverweisung kommt nämlich nicht in
Betracht, wenn sie nicht zu einem Erfolg der Klage führen kann. So ist es hier.
a) Die angegriffenen Beschlüsse sind nicht deshalb nichtig, weil - wie der
Kläger meint - einem Teil der Wohnungseigentümer (der jeweiligen
Untergemeinschaft) die Kompetenz fehle, nach § 28 Abs. 5 WEG über den
Wirtschaftsplan und die Jahresrechnung zu beschließen.
aa) Das trifft nicht zu, weil die Bestimmung in § 10 Abs. 2 Satz 2 WEG,
nach der die Wohnungseigentümer auch von den Vorschriften des Gesetzes
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abweichende Vereinbarungen treffen können, es ermöglicht, in einer
Gemeinschaftsordnung im Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander
Untergemeinschaften mit eigener Verwaltungszuständigkeit und selbständiger
Beschlussfassungskompetenz ihrer Mitglieder zu errichten (vgl. Klein in
Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 10 Rn. 85; Hügel, NZM 2010, 8, 13; Wenzel, NZM
2006, 311, 314; Spielbauer/Then, WEG, 2. Aufl., § 23 Rn. 5). Zulässig sind
danach von § 21 Abs. 1 und Abs. 3, § 23 Abs. 1, § 28 Abs. 5 WEG
abweichende Stimmrechtsregelungen für die Beschlüsse über Wirtschaftspläne
und Jahresabschlüsse, nach der allein die Mitglieder der Untergemeinschaft
anstelle aller Wohnungseigentümer über die auf das jeweilige Haus
entfallenden Kostenpositionen zu entscheiden haben (vgl. Hügel, aaO, 13, 14;
Vandenhouten in Köhler/Bassenge, Wohnungseigentumsrecht, 2. Aufl., Teil 4
Rn. 103). Ist in der Gemeinschaftsordnung - wie hier - ausdrücklich bestimmt,
dass die Kosten und Lasten für die Untergemeinschaften nicht nur getrennt zu
ermitteln und abzurechnen sind, sondern für jede Untergemeinschaft - soweit
rechtlich zulässig - selbständig verwaltet werden sollen, hat der Verwalter
hausbezogene Wirtschaftspläne und Jahresabrechnungen aufzustellen und den
Untergemeinschaften zur Beschlussfassung vorzulegen (BayObLG, ZWE 2001,
269, 270; NJOZ 2004, 636, 641); die gegen diese Beschlüsse erhobenen
Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen sind nach § 46 Abs. 1 Satz 1 WEG
alleerdings gegen alle übrigen Wohnungseigentümer zu richten.
bb) Richtig ist jedoch, dass den Mitgliedern einer Untergemeinschaft
nicht die Kompetenz zusteht, auch über die Kostenpositionen zu entscheiden,
die das Grundstück, mehrere Gebäude oder gemeinschaftliche Anlagen
betreffen
(OLG
Köln,
NZM
2005,
550).
Wirtschaftspläne
und
Jahresabrechnungen enthalten indes notwendigerweise auch solche Kosten,
weshalb - auch wenn es sich um eine Mehrhausanlage handelt - alle
Wohnungseigentümer zur Beschlussfassung über diese berufen sind
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(BayObLG, BayObLGZ 1994, 98, 101; NZM 2001, 771 = ZWE 2001, 269; OLG
Düsseldorf, FGPrax 2003, 121, 122; OLG Zweibrücken, ZMR 2005, 751, 752).
Daraus folgt jedoch nicht, dass die von einer Untergemeinschaft be-
schlossenen Wirtschaftspläne und Jahresabrechnungen insgesamt nichtig sind,
wenn in ihnen auch die auf die Mitglieder der Untergemeinschaft entfallenden
anteiligen Lasten des gemeinschaftlichen Eigentums nach einem in der
Gemeinschaftsordnung bestimmten Schlüssel ausgewiesen und in den
Einzelabrechnungen auf die Mitglieder verteilt worden sind. Sollen - wie hier -
nach der Gemeinschaftsordnung die Untergemeinschaften in eigener
Zuständigkeit, wie wenn sie selbständige Eigentümergemeinschaften wären,
über die Lasten und Kosten entscheiden, wird die Grenze ihrer
Beschlusszuständigkeit nicht bereits mit der Aufnahme der anteiligen Kosten
des gemeinschaftlichen Eigentums in die Wirtschaftspläne und Abrechnungen,
sondern erst dann überschritten, wenn sie dadurch einen in der
Gemeinschaftsordnung bestimmten oder den auf einer Gesamteigentümer-
versammlung beschlossenen Verteilungsschlüssel ändern (vgl. BayObLG,
NJW-RR 2001, 1020 und ZMR 2004, 212, 213 = BayObLGR 2004, 98 (Ls)). Die
Annahme einer Gesamtnichtigkeit der Beschlüsse steht zudem der Grundsatz
entgegen,
dass
die
Unwirksamkeit
einzelner
Positionen
in
einem
Wirtschaftsplan oder einer Jahresabrechnung deren Wirksamkeit im Übrigen
grundsätzlich nicht berührt (vgl. Senat, Urteil vom 11. Mai 2012 - V ZR 193/11,
Rn. 13, juris).
Dem Kläger dürfte insoweit ein Anspruch auf Ergänzung der
unvollständigen Abrechnungen (vgl. BayObLG, NJW-RR 1992, 1169; OLG
Hamm, NZM 1998, 923, 924; OLG Schleswig, ZMR 2006, 665, 667) durch
einen Beschluss aller Wohnungseigentümer zustehen. Dieser Anspruch ist aber
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nicht Gegenstand des Rechtsstreits und daher auch kein Grund für eine
Aufhebung des Berufungsurteils.
b) Ob die Beschlüsse der Untergemeinschaft für unwirksam zu erklären
sind, weil sie nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen, ist nicht mehr zu
prüfen, da der Kläger die Frist für eine Anfechtungsklage (§ 46 Abs. 1 Satz 2
WEG) versäumt hat. Wiedereinsetzung nach § 46 Abs. 1 Satz 3 WEG i.V.m.
§ 233 ZPO kann ihm nicht gewährt werden. Die Versäumung der Frist ist schon
deshalb nicht als unverschuldet anzusehen, weil der Kläger den von dem
Amtsgericht angeforderten Kostenvorschuss zunächst nicht gezahlt hat. Das
sich aus der Vorschrift in § 12 Abs. 1 Satz 1 GKG ergebende Hindernis, nach
der die Klage erst nach Zahlung der Verfahrensgebühr zugestellt werden soll,
hat der Kläger daher zu vertreten. Die Revision greift das Berufungsurteil
insoweit auch nicht an.
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IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Krüger
Stresemann
Czub
Brückner
Weinland
Vorinstanzen:
AG Hamburg-St. Georg, Entscheidung vom 09.03.2010 - 980B C 30/09 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 14.09.2011 - 318 S 77/10 -
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