Urteil des BGH vom 15.06.2012

Leitsatzentscheidung zu Mangel, Beurkundung, Ausschluss der Haftung, Vertragsschluss, Abgabe

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 198/11
Verkündet am:
15. Juni 2012
Mayer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
BGB § 442 Abs. 1
a) Macht der Käufer das Angebot für einen Grundstückskaufvertrag, das von dem
Verkäufer in getrennter Urkunde angenommen wird, kommt es für seine Kenntnis
vom Mangel i.S.d. § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht auf den Zeitpunkt der Annahme
des Angebots, sondern auf den Zeitpunkt der Beurkundung des Angebots an.
b) Das gilt nicht, wenn der Käufer die Weiterleitung seines Angebots selbst hinaus-
gezögert oder wenn er Veranlassung hatte, sich nach Möglichkeiten zu erkundi-
gen, den Eintritt der Bindungswirkung seines Angebots zu verhindern, und recht-
zeitig hätte entsprechend tätig werden können.
BGH, Urteil vom 15. Juni 2012 - V ZR 198/11 - OLG Hamm
LG Essen
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 15. Juni 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter
Dr. Lemke und Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterinnen Dr. Brückner
und Weinland
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 22. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Hamm vom 7. Juli 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Kläger ließen am 24. November 2006 als Käufer ein Angebot an die be-
klagte Verkäuferin zum Kauf eines mit einem Altbau aus dem Jahr 1920 bebauten
Grundstücks für 123.950
€ notariell beurkunden. Das Angebot enthält einen Haf-
tungsausschluss für Sachmängel und sollte vier Wochen nicht widerruflich sein. Am
30. November 2006 besichtigten die Kläger das Anwesen mit dem Makler, den sie
mit der Vermittlung eines Käufers für den von vornherein beabsichtigten Weiterver-
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kauf des Anwesens beauftragt hatten, und stellten - nach dem Auszug der bisherigen
Bewohner sichtbar gewordene - Feuchtigkeitsschäden fest. Sie teilten der Vertriebs-
partnerin der Beklagten mit Schreiben vom 3. Dezember 2006 mit, sie erwarteten von
der Beklagten
, dass sie die Kosten der Beseitigung der Schäden von etwa 30.000 €
übernehmen werde. Diese erhielt das Angebot der Kläger mit einem bei ihr am
14. Dezember 2006 eingegangenen Telefax des Notars vom 12. Dezember 2006
und nahm es am 27. Dezember 2006 formgerecht an. Zu diesem Zeitpunkt kannte
sie die Feuchtigkeitsschäden. Ob sie auch wusste, dass die Kläger die Übernahme
der Kosten für deren Beseitigung von ihr erwarteten, ist nicht festgestellt. Die Kläger
verkauften das Anwesen Ende 2007 unsaniert für 133.000
€ und verlangen Ersatz
der Schadensbeseitigungskosten, die sie auf 35.000
€ beziffern, sowie Ersatz vorge-
richtlicher Anwaltskosten in Höhe von 1.604,12 €, jeweils nebst Zinsen.
Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem
Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihre Zahlungsanträge
weiter. Die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht meint, die Haftung der Beklagten scheitere schon an
dem Haftungsausschluss. Auf diesen dürfe sich die Beklagte berufen, weil sie nicht
arglistig gehandelt habe. Sie habe die Kläger über die Feuchtigkeitsschäden nicht
aufklären müssen, weil diese Kenntnis hiervon erlangt hätten. Maßgeblich sei dabei
der Zeitpunkt, zu dem sich die Kläger ihrer Vertragserklärung nicht mehr hätten ent-
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ziehen können. Das sei der Zugang des Angebots bei der Beklagten. Bis dahin hät-
ten die Kläger ihr Angebot nach § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB widerrufen können. Zu die-
sem Zeitpunkt hätten sie indessen Kenntnis von den Schäden gehabt.
II.
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Mit der gege-
benen Begründung lassen sich die geltend gemachte Ansprüche nicht verneinen.
1. Noch zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass sich der An-
spruch auf Ersatz der Mängelbeseitigungskosten sowohl gemäß § 437 Nr. 3 i.V.m.
§ 441 Abs. 1 und 4 und § 346 Abs. 1 BGB auf Minderung als auch gemäß § 437
Nr. 2 BGB i.V.m. § 280 Abs. 1 und 3 und § 281 BGB auf Schadensersatz statt des
ausgefallenen Leistungsteils stützen lässt.
a) Der Kaufvertrag ist wirksam zustande gekommen. Die Beklagte hat das
Angebot der Kläger zwar erst nach Ablauf von vier Wochen seit dem Tag der Beur-
kundung angenommen. Die Annahmefrist von vier Wochen begann aber nicht schon
mit dem Tag der Beurkundung zu laufen, sondern erst mit dem Tag, an dem das An-
gebot und damit auch die in ihm vorgesehene Annahmefrist wirksam geworden sind.
Das ist nach § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB der Tag, an dem das Angebot der Beklagten
zugegangen ist, hier nach den Feststellungen des Berufungsgerichts der 14. De-
zember 2006. Die Angebotsfrist, zu deren Einhaltung nach dem Angebot nur die
rechtzeitige Abgabe der Annahmeerklärung, nicht auch deren rechtzeitiger Zugang
bei den Klägern erforderlich war, ist durch die Erklärung der Beklagten vom 27. De-
zember 2006 gewahrt.
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b) Das verkaufte Grundstück hatte, wovon auch das Berufungsgericht aus-
geht, einen Mangel. Feuchtigkeitserscheinungen stellen bei einem sehr alten Ge-
bäude wie dem hier verkauften zwar nicht immer einen Mangel dar (Senat, Urteile
vom 7. November 2008, V ZR 138/07, juris Rn. 13, vom 27. März 2009 - V ZR 30/08,
BGHZ 180, 205, 208 Rn. 8 und vom 16. März 2012 - V ZR 18/11, ZNotP 2012, 174,
175 f. Rn. 14). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war die Feuchtigkeit
aber so erheblich, dass sie zur Bildung von Schimmel geführt und damit die Nutzung
der Kellerräume in einem auch bei Altbauten nicht mehr bauartbedingt hinzuneh-
menden Umfang beeinträchtigt hatte.
c) Diesen Mangel hat die Beklagte, worauf es bei dem Anspruch auf Scha-
densersatz statt der Leistung weiter ankommt, zu vertreten (§ 280 Abs. 1 Satz 2
BGB), weil sie die im Verkehr gebotene Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) verletzt hat. Sie
hat das Kaufangebot der Kläger angenommen, ohne die Feuchtigkeitsschäden zu
beseitigen und ohne auf die Aufnahme einer entsprechenden Vereinbarung in den
Kaufvertrag zu dringen, obwohl sie, wie das Berufungsgericht festgestellt hat, jeden-
falls bei Annahme des Angebots die Feuchtigkeitsschäden kannte.
2. Die Ansprüche scheitern entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht
an dem in dem Vertrag vereinbarten Ausschluss der Haftung für Sachmängel.
a) Ob sich das, wie die Kläger meinen, gemäß § 444 BGB daraus ergibt, dass
die Beklagte den Klägern die Feuchtigkeitsschäden arglistig verschwiegen hat, ist
allerdings zweifelhaft. Der Verkäufer muss Umstände, die für den Kaufentschluss des
Käufers erheblich sind, von sich aus nur offenbaren, wenn er sie selbst kennt oder
sie zumindest für möglich hält (Senat, Urteil vom 7. März 2003 - V ZR 437/01, NJW-
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RR 2003, 989, 990). Das ist für die Zeit vor der Entdeckung der Feuchtigkeit durch
die Kläger zwischen den Parteien streitig und nicht festgestellt. Für die Zeit danach
ist die Pflicht der Beklagten zur Offenbarung der Feuchtigkeit zweifelhaft, weil der
Verkäufer über Mängel nicht aufklären muss, die einer Besichtigung zugänglich und
damit ohne weiteres erkennbar sind (Senat, Urteile vom 2. Februar 1996 - V ZR
239/94, BGHZ 132, 30, 34 und vom 16. März 2012 - V ZR 18/11, ZNotP 2012, 174,
176 Rn. 21) oder die der Käufer kennt (Senat, Urteil vom 7. Februar 2003 - V ZR
25/02, NJW-RR 2003, 772, 773). Ob sich hier etwas anders daraus ergibt, dass die
Kläger den Feuchtigkeitsschaden erst entdeckt hatten, als ihr Angebot bereits beur-
kundet war, bedarf keiner Entscheidung.
b) Für diesen Mangel gilt der Haftungsausschluss nämlich nicht.
aa) Der Haftungsausschluss ist nur scheinbar eindeutig und bedarf der Ausle-
gung. Diese hat das Berufungsgericht nicht vorgenommen. Sie kann der Senat
nachholen, weil die maßgeblichen Urkunden vorliegen und eine weitere Sachaufklä-
rung die Feststellung zusätzlicher für die Auslegung relevanter Umstände nicht er-
warten lässt.
bb) Die Auslegung ergibt, dass der Haftungsausschluss einschränkend auszu-
legen ist und für den Kaufentschluss eines Käufers wesentliche Mängel nicht erfasst,
die der Beklagten als Verkäuferin bei Annahme des Angebots bekannt waren.
(1) Die Entscheidung darüber, ob sie den Grundstückskaufvertrag in einer
gemeinsamen Verhandlung vor dem Notar schließen oder ob sie den Weg einer ge-
trennten Beurkundung von Angebot und Annahme wählen und wer von ihnen welche
dieser beiden Erklärungen beurkunden lassen soll, treffen die Parteien nach prakti-
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schen Gesichtspunkten oder im Hinblick darauf, dass sich eine Partei ihre Entschei-
dung, ob sie den Vertrag schließen möchte, noch einige Zeit offen halten möchte.
Die Wahl der Vertragsschlusstechnik wird dagegen nicht durch das im Vertrag gere-
gelte Haftungsrecht bestimmt und hat ihrerseits darauf keinen Einfluss. Auszugehen
ist vielmehr davon, dass die Parteien unabhängig von der gewählten Technik den
Vertrag so abschließen wollen, als wenn sie beide zu einer gemeinsamen Verhand-
lung vor dem Notar zusammenkämen. Ihre wechselseitige Rechtsstellung soll nicht
schlechter, aber auch nicht besser sein, wenn sie stattdessen den Weg einer ge-
trennten Beurkundung wählen, und auch nicht davon abhängen, ob der Käufer das
Vertragsangebot macht oder der Verkäufer. Deshalb sind die Vertragserklärungen
der Parteien bei einem Vertragsschluss durch eine gesondert beurkundete Annahme
eines Angebots so auszulegen, dass sie inhaltlich einem unter Teilnahme beider Par-
teien beurkundeten Vertrag entsprechen.
(2) Bei gemeinsamer Teilnahme der Vertragsparteien am Beurkundungstermin
träfe den Verkäufer die Pflicht, verborgene Mängel oder Umstände, die nach der Er-
fahrung auf die Entstehung und Entwicklung bestimmter Mängel schließen lassen,
auch ungefragt dem Käufer zu offenbaren, wenn sie für dessen Entschluss von Be-
deutung, insbesondere die beabsichtigte Nutzung erheblich zu mindern geeignet sind
(Senat, Urteile vom 7. Juni 1978 - V ZR 46/75, WM 1978, 1073, 1074 und vom
16. März 2012 - V ZR 18/11, ZNotP 2012, 174, 176 Rn. 21). Der Käufer hätte dann
Gelegenheit, mit dem Verkäufer über Änderungen des Vertragstextes zu verhandeln
oder von dem Vertragsschluss Abstand zu nehmen. Diese Möglichkeit besteht bei
einem gestreckten Vertragsschluss durch gesonderte Annahme des Vertragsange-
bots des Käufers durch den Verkäufer nicht. Der Käufer wäre bei einem Vertrags-
schluss auf diesem Weg auch nicht in der Lage, auf Hinweise des Verkäufers zu
Mängeln zu reagieren. Sein Vertragsangebot ist nach Zugang bei dem Verkäufer
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bindend. Er kann es weder zurückziehen noch ändern. Er kann nicht verhindern,
dass der Verkäufer das Angebot annimmt. Für den Verkäufer ist bei dieser Situation
offensichtlich, dass der Käufer den in das Angebot aufgenommenen Haftungsaus-
schluss nicht für Mängel gelten lassen will, die der Verkäufer bei Erklärung der An-
nahme kennt. Offenbaren müsste der Verkäufer ihm diese Mängel zwar nur, wenn
sie einer Besichtigung nicht zugänglich und nicht ohne weiteres erkennbar sind (Se-
nat, Urteil vom 16. März 2012 - V ZR 18/11, ZNotP 2012, 174, 176 Rn. 21). Ob und
zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen eingetreten sind, kann der Käufer aber
bei Abgabe und Zugang seines Angebots typsicherweise nicht einschätzen. Er kann
dem Verkäufer sinnvollerweise nur einen Haftungsausschluss für Mängel anbieten,
die dieser nicht kennt, und es ihm überlassen, ob er von der Annahme des Angebots
absieht oder ob er das Angebot mit dem eingeschränkten Haftungsausschluss an-
nimmt und eine etwaige Kenntnis des Käufers von dem Mangel nach Maßgabe von
§ 442 BGB einwendet.
3. Die Ansprüche der Kläger müssen auch nicht daran scheitern, dass sie vor
der Annahme ihres Angebots durch die Beklagte von den Feuchtigkeitsschäden er-
fahren haben.
a) Nach § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB sind die Rechte des Käufers wegen eines
Mangels, den er bei Vertragsschluss kennt, allerdings ausgeschlossen. Zustande
gekommen ist der Kaufvertrag hier mit der Annahme des Vertragsangebots der Klä-
ger durch die Beklagte. Zu diesem Zeitpunkt waren den Klägern die Feuchtigkeits-
schäden bekannt.
b) Auf das förmliche Zustandekommen des Vertrags kommt es indessen bei
einem gestreckten Vertragsschluss nicht an. In dieser Fallkonstellation ist die Vor-
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schrift im Wege der teleologischen Reduktion einschränkend auszulegen. Maßgeb-
lich ist bei einem so zustande gekommenen Vertrag die Kenntnis des Käufers vom
Mangel bei Beurkundung des Angebots, nicht bei Annahme des Angebots durch den
Verkäufer.
aa) Umstritten ist schon die Frage, ob es auf die Kenntnis des Käufers vom
Mangel im Zeitpunkt des förmlichen Zustandekommens des Vertrags oder bei Abga-
be seines Angebots ankommt. Teilweise wird auch bei einem gestreckten Vertrags-
schluss der Zeitpunkt des Zustandekommens des Vertrags für maßgeblich gehalten
(Lemke/D. Schmidt, Immobilienrecht, § 442 BGB Rn. 7; Palandt/Weidenkaff, BGB,
71. Aufl., § 442 Rn. 8). Nach der Gegenansicht ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in
dem der Käufer sein Angebot abgibt (Bamberger/Roth/Faust, BGB, Online-Edition
24, Stand 1. 3. 2011, § 442 Rn. 7; Staudinger/Matusche-Beckmann, BGB [2004]
§ 442 Rn. 19; unklar: MünchKomm/BGB/H. P. Westermann, 6. Aufl., § 442 Rn. 6).
Dabei soll es unerheblich sein, ob der Käufer seine Vertragserklärung noch nach
§ 130 Abs. 1 Satz 2 BGB widerrufen könnte, wenn er von dem Mangel erfährt. Ein
ähnliches Meinungsbild ergibt sich bei der vergleichbaren Frage danach, ob es bei
einem nach § 355 BGB widerruflichen Kaufvertrag auf die Kenntnis des Käufers vom
Mangel bei Vertragsschluss ankommt (so Bamberger/Roth/Faust, BGB, Online-
Edition 22, Stand 1. 3. 2011, § 442 Rn. 11; Erman/Grunewald, BGB, 13. Aufl., § 442
Rn. 7; MünchKomm/BGB/H. P. Westermann, 6. Aufl., § 442 Rn. 6; Staudin-
ger/Matusche-Beckmann, BGB [2004] § 442 Rn. 19; Kiefer, NJW 1989, 3120, 3125)
oder bei Ablauf der Widerrufsfrist (so Soergel/Huber, BGB, 12. Aufl., § 460 Rn. 18).
Auf welchen Zeitpunkt bei einem notariell beurkundeten Vertragsangebot des
Käufers abzustellen ist, wird, soweit ersichtlich, bislang nicht diskutiert. Rechtlich wird
ein solches Angebot erst abgegeben, wenn der Notar es dem Verkäufer zuleitet.
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Wann das geschieht, darauf hat der Käufer regelmäßig keinen Einfluss. In aller Regel
erfährt er dies nicht einmal. Es fragt sich deshalb, ob es auf die Absendung des An-
gebots durch den Notar ankommt oder auf die Beurkundung der Erklärung.
bb) Nach Auffassung des Senats ist im Grundsatz der Zeitpunkt der Abgabe
des Angebots, bei einem notariell beurkundeten Angebot, der Zeitpunkt der Beur-
kundung des Angebots durch den Notar maßgeblich.
(1) Der Vorschrift des § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt der Gedanke zugrunde,
dass der Käufer nicht in seinen berechtigten Erwartungen enttäuscht wird, wenn er
den Kauf trotz des Mangels gewollt hat. Er ist dann nicht schutzwürdig, denn mit der
Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen stellt er sich in Widerspruch zu
seinem vorangegangenen Verhalten, nämlich dem Vertragsabschluss in Kenntnis
des Mangels (Senat, Urteile vom 3. März 1989 - V ZR 212/87, NJW 1989, 2050 und
vom 27. Mai 2011
– V ZR 122/10, NJW 2011, 2953, 2954 Rn. 14; MünchKomm-
BGB/H. P. Westermann, 6. Aufl., § 442 Rn. 1; Soergel/Huber, BGB, 12. Aufl. § 460
Rn. 3; Staudinger/Matusche-Beckmann, BGB [2004] § 442 Rn. 1). Die Vorschrift
stellt deshalb auf die Kenntnis des Käufers von dem Mangel „bei Vertragsschluss“
ab.
(2) Wenn die Annahme des Angebots des Käufers durch den Verkäufer zeit-
lich versetzt erfolgt, führt das Abstellen auf das förmliche Zustandekommen des Ver-
trags zu einem von dem Zweck des § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht mehr gedeckten
Ausschluss von Mängelrechten. Die Gewährleistungsansprüche des Käufers werden
dann nämlich auch für Mängel ausgeschlossen, die er bei Beurkundung seiner Ver-
tragserklärung nicht kannte. Der Haftungsausschluss lässt sich nicht mit einem wi-
dersprüchlichen Verhalten des Käufers rechtfertigen. Dieser kann sich von dem An-
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gebot nicht mehr einseitig lösen und den Vertragsschluss verhindern, wenn er nach-
träglich Kenntnis von einem Mangel erlangt. Das gilt jedenfalls dann, wenn sein An-
gebot zu diesem Zeitpunkt dem Verkäufer zugegangen ist. Er kann davon ausgehen,
dass der Verkäufer das Angebot nur annimmt, wenn er die darin vorgeschlagenen
Verkäuferpflichten auch erfüllen kann und sich dessen notfalls vor Annahme des An-
gebots vergewissert. Die Geltendmachung von Gewährleistungsrechten wegen sol-
cher Mängel kann ihm dann nicht als widersprüchliches Verhalten angelastet werden.
Die Vorschrift muss deshalb ihrem Zweck entsprechend eingeschränkt werden. Aus-
geschlossen sind nur Mängel, die der Käufer bei Beurkundung seines Angebots
kannte.
(3) Nichts anderes gilt, wenn der Käufer in dem Zeitpunkt, in dem er von dem
Mangel erfährt, seine Vertragserklärung noch nach § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB widerru-
fen könnte. Mit dem Widerruf könnte er sich zwar von der Bindung an sein Angebot
lösen. Nutzen kann er diese Möglichkeit aber nur, wenn er die rechtliche Möglichkeit,
sich von seiner Erklärung zu lösen, und die tatsächlichen Voraussetzungen dafür
kennt oder wenigstens Veranlassung hat, sich nach beidem zu erkundigen. Das hat
der Senat für den Fall entschieden, dass der Käufer nach Abschluss eines nichtigen
Vertrags, aber vor dessen Heilung von dem Mangel erfährt, von der Nichtigkeit aber
keine Kenntnis hatte (Urteile vom 3. März 1989 - V ZR 212/87, NJW 1989, 2050 f.
und vom 27. Mai 2011
– V ZR 122/10, NJW 2011, 2953, 2954 Rn. 14). Für das Feh-
len der Kenntnis von einer Widerrufsmöglichkeit nach § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB gilt
nichts anderes. An der Kenntnis wird es typischerweise fehlen, weil der Käufer die
Weiterleitung eines notariell beurkundeten Angebots gewöhnlich nicht verfolgen kann
und deshalb nicht weiß, wann es dem Verkäufer zugeht. Deshalb kann dem Käufer
auch bei theoretischer Widerruflichkeit seines Angebots der Vorwurf widersprüchli-
chen Verhaltens nicht gemacht werden.
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(4) Das gilt auch für die zusätzliche Lösungsmöglichkeit, die sich für einen
Käufer bei der Abgabe eines notariellen Angebots ergeben kann. Bei einem solchen
Angebot könnte der Käufer schon die förmliche Abgabe vermeiden, wenn er nach-
träglich von dem Mangel erfährt. Er müsste den Notar nur anweisen, von der Zulei-
tung des Angebots an den Verkäufer abzusehen. Voraussetzung dafür ist, dass der
Notar das Angebot zu diesem Zeitpunkt noch nicht dem Verkäufer zugeleitet hat.
Auch diese Möglichkeit kann der Käufer nur nutzen, wenn er weiß oder wenigstens
Anhaltspunkte dafür hat, dass der Notar noch nicht tätig geworden ist. Das ist ein
Ausnahmefall. Normalerweise fertigt der Notar ein Angebot unverzüglich aus. Das
wird insbesondere dann gelten, wenn es befristet sein soll. Deshalb kann dem Käufer
auch unter diesem Gesichtspunkt regelmäßig nicht der Vorwurf widersprüchlichen
Verhaltens gemacht werden, wenn er sich auf einen Mangel beruft, von dem er nach
Beurkundung seines Angebots Kenntnis erlangt hat.
cc) Etwas anderes gilt indessen, wenn der Käufer die Versendung seines An-
gebots selbst hinausgezögert oder wenn er Veranlassung hatte, sich nach Möglich-
keiten zu erkundigen, den Eintritt der Bindungswirkung seines Angebots zu verhin-
dern, und rechtzeitig hätte entsprechend tätig werden können. Denn dann verhielte
er sich widersprüchlich. Er ließe den Vertrag in Kenntnis des Mangels zustande
kommen, obwohl er das hätte verhindern können. Das entspricht dem Verhalten, das
nach § 442 BGB zum Ausschluss von Mängelrechten führen soll. Eine einschrän-
kende Auslegung der Vorschrift im vorbeschriebenen Sinn wäre dann nicht gerecht-
fertigt. Es bliebe beim Wortlaut der Regelung in § 442 Abs. 1 BGB, wonach es auf
die Kenntnis des Käufers bei Zustandekommen des Vertrags ankommt.
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c) Auszugehen ist davon, dass die Kläger zu dem maßgeblichen Zeitpunkt
keine Kenntnis von dem Mangel hatten. Nach den Feststellungen des Berufungsge-
richts haben die Kläger erst nach der Beurkundung ihres Angebots von den Feuch-
tigkeitsschäden erfahren. Sie hätten zwar sowohl die Abgabe als auch das Wirk-
samwerden ihres Angebots verhindern können, weil der Notar es erst mit Schreiben
vom 12. Dezember 2006 der Beklagten zugeleitet hat. Feststellungen dazu, ob die
Kläger diese Möglichkeit erkannt oder Veranlassung hatten, ihr nachzugehen, hat
das Berufungsgericht aber nicht getroffen. Für das Revisionsverfahren ist deshalb
davon auszugehen, dass es an beidem fehlte. Dann wären die Mängelansprüche der
Kläger nicht ausgeschlossen.
4. Lassen sich Mängelansprüche nicht ausschließen, kann auch der weiter
geltend gemachte Anspruch auf Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten
nach § 280 Abs. 1 und 2, § 286 BGB begründet sein.
III.
Die Sache ist noch nicht entscheidungsreif und deshalb zur neuen Verhand-
lung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Für die neue
Verhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
1. Hinsichtlich des Anspruchsgrunds wird zu prüfen sein, ob die an sich beste-
henden Mängelansprüche der Kläger nach § 442 BGB ausgeschlossen sind. Es ist
nämlich nach den Umständen nicht auszuschließen, dass diese selbst die verzögerte
Versendung des Angebots veranlasst haben oder dass sie Veranlassung hatten, sich
z.B. bei dem Urkundsnotar nach der Möglichkeit zu erkundigen, den Eintritt der Bin-
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dungswirkung zu verhindern. Das Berufungsgericht hatte bisher keine Veranlassung,
dem nachzugehen. Dies wird nachzuholen sein.
2. Die Kläger können den ihnen zu ersetzenden Schaden auf der Grundlage
der Mängelbeseitigungskosten berechnen, weil sie von der Beklagten die Herstellung
des vertragsgemäßen mangelfreien Zustands verlangen konnten. Dieser Anspruch
besteht auch, wenn der Mangel nicht beseitigt werden soll und wenn das Anwesen
verkauft ist. Der Bundesgerichtshof hat dies für den Nachbesserungsanspruch im
Werkvertragsrecht anerkannt (Urteile vom 6. November 1986 - VII ZR 97/85, BGHZ
99, 81, 86 ff. und vom 22. 7. 2004 - VII ZR 275/03, NJW-RR 2004, 1462, 1463). Für
den inhaltsgleichen Nacherfüllungsanspruch im Kaufrecht nach §§ 433, 439 BGB gilt
nichts anderes. Die anderen Grundsätzen folgende Rechtsprechung des Senats zu
Ansprüchen wegen Beschädigungen eines Grundstücks (Senat, Urteile vom 2. Okto-
ber 1981 -V ZR 147/80, BGHZ 81, 385, 390 f. und vom 4. Mai 2001 - V ZR 435/99,
BGHZ 147, 320, 322 f.; Krüger in Festschrift Wenzel [2005] S. 491, 493 f.) ist auf die-
sen Anspruch nicht übertragbar.
3. Einem Anspruch der Kläger stünde auch nicht entgegen, dass sie bei dem
Weiterverkauf einen Mehrerlös erzielt haben. Ein solcher Mehrerlös schloss zwar
einen Anspruch nach § 463 BGB aF aus (Senat, Urteil vom 16. November 2007
- V ZR 45/07 NJW 2008, 436, 437). Das beruhte aber darauf, dass der Käufer unter
der Geltung von § 463 BGB aF keinen Anspruch auf Herstellung der Mängelfreiheit
der Kaufsache hatte. Das ist nach § 433 Abs. 1, § 439 BGB anders. Der Mehrerlös
führt
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auch nicht zu einer Einschränkung des Minderungsanspruchs (Senat, Urteil vom
27. Mai 2011 - V ZR 122/10, NJW 2011, 2953, 2954 Rn. 9 f.).
Krüger
Lemke
Schmidt-Räntsch
Brückner
Weinland
Vorinstanzen:
LG Essen, Entscheidung vom 04.01.2011 - 17 O 61/08 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 07.07.2011 - I-22 U 25/11 -