Urteil des BGH vom 22.01.2016

Leitsatzentscheidung zu Rechtliches Gehör, Abrechnung, Verfahrensmangel, Grundstück

ECLI:DE:BGH:2016:220116UVZR196.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 196/14
Verkündet am:
22. Januar 2016
Weschenfelder
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
a) Ob ein wesentlicher Verfahrensmangel i. S. d. § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO - wie die
Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör - vorliegt, ist allein auf Grund des ma-
teriell-rechtlichen Standpunkts des Erstgerichts zu beurteilen, auch wenn das Beru-
fungsgericht ihn nicht teilt (st. Rspr., vgl. etwa Senat, Urteil vom 22. September 2006
- V ZR 239/05, NJW-RR 2006, 1677 und BGH, Urteil vom 14. Mai 2013 - VI ZR 325/11,
NJW 2013, 2601 jeweils mwN).
b) Im Sinne von § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO notwendig ist eine umfangreiche oder auf-
wendige Beweisaufnahme, wenn sie durch oder infolge der Korrektur des wesentlichen
Verfahrensfehlers sicher zu erwarten ist. Nicht ausreichend ist, wenn sie zwar unter be-
stimmten Voraussetzungen erforderlich wird, der Eintritt dieser Voraussetzungen aber
nicht sicher ist.
ZPO § 554 Abs. 3 Satz 2
Hat das Berufungsgericht als Folge einer Kassationsentscheidung die für eine Entschei-
dung über das Anschlussrechtsmittel erforderlichen Feststellungen nicht getroffen, kommt
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der von dem Revisionsführer mit Erfolg gerügte Verstoß gegen § 538 Abs. 2 ZPO dem
Anschlussrevisionsführer ausnahmsweise auch ohne eigene Verfahrensrüge zugute.
BGH, Urteil vom 22. Januar 2016 - V ZR 196/14 - OLG Dresden
LG Leipzig
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 22. Januar 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die
Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Brückner, den Richter
Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten und die Anschlussrevision des
Klägers wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
Dresden vom 8. Juli 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über
die
Kosten
des
Revisionsverfahrens,
an
das
Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger hatte mit seiner damaligen Ehefrau - Frau K. (fortan Frau
K) - ein Mietshaus gekauft und den Kauf durch ein mit Grundpfandrechten gesi-
chertes Darlehen finanziert. 2008 wurde das Grundstück im Zusammenhang
mit der Scheidung der Eheleute in hälftiges Miteigentum der nunmehr geschie-
denen Eheleute aufgeteilt. Die alleinige Verwaltung des Objekts übernahm Frau
K. Mit notariellem Vertrag vom 17. Dezember 2009 verkaufte der Kläger der
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Beklagten seinen Miteigentumsanteil für 583.500
€. Von dem Kaufpreis sollten
83.500 € bar bezahlt werden, was auch geschah. Die restlichen 500.000 € soll-
ten durch Freistellung des Klägers von den Kapitaldienstverpflichtungen er-
bracht werden. Dazu war in Nr. 3.2 (a) des Kaufvertrags Folgendes vorgese-
hen:
„Der Käufer wird den Verkäufer im Innenverhältnis … wie folgt freistellen:
Der Kapitaldienst für das Darlehen von monatlich 5.800,00 EUR soll weiter-
hin von dem Hauskonto … eingezogen werden.
Der Käufer wird sich bei der Verwaltung des Grundbesitzes ergebende Un-
terdeckungen und hieraus resultierende Überziehungen des Hauskontos
vornehmlich durch Einzahlungen auf das Hauskonto beseitigen bzw. abwen-
den.
Alternativ hierzu, kann der Käufer seiner Freistellungsverpflichtung durch
entsprechende Zahlungen an die Bank direkt nachkommen. Dies gilt jedoch
nicht für Unterdeckungen durch Verwaltungsmaßnahmen, die vor dem Zeit-
punkt des wirtschaftlichen Überganges veranlasst worden sind und nach
dem Zeitpunkt des wirtschaftlichen Übergangs zu Ausgaben führen.
Diese Freistellungserklärung gilt auch für die Zahlungspflichten des Verkäu-
fers hinsichtlich des von der Bruchteilsgemeinschaft bei Frau K aufgenom-
men Darlehens; dies jedoch nur in Höhe des 50%igen Anteils des Verkäu-
fers…“
Die Unterschreitung des Betrags von 500.000 € sollte nicht zu Rückzah-
lungsansprüchen des Klägers, die Überschreitung der Summe nicht zu Erstat-
tungsansprüchen der Beklagten führen. Für den Fall der Nichterfüllung der
Freistellungsverpflichtung sieht der Vertrag ein Rücktrittsrecht des Klägers vor.
Mit Schreiben vom 10. Dezember 2011 forderte Frau K den Kläger zur
Erstattung von 29.000 € als Ausgleich für von ihr geleistete Zahlungen auf das
Darlehen für den Zeitraum Februar bis November 2011 auf. Der Kläger forderte
die Beklagte unter Fristsetzung vergeblich zur Freistellung von dieser Verpflich-
tung auf und trat mit Schreiben vom 21. Juli 2012 von dem Vertrag zurück. Er
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verlangt von der Beklagten (ohne Gegenleistung) die Abgabe der für die Rück-
übertragung des Miteigentums und für die Abtretung sämtlicher Ansprüche aus
der Verwaltung des Anwesens erforderlichen Erklärungen sowie Zahlung von
11.592,31 € Schadensersatz nebst Zinsen. Die Beklagte verlangt widerklagend
Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten von 7.868,28
€.
Das Landgericht hat Klage und Widerklage abgewiesen. Auf die Beru-
fung des Klägers hat das Oberlandesgericht die Sache unter Aufhebung des
Urteils und des Verfahrens an das Landgericht zurückverwiesen. Mit der von
dem Senat zugelassenen Revision strebt die Beklagte eine Sachentscheidung
zu ihren Gunsten an. Der Kläger hat sich der Revision der Beklagten ange-
schlossen und möchte umgekehrt eine Sachentscheidung in seinem Sinne er-
reichen. Beide Parteien beantragen die Zurückweisung der jeweils anderen Re-
vision.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht stützt die Zurückverweisung der Sache an das
Landgericht auf § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO. Das Landgericht sei verfahrens-
fehlerhaft zu dem Ergebnis gelangt, die Beklagte habe den Kläger nach dem
Vertrag nicht von seinen Verpflichtungen freizustellen, die ihn als Gesamt-
schuldner gegenüber der finanzierenden Bank im Innenverhältnis zu Frau K
träfen; der Vertrag lasse sich in diesem Sinne auch nicht ergänzend auslegen.
Dabei habe das Landgericht unter Verstoß gegen Art. 103 GG einen entschei-
dungserheblichen Beweisantritt übergangen. Es habe den Urkundsnotar zu
dem Vortrag des Klägers vernehmen müssen, „dass einzig und allein für den
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einen geregelten Fall der Veranlassung von Verwaltungsmaßnahmen vor dem
Zeitpunkt des wirtschaftlichen Übergangs mit finanziellen Lasten die vertragli-
che Regelung das Risiko ausnahmsweise nicht bei der Beklagten sehe. Aus-
schließlich für diesen Fall sei das von den Parteien auch beabsichtigt gewesen;
aus diesem Grund habe der Notar die Regelung ausdrücklich in den Vertrag
aufgenommen“. Ohne eine Vernehmung des Zeugen habe das Landgericht den
Vertrag nicht in dem beschriebenen Sinne auslegen dürfen. Es sei nicht ausge-
schlossen, dass es nach einer Vernehmung des Zeugen zu einem anderen
Verständnis der Freistellungsverpflichtung gelangt wäre. Die Klage sei auch
nicht aus anderen Gründen abzuweisen. Die Hilfserwägung des Landgerichts,
der Kläger habe Freistellung jedenfalls nicht ohne Vorlage einer Einnahmenab-
rechnung verlangen können, sei unzutreffend. Aus den Vorbemerkungen des
Vertrags ergebe sich, dass sich die Beklagte darauf eingelassen habe, dass
Frau K keine Abrechnung erstellt habe und erstelle. Eine Fortführung des
Rechtsstreits in zweiter Instanz scheide aus. Wenn das Landgericht zu dem
Ergebnis gelange, die Beklagte schulde auch Freistellung von den Verpflichtun-
gen des Klägers aus dem Gesamtschuldnerinnenausgleich, müsse Beweis zu
einer Vielzahl von Sach- und Rechtsmängeln und dazu erhoben werden, ob der
Kläger arglistig gehandelt habe. Von der Arglist des Klägers hänge auch die
Entscheidung über die Widerklage ab.
II.
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
Zur Revision der Beklagten
Die Revision der Beklagten hat teilweise Erfolg.
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1. Das Berufungsgericht durfte die Sache nicht an das Landgericht zu-
rückverweisen. Es musste vielmehr selbst eine Sachentscheidung treffen. Das
rügt die Beklagte zu Recht.
a) Nach § 538 Abs. 1 ZPO hat das Berufungsgericht grundsätzlich die
notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden. Es
darf gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 ZPO die Sache an das Gericht des ersten
Rechtszuges nur zurückverweisen, wenn einer der in der Vorschrift bestimmten
Gründe vorliegt und eine Partei die Zurückverweisung beantragt. Der Kläger
hatte zwar die Zurückverweisung an das Landgericht beantragt. Der von dem
Berufungsgericht angenommene Zurückverweisungsgrund nach § 538 Abs. 2
Satz 1 Nr. 1 ZPO liegt aber nicht vor. Danach darf das Berufungsgericht die
Sache unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ers-
ten Rechtszugs zurückverweisen, wenn das Verfahren im ersten Rechtszug an
einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfang-
reiche oder aufwendige Beweisaufnahme notwendig ist. An beiden Vorausset-
zungen fehlt es.
b) Das Verfahren des Landgerichts leidet nicht an einem wesentlichen
Verfahrensmangel.
aa) Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts.
Ein wesentlicher Verfahrensmangel kann in der Verletzung des Anspruchs auf
rechtliches Gehör bestehen (BGH, Urteil vom 3. November 1992
- VI ZR 362/91, NJW 1993, 538 f.; Zöller/Heßler, ZPO, 31. Aufl., § 538 Rn. 20
mwN). Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt
gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet
(Senat, Urteil vom 21. Oktober 2010 - V ZR 30/10, WuM 2011, 299 Rn. 9). Ob
ein Verfahrensmangel - wie die Verletzung des Anspruch auf rechtliches Gehör,
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um die es hier geht - vorliegt, ist jedoch allein auf Grund des materiell-
rechtlichen Standpunkts des Erstgerichts zu beurteilen, auch wenn das Beru-
fungsgericht ihn nicht teilt (Senat, Urteil vom 22. September 2006
- V ZR 239/05, NJW-RR 2006, 1677 Rn. 7 und BGH, Urteil vom
1. Februar 2010 - II ZR 209/08, WM 2010, 892 Rn. 11). Hiernach begründet es
keinen Fehler im Verfahren der Vorinstanz, wenn das Berufungsgericht Partei-
vorbringen materiell-rechtlich anders beurteilt als das Erstgericht (zum Ganzen:
BGH, Urteil vom 14. Mai 2013 - VI ZR 325/11, NJW 2013, 2601 Rn. 7 mwN).
Das hat das Berufungsgericht nicht beachtet.
bb) Nach diesen Grundsätzen scheidet ein wesentlicher Verfahrensman-
gel aus.
(1) Die Vernehmung des beurkundenden Notars zu dem von dem Kläger
behaupteten Umfang der Freistellungsverpflichtung war verfahrensrechtlich nur
geboten, wenn der in das Wissen des Zeugen gestellte Vortrag erheblich war.
Das war aber nach dem maßgeblichen materiell-rechtlichen Standpunkt des
Landgerichts nicht der Fall. Dieses hielt den Vortrag für unerheblich. Es stützt
seine Entscheidung nicht nur darauf, dass der Kläger nicht schlüssig dargelegt
habe, dass die in dem Vertrag vereinbarte Freistellungsverpflichtung auch die
Ausgleichspflichten des Klägers aus dem Innenausgleich unter Gesamtschuld-
nern im Verhältnis zu Frau K umfasse, sondern zudem auf folgende zweite
selbständig tragende Erwägung: Der angesprochenen Regelung lasse sich
auch im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung keine Verpflichtung der
Beklagten entnehmen, den Kläger ohne Vorlage einer Abrechnung über die
Einnahmen von solchen Ausgleichspflichten freizustellen. Jedenfalls mit dieser
Begründung konnte die Klage ohne Vernehmung des Notars verfahrensfehler-
frei abgewiesen werden.
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(2) Der beurkundende Notar sollte den Vortrag des Klägers bestätigen,
die Beklagte habe ihn nach dem Vertrag auch von seinen Ausgleichsverpflich-
tungen als Gesamtschuldner im Innenverhältnis zu Frau K freizustellen. Aus der
Sicht des Landgerichts kam es darauf nicht entscheidend an. Aus seiner Sicht
stellte sich dann nämlich die weitere Frage, ob die Beklagte zu einer solchen
Freistellung auch ohne Vorlage einer Abrechnung über die Einnahmen ver-
pflichtet sein sollte. Zu dieser Frage hatte der Kläger, wovon auch das Beru-
fungsgericht ausgeht, den Zeugen nicht benannt. Das Landgericht verneint die
Frage im Kern mit dem Argument, die Beklagte hätte sich nach seiner Über-
zeugung nicht auf eine Verpflichtung eingelassen, Frau K monatlich die Hälfte
des Kapitaldienstes (das sind 2.900 €) ohne Rücksicht auf die Bewirtschaf-
tungslage zu zahlen. Das Berufungsgericht kommt zum gegenteiligen Ergebnis,
stützt dieses aber nicht auf einen Verfahrensfehler des Landgerichts, sondern
auf eine andere Auslegung des Vertrags. Das erlaubt eine Zurückverweisung
an das Landgericht nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht.
c) Einer Zurückverweisung der Sache an das Landgericht nach dieser
Vorschrift steht außerdem entgegen, dass der vermeintliche Verfahrensfehler
entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts keine umfangreiche oder auf-
wendige Beweisaufnahme erforderlich macht.
aa) Den wesentlichen Verfahrensfehler sieht das Berufungsgericht, wie
ausgeführt, darin, dass das Landgericht den beurkundenden Notar nicht zum
Umfang der Freistellungsverpflichtung der Beklagten vernommen hat. Die Kor-
rektur dieses Verfahrensfehlers macht unmittelbar nur die Vernehmung des No-
tars zu dieser Frage erforderlich. Die Vernehmung eines ortsansässigen Zeu-
gen zu einem noch dazu begrenzten Beweisthema ist ebenso wie die Einnah-
me des Augenscheines (Senat, Urteil vom 22. September 2006 - V ZR 239/05,
BGH-Report 2006, 1492 Rn. 14) oder die Einholung eines Sachverständigen-
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gutachtens (BGH, Versäumnisurteil vom 16. Dezember 2004 - VII ZR 270/03,
MDR 2005, 645) weder eine umfangreiche noch eine aufwendige Beweisauf-
nahme (Begründung des Regierungsentwurfs in BT-Drucks. 14/4722 S. 102).
Das sieht das Berufungsgericht nicht anders. Es begründet die Notwendigkeit
einer umfangreichen und aufwendigen Beweisaufnahme damit, dass die Ver-
nehmung des Notars das Landgericht zu der Annahme führen könne, die Be-
klagte habe den Kläger auch von seinem Pflichten als Gesamtschuldner des
Darlehens im Verhältnis zu Frau K freizustellen, und dass dann eine umfangrei-
che Beweisaufnahme zu den von der Beklagten gerügten zahlreichen Mängeln
des Gebäudes auf dem Grundstück und dazu erforderlich werde, ob der Kläger
diese Mängel arglistig verschwiegen habe.
bb) Aus diesen Gründen kommt eine Zurückverweisung der Sache an
das Erstgericht nicht in Betracht.
(1) Nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO darf die Zurückverweisung we-
gen eines wesentlichen Verfahrensfehlers nur erfolgen, wenn auf Grund des
Fehlers eine umfangreiche oder aufwendige Beweisaufnahme „notwendig ist“.
Dazu genügte schon nach dem Wortsinn dieser Formulierung nicht, dass die
Beweisaufnahme im weiteren Verlauf des Verfahrens nur möglich (BGH, Urteil
vom 14. Mai 2013 - II ZR 76/12, WM 2013, 1210 Rn. 11) oder dass ihre Not-
wendigkeit nicht abzuschätzen ist (BGH, Versäumnisurteil vom 1. Februar 2010
- II ZR 209/08, WM 2010, 892 Rn. 16). Im Sinne von § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
ZPO notwendig ist eine Beweisaufnahme aber auch nicht, wenn sie zwar unter
bestimmten Voraussetzungen erforderlich wird, der Eintritt dieser Vorausset-
zungen aber nicht sicher ist. Die Zurückverweisung an das Erstgericht soll nach
der Konzeption des Gesetzgebers ein Ausnahmefall bleiben; sie ist deshalb auf
Fälle zu beschränken, in denen die Durchführung des Verfahrens in der Beru-
fungsinstanz voraussichtlich zu größeren Nachteilen führt als die Zurückverwei-
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sung der Sache an das erstinstanzliche Gericht (Senat, Urteil vom
22. September 2006 - V ZR 239/05, BGH-Report 2006, 1492 Rn. 14; BGH,
Urteil vom 16. Dezember 2004 - VII ZR 270/03, MDR 2005, 645). Das ist nur
der Fall, wenn die umfangreiche oder aufwendige Beweisaufnahme durch oder
infolge der Korrektur des wesentlichen Verfahrensfehlers sicher zu erwarten ist.
(2) Daran fehlt es hier. Umfangreich würde die Beweisaufnahme hier nur,
wenn über die von der Beklagten behaupteten zahlreiche Mängel an dem Ge-
bäude auf dem Grundstück und darüber Beweis erhoben werden müsste, ob
der Kläger diese Mängel arglistig verschwiegen hat. Das wiederum hängt davon
ab, ob das Landgericht die Vereinbarung nach Vernehmung des beurkunden-
den Notars in dem von dem Berufungsgericht beschriebenen Sinne auslegt.
Das aber ist ebenso wie das Ergebnis der Vernehmung des Zeugen völlig offen.
Eine umfangreiche und aufwendige Beweisaufnahme ist deshalb nur möglich,
aber nicht sicher zu erwarten.
2. Das Berufungsurteil kann danach keinen Bestand haben. Die Sache
ist aber entgegen der Ansicht der Beklagten nicht in ihrem Sinne zur End-
entscheidung reif.
a) Die Beklagte wäre nach § 346 Abs. 1 BGB zur Rückübertragung des
von dem Kläger erworbenen Miteigentumsanteils und nach § 280 Abs. 1 und 3,
§ 281 BGB zum Schadensersatz verpflichtet, wenn sie ihre Freistellungsver-
pflichtung nicht vertragsgemäß erfüllt hätte und der Kläger deshalb nach Nr. 5.6
des Vertrags zum Rücktritt berechtigt gewesen wäre und auf Grund dessen den
geltend gemachten Schaden erlitten hätte. Das wäre der Fall, wenn die Beklag-
te den Kläger auch von seinen Ausgleichsverpflichtungen als Gesamtschuldner
der Darlehensverpflichtungen im Verhältnis zu Frau K freizustellen hätte und
wenn sie dazu ohne vorherige Abrechnung der Einnahmen verpflichtet wäre.
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b) Ob die Regelung in diesem Sinne auszulegen ist, wenngleich beides
im Text der Regelung in Nr. 3.2 (a) des Vertrags über die Modalitäten der Frei-
stellungsverpflichtung der Beklagten keinen Niederschlag findet, lässt sich ohne
ergänzende Feststellungen nicht beurteilen.
aa) Die Parteien haben in ihrem Vertrag einerseits bestimmt, dass der
Kaufpreis für den Miteigentumsanteil, den der Kläger der Beklagten übertragen
hat, in Höhe von 500.000 € (das sind etwa 5/6 des Kaufpreises) durch Freistel-
lung des Klägers von seinen Verpflichtungen aus dem Darlehen „bezahlt“ wer-
den soll, das er und Frau K zur Anschaffung des Grundstücks aufgenommen
haben. Andererseits haben die Parteien in Nr. 3.2 (a) des Vertrags diese Frei-
stellungsverpflichtung näher ausgestaltet und bestimmt, dass die Beklagte ihr
durch den Ausgleich von Unterdeckungen des Hauskontos nachzukommen hat.
Das Zusammenspiel dieser beiden Regelungen ist dadurch gestört, dass Frau
K die Darlehensraten offenbar nicht mehr von dem Hauskonto bezahlt oder von
diesem Konto abbuchen lässt. Die Regelung in Nr. 3.2 (a) verfehlt als Folge
dieser Veränderung ihren Zweck.
bb) Nach den Vorbemerkungen ihres Vertrags standen die Parteien vor
der Schwierigkeit, dass die Beklagte einerseits den Kläger von seinen Darle-
hensverpflichtungen freistellen sollte, andererseits aber nicht auf die Einnah-
men aus der Vermietung zugreifen konnte, weil die andere Miteigentümerin,
Frau K, die Mieten allein vereinnahmte und darüber nicht abrechnete. Die Par-
teien haben mit der Regelung in Nr. 3.2 (a) des Vertrags versucht, dieser
Schwierigkeit dadurch zu begegnen, dass die Freistellung durch Auffüllungen
von Unterdeckungen des Hauskontos erfolgen sollte. Wenn nämlich, wie von
den Parteien im ersten Absatz dieser Regelung vorausgesetzt, der Kapital-
dienst weiterhin von dem Hauskonto eingezogen würde, würden durch die vor-
gesehene Auffüllung dieses Kontos sowohl die angestrebte Freistellung des
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Klägers als auch die Anrechnung der Einnahmen zugunsten der Beklagten
auch ohne Abrechnung gelingen. Die Erwartung der Parteien ist indessen nicht
eingetreten. Frau K verlangt jetzt - wohl als Folge einer geänderten Abwicklung
der Darlehensverpflichtungen - von dem Kläger (nach § 426 BGB) Ausgleich im
Innenverhältnis. Damit können die der Regelung in Nr. 3.2 (a) des Vertrags zu-
gedachten Wirkungen nicht mehr eintreten. Die Beklagte kann den Kläger nicht
freistellen, indem sie das Hauskonto auffüllt. Denn dessen Unterdeckungen bil-
den nur noch die Defizite bei den Verwaltungskosten ab, nicht jedoch die Dar-
lehensverbindlichkeiten. Ein Ausbleiben von Unterdeckungen führt auch nicht
ohne weiteres zu der angestrebten gewissermaßen „automatischen“ Verrech-
nung der Einnahmen zugunsten der Beklagten.
cc) Es spricht einiges dafür, dass die Beklagte den Kläger als Folge die-
ser Veränderung auch von seinen Verpflichtungen als Gesamtschuldner im In-
nenverhältnis zu Frau K freizustellen hat. Die Parteien haben in Nr. 3.2 (a) Ab-
satz 3 des Vertrags als Alternative zur Auffüllung des Hauskontos zwar eine
unmittelbare Zahlung der Beklagten an die Bank vorgesehen. Auch diese Mög-
lichkeit der Freistellung kommt aber nur in Betracht, wenn die finanzierende
Bank die Erbringung der Darlehensraten in zwei Teilleistungen ihrer Darlehens-
nehmer akzeptiert und sich nicht nur an einen von ihnen hält, wozu sie nach
§ 421 Satz 1 BGB berechtigt ist und was sie offenbar auch so handhabt. Dann
kann die geschuldete Freistellung nur gelingen, wenn der Kläger von seinen
Ausgleichspflichten freigestellt wird.
dd) Eine Verpflichtung zur Freistellung auch von diesen Verpflichtungen
muss einerseits nicht bedeuten, darin ist der Beklagten Recht zu geben, dass
der Kläger von ihr ohne vorherige Abrechnung über die Einnahmen aus dem
Grundstück Freistellung verlangen kann. Auszuschließen ist diese Folge ande-
rerseits auch nicht. Die Notwendigkeit einer Abrechnung begründete einen Ein-
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wand gegen die Ausgleichsverpflichtung des Klägers. Nach allgemeinen
Grundsätzen wäre die Geltendmachung solcher Einwände nicht Aufgabe des
Freistellungsberechtigten - hier des Klägers -, sondern Sache des Freistel-
lungsverpflichteten - hier der Beklagten (Senat, Urteil vom 19. April 2002
- V ZR 3/01, NJW 2002, 2382; BGH, Urteil vom 15. Dezember 2010
- VIII ZR 86/09, WM 2011, 861 Rn. 12). Die Parteien könnten mit der Regelung
in Nr. 3.2 (a) zugunsten der Beklagten von diesen Grundsätzen abgewichen
sein, um ihr die an sich gebotene Auseinandersetzung mit Frau K zu ersparen.
Ob sich die Auseinandersetzung der Beklagten mit Frau K angesichts deren
offenbar geänderter Praxis bei der Abwicklung der Darlehensverpflichtungen
weiterhin vermeiden lässt, ist jedoch zweifelhaft. Der Kläger hat der Beklagten
nämlich seinen Miteigentumsanteil mit allen begleitenden Rechten und Befug-
nisse übertragen. Das führt dazu, dass jetzt nur noch die Beklagte eine rechtli-
che Möglichkeit hat, Frau K zu einer Abrechnung der Einnahmen zu zwingen,
nicht jedoch der Kläger.
Zur Anschlussrevision des Klägers
Auch die Anschlussrevision des Klägers hat teilweise Erfolg.
1. Zu seinen Gunsten ist zu berücksichtigen, dass das Berufungsgericht
die Sache nicht an das Landgericht zurückverweisen durfte, sondern selbst eine
Sachentscheidung treffen musste.
a) Verfahrensfehler, zu denen auch die fehlerhafte Anwendung von
§ 538 Abs. 2 ZPO gehört (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 - XI ZR 317/95,
MDR 1997, 590), sind allerdings nach § 554 Abs. 3 Satz 2, § 551 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 Buchstabe b ZPO zugunsten des Anschlussrevisionsführers nur zu be-
rücksichtigen, wenn dieser sie auch selbst gerügt hat. Der Anschlussrevisions-
führer darf von der eigenen Rüge im Grundsatz auch dann nicht absehen, wenn
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der Revisionsführer die Rüge erhoben hat und sie das gesamte Verfahren be-
trifft. Etwas anderes gilt nur in dem Sonderfall, dass die Angriffe beider Seiten in
einem untrennbaren Zusammenhang stehen (BGH, Urteil vom 26. Okto-
ber 1993 - VI ZR 155/92, NJW 1994, 801, 803; MüKoZPO/Krüger, 4. Aufl.,
§ 554 Rn. 12; Wieczorek/Prütting, ZPO, 4. Aufl., § 554 Rn. 12). Dieser Sonder-
fall liegt hier vor.
b) Rügt der Anschlussrevisionsführer Verfahrensfehler nicht, wäre über
sein Rechtsmittel an sich unter Zugrundelegung des Verfahrens als fehlerfrei zu
entscheiden (MüKoZPO/Krüger, aaO). Das ist indessen nicht möglich, wenn
- wie hier - das Berufungsgericht als Folge einer Kassationsentscheidung nach
§ 538 Abs. 2 ZPO die für eine revisionsgerichtliche Entscheidung erforderlichen
tatsächlichen Feststellungen nicht getroffen hat. Das Fehlen dieser Feststellun-
gen führt dann dazu, dass der von dem Revisionsführer mit Erfolg gerügte Ver-
fahrensfehler dem Anschlussrevisionsführer ausnahmsweise auch ohne eigene
Verfahrensrüge zugutekommt.
2. Die Sache ist entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht in seinem
Sinne zur Endentscheidung reif.
a) Die von den Parteien vereinbarte Erfüllung der Freistellungsverpflich-
tung der Beklagten durch Auffüllung des Hauskontos verfehlt zwar ihren Zweck.
Das kann dazu führen, dass die Beklagte den Kläger auch von seinen Verpflich-
tungen als Gesamtschuldner des Darlehens im Verhältnis zu Frau K freizustel-
len hat. Ohne nähere Feststellungen lässt sich aber nicht entscheiden, ob diese
Freistellung auf bloße Anforderung des Klägers zu erfolgen hat oder erst nach
einer Abrechnung der Einnahmen. Zur näheren Erläuterung wird auf die Aus-
führungen zu dem entsprechenden Vorbringen der Beklagten Bezug genom-
men.
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b) Nichts anderes gilt, soweit der Kläger einen weiteren Rücktritt auf die
Weigerung der Beklagten gestützt hat, ihn von dem auf ihn entfallenden Teil
von Darlehensraten unmittelbar gegenüber der finanzierenden Bank freizustel-
len. Dazu wäre die Beklagte zwar nach Nr. 3.2 (a) Absatz 3 des Vertrags be-
rechtigt. Ohne nähere Feststellungen lässt sich aber nicht entscheiden, ob sie
dazu als Folge des Scheiterns einer Freistellung durch Auffüllung des Hauskon-
tos ohne vorherige Einnahmenabrechnung auch verpflichtet ist.
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III.
Die Sache ist deshalb unter Aufhebung des Berufungsurteils zur neuen
Verhandlung und (eigenen) Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzu-
verweisen.
Stresemann Schmidt-Räntsch Brückner
Göbel Haberkamp
Vorinstanzen:
LG Leipzig, Entscheidung vom 02.10.2013 - 4 O 2994/12 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 08.07.2014 - 14 U 1754/13 -
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