Urteil des BGH vom 15.07.2016

Leitsatzentscheidung zu Anbau, Grundstück, Überbau, DDR

ECLI:DE:BGH:2016:150716UVZR195.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 195/15
Verkündet am:
15. Juli 2016
Rinke
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
SachenRBerG § 3 Abs. 2
Wurde im Beitrittsgebiet vor dem 3. Oktober 1990 über die Grenze gebaut, folgt
daraus allein kein Anspruch auf Ankauf der überbauten Flächen zu den Bedingun-
gen des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes.
BGB § 912
Die entsprechende Anwendung von § 912 BGB auf einen nachträglichen über die
Grenze gebauten Anbau hängt nicht davon ab, in welchem Umfang der Anbau auf
dem überbauten Grundstück steht, sondern von den mit dem Abbruch des Anbaus
verbundenen Folgen für das auf dem Grundstück des Überbauenden stehende
Gebäude.
BGH, Urteil vom 15. Juli 2016 - V ZR 195/15 - OLG Rostock
LG Rostock
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 15. Juli 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterin
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richter Dr. Czub, Dr. Kazele und Dr. Göbel
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Oberlandesge-
richts Rostock - 3. Zivilsenat - vom 30. Juli 2015 unter Zurückwei-
sung des Rechtsmittels im Übrigen im Kostenpunkt und insoweit
aufgehoben, als die Klage wegen des Antrags abgewiesen wor-
den ist festzustellen, dass der Beklagten ein Anspruch auf Zah-
lung einer Pacht/Nutzungsgebühr für die Nutzung ihres Grund-
stücks für den Anbau nicht zusteht (Antrag zu 2).
Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur neuen Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisions-
verfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Kläger kauften mit notariellem Vertrag vom 14. Februar 1968 ein
Grundstück in Rostock-Warnemünde. Das Grundstück war seinerzeit mit einem
Wohngebäude bebaut, das sich zur Straße hin mit einer abbruchreifen über-
dachten Veranda in Holzbauweise fortsetzte. Die Veranda stand auf einer Flä-
che von etwa 25 m² auf dem angrenzenden - seinerzeit volkseigenen - Grund-
stück der Beklagten. Auf Grund einer Baugenehmigung vom 8. Mai 1968 zu
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„Aufstockung, Werterhaltung und Teilabbruch“ wurde u. a. die Holzveranda
samt Fundament vollständig abgerissen und durch einen Massivbau aus Mau-
erwerk mit massivem neuen Fundament und Betondecke ersetzt. Die Arbeiten
insgesamt waren 1970 abgeschlossen. Bei dem Erwerb des Grundstücks und
den späteren Baumaßnahmen nahmen die Kläger an, sie hätten auch die Flä-
che erworben, auf der die abgerissene Holzveranda stand.
Mit Schreiben vom 10. März 2010 kündigte die Beklagte einen angeblich
bestehenden Leihvertrag über die mit dem Anbau bebaute Teilfläche ihres
Grundstücks. Sie verlangt von den Klägern unter Zugrundelegung eines Ver-
kehrswerts von 344
€/m² die Zahlung eines Nutzungsentgeltes, zuletzt - für die
Zeit ab dem 1. Januar 2012 -
in Höhe von 602,04 € im Jahr. Ein auf Antrag der
Kläger eingeleitetes notarielles Vermittlungsverfahren nach dem Sachenrechts-
bereinigungsgesetz wurde im Juli 2012 ausgesetzt.
Die Kläger meinen, ihnen stehe ein Anspruch auf Ankauf der für den An-
bau in Anspruch genommenen Fläche nach dem Sachenrechtsbereinigungsge-
setz zu. Jedenfalls handele es sich bei dem Anbau um einen von der Beklagten
zu duldenden Überbau. Sie beantragen die Feststellung ihrer Ankaufsberechti-
gung nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz und die Feststellung, dass
der Beklagten der geltend gemachte Anspruch auf Nutzungsentgelt nicht zuste-
he. Die Beklagte stellt sowohl die Ankaufsberechtigung der Kläger als auch de-
ren Annahme in Abrede, sie habe den Anbau als Überbau zu dulden.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat
die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Mit der von dem Oberlandesgericht
zugelassenen Revision verfolgen diese ihre Feststellungsanträge weiter. Die
Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
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Entscheidungsgründe:
I.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts steht den Klägern der geltend ge-
machte Anspruch auf Ankauf der für den Anbau in Anspruch genommenen Flä-
che nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz nicht zu. Dieses Gesetz erfas-
se die bauliche Nutzung des Grundstücks der Beklagten durch die Kläger nicht.
Es betreffe nach seinem § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b nur das „spezifisch im
R
echt der ehemaligen DDR verankerte selbstständige Gebäudeeigentum“. Sol-
ches Gebäudeeigentum liege hier nicht vor. Etwas anderes ergebe sich auch
nicht aus § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe c, § 4 Nr. 1 und § 5 Abs. 1 Nr. 3 Sachen-
RBerG. Die Kläger hätten das Grundstück der Beklagten schon nicht, wie aber
von den Vorschriften vorausgesetzt,
„in Besitz genommen“, sondern den vor-
handenen Besitz der Verkäuferin übernommen. Es liege weder eines der Re-
gelbeispiele der zuletzt genannten Vorschrift noch ein sonstiger hängender Fall
vor. Vielmehr handele es sich um einen Überbau. Auf die Bereinigung solcher
Überbauungsfälle sei das Gesetz nach dem in § 3 Abs. 2 Satz 2 SachenRBerG
bestimmten Nachzeichnungsprinzip nicht anzuwenden.
Der negative Feststellungsantrag der Kläger scheitere daran, dass kein
Überbau vorliege, den die Beklagte zu dulden hätte. Um einen rechtmäßigen
Überbau auf Grund eines Einverständnisses der Beklagten oder einer Verein-
barung könne es nicht gehen, da die Kläger beides in Abrede stellten und für
beides auch nichts ersichtlich sei. Auch ein entschuldigter Überbau liege nicht
vor. Die Annahme eines Überbaus im Sinne von § 912 BGB scheide bei einem
nachträglichen Anbau aus, wenn dieser - wie hier - mit seinen Abmessungen
vollständig auf dem Nachbargrundstück stehe. Es könne deshalb offen bleiben,
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ob auch die übrigen Voraussetzungen eines entschuldigten Überbaus vorlägen,
insbesondere, ob der Anbau ohne wesentliche Beeinträchtigung des Grund-
stücks der Kläger entfernt werden könne.
II.
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nur teilweise stand.
1. Zu Recht hat das Berufungsgericht die nach § 108 Abs. 1 Sachen-
RBerG zulässige Klage auf Feststellung des Bestehens einer Ankaufsberechti-
gung der Kläger nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz abgewiesen. Die
Kläger sind nicht berechtigt, die für den Anbau in Anspruch genommene Fläche
auf dem Grundstück der Beklagten nach Maßgabe des Sachenrechtsbereini-
gungsgesetzes anzukaufen.
a) Nach § 61 Abs. 1 SachenRBerG kann der Nutzer vom Grundstücks-
eigentümer die Annahme eines Angebots für einen Grundstückskaufvertrag
verlangen, wenn der Inhalt des Angebots den Bestimmungen der §§ 65 bis 74
SachenRBerG entspricht. Diese Vorschrift ist, soweit hier von Interesse, nur
anwendbar, wenn ein nach § 1 Abs. 1 SachenRBerG bereinigungsfähiges
Rechtsverhältnis an dem anzukaufenden Grundstück im Beitrittsgebiet besteht
und eine nach §§ 4 und 5 SachenRBerG bereinigungsfähige bauliche Nutzung
vorliegt. Die bereinigungsfähige Nutzung könnte sich hier nur unter dem Ge-
sichtspunkt einer Nutzung für den Bau von Eigenheimen nach § 5 Abs. 1 Nr. 3
SachenRBerG ergeben. Danach liegt eine nach den Grundsätzen des Sachen-
bereinigungsgesetzes bereinigungsfähige bauliche Nutzung vor, wenn Grund-
stücke mit Billigung staatlicher Stellen in Besitz genommen und mit einem Ei-
genheim bebaut worden sind. Daran fehlt es hier.
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b) Das ergibt sich allerdings nicht schon daraus, dass die Kläger auf dem
Grundstück der Beklagten kein Eigenheim, sondern nur einen Anbau errichtet
haben. Denn nach § 5 Abs. 2 Satz 2 SachenRBerG gelten die Bestimmungen
des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes über Eigenheime auch für mit Billigung
staatlicher Stellen errichtete Nebengebäude wie Werkstätten oder Lagerräume.
Unschädlich ist ferner, dass die von den Klägern auf dem Grundstück der Be-
klagten vorgenommene Bebauung keiner der in § 5 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2
SachenRBerG bestimmten Fallgruppen entspricht. Hierbei handelt es sich nur
um Regelbeispiele. Mit § 5 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 SachenRBerG hat der Gesetz-
geber einen Auffangtatbestand geschaffen, der auch bislang unentdeckte Fälle
einer Bereinigung zugänglich macht (Senat, Urteil vom 21. März 2003
- V ZR 290/02, WM 2003, 1908, 1909 f.).
c) Ein solcher unentdeckter Fall kann nach der Rechtsprechung des Se-
nats aber nur angenommen werden, wenn er bei wertender Betrachtung einem
der in Satz 2 der Vorschrift genannten Regelbeispiele gleichzustellen ist oder
aus sonstigen Gründen nach der gesetzlichen Zielsetzung dem Schutzbereich
des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes unterfällt (vgl. SachenRÄndG-RegE,
BT-Drucks. 12/5992, S. 102; Senat, Urteile vom 16. Oktober 1998
- V ZR 390/97, WM 1999, 94, 97, vom 12. März 1999 - V ZR 143/98, WM 1999,
968 f. und vom 3. Mai 2002 - V ZR 246/01, VIZ 2002, 642, 643). Diese Vor-
aussetzungen liegen hier nicht vor.
aa) Der Fall der Kläger steht bei wertender Betrachtung keinem der in
§ 5 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 SachenRBerG genannten Regelbeispiele gleich. Sie alle
erfassen Fälle, in denen die an sich vorgesehene Verleihung oder Zuweisung
von Nutzungsrechten für die Eigenheimnutzung ausgeblieben und Wohn- und
Stallgebäude für die persönliche Hauswirtschaft oder Eigenheime ohne oder
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ohne sachgerechte Absicherung auf fremden Grundstücken errichtet, rekonstru-
iert oder neuerrichtungsgleich ausgebaut worden sind. Diesen Regelbeispielen
hat der Senat etwa den Fall gleichgestellt, dass eine Kleingartenparzelle zu
Wohnzwecken genutzt wurde, aber nicht festzustellen war, ob die Baulichkeit
auf Grund eines Nutzungsvertrags nach § 312 ZGB errichtet worden war (Urteil
vom 3. Mai 2002 - V ZR 246/01, aaO). Die Kläger haben aber kein Eigenheim
auf fremdem Grund und Boden errichtet, rekonstruiert oder ausgebaut, sondern
ihr auf dem eigenen Grundstück stehendes Wohnhaus ausgebaut und bei der
in diesem Zusammenhang vorgenommenen Erneuerung des Anbaus auf das
Nachbargrundstück übergebaut.
bb) Ein solcher Fall kann auch nicht aus sonstigen Gründen nach der
gesetzlichen Zielsetzung in den Schutzbereich des Sachenrechtsbereinigungs-
gesetzes einbezogen werden. Seine Einbeziehung stünde nämlich im Wider-
spruch zu den in § 3 Abs. 2 des Gesetzes bestimmten Regelungszielen.
(1) Das Sachenrechtsbereinigungsgesetz dient in erster Linie dazu, die in
Art. 233 § 3 Abs. 2 EGBGB in der Fassung des Einigungsvertrags vorbehaltene
Bereinigung der zunächst aufrechterhaltenen beschränkten dinglichen Rechte
und ihre Anpassung an die Bedingungen des Sachenrechts des Bürgerlichen
Gesetzbuchs vorzunehmen und dabei insbesondere auch die Rechte der
Grundstückseigentümer angemessen zu regeln. Dieses Regelungsziel be-
schreibt das Gesetz in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 3 SachenRBerG. Hierbei ist
der Gesetzgeber, wie die erwähnten Regelbeispiele in § 5 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2
SachenRBerG zeigen, nicht stehengeblieben. In Anlehnung an den Grundge-
danken des Schutzes von baulichen Investitionen bei Überbauten nach § 912
BGB sollten ungesicherte bauliche Investitionen in die Regelung einbezogen
werden (Entwurfsbegründung in BT-Drucks. 12/5992 S. 62). Eine Investitionssi-
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cherung durch die Einräumung eines Anspruchs auf Ankauf von Grund und Bo-
den zum halben Bodenwert oder auf Bestellung eines Erbbaurechts zur Hälfte
des üblichen Erbbauzinses sollte aber nur erfolgen, wenn in dem Recht der
DDR eine
„Verdinglichung“ durch Nutzungsrechte vorgesehen war (Entwurfs-
begründung in BT-Drucks. 12/5992 S. 56). Entsprechend diesem mit § 3 Abs. 2
Satz 2 SachenRBerG auch Gesetz gewordenen Nachzeichnungsprinzip können
deshalb in die Bereinigung nach Maßgabe des Sachenrechtsbereinigungsge-
setzes nur Fälle einbezogen werden, in denen eine Absicherung durch Nut-
zungs- oder vergleichbare Rechte nach den maßgeblichen Vorschriften der
DDR möglich war (Senat, Urteil vom 12. Oktober 2012 - V ZR 187/11, NJW-RR
2013, 789 Rn. 26) und infolge eines für die DDR typischen strukturellen Voll-
zugsdefizits planwidrig unterblieben ist (Senat, Urteile vom 16. Oktober 1998
- V ZR 390/97, WM 1999, 94, 97, vom 14. November 2003 - V ZR 72/03, WM
2004, 1394, 1395, vom 20. Februar 2009 - V ZR 184/08, NJW-RR 2009, 1028
Rn. 11 und vom 23. Januar 2015 - V ZR 318/13, ZOV 2015, 135 Rn. 23). Da-
raus ergibt sich allerdings auch, dass das Sachenrechtsbereinigungsgesetz
keine Anwendung findet, wenn die dingliche Absicherung einer baulichen Nut-
zung nicht planwidrig unterblieben und auch nicht an einem für die DDR typi-
schen Vollzugsdefizit gescheitert ist (Senat, Urteil vom 4. März 2005
- V ZR 148/04, ZOV 2005, 164, 165; ähnlich Urteil vom 27. September 2002
- V ZR 262/01, VIZ 2003, 90, 91 f.).
(2) Der zuletzt genannte Ausnahmefall liegt hier, worauf das Berufungs-
gericht letztlich auch entscheidend abstellt, vor.
(a) Der Senat hat allerdings, das ist den Klägern einzuräumen, einen un-
entdeckten Fall der Sachenrechtsbereinigung in einem Fall angenommen, in
dem einem Nutzer durch die LPG ein Nutzungsrecht an einer in die LPG einge-
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brachten, noch unvermessenen Fläche zugewiesen wurde und sich bei der spä-
teren Einmessung herausstellte, dass eine Klärgrube, eine Gartenmauer und
eine Treppe außerhalb der Grenze des Nutzungsrechts auf fremdem Boden
angelegt worden waren (Urteil vom 12. März 1999 - V ZR 143/98, WM 1999,
968, 969). Im Ergebnis hatten die Nutzer hier zwar auch ein fremdes Grund-
stück mit Nebenbauwerken überbaut. Seine Ursache hatte dieser Fehler aber
darin, dass die Bebauung auf der Grundlage eines Nutzungsrechts erfolgte, das
die LPG ihnen ohne konkrete Festlegung der zu bebauenden Fläche zugewie-
sen hatte und dass diese Nebenanlagen bei der späteren Einmessung einem
anderen nicht mit dem Nutzungsrecht belasteten Flurstück zugeordnet wurden.
Demgegenüber haben die Kläger bei der Rekonstruktion des Wohnhauses auf
ihrem vermessenen Innenstadtgrundstück mit dem Anbau über die Grenze ge-
baut. Solche Überbauungsfälle sind nicht die Folge eines für die DDR typischen
Vollzugsdefizits, sondern die Folge von Fehlern bei der Planung und Ausfüh-
rung von Bauten durch den Eigentümer. Sie kamen schon immer und kommen
nach wie vor im gesamten Bundesgebiet vor. Sie sind seit dem Inkrafttreten des
Bürgerlichen Gesetzbuchs am 1. Januar 1900 in § 912 BGB (Überbau) geregelt
und hatten in der ehemaligen DDR auch unter Geltung des Zivilgesetzbuchs
eine ähnliche Ausgestaltung gefunden (§ 320 ZGB). Solche Fälle waren befrie-
digend geregelt und bedurften keiner Bereinigung. Die Bereinigung solcher
Überbauungen nach den Grundsätzen des Kapitels 2 des Sachenrechtsbereini-
gungsgesetzes wäre deshalb auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehand-
lung nicht zu rechtfertigen.
(b) Sie ließe sich jedenfalls nicht mit dem Nachzeichnungsprinzip be-
gründen, sondern stünde dazu vielmehr im Widerspruch. Die Kläger hätten die
für den Anbau in Anspruch genommene Fläche auf dem Grundstück der Be-
klagten in der DDR weder kaufen noch hierfür an dem Grundstück eine ander-
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weitige eigentumsähnliche Absicherung erlangen können, die ein Ankaufsrecht
zu den Bedingungen des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes rechtfertigen
könnte.
(aa) Ein Erwerb der bebauten Teilfläche kam nicht in Betracht, weil das
Grundstück bis zum 3. Oktober 1990 in Volkseigentum stand. Ein förmliches
Verbot der Veräußerung von Volkseigentum ist zwar erst durch den am
1. Januar 1977 in Kraft getretenen § 20 Abs. 3 ZGB geschaffen worden. Volks-
eigentum wurde aber, dessen ungeachtet, auch schon vorher - und damit auch
bei Errichtung des Anbaus bis spätestens 1970 - nicht mehr an Bürger verkauft.
Vorgesehen war vielmehr seinerzeit wie auch später nur die Verleihung von
Nutzungsrechten für die Errichtung oder den Erwerb von Eigenheimen etwa
nach § 8 des Gesetzes über die Aufnahme des Bausparens vom 15. Septem-
ber 1954 (GBl. I S. 783) und der Verkauf volkseigener Eigenheime etwa nach
dem Gesetz über den Verkauf volkseigener Eigenheime und Siedlungshäuser
vom 15. September 1954 (GBl. I S. 784). Daran hat sich mit der Aufhebung von
§ 20 Abs. 3 ZGB zum 1. Juli 1990 durch Gesetz vom 28. Juni 1990 (GBl. I
S. 524) nichts geändert.
(bb) Der Erwerb eines solchen Nutzungsrechts oder von Gebäudeeigen-
tum an dem Anbau wäre nicht in Betracht gekommen, da es nicht um die Er-
richtung oder den Erwerb eines Eigenheims auf volkseigenem Grund, sondern
lediglich um einen Anbau an ein auf Privateigentum stehenden Wohnhauses
handelte. Die Bestellung eines Erbbaurechts wäre damals schon aus ideologi-
schen Gründen (vgl. dazu Rohde in: Prorektorat für Forschung der deutschen
Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft, Bodenrecht [1961], S. 96 ff.,
115 f.) nicht in Betracht gekommen. Sie war aber auch rechtlich unzulässig.
Denn es hätte sich um ein Nachbarerbbaurecht gehandelt, das, wie sich heute
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im Umkehrschluss aus § 39 Abs. 3 SachenRBerG ergibt, nach dem seinerzeit
auch in der DDR noch geltenden § 1 Abs. 3 ErbbauVO (= § 1 Abs. 3
ErbbauRG) nicht zulässig ist (vgl. Senat, Urteil vom 22. Juni 1973
- V ZR 160/71, WM 1973, 999, 1000; Lemke/Czub, Immobilienrecht, 2. Aufl.,
§ 1 ErbbauRG Rn. 10).
2. Die von dem Berufungsgericht gegebene Begründung rechtfertigt in-
dessen nicht die Abweisung des nach § 256 ZPO ebenfalls zulässigen Antrags
der Kläger festzustellen, dass der Beklagten ein Anspruch auf Pacht oder Nut-
zungsentgelt nicht zusteht. Die Entscheidung erweist sich insoweit auch nicht
aus einem anderen Grund als richtig (§ 561 ZPO).
a) Mit dem Feststellungsantrag wenden sich die Kläger nicht gegen eine
Verpflichtung zur Zahlung einer Überbaurente. Sie wenden sich vielmehr gegen
die Annahme der Beklagten, sie habe den Anbau nicht als Überbau zu dulden
und könne deshalb Nutzungsentschädigung nach § 988 BGB verlangen.
b) Das Berufungsgericht hält die Annahme der Beklagten für richtig. Sei-
ne Begründung trägt diese Entscheidung indessen nicht.
aa) Noch zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der An-
bau an das Haus der Kläger ein Überbau sein kann, obwohl er erst nachträglich
angefügt ist. Denn auf den nachträglichen Überbau sind die Vorschriften über
den Überbau im Grundsatz entsprechend anzuwenden (Senat, Urteil vom
19. September 2008 - V ZR 152/07, NJW-RR 2009, 24 Rn. 10).
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bb) Unzutreffend ist aber die weitere Annahme des Berufungsgerichts,
der Anbau könne schon deshalb kein Überbau sein, weil er vollständig auf dem
Grundstück der Beklagten stehe.
(1) Das Berufungsgericht geht in Übereinstimmung mit dem Kammerge-
richt (ZfIR 2000, 371, 373) davon aus, dass ein Überbau begrifflich ausscheidet,
wenn ein selbständiger Anbau vollständig auf dem überbauten Grundstück
steht (ebenso auch in seinem unveröffentlichten Urteil vom 12. November 2009
- 3 U 30/08). Das Kammergericht stützt seine Ansicht auf eine Entscheidung
des Reichsgerichts (RGZ 169, 172, 178), die jedoch einen Zwischenbau betrifft,
der sich keinem der angrenzenden Gebäude zuordnen lässt. Ihm sind außer
dem Berufungsgericht das Hanseatische Oberlandesgericht (Urteil vom
28. September 2012 - 11 U 76/12, juris Rn. 46) und Teile der Literatur gefolgt
(Bamberger/Roth/Fritzsche, BGB, 3. Aufl., § 912 Rn. 11 a.E.; Erman/A. Lorenz,
BGB, 14. Aufl., § 912 Rn. 3 a.E.; Palandt/Bassenge, BGB, 75. Aufl., § 912 Rn. 6
a.E.). Nach anderer Ansicht kommt es auch in solchen Fällen darauf an, ob der
Anbau und das ursprüngliche Gebäude eine Einheit darstellen (Tersteegen,
RNotZ 2006, 433, 441). Nach einer dritten Ansicht soll entscheidend sein, ob
der Anbau ohne Nachteil für das Hauptgebäude abgerissen werden kann
(Staudinger/Roth, BGB [2016], § 912 Rn. 17).
(2) Der Senat hat das Urteil des Kammergerichts aus anderen Gründen
aufgehoben und die Frage seinerzeit offen gelassen (Urteil vom 22. Sep-
tember 2000 - V ZR 443/99, ZfIR 2001, 69, 70). Er entscheidet sie jetzt im Sin-
ne der zuletzt genannten Ansicht.
(a) Die Vorschrift des § 912 BGB beruht auf dem Rechtsgedanken, dass
die mit der Beseitigung eines Überbaus verbundene Zerschlagung wirtschaftli-
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cher Werte vermieden werden soll, die dadurch entsteht, dass sich der Abbruch
eines überbauten Gebäudeteils meist nicht auf diesen beschränken lässt, son-
dern zu einer Beeinträchtigung und Wertminderung auch des bestehen blei-
benden, auf eigenem Grund gebauten Gebäudeteils führt (Senat, Urteile vom
4. April 1986 - V ZR 17/85, BGHZ 97, 292, 294, vom 16. Januar 2004
- V ZR 243/03, BGHZ 157, 301, 304 und vom 19. September 2008
- V ZR 152/07, NJW-RR 2009, 24 Rn. 10; Staudinger/Roth BGB [2016], § 912
Rn. 1; MüKoBGB/Säcker, 6. Aufl., § 912 Rn. 1). Der mit § 912 BGB verfolgte
Regelungszweck lässt sich nicht durch eine dem Wortsinn verhaftete Ausle-
gung der Vorschrift sachgerecht verwirklichen, sondern nur durch eine Ausle-
gung, die den Zweck der Vorschrift in den Blick nimmt (Senat, Urteil vom
27. März 2015 - V ZR 216/13, BGHZ 204, 364 Rn. 30).
(b) Bei Veränderungen eines bestehenden Gebäudes wird der Grundge-
danke des § 912 BGB nicht in jedem Fall zum Tragen kommen und daher nicht
stets von einem Überbau im Rechtssinne auszugehen sein. Dies gilt insbeson-
dere bei nachträglich angefügten Gebäudeteilen, wie Fensterläden und Marki-
sen, weil bei deren Beseitigung nicht von der Zerstörung wirtschaftlicher Werte
gesprochen
werden
kann
(Senat,
Urteil
vom
19. September 2008
- V ZR 152/07, NJW-RR 2009, 24 Rn. 10). Entsprechendes gilt für einen Öltank,
der nicht in das Gebäude eingefügt ist, dessen Beheizung er dient (Senat, Urteil
vom 19. Oktober 2012 - V ZR 263/11, NJW-RR 2013, 652 Rn. 17 f.). Nach die-
sen Grundsätzen muss auch ein Anbau beurteilt werden, der vollständig auf
dem überbauten Grundstück steht. Die entsprechende Anwendung von § 912
BGB auf einen nachträglichen über die Grenze gebauten Anbau hängt nicht von
dem mehr oder weniger zufälligen Umstand ab, in welchem Umfang dieser auf
dem überbauten Grundstück steht, sondern von den mit dem Abbruch des An-
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baus verbundenen Folgen für das auf dem Grundstück des Überbauenden ste-
hende Gebäude.
cc) Die danach maßgebliche Frage, ob der Anbau ohne wesentliche Be-
einträchtigung für das Wohnhaus der Kläger abgerissen werden kann, hat das
Berufungsgericht letztlich offengelassen. Es ist deshalb für das Revisionsver-
fahren zu unterstellen, dass der Anbau nicht ohne eine solche Beeinträchtigung
für das Wohnhaus der Kläger abgerissen werden kann.
dd) Zu dulden hat die Beklagte den Überbau der Kläger nach § 912 Abs.
1 BGB nur, wenn er ohne Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit erfolgte. Grobe
Fahrlässigkeit wird sich zwar nicht allein deshalb verneinen lassen, weil die
Kläger geglaubt haben, auch diese Fläche erworben zu haben. Denn auch
dann könnten sie an der Grenze gebaut haben und gehalten gewesen sein, den
Grenzverlauf zu klären (dazu: Senat, Urteile vom 19. September 2003
- V ZR 360/02, BGHZ 156, 170, 171 f. und vom 19. September 2008
- V ZR 152/07, NJW-RR 2009, 24 Rn. 12). Feststellungen dazu hat das Beru-
fungsgericht nicht getroffen. Deshalb ist für das Revisionsverfahren zu unter-
stellen, dass die Kläger ohne Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit handelten.
c) Auf dieser Grundlage lässt sich die entsprechende Anwendung von
§ 912 BGB auf den Anbau der Kläger nicht ausschließen, so dass sich die Ent-
scheidung des Berufungsgerichts auch nicht aus anderen Gründen als recht-
mäßig erweist (§ 561 ZPO).
aa) Eine Verpflichtung der Beklagten, den Anbau als Überbau zu dulden,
wäre zwar erloschen, wenn die Beklagte den Anbau im Zusammenhang mit
dessen Genehmigung widerruflich gestattet oder wenn sie den Klägern die
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Grundstücksfläche zur Nutzung für den Anbau überlassen hätte. In diesem Fall
bestünde die Verpflichtung der Beklagten zur Duldung des Anbaus nur bis zum
Widerruf der Gestattung oder zur Beendigung der Überlassung (vgl. Senat,
Urteil vom 16. Januar 2004 - V ZR 243/03, BGHZ 157, 301, 308), die hier durch
die Kündigung eines etwaigen Leihverhältnisses durch die Beklagte eingetreten
wäre.
bb) Die von der Beklagten vorgelegte Vereinbarung der (damaligen)
Stadt Rostock mit P. S. vom 10. Juni 1884 könnte zwar eine solche
Gestattung enthalten. Eine aus ihr folgende Duldungspflicht muss entgegen der
Ansicht des Berufungsgerichts auch nicht mit der Entfernung der ursprünglich
vorhandenen Holzveranda durch die Kläger entfallen sein. Die Gestattung eines
Überbaus kann nämlich im Unterschied zu einem kraft Gesetzes zu duldenden
entschuldigten Überbau (zu diesem: Senat, Urteil vom 17. Januar 2014
- V ZR 292/12, NJW-RR 2014, 973 Rn. 24; Staudinger/Roth, BGB [2016], § 912
Rn. 35) entsprechend dem Willen der daran Beteiligten auch die Duldung des
Wiederaufbaus, der Erneuerung oder der Ersetzung der erlaubten Anlage durch
eine andere umfassen. Gegenüber den Rechtsnachfolgern von P. S.
würde eine solche Gestattung aber nur wirken, wenn sie von diesen jeweils
übernommen worden ist (vgl. Senat, Urteil vom 3. Dezember 1954
- V ZR 93/53, LM Nr. 1 zu § 912 BGB Bl. 4 Rs.). Dazu könnte es durch die Re-
gelung in Nr. III des Kaufvertrags der Parteien gekommen sein. Damit hat sich
das Berufungsgericht nicht näher befasst. Der Senat kann diese Regelung nicht
selbst auslegen, weil nicht auszuschließen ist, dass sich bei näherer Aufklärung
auslegungsrelevante Feststellungen ergeben. Deshalb ist für das Revisionsver-
fahren zu unterstellen, dass aus der Regelung kein Übergang der Rechte und
Pflichten aus der Gestattung von 1884 folgt.
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cc) In einem Parallelfall hat das Berufungsgericht angenommen, dass
durch die Genehmigung und Duldung der Überbauung stillschweigend eine
Grundstückleihe zwischen der Stadt und dem Überbauenden zustande ge-
kommen ist (Urteil vom 12. November 2009 - 3 U 30/08, unveröffentlicht). Die
Beklagte hat deshalb ein zu den Klägern etwa bestehendes Leihverhältnis ge-
kündigt. Die Annahme einer (stillschweigenden) Grundstücksleihe scheitert im
Fall der Kläger indessen daran, dass diese nach den Feststellungen des Beru-
fungsgerichts sowohl bei Erwerb des Grundstücks als auch bei der Errichtung
des Anbaus glaubten, sie hätten die bebaute Fläche miterworben, und sich für
sie die Frage einer Leihe gar nicht stellte (vgl. Senat, Urteil vom
10. Februar 2012 - V ZR 51/11, WM 2012, 2035 Rn. 21 für die Bestätigung ei-
nes nichtigen Vertrags, den die Parteien für wirksam halten).
d) Sollte sich ergeben, dass die Beklagte den Anbau nicht zu dulden hat,
könnte sie Nutzungsentschädigung gemäß § 988 BGB verlangen, und zwar
entgegen der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat von dem Prozess-
bevollmächtigten der Kläger vertretenen Ansicht auch, wenn sie die dann be-
stehenden Ansprüche auf Herausgabe des Grundstücks und Beseitigung des
Anbaus nicht geltend macht. Die Norm richtet sich - anders als § 987 BGB -
gegen den unverklagten Besitzer. Sie setzt keine Vindikationsklage, sondern
nur eine Vindikationslage voraus, die auch die Kläger jederzeit durch die dann
geschuldete Herausgabe der Fläche beenden könnten.
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- 17 -
III.
Die Revision ist hinsichtlich der beantragten Feststellung eines Ankaufs-
anspruchs nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz unbegründet. Im Übri-
gen kann das Berufungsurteil dagegen keinen Bestand haben. Insoweit ist die
Sache nicht zur Entscheidung reif, weil tatsächliche Feststellungen fehlen. Der
Rechtsstreit ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Beru-
fungsgericht zurückzuverweisen.
Stresemann Schmidt-Räntsch Czub
Kazele Göbel
Vorinstanzen:
LG Rostock, Entscheidung vom 06.06.2014 - 3 O 1023/12 (2) -
OLG Rostock, Entscheidung vom 30.07.2015 - 3 U 82/14 -
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