Urteil des BGH vom 01.04.2011

Zustand, Einfluss, Besitzer, Einwirkung, Aktivlegitimation

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 193/10 Verkündet
am:
1. April 2011
Weschenfelder
Justizhauptsekretärin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 1. April 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter
Dr. Lemke und Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterinnen Dr. Brückner
und Weinland
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil des
5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 2. August 2010
aufgehoben und das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts
Essen vom 19. März 2010 abgeändert.
Der Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Hünfeld vom
29. Dezember 2009 bleibt aufrechterhalten.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Dem Ehemann der Beklagten gehört ein Reihenhaus, welches von ihnen
und ihrem Sohn bewohnt wird. In den frühen Morgenstunden des 6. März 2008
brach dort ein Brand aus, wodurch die auf der einen und auf der anderen Seite
angrenzenden Wohnhäuser beschädigt wurden. Die genaue Brandursache
konnte nicht ermittelt werden. Der von der Polizei hinzugezogene Sachverstän-
dige schloss weder einen elektrischen Defekt noch eine fahrlässige Handlung
der Beklagten als Brandursache aus. Fest steht allerdings, dass das Feuer in
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einem im Dachgeschoss gelegenen, von der Beklagten als Schlafzimmer ge-
nutzten Raum entstand. Das Zentrum des Brandgeschehens befand sich im
Bereich des Kopfendes eines Bettelements, welches über zwei elektrische Mo-
toren zum Verstellen der Liegefläche verfügte.
Die Klägerin zahlte als Gebäudeversicherer den Eigentümern der be-
schädigten Nachbarhäuser eine Entschädigung von insgesamt 79.560 € (Neu-
wertentschädigung). Von der Beklagten verlangt sie aus übergegangenem
Recht die Zahlung von 63.208,12 € (Zeitwertentschädigung). Den von dem
Amtsgericht in dieser Höhe nebst Zinsen erlassenen Vollstreckungsbescheid
hat das Landgericht aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Berufung der
Klägerin ist ohne Erfolg geblieben.
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Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die
Klägerin ihre Berufungsanträge weiter. Die Beklagte will die Zurückweisung des
Rechtsmittels erreichen.
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Entscheidungsgründe:
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts bestehen zwar grundsätzliche
Bedenken gegen die Rechtsprechung des Senats zu der analogen Anwendung
der Vorschrift des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auf "Unfallschäden", weil dadurch
die Grenze zu der Gefährdungshaftung überschritten werde. Aber unabhängig
davon scheitere der Klageanspruch bereits daran, dass er sich nicht gegen die
Beklagte richte. Schuldner des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs sei der
die beeinträchtigende Nutzungsart des emittierenden Grundstücks bestimmen-
de Grundstücksnutzer. Sehe man eine mögliche Brandursache in der Elektroin-
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stallation des Schlafzimmers, also des Hauses, sei nicht die Beklagte, sondern
allenfalls ihr Ehemann als Eigentümer und damit als für die technischen Einrich-
tungen des Hauses Verantwortlicher als ausgleichungspflichtiger Störer anzu-
sehen.
II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Klägerin steht gegen
die Beklagte ein auf sie übergegangener nachbarrechtlicher Ausgleichsan-
spruch (§ 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog, § 67 VVG aF, Art. 1 Abs. 2 EGVVG)
in der geltend gemachten Höhe zu.
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1. Unbegründet sind die von dem Berufungsgericht geäußerten Beden-
ken gegen die Senatsrechtsprechung zu der analogen Anwendung der Vor-
schrift des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auf die sogenannten technischen Unfall-
schadensfälle wie durch einen technischen Defekt an elektrischen Leitungen
verursachte Brandschäden an benachbarten Häusern (Urteil vom 11. Juni 1999
- V ZR 377/98, BGHZ 142, 66; Urteil vom 1. Februar 2008 - V ZR 47/07, NJW
2008, 992) und Wasserschäden infolge eines Rohrbruchs auf dem Nachbar-
grundstück (Urteil vom 19. Mai 1985 - V ZR 33/84, WM 1985, 1041; Urteil vom
30. Mai 2003 - V ZR 37/02, BGHZ 155, 99). In der zuletzt genannten Entschei-
dung hat der Senat - in Kenntnis der teilweise in der Literatur geäußerten Kritik -
dargelegt, dass es in diesen Fällen von der Interessenlage her nicht um die Ein-
führung einer Gefährdungshaftung für eine gefährliche Einrichtung im Verhältnis
zwischen Nachbarn, also nicht um das Einstehen für Schäden, die allein auf
das rechtmäßige Vorhandensein einer Anlage oder eine erlaubte Tätigkeit zu-
rückzuführen sind, sondern um die Haftung für rechtswidrige Störungen aus
einer bestimmungsgemäßen Grundstücksnutzung geht, die von dem beein-
trächtigten Nachbarn aus tatsächlichen Gründen nicht abgewehrt werden kön-
nen (Urteil vom 30. Mai 2003 - V ZR 37/02, BGHZ 155, 99, 103 f.). Ob und in-
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wieweit der Eigentümer oder Nutzer für den gefahrenträchtigen Zustand des
Grundstücks verantwortlich ist, kann sich jeweils nur danach richten, ob ihn aus
dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis als der Grundlage des Aus-
gleichsanspruchs nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog (Senat, Urteil vom
21. Mai 2010 - V ZR 10/10, NJW 2010, 2347, 2348) nach den Wertungskriterien
des Nachbarrechts eine Handlungspflicht trifft, er also zurechenbar den stören-
den Zustand herbeigeführt hat oder nicht (Wenzel, NJW 2005, 241, 242). Erfor-
derlich für das Bestehen des Ausgleichsanspruchs ist also stets, dass der
Grundstückseigentümer oder -nutzer Störer i.S.v. § 1004 Abs. 1 BGB ist (Senat,
Urteil vom 1. Februar 2008 - V ZR 47/07, NJW 2008, 992, 993; Urteil vom
18. September 2009 - V ZR 75/08, NJW 2009, 3787; Staudinger/Roth, BGB
[2009], § 906 Rn. 69). Wird er als solcher in Anspruch genommen, überschreitet
das nicht die Grenze zu der Gefährdungshaftung.
2. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Inan-
spruchnahme der Beklagten daran scheitere, dass sie nicht Nutzerin im Sinne
von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB des ihrem Ehemann gehörenden Grundstücks
gewesen sei.
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a) Schuldner des Ausgleichsanspruchs ist derjenige, der die Nutzungsart
des beeinträchtigenden Grundstücks bestimmt (s. nur Senat, Urteil vom 16. Juli
2010 - V ZR 217/09, NJW 2010, 3158, 3159 mwN). Das können sowohl die ihre
Grundstücke allein nutzenden Eigentümer - oder sonstige dingliche Berechtig-
te - als auch Besitzer wie Mieter oder Pächter sein; die Eigentumsverhältnisse
sind nicht entscheidend (Senat, Urteil vom 12. Dezember 2003 - V ZR 180/03,
BGHZ 157, 188, 190; Urteil vom 18. September 2009 - V ZR 75/08, NJW 2009,
3787). Das gilt in dem Bereich der unmittelbaren Anwendung der Vorschrift des
§ 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ebenso wie in dem Bereich ihrer entsprechenden An-
wendung (PWW/Lemke, BGB, 5. Aufl., § 906 Rn. 44).
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b) Entgegen der von der Klägerin in den Tatsacheninstanzen vertretenen
Ansicht, die auch in der Revisionsbegründung anklingt, reicht es somit für die
Haftung der Beklagten nicht aus, dass sie das Bett, von dem der Brand aus-
ging, allein genutzt hat; vielmehr ist auf die Benutzung des gesamten Grund-
stücks abzustellen.
c) Dass die Beklagte auf die Nutzung des Grundstücks (mit-)bestimmen-
den Einfluss ausübte, unterliegt mangels anderer Feststellungen des Beru-
fungsgerichts und anderer Anhaltspunkte keinem Zweifel. Denn anders ist
schon nicht zu erklären, dass sie - gewollt - einen der Räume in dem Dachge-
schoss des Hauses als Schlafzimmer für sich allein nutzte und mit der Nutzung
desselben Raumes als Arbeitszimmer durch ihren Ehemann einverstanden war.
Im Übrigen ist von der Beklagten in den Tatsacheninstanzen ihr (mit-)bestim-
mender Einfluss auf die Nutzungsart des Grundstücks nicht in Frage gestellt
worden, sondern nur ihre Störereigenschaft.
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3. Von der Frage, ob die Beklagte als Nutzerin des Grundstücks dem
Ausgleichsanspruch ausgesetzt sein kann, ist die Frage zu trennen, ob die wei-
teren Voraussetzungen für die Störereigenschaft erfüllt sind. Diese Trennung
kommt in dem Berufungsurteil nicht zum Ausdruck. Ihm ist jedoch zu entneh-
men, dass das Berufungsgericht die Beklagte (auch) nicht als Störerin angese-
hen hat. Das ist ebenfalls rechtsfehlerhaft.
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a) Die Störereigenschaft i.S. der §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB folgt
nach ständiger Rechtsprechung des Senats (s. nur Urteil vom 30. Mai 2003
- V ZR 37/02, BGHZ 155, 99, 105 mwN) nicht allein aus dem Eigentum oder
Besitz an dem Grundstück, von dem die Einwirkung ausgeht, und setzt auch
keinen unmittelbaren Eingriff voraus; erforderlich, aber auch ausreichend ist
vielmehr, dass die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks wenigstens mit-
telbar auf den Willen des Eigentümers oder Besitzers zurückgeht. Ob dies der
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Fall ist, kann nicht begrifflich, sondern nur in wertender Betrachtung von Fall zu
Fall festgestellt werden. Entscheidend ist, ob es jeweils Sachgründe gibt, dem
Grundstückseigentümer oder -besitzer die Verantwortung für ein Geschehen
aufzuerlegen. Dies ist dann zu bejahen, wenn sich aus der Art der Nutzung des
Grundstücks, von dem die Einwirkung ausgeht, eine "Sicherungspflicht", also
eine Pflicht zur Verhinderung möglicher Beeinträchtigungen, ergibt (Senat, Ur-
teil vom 28. November 2003 - V ZR 99/03, NJW 2004, 603, 604; Urteil vom
14. November 2003 - V ZR 102/03, BGHZ 155, 33, 42; Urteil vom 12. Dezem-
ber 2003 - V ZR 98/03, NJW 2004, 1035, 1036). Das Bestehen einer Siche-
rungspflicht in diesem Sinn ist Voraussetzung für die Störereigenschaft auch bei
Immissionen aufgrund eines technischen Defekts (Senat, Urteil vom 14. No-
vember 2003 - V ZR 102/03, BGHZ 155, 33, 42).
b) Da hier als Brandursache sowohl ein technischer Defekt als auch eine
fahrlässige Handlung der Beklagten in Betracht kommen, kann die Klage nur
Erfolg haben, wenn die Beklagte in beiden Konstellationen Störerin wäre. Das
ist der Fall.
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aa) Dass sie für eine fahrlässige Brandstiftung einstehen müsste, bedarf
keiner weiteren Erklärung.
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bb) Ist die Brandursache auf einen technischen Defekt zurückzuführen,
wäre die Beklagte ebenfalls Störerin.
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(1) Der Senat hat bereits entschieden, dass der Eigentümer eines Hau-
ses, welches infolge eines technischen Defekts seiner elektrischen Geräte in
Brand gerät, Störer ist (Urteil vom 1. Februar 2008 - V ZR 47/07, NJW 2008,
992, 993 mwN). Ob das auch für jeden Nutzer eines Hauses gilt, der dessen
Nutzungsart bestimmt und deshalb grundsätzlich als Störer in Betracht kommt,
kann offen bleiben. Für die Beklagte jedenfalls gilt nichts anderes. Denn sie war
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es, die die Gefahrenquelle, das Bettelement, benutzte und beherrschte. Sie war
für den ordnungsgemäßen Zustand sämtlicher Teile, insbesondere der Elektro-
motoren und der elektrischen Leitungen, verantwortlich. Da der Brand nicht
Folge eines von niemandem zu beherrschenden Naturereignisses war, sondern
auf Umständen beruhte, auf die die Beklagte Einfluss nehmen konnte, auch
wenn konkret kein Anlass für ein vorbeugendes Tätigwerden bestanden haben
mag, ist es gerechtfertigt, sie als Störer i.S.v. § 1004 Abs. 1 BGB anzusehen
(vgl. Senat, Urteil vom 11. Juni 1999 - V ZR 377/98, BGHZ 142, 66, 70).
(2) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann der Brand nicht auf
einen Defekt der Elektroinstallation des Hauses zurückgeführt werden. Die Klä-
gerin rügt zutreffend, dass nach den Feststellungen in dem Tatbestand des
erstinstanzlichen Urteils, auf den das Berufungsgericht in seiner Entscheidung
verwiesen hat, und nach dem Vortrag der Klägerin in der Berufungsbegründung
der Brand in dem Bereich des Bettelements, und dort im lokalen Bereich des
Kopfendes, entstanden ist. Dem hat die Beklagte nicht nur nicht widersprochen,
sondern auch diesen Entstehungsort ihren rechtlichen Überlegungen zugrunde
gelegt. Damit scheidet ein Defekt der Elektroinstallation des Raumes als mögli-
che Brandursache aus.
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III.
Da auch die weiteren Voraussetzungen für einen nachbarrechtlichen
Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog (s. dazu nur Senat,
Urteil vom 18. September 2009 - V ZR 75/08, NJW 2009, 3787 f. mwN) gege-
ben sind, kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben
(§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat hat selbst zu entscheiden, weil die Sache zur
Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Zwar hat das Berufungsgericht
- aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen zu der Aktivlegitimation der
Klägerin und zu der Höhe des geltend gemachten Anspruchs getroffen. Aber
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die Beklagte hat ausweislich des in dem Berufungsurteil in Bezug genommenen
Tatbestands des erstinstanzlichen Urteils die Forderungsaufstellung der Kläge-
rin nicht bestritten. Auch ihre Aktivlegitimation ist unstreitig. Deshalb ist auf die
Berufung der Klägerin der von dem Amtsgericht erlassene Vollstreckungsbe-
scheid aufrechtzuerhalten.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
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Krüger Lemke Schmidt-Räntsch
Brückner Weinland
Vorinstanzen:
LG Essen, Entscheidung vom 19.03.2010 - 11 O 69/10 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 02.08.2010 - I-5 U 56/10 -