Urteil des BGH vom 12.06.2015

Leitsatzentscheidung zu Grundstück, Nachbarrecht, Gestaltung, Übertritt

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 168/14
Verkündet am:
12. Juni 2015
Langendörfer-Kunz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 1004 Abs. 1 Satz 2
LNRG RP § 37 Abs. 1
Ein „Übertritt“ von Niederschlagswasser im Sinne des § 37 Abs. 1 LNRG Rheinland-
Pfalz setzt keinen oberirdischen Zufluss voraus. Dem Eigentümer eines Grundstücks
steht auch dann ein Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m.
§ 37 Abs. 1 LNRG Rheinland-Pfalz zu, wenn infolge baulicher Anlagen auf dem
Nachbargrundstück (unterirdisch) vermehrt Sickerwasser auf sein Grundstück ge-
langt.
BGH, Urteil vom 12. Juni 2015 - V ZR 168/14 - OLG Zweibrücken
LG Kaiserslautern
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. Juni 2015 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die
Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, den Richter Dr. Roth, die Richterin
Dr. Brückner und den Richter Dr. Göbel
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Pfälzi-
schen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 12. Juni 2014
wird auf Kosten des Beklagten mit der Maßgabe zurückge-
wiesen, dass der Tenor des Urteils der 3. Zivilkammer des
Landgerichts Kaiserslautern vom 26. Oktober 2012 berichti-
gend und klarstellend wie folgt neu gefasst wird:
Der Beklagte wird verurteilt, geeignete Maßnahmen zu er-
greifen, durch die verhindert wird, dass aufgrund der bauli-
chen Gestaltung seines Grundstücks in M. (eingetragen
im Grundbuch für M. , Flurstück-Nummer 76/1) vermehrt
Sickerwasser von diesem Grundstück in das angrenzende
Gartengrundstück des Klägers (H. straße 4 in M. , ein-
getragen im Grundbuch für M. , Flurstück-Nummer
662/74) einsickert, dort den Grundwasserstand erhöht und
die Nutzbarkeit des Grundstücks beeinträchtigt.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke. Der Beklagte,
der eine Kfz-Werkstatt betreibt, hat auf seinem Grundstück einen Kfz-
Abstellplatz mit Halle errichtet. Das Hallengelände ist u.a. durch Verbundstein-
pflaster teilweise versiegelt. Ein Anschluss an die öffentliche Kanalisation ist
nicht vorhanden. Es existiert eine Versickerungsanlage, um deren Wirksamkeit
die Parteien streiten,
sowie eine „Aufkantung“, die das Grundstück des Beklag-
ten zu dem Grundstück des Klägers abgrenzt. Der Kläger behauptet, das be-
nachbarte Grundstück sei baulich so gestaltet, dass Sickerwasser auf sein
Grundstück gelange; durch den dadurch erhöhten Grundwasserspiegel werde
dessen gärtnerische bzw. landwirtschaftliche Nutzung wesentlich beeinträchtigt.
Das Landgericht hat den Beklagten - soweit für das Revisionsverfahren
von Interesse - antragsgemäß verurteilt, geeignete Maßnahmen zu ergreifen,
durch die verhindert wird, dass Sickerwasser in das angrenzende Grundstück
des Klägers einsickert, dort den Grundwasserstand erhöht und zu Schäden so-
wie einer eingeschränkten - auch landwirtschaftlichen - Nutzbarkeit des Gartens
führt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten hat das Oberlandesge-
richt zurückgewiesen. Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revi-
sion, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgt der Beklagte seinen
Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht nimmt aufgrund der erstinstanzlichen Beweisauf-
nahme an, dass das Grundstück des Klägers durch Zufluss von Nieder-
schlagswasser von dem benachbarten Grundstück beeinträchtigt werde. Hier-
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für sei der Beklagte aufgrund der baulichen Gestaltung seines Grundstücks
(Auffüllung, Bebauung, Teilversiegelung, Versickerungsanlage) als Störer ver-
antwortlich. Der Kläger sei nicht zur Duldung dieser Beeinträchtigung gemäß
§ 1004 Abs. 2 BGB i.V.m. § 37 Landesnachbarrechtsgesetz Rheinland-Pfalz
(im Folgenden: LNRG) verpflichtet. Dem stehe nicht entgegen, dass nach den
Ausführungen der Sachverständigen das Wasser nicht oberirdisch, sondern
durch Versickerung in den angrenzenden Garten des Klägers gelange. Bei
dem
„Übertritt“ von Niederschlagswasser auf das Nachbargrundstück im Sinne
des Gesetzes handele es sich um einen weit gefassten Begriff, der als Auffang-
tatbestand alle Formen einer dem Nachbarn zuzurechnenden Zuführung um-
fasse. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass das Gesetz Verhaltens-
weisen, wie sie hier bezüglich des Beklagten festgestellt worden seien, habe
gestatten wollen. Eine nur unwesentliche Beeinträchtigung des klägerischen
Gartens liege nicht vor. Mangels näheren Vortrags des Beklagten könne auch
nicht von einer Ortsüblichkeit im Sinne von § 906 Abs. 2 BGB ausgegangen
werden.
II.
Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Prüfung stand.
1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die von dem Berufungsge-
richt aufrechterhaltene Verurteilung des Beklagten nicht deshalb auf eine un-
mögliche Handlung gerichtet, weil es sich bei dem im Urteil des Landgerichts
aufgeführten Flurstücken Nr. 76 und 357/77 nicht um die an das Grundstück
des Klägers angrenzende Grundstücke handelt. Bei der Bezeichnung der Flur-
stücke ist dem Landgericht eine offensichtliche Unrichtigkeit im Sinne des
§ 319 Abs. 1 ZPO unterlaufen, zu deren Berichtigung der Senat als mit der Sa-
che befasstes Rechtsmittelgericht befugt ist (BGH, Urteil vom 10. Juli 1991
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- IV ZR 155/90, NJW-RR 1991, 1278). Auf der Grundlage des sowohl von dem
Landgericht als auch von dem Berufungsgericht in Bezug genommen Lage-
plans, gegen dessen Richtigkeit der Beklagte keine Einwendungen erhebt,
ergibt sich zweifelsfrei, dass sich seine Verurteilung auf das Grundstück mit der
Flurstück-Nummer 76/1 beziehen soll. Dahingehend ist der Tenor des Urteils
des Landgerichts zu berichtigen.
2. Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass dem Kläger ein Un-
terlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. § 37 Abs. 1
LNRG zusteht.
a) Der Eigentümer eines Grundstücks kann sich grundsätzlich gegen die
von einem Nachbargrundstück ausgehenden Einwirkungen, die sein Eigentum
beeinträchtigen, zur Wehr setzen (§ 1004 BGB). Inhalt und Umfang des An-
spruchs aus § 1004 BGB im Einzelnen ergeben sich bei derartigen Beeinträch-
tigungen aus der gesetzlichen Regelung des Nachbarrechts, das durch einen
Ausgleich der einander widerstreitenden Interessen der Nachbarn gekenn-
zeichnet ist und sich nicht nur als Bundesrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch
befindet (§§ 906 ff. BGB), sondern auch in den die allgemeinen nachbarrechtli-
chen Bestimmungen ändernden und ergänzenden Vorschriften des Bundes-
rechts (z.B. § 37 WHG) sowie in den Vorschriften des Landesrechts enthalten
ist, die nach Art. 1 Abs. 2 und Art. 124 Satz 1 EGBGB dem Landesgesetzgeber
vorbehalten sind. Nur in dem hiernach gegebenen Rahmen kann der Eigentü-
mer Beeinträchtigungen abwehren (vgl. Senat, Urteil vom 12. November 1999
- V ZR 229/98, NJW-RR 2000, 537, 538).
b) Inwieweit der Kläger den Zufluss vermehrten Sickerwassers auf sein
Grundstück verhindern kann, richtet sich nach § 37 Abs. 1 LNRG. Hiernach
müssen der Eigentümer und der Nutzungsberechtigte eines Grundstücks ihre
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baulichen Anlagen so einrichten, dass Niederschlagswasser nicht auf das
Nachbargrundstück tropft, auf diese abgeleitet wird oder übertritt. Demgegen-
über ist weder die Vorschrift des § 906 Abs. 1 und 2 Satz 1 BGB anwendbar
noch kann auf die wasserrechtlichen Vorschriften des § 82 Landeswasserge-
setz Rheinland-Pfalz (im Folgenden: LWG) bzw. - mit Inkrafttreten ab dem
1. März 2010 - des § 37 WHG abgestellt werden.
aa) Als sog. Grobimmission zählt der Wasserzufluss als solcher nicht zu
den Immissionen im Sinne des § 906 Abs. 1 BGB (Senat, Urteil vom
2. März 1984 - V ZR 54/83, BGHZ 90, 255, 258). Etwas anderes gilt nur, wenn
eine unwägbare Substanz im Sinne der Vorschrift in abfließendes Regenwas-
ser gerät und auf diese Weise dem Nachbargrundstück zugeführt wird (Senat,
Urteil vom 2. März 1984 - V ZR 54/83, BGHZ 90, 255, 259). Daher ist § 906
BGB bei der Beurteilung, ob ein Eigentümer einen von einem Nachbargrund-
stück herrührenden Wasserzufluss dulden muss, grundsätzlich nicht heranzu-
ziehen. Anders als das Berufungsgericht meint, kommt es deshalb für das Be-
stehen eines Unterlassungsanspruchs des Klägers gemäß § 1004 Abs. 1 Satz
2 BGB nicht darauf an, ob der Wasserzufluss ortsüblich im Sinne von § 906
Abs. 2 Satz 1 BGB ist. Dem steht nicht entgegen, dass nach der ständigen
Rechtsprechung des Senats ein Ausgleichsanspruch entsprechend § 906 Abs.
2 Satz BGB auch bei Störungen durch Grobimmissionen wie Wasser in Be-
tracht kommt (Senat, Urteil vom 12. Dezember 2003 - V ZR 180/03, BGHZ 157,
188, 190; Senat, Urteil vom 25. Oktober 2013 - V ZR 230/12, BGHZ 198, 327
Rn. 7). Um einen solchen Anspruch geht es hier nämlich nicht.
bb) Die wasserrechtlichen Vorschriften der §§ 82 LWG, 37 WHG finden
nur auf wild abfließendes Wasser Anwendung, also auf Wasser, das unmittel-
bar auf den unversiegelten Boden fällt. Hiervon zu unterscheiden ist sog. Bau-
lichkeitswasser, das von einem auf dem Nachbargrundstück stehenden Ge-
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bäude bzw. einer baulichen Anlage auf das bebaute Grundstück abgelaufen
und von dort auf das Nachbargrundstück gelangt ist. Auf dieses ist die Vor-
schrift des § 37 LNRG anzuwenden (vgl. hierzu Hülbusch/Bauer/Schlick,
Nachbarrecht für Rheinland-Pfalz und das Saarland, 6. Aufl., Einführung §§ 37-
38, Rn. 6 sowie § 37 Rn. 3; siehe auch BGH, Urteil vom 25. März 1982
- III ZR 202/80, MDR 1982, 827 zu § 27 Abs. 1 Nachbargesetz NW). Der Vor-
rang des Nachbarrechts gegenüber dem Wasserrecht gilt auch dann, wenn
Niederschlagswasser von einer baulichen Anlage zunächst auf das eigene
Grundstück abfließt und anschließend auf das Nachbargrundstück übertritt (vgl.
BGH aaO).
c) Ohne Rechtsfehler nimmt das Berufungsgericht an, dass der Beklagte
gegen die Vorschrift des § 37 Abs. 1 LNRG verstößt.
aa) Allerdings entspricht es - soweit ersichtlich - nahezu einhelliger Auf-
fassung in Rechtsprechung und Literatur, dass ein
„Übertreten“ von Nieder-
schlagswasser auf das Nachbargrundstück nur gegeben ist, wenn es sich um
einen oberirdischen Zufluss von einem Grundstück auf das Nachbargrundstück
handelt. Demgegenüber sollen die nachbarrechtlichen Vorschriften keinen Be-
seitigungsanspruch begründen, wenn das Wasser auf dem Grundstück, auf
dem es als Niederschlag auftrifft, einsickert und dabei den Boden des Nach-
bargrundstücks unterirdisch durchfeuchtet (vgl. OLG Frankfurt, OLGR 1998,
338 zu § 26 Abs. 1 HessNRG; OLG Köln, Urteil vom 14. Mai 2010
- 19 U 120/09, juris und VersR 2003, 911, jeweils zu § 27 Abs. 1 NachbG
NRW; Dehner, Nachbarrecht, 7. Aufl., B § 26 III.1 c); Hülbusch/Bauer/Schlick,
Nachbarrecht für Rheinland-Pfalz und das Saarland, 6. Aufl., § 37 Rn. 3; Schä-
fer/Fink-Jamann/Peter,
Nachbarrechtsgesetz
für
Nordrhein-Westfalen,
16. Aufl., § 27 Rn. 5 zu § 27 NachbG NRW; a. A. Lehmann, Kommentar zum
Niedersächsischen Nachbarrechtsgesetz und zum Nachbarrecht des BGB,
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3. Aufl., § 45 Rn. 6 zu § 45 NachbG Niedersachsen). Zur Begründung wird im
Wesentlichen auf den Wortlaut der nachbarrechtlichen Vorschriften verwiesen.
Bei einem Einsickern in den Boden könne man nicht davon sprechen, dass
Niederschlagswasser „übertrete" (Dehner, Nachbarrecht, 7. Aufl., B § 26
III.1 c).
bb) Der Senat hat
sich zum Begriff des „Übertretens“ bislang nicht ge-
äußert. Soweit er in dem Urteil vom 12. November 1999 (V ZR 229/98, NJW-
RR 2000, 537) die Auslegung der gleichlautenden Vorschrift des § 26 Abs. 1
HessNRG durch das Oberlandesgericht Frankfurt (OLGR 1998, 338) nicht be-
anstandet hat, beruhte dies auf der nach dem damaligen Revisionsrecht (§ 549
Abs. 1 ZPO a.F.) fehlenden Revisibilität des hessischen Nachbarrechtsgeset-
zes.
Sachlich überzeugt die Differenzierung zwischen einem oberirdischen
und einem unterirdischen Wasserzufluss nicht. § 37 Abs. 1 LNRG findet auch
dann Anwendung, wenn die baulichen Anlagen auf einem Grundstück die Ur-
sache dafür sind, dass mehr Sickerwasser auf das Nachbargrundstück gelangt
als dies ohne die baulichen Anlagen der Fall wäre.
(1) Der Wortlaut der Vorschrift steht einer solchen Auslegung nicht ent-
gegen. Ebenso wie bei den anderen Alternativen des § 37 Abs. 1 LNRG, näm-
lich dem Tropfen und dem Ableiten von Niederschlagswasser auf das Nach-
bargrundstück, wird auch mit dem „Übertreten“ eine Modalität der Ortsverände-
rung des Wassers von dem einen Grundstück auf das andere beschrieben.
Begrifflich ist diese Modalität nicht auf einen oberirdischen Zufluss beschränkt.
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der
Ausdruck „übertreten“ unter anderem
im Sinne von
„irgendwohin gelangen“ (vgl. Duden, Das große Wörterbuch der
deutschen Sprache, 3. Aufl., Band 9, Stichwort „übertreten“) oder aber auch im
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Sinne von „etwas gelangt in etwas hinein“ (vgl. Brockhaus/Wahrig, Deutsches
Wörterbuch, Sechster Band 1981, Stichwort „übertreten“) verstanden.
(2) Für die Anwendung der Vorschrift auf durch die Bebauung des
Nachbargrundstücks bedingtes vermehrt eindringendes Sickerwasser spricht
vor allem ihr Zweck.
(a) Eine grundsätzliche Pflicht des Eigentümers eines Grundstücks, den
Ablauf des Niederschlagwassers auf das Nachbargrundstück zu verhindern,
gibt es allerdings nicht. Soweit die natürliche Gestaltung des Bodens einen sol-
chen Abfluss bewirkt, muss der Grundstückseigentümer deshalb keine beson-
deren Maßnahmen ergreifen, um dem entgegen zu wirken (Dehner, Nachbar-
recht, 7. Aufl., B § 26 III.1 b). So liegt der Fall, wenn das Wasser im Unter-
grund auf eine - naturgegebene - wasserundurchlässige Schicht trifft und sei-
nem natürlichen Fluss folgend auf das Nachbargrundstück gelangt (vgl. hierzu
Hülbusch/Bauer/Schlick, Nachbarrecht für Rheinland-Pfalz und das Saarland,
6. Aufl., § 37 Rn. 3). Dann obliegt es dem Eigentümer des Nachbargrund-
stücks, sich um den Schutz seines Grundstücks zu kümmern (BGH, Urteil vom
18. April 1991 - III ZR 1/90, BGHZ 114, 183, 188 f; Senat, Urteil vom 17. Okto-
ber 2013 - V ZR 15/13, NZM 2014, 366 Rn. 10).
(b) Wenn der Eigentümer jedoch auf seinem Grundstück bauliche Anla-
gen errichtet, die ursächlich dafür sind, dass dem Nachbargrundstück vermehrt
Niederschlagswasser zugeführt wird, greift er in den natürlichen Ablauf des
Wassers ein. Gegen solche Beeinträchtigungen seines Eigentums soll § 37
Abs. 1 LNRG den Nachbarn schützen (vgl. hierzu Dehner, Nachbarrecht,
7. Aufl., § 26 III. 2 b). Bauliche Anlagen können aber nicht nur dazu führen,
dass Niederschlagswasser, das ohne die Anlagen auf dem Grundstück verblie-
ben wäre, von der Oberfläche des Grundstücks auf die Oberfläche des Nach-
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bargrundstücks fließt. Ebenso können die baulichen Anlagen zur Folge haben,
dass das Niederschlagswasser nur teilweise auf dem Grundstück versickert
und als Sickerwasser unterirdisch vermehrt auf das Nachbargrundstück über-
tritt. Der Eigentümer ist in beiden Fällen gleichermaßen schutzwürdig. So liegt
es, wenn die baulichen Anlagen dazu führen, dass das Niederschlagswasser
gesammelt an einer bestimmten Stelle auf dem Grundstück auftrifft, und diese
Konzentration die ansonsten erfolgende weit- und tiefflächige Versickerung
verhindert und zu einem vermehrten unterirdischen Zufluss von Sickerwasser
auf dem Nachbargrundstück führt. Entsprechendes gilt, wenn das Nieder-
schlagswasser in einer Bodenschicht auf einer Betondecke stehen bleibt und
wegen der fehlenden Versickerungsmöglichkeit von dort aus unterirdisch auf
das Nachbargrundstück gelangt (vgl. den Sachverhalt in der Entscheidung des
OLG Frankfurt, OLGR 1998, 338).
Diese weite Auslegung
des Tatbestandsmerkmals „Übertreten“ steht
auch im Einklang mit der Auslegung der Alternative des
„Ableitens“ von Nie-
derschlagswasser i.S.d. § 37 Abs. 1 LNRG. Der Zweck der Vorschrift, den Ei-
gentümer vor einem Eingriff in den natürlichen Ablauf des Wassers zu schüt-
zen, gebietet es, unter
einem „Ableiten“ sowohl das ober- als auch das unterir-
dische gezielte oder unbewusste Ableiten zu verstehen (so auch Schäfer/Fink-
Jamann/Peter, Nachbarrechtsgesetz für Nordrhein-Westfalen, 16. Aufl., § 27
Rn. 5 zu § 27 NachbG NRW). Es kann keinen Unterschied machen, ob ein
Grundstückseigentümer, der das auf seinen baulichen Anlagen niedergehende
Wasser auffängt und es über ein Rohr auf das benachbarte Grundstück ablei-
tet, das Rohr ober- oder unterirdisch verlegt.
(3) Dieser Auslegung steht nicht entgegen, dass die Vorschrift in dem
mit „Dachtraufe“ überschriebenen Abschnitt des rheinland-pfälzischen Nach-
barrechtsgesetzes steht. Zwar mag diese Überschrift Vorschriften erwarten
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lassen, die sich mit dem Traufwasser befassen, also Niederschlagswasser, das
vom Dach abtropft oder über Dachrinnen und Fallrohre abgeleitet wird. Hierauf
beschränkt sich der Abschnitt jedoch nicht. Er ist deshalb so überschrieben,
weil der Gesetzgeber in bewusster Abkehr vom Gemeinen Recht und einigen
Landesrechten aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzes-
buchs, die ein Traufrecht kannten (ein Recht, Niederschlagswasser vom Dach
auf das Nachbargrundstück abtropfen zu lassen), den Grundstückseigentümer
verpflichtet, kein Niederschlagswasser auf das Nachbargrundstück abzuleiten
(Dehner, Nachbarecht, § 26 II und III; siehe auch die Begründung des Entwurfs
eines Nachbarrechtsgesetzes für Rheinland-Pfalz, Drucksache VI/1048, S. 33
des Landtags Rheinland-Pfalz). Dieser weiter greifenden Zielsetzung entspricht
gerade ein Normverständnis, das nicht der ursprünglichen Vorstellung des vom
Dach tropfenden Niederschlagswassers verhaftet bleibt, sondern auf die be-
bauungsbedingte Veränderung des Abflusses des Niederschlagswassers zu
Lasten des Nachbarn abstellt. Dann aber kommt es auf den Weg, den das Nie-
derschlagswasser vermehrt zum Nachbarn nimmt, nicht entscheidend an.
(c) Der Hinweis der Revision auf die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 2
LWG, aus der sich der Vorrang der Versickerung des Niederschlagswassers
vor einer Einleitung in die öffentliche Kanalisation ergebe, rechtfertigt ebenfalls
keine abweichende Beurteilung. Dieser Vorrang ändert nichts an der aus § 37
Abs. 1 LNRG folgenden Verpflichtung des Grundstückseigentümers, das Über-
treten von (vermehrtem) Sickerwasser auf das Nachbargrundstück zu verhin-
dern.
(d) Unerheblich ist ferner der Einwand der Revision, der Grundstücksei-
gentümer sei mit der Zuleitung des Sickerwassers zum Grundwasser seiner
eigentümerrechtlichen Verantwortung entzogen, weil das Grundwasser nicht in
seinem Eigentum stehe. Die in § 37 Abs. 1 LNRG normierte Pflicht knüpft an
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die Gestaltung der baulichen Anlagen an, die sich auf dem Grundstück befin-
den und die die Ursache für den vermehrten Zufluss von Niederschlagswasser
auf das Nachbargrundstück darstellen. Auf die Eigentumsverhältnisse an dem
Wasser kommt es hierfür nicht an.
cc) § 37 Abs. 1 LNRG bedarf allerdings insoweit einer Einschränkung,
als nicht jeder vermehrte, d. h. über die natürlichen Gegebenheiten hinausge-
hender Zufluss relevant ist. Er muss vielmehr zu einer Beeinträchtigung des
Nachbargrundstücks führen (vgl. in diesem Sinne auch Schäfer/Fink-
Jamann/Peter, Nachbarrechtsgesetz für Nordrhein-Westfalen, 16. Aufl., § 27
Rn. 2 zu § 27 NachbG NRW). Dies ist hier der Fall.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der vermehrte Über-
tritt von Sickerwasser von dem Grundstück des Beklagten auf das Grundstück
des Klägers seinen Grund in den von dem Beklagten auf seinem Grundstück
errichteten baulichen Anlagen. Diese verhindern eine vollständige Versickerung
des Niederschlagswassers auf dem Grundstück des Beklagten. Die hieraus
folgenden Beeinträchtigungen des klägerischen Grundstücks sind nicht unwe-
sentlich, wie das Berufungsgericht ebenfalls festgestellt hat. Dass diese Fest-
stellung im Rahmen der - systematisch verfehlten (siehe oben II.2.b) aa)) - Prü-
fung des § 906 BGB erfolgt ist, wirkt sich im Ergebnis nicht aus. Die gegen die-
se Feststellungen erhobenen Verfahrensrügen der Revision hat der Senat ge-
prüft, sie aber nicht für durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO).
d) An der Pflicht des Beklagten, durch geeignete Maßnahmen auf sei-
nem Grundstück das - durch die bauliche Gestaltung bedingte - vermehrte Ein-
dringen von Sickerwasser auf das klägerische Grundstück zu verhindern, än-
derte sich nichts, wenn der Kläger selbst durch eine Betonierung des eigenen
Hofs zu einer Erhöhung des Grundwasserspiegels auf seinem Grundstück bei-
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getragen haben sollte. Diesem Vorbringen des Beklagten musste das Beru-
fungsgericht mangels Erheblichkeit nicht nachgehen. Die von dem Beklagten
insoweit erhobene Verfahrensrüge ist unbegründet.
e) Auch die weitere Voraussetzung für einen Unterlassungsanspruch
gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB, dass nämlich weitere Beeinträchtigungen zu
besorgen sind, ist erfüllt. Da nach den Feststellungen des Berufungsgerichts
der Beklagte das Eigentum des Klägers bereits beeinträchtigt hat, spricht für
das Vorliegen der erforderlichen Wiederholungsgefahr eine tatsächliche Ver-
mutung (vgl. Senat, Urteil vom 12. Dezember 2003 - V ZR 98/03, NJW 2004,
1035, 1036).
f) Die Verurteilung des Beklagten zu einem positiven Tun, nämlich zur
Ergreifung geeigneter Maßnahmen, durch die verhindert wird, dass Sickerwas-
ser von seinem Grundstück auf das Grundstück des Klägers einsickert, ändert
nichts an dem Bestehen einer Unterlassungsverpflichtung. Es geht dem Kläger
darum, künftige Störungen seines Eigentums zu verhindern. Lässt sich - wie
hier - die drohende Beeinträchtigung nur durch aktives Eingreifen verhindern,
schuldet der zur Unterlassung Verpflichtete das erforderliche positive Tun (Se-
nat, Urteil vom 12. Dezember 2003 - V ZR 98/03, NJW 2004, 1035, 1037).
3. Keinen Erfolg hat der Beklagte schließlich mit seiner auf § 547 Nr. 6
ZPO gestützten Rüge, das Berufungsgericht habe die von ihm erhobene Einre-
de der Verjährung nicht geprüft.
a) Zwar ist eine Entscheidung auch dann nicht mit Gründen im Sinne
des § 547 Nr. 6 ZPO versehen, wenn sie - wie hier - auf selbständige Verteidi-
gungsmittel wie die Einrede der Verjährung nicht eingeht (BGH, Beschluss vom
21. Dezember 1962 - I ZB 27/62, BGHZ 39, 333, 337; BGH, Urteil vom 24. Ok-
tober 1990 - XII ZR 124/98, NJW-RR 1991, 194, 195). Eine Aufhebung und
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Zurückverweisung ist gleichwohl nicht veranlasst, wenn das übergangene Ver-
teidigungsmittel rechtlich unerheblich ist und deshalb nicht zu dem von der Re-
vision
angestrebten
Erfolg
führen
kann
(BGH,
Beschluss
vom
21. Dezember 1962 - I ZB 27/62, BGHZ 39, 333, 339; BGH, Urteil vom
24. Oktober 1990 - XII ZR 124/98, NJW-RR 1991, 194, 195).
b) So liegt der Fall aber hier, weil der Anspruch des Klägers nicht ver-
jährt ist. Es kann dahinstehen, ob dies bereits aus § 53 Abs. 2 LNRG bzw. § 53
Abs. 3 LNRG a.F. (Fassung vom 15. Juni 1970) folgt, wonach die
„übrigen An-
sprüche nach diesem Gesetz
“, d.h. alle Ansprüche nach dem Landesnachbar-
rechtsgesetz, die nicht auf Schadensersatz oder Zahlung von Geld gerichtet
sind und für die die besondere Verjährungsregelung des § 53 Abs. 1 LNRG
bzw. § 53 Abs. 1 und 3 LNRG a.F. gilt, nicht der Verjährung unterliegen. Auch
wenn stattdessen die allgemeinen Verjährungsvorschriften des Bürgerlichen
Gesetzbuchs maßgeblich sein sollten (so Hülbusch/Bauer/Schlick, Nachbar-
recht für Rheinland-Pfalz und das Saarland, 6. Aufl., § 37 Rn. 2 ff.; siehe all-
gemein zu dem Verhältnis zwischen einer Verjährungsregelung nach Landes-
nachbarrecht und einem Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB Senat, Beschluss
vom 4. März 2010 - V ZB 130/09, NJW-RR 2010, 807 Rn. 23 f.), ist keine Ver-
jährung eingetreten.
Der Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB verjährt
in der Regelverjährungsfrist, die nach § 195 BGB a.F. dreißig Jahre betrug (vgl.
Senat, Urteil vom 22. Juni 1990 - V ZR 3/89, NJW 1990, 2555, 2556) und ab
dem 1. Januar 2002 nach §§ 195, 199 Abs. 4 BGB drei Jahre bzw. maximal
10 Jahre beträgt (vgl. Senat, Urteil vom 4. Juli 2014 - V ZR 183/13, NJW 2014,
2861 Rn. 7). In allen Fällen setzt der Lauf der Verjährungsfrist voraus, dass der
Anspruch entstanden ist. Bei Unterlassungsansprüchen kommt es insoweit
gemäß § 199 Abs. 5 BGB auf die Zuwiderhandlung an. Diese kann hier nicht
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bereits in der nach dem Vortrag des Beklagten im Jahr 1991 erfolgten Errich-
tung der Halle gesehen werden. Der Schwerpunkt der Störung liegt vielmehr
darin, dass es der Beklagte seit dieser Errichtung dauernd unterlässt, die bauli-
chen Anlagen auf seinem Grundstück so einzurichten - beispielsweise durch
eine ordnungsgemäße Entwässerung -, dass nicht vermehrt Niederschlags-
wasser auf das Grundstück des Klägers einsickert. Bei einer derartigen Sach-
lage kommt eine Verjährung des Unterlassungsanspruchs nicht in Betracht,
wobei dahinstehen kann, ob es sich um eine einheitliche Dauerhandlung han-
delt, die den rechtswidrigen Zustand fortlaufend aufrechterhält und die Frist
deshalb gar nicht in Gang gesetzt wird oder wiederholte Störungen jeweils
neue Ansprüche begründen (vgl. Senat, Urteil vom 8. Mai 2015 - V ZR 178/14
juris Rn. 9).
III.
1. Die hiernach erfolglose Revision des Beklagten ist zurückzuweisen.
Da allerdings in dem Tenor des von dem Berufungsgericht bestätigten erstin-
stanzlichen Urteils der für den Unterlassungsanspruch - auch nach Auffassung
des Berufungsgerichts - erforderliche Kausalzusammenhang zwischen der
baulichen Gestaltung des Grundstücks des Beklagten und dem vermehrten
Zufluss von Sickerwasser auf das Grundstück des Klägers nicht hinreichend
deutlich zum Ausdruck kommt, hat der Senat den Tenor zur Klarstellung in die-
sem Sinne konkretisiert und auch im Übrigen unter Beachtung des interessege-
recht ausgelegten Klagebegehrens neu gefasst.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Stresemann
Schmidt-Räntsch
Roth
Brückner
Göbel
Vorinstanzen:
LG Kaiserslautern, Entscheidung vom 26.10.2012 - 3 O 62/08 -
OLG Zweibrücken, Entscheidung vom 12.06.2014 - 6 U 64/12 -
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