Urteil des BGH vom 26.02.2016

Zustellung, Architekt, Fristwahrung, Öffentlich

ECLI:DE:BGH:2016:260216UVZR131.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 131/15
Verkündet am:
26. Februar 2016
Langendörfer-Kunz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 26. Februar 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die
Richterinnen Dr. Brückner und Weinland, den Richter Dr. Kazele und die
Richterin Haberkamp
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Kläger werden das Urteil der Zivilkammer
85 des Landgerichts Berlin vom 19. Mai 2015 aufgehoben und das
Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg vom 28. Mai 2014
abgeändert.
Die Beschlüsse der Wohnungseigentümer vom 8. Juli 2013 zu
TOP 11, TOP 11 Nr. 8 und TOP 11 Nr. 11 werden für ungültig
erklärt.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Nach der
Teilungserklärung dürfen die Kläger die in ihrem Eigentum stehenden Einheiten
21 und 22 zu Wohn-
oder Büroräumen ausbauen, wobei „jede Baumaßnahme
gestattet (wird), welche behördlich genehmigt ist“. Zudem sind sie berechtigt,
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nicht benutzte Schornsteine zu entfernen und im Rahmen des baurechtlich Zu-
lässigen ohne Zustimmung der übrigen Eigentümer und dinglich Berechtigten
auf eigene Kosten und eigenes Risiko einen Personenaufzug einzubauen.
Schließlich ist in der Teilungserklärung bestimmt, dass die Kläger verpflichtet
sind, etwaige durch die Baumaßnahmen entstehende Schäden unabhängig von
einem Verschulden auf eigene Kosten zu beseitigen.
Die Baugenehmigungen für den Dachgeschossausbau und den Einbau
eines Aufzugs wurden 2006 erteilt. Das Bauvorhaben ist noch nicht abge-
schlossen. 2011/2012 erfolgte eine Begehung durch den von der Eigentümer-
gemeinschaft beauftragten Architekten R., der einzelne Mängel feststellte.
In der Eigentümerversammlung vom 8. Juli 2013 wurden u.a. folgende
Beschlüsse gefasst:
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Mit der am 8. August 2013 bei dem Amtsgericht eingegangenen Anfech-
tungsklage wenden sich die Kläger gegen diese Beschlüsse. Am 16. August
2013 ist ihren Prozessbevollmächtigten die Streitwertanfrage des Gerichts zu-
gegangen. Dazu haben sich diese in der am 9. September 2013 eingegange-
nen Klagebegründung geäußert. Der mit gerichtlicher Verfügung vom
13. September 2013 bei den Prozessbevollmächtigten der Kläger angeforderte
Gerichtskostenvorschuss ist am 20. September 2013 bei der Justizkasse ein-
gegangen. Am 4. Oktober 2013 ist die Klage den Beklagten zugestellt worden.
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Die Klage ist sowohl vor dem Amtsgericht als auch vor dem Landgericht
erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Kla-
geziel weiter. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe:
I.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Klage unbegründet, da die
Kläger die einmonatige Anfechtungsfrist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG ver-
säumt hätten. Etwas anderes ergebe sich nicht aus § 167 ZPO, da die Klage
nicht „demnächst“ zugestellt worden sei. Die von den Klägern zu vertretende
Verzögerung der Zustellung der Klage überschreite den noch als hinnehmbar
anzusehenden Zeitraum von 14 Tagen. Zwischen dem Zugang der Aufforde-
rung zur Streitwertangabe und deren Erledigung lägen 23 Tage. Begreife man
die 14-Tages-Frist als maximal zuzubilligende Verzögerungsfrist zwischen Zu-
gang der gerichtlichen Aufforderung und deren Erledigung zuzüglich einer ge-
ringfügigen Überschreitungsmöglichkeit, sei die Frist nicht mehr gewahrt.
Die Frage der Fristwahrung sei entscheidungserheblich, da die Anfech-
tungsklage in der Sache begründet gewesen wäre. Die angefochtenen Be-
schlüsse entsprächen nicht ordnungsmäßiger Verwaltung. Die Beklagten hätten
keinen Anspruch darauf, sämtliche Baumaßnahmen der Kläger bereits während
der Herstellungsphase begleitend zu kontrollieren. Soweit der Architekt R.
Mängel festgestellt habe, bestehe allenfalls ein Anspruch auf Mangelbeseiti-
gung. Ebenso wenig könnten die Beklagten die Vorlage einer gutachterlichen
Stellungnahme des Schornsteinfegermeisters verlangen. Es bestehe lediglich
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ein Anspruch auf Vorlage des abschließenden Abnahmeprotokolls. Schließlich
könnten die Beklagten auch nicht vorab die Vorlage der technischen Aufzugs-
planung verlangen.
II.
Die Revision der Kläger hat Erfolg.
1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts haben die Kläger die ma-
terielle Klageerhebungsfrist des § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG gewahrt. Es ist auf
den Eingang der Klageschrift bei Gericht abzustellen, da die Zustellung der
Klage demnächst im Sinne von § 167 ZPO bewirkt worden ist.
a) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass das Merkmal
„demnächst“ (§ 167 ZPO) nur erfüllt ist, wenn sich die der Partei zuzurechnen-
den Verzögerungen der Zustellung der Klage in einem hinnehmbaren Rahmen
halten. Dabei wird eine der Partei zuzurechnende Zustellungsverzögerung von
bis zu 14 Tagen regelmäßig hingenommen (Senat, Urteil vom 10. Juli 2015
- V ZR 2/14, ZWE 2015, 375 Rn. 5; BGH, Urteil vom 3. September 2015
- III ZR 66/14, NJW 2015, 3101 Rn. 15; jeweils mwN).
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist durch die verspä-
tete Beantwortung der Streitwertanfrage des Amtsgerichts nicht eine von den
Prozessbevollmächtigten der Kläger verschuldete und damit den Klägern zuzu-
rechnende Verzögerung von mehr als 14 Tagen eingetreten.
aa) Der 14-Tage-Zeitraum berechnet sich nicht ab dem Tag, an welchem
den Prozessbevollmächtigten der Kläger die Streitwertanfrage zugegangen ist.
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Vielmehr ist auf die Zeitspanne abzustellen, um die sich der für die Zustellung
der Klage ohnehin erforderliche Zeitraum infolge der Nachlässigkeit der Kläger
verzögert hat (BGH, Urteil vom 3. September 2015 - III ZR 66/14, NJW 2015,
3101 Rn. 15 mwN). Soweit der Senat für die Fallkonstellation der Gerichtskos-
tenvorschussanforderung die Auffassung vertreten hat, der 14-Tage-Zeitraum
sei schon ab Eingang der Vorschussanforderung zu berechnen, hat er hieran in
der - allerdings erst nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen - Entschei-
dung vom 10. Juli 2015 (V ZR 2/14, ZWE 2015, 375 Rn. 6) nicht mehr festge-
halten.
bb) Danach hält sich die zurechenbare Verzögerung im vorliegenden Fall
innerhalb eines Zeitraumes von 14 Tagen. Da die Rechtsprechung es der Partei
gestattet, den Streitwert nicht in der Klageschrift anzugeben, sondern eine
Streitwertanfrage des Gerichts für einen - wie hier - angemessenen Zeitraum
abzuwarten (vgl. dazu Senat, Urteil vom 25. September 2015 - V ZR 203/14,
NJW 2016, 568 Rn. 13), kann die Zeit, die die Partei zur Beantwortung der
Streitwertanfrage auch bei zügiger Bearbeitung benötigt, nicht als ihr zuzurech-
nende schuldhafte Verzögerung angesehen werden. Ihr zuzurechnen ist viel-
mehr nur eine Verzögerung, die dadurch eintritt, dass sie die Streitwertanfrage
nicht zügig beantwortet (BGH, Urteil vom 1. Dezember 1993 - XII ZR 177/92,
NJW 1994, 1073, 1074). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist im
vorliegenden Fall die Streitwertanfrage den Prozessbevollmächtigten der Kläger
am 16. August 2013 zugegangen. Da auch bei einem einfach gelagerten Sach-
verhalt für die Beantwortung einer Streitwertanfrage einschließlich deren Ein-
gang bei Gericht bei der gebotenen zügigen Bearbeitung ein Zeitraum von je-
denfalls einer Woche zu veranschlagen ist (vgl. BGH, Urteil vom
1. Dezember 1993 - XII ZR 177/92, NJW 1994, 1073, 1074), kann den Klägern
frühestens die ab dem 24. August 2013 eingetretene Verzögerung zugerechnet
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werden. Die hier maßgebliche Frist von 14 Tagen endete am 7. September
2013. Da es sich hierbei um einen Samstag handelte, ist unter Berücksichti-
gung des in § 193 BGB enthaltenen Rechtsgedankens mit der am Montag, den
9. September 2013, eingegangenen Beantwortung der Streitwertanfrage die
14-Tage-Frist noch gewahrt.
2. Der Senat hat in der Sache selbst zu entscheiden, weil die Aufhebung
des angefochtenen Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des
Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die
Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das Berufungsgericht
führt - im Rahmen der Erörterung der Entscheidungserheblichkeit der Frage der
Fristwahrung nach § 167 ZPO - rechtsfehlerfrei aus, dass die angefochtenen
Beschlüsse nicht ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen.
a) Frei von Rechtsfehlern legt das Berufungsgericht die Beschlüsse unter
Hinweis auf ein nach Beschlussanfechtung zwischen den Parteien einvernehm-
lich konkretisiertes Herausgabeverlangen dahingehend aus, dass die begehrte
Vorlage von Bauunterlagen nicht lediglich der Überprüfung einzelner von dem
Architekten R. festgestellter Mängel dient, sondern den Zweck hat, die gesam-
ten baulichen Maßnahmen der Kläger bereits während der Herstellungsphase
begleitend zu kontrollieren und einer Rechtmäßigkeitsüberprüfung zu unterzie-
hen. Zu einer derart umfassenden begleitenden Überprüfung sind die Beklagten
nach dem Inhalt der Teilungserklärung nicht berechtigt. Eine Berechtigung zur
Durchführung einer solchen Rechtmäßigkeitskontrolle folgt auch nicht daraus,
dass der von den Beklagten beauftragte Architekt R. bereits Mängel an den
Ausbauten festgestellt hat. Das Berufungsgericht weist zutreffend darauf hin,
dass dies allenfalls einen Anspruch der Beklagten auf Beseitigung der festge-
stellten Mängel begründe, nicht aber einen Anspruch auf Vorlage der Bauunter-
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lagen zum Zwecke einer Rechtmäßigkeitsüberprüfung der gesamten Baumaß-
nahmen.
b) Ohne Erfolg bleibt die von den Beklagten zu 1 erhobene Gegenrüge,
das Berufungsgericht habe ihre Beweisangebote aus der Klageerwiderung nicht
berücksichtigt. Darin hatten sie unter Beweis gestellt, dass das komplette Dach
mit Dachstuhl entfernt und neu hergestellt worden sei, dass der Architekt R. bei
der Begutachtung der Ausbauarbeiten, die sich auf eine reine Sichtkontrolle
beschränkt habe, Mängel in der Bauausführung festgestellt habe und dass für
die Beklagten im Zeitpunkt der Beschlussfassung die vollständige Behebung
der Mängel ebenso fraglich gewesen sei wie das Vorhandensein verdeckter
Mängel. Auf diese Behauptungen kommt es nicht an. Auch wenn sie als wahr
unterstellt werden, folgt daraus kein berechtigtes Interesse der Beklagten an
einer umfassenden Prüfung der „Rechtmäßigkeit“ sämtlicher von den Klägern
veranlasster Baumaßnahmen und damit an einer Herausgabe der in den ange-
fochtenen Beschlüssen genannten Unterlagen.
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III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Stresemann Brückner Weinland
Kazele Haberkamp
Vorinstanzen:
AG Berlin-Charlottenburg, Entscheidung vom 28.05.2014 - 72 C 85/13 -
LG Berlin, Entscheidung vom 19.05.2015 - 85 S 177/14 WEG -
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