Urteil des BGH vom 07.04.2011

Bordell, Abschiebungshaft, Ermittlungsverfahren, Erlass, Verhaftung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 77/10
vom
7. April 2011
in der Abschiebungshaftsache
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. April 2011 durch den Vor-
sitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richterin Dr. Stresemann, den Richter
Dr. Czub und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland
beschlossen:
Der Betroffenen wird gegen die Versäumung der Frist zur Begrün-
dung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand gewährt.
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird festgestellt, dass
der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken
vom 22. Februar 2010 und der Beschluss des Amtsgerichts Saar-
brücken vom 10. Dezember 2009 die Betroffene in ihren Rechten
verletzt haben.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechen-
den Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Betroffenen
werden dem S. auferlegt. Im Übrigen findet keine Ausla-
generstattung statt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
3.000 €.
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Gründe:
I.
Die Betroffene, eine nigerianische Staatsangehörige, reiste nach eigenen
Angaben am 6. oder 7. Dezember 2009 in die Bundesrepublik Deutschland ein.
Sie wurde anlässlich einer Polizeikontrolle am 9. Dezember 2009 in einem Bor-
dell in S. angetroffen und - da sie weder über Ausweispapiere noch
einen Aufenthaltstitel verfügte - festgenommen und am folgenden Tage als Be-
schuldigte vernommen.
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Auf Antrag der Beteiligten zu 2 vom 10. Dezember 2009 hat das Amtsge-
richt mit Beschluss vom gleichen Tage gegen die Betroffene Abschiebungshaft
bis zum 9. März 2010 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung ange-
ordnet. Mit Beschluss vom 22. Februar 2010 hat das Landgericht die Be-
schwerde der Betroffenen nach deren persönlicher Anhörung zurückgewiesen.
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II.
Das Beschwerdegericht bejaht den Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Satz 1
Nr. 5 AufenthG, da der Verdacht bestehe, dass sich die Betroffene einer Ab-
schiebung in ihr Heimatland entziehen werde. Dies ergebe sich aus den wider-
sprüchlichen, nicht nachvollziehbaren Angaben über den Reiseweg per Schiff
von N. direkt nach S. und ihrer Tätigkeit als Prostituierte in ei-
nem Bordell. Diese Umstände ließen auf eine Einbindung in ein System illegaler
Anwerbung und Beschäftigung Prostituierter schließen, die der Betroffenen - im
Falle einer Entlassung aus der Abschiebungshaft - aus eigenen wirtschaftlichen
Interessen ein Untertauchen ermöglichen werde.
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III.
Die Rechtsbeschwerde ist - nachdem sich die Hauptsache durch den
Vollzug der Haft erledigt hat - mit dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG
nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG ohne Zulassung statthaft (vgl.
Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360
und vom 21. Oktober 2010 - V ZB 96/10, Rn. 10 juris), gemäß § 71 FamFG
form- und fristgerecht eingelegt und in der Sache begründet.
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Die Betroffene ist deshalb in ihrem Freiheitsgrundrecht verletzt worden,
weil die Haft zur Sicherung der Abschiebung wegen Fehlens einer den Anfor-
derungen des § 417 Abs. 2 FamFG entsprechenden Antragsbegründung nicht
hätte angeordnet werden dürfen. Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags
ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrens-
voraussetzung (Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax
2010, 210, 211 Rn. 12 und vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511,
1512 Rn. 7).
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1. Der Haftantrag muss nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG begründet
werden. Ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit
des Haftantrags (Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, aaO,
Rn. 14 und vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, aaO, Rn. 8). Für Abschiebungs-
haftanträge werden nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG Darlegungen zu der
zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der
Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der
notwendigen Haftdauer verlangt.
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2. Der Haftantrag der Beteiligten zu 2 genügte diesen Anforderungen
nicht, weil diese darin nichts zu dem für die Abschiebung der Betroffenen nach
§ 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderlichen Einvernehmen der Staatsanwalt-
schaft ausgeführt hat.
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a) Der Senat hat - allerdings erst nach Erlass des angefochtenen Be-
schlusses - entschieden, dass die nach § 62 Abs. 2 AufenthG der Sicherung
der Abschiebung des Ausländers dienende Haft nicht angeordnet werden darf,
wenn das dafür erforderliche Einvernehmen der Staatsanwaltschaft nicht vor-
liegt (Senat, Beschlüsse vom 17. Juni 2010 - V ZB 93/10, NVwZ 2010, 1574,
1575 Rn. 8, vom 18. August 2010 - V ZB 211/10, Rn. 10 juris und vom 20. Ja-
nuar 2011 - V ZB 226/10, Rn. 22 juris).
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b) Ergibt sich bereits aus dem Haftantrag oder den diesem beigefügten
Anlagen, dass ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist, stellt sich
das Fehlen von Ausführungen zum Einvernehmen der Staatsanwaltschaft als
ein Begründungsmangel dar, der zur Unzulässigkeit des Haftantrags führt (Se-
nat, Beschlüsse vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, Rn. 9 juris und vom
3. Februar 2011 - V ZB 224/10, Rn. 7 juris).
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c) So ist es hier. Nach dem dem Haftantrag der Beteiligten zu 2 beigefüg-
ten Bericht der Kriminalpolizeiinspektion S. ist die Betroffene am Mor-
gen nach ihrer Verhaftung von der Kriminalpolizei als Beschuldigte vernommen
worden. Damit war ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet (vgl.
BGH, Urteil vom 24. Juli 2003 - 3 StR 212/02, NJW 2003, 3142, 3143). Die
Durchführung der Abschiebung hing daher nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG
von dem Einvernehmen der zuständigen Staatsanwaltschaft ab (Senat, Be-
schluss vom 3. Februar 2011 - V ZB 224/10, Umdr. S. 5). Dazu hätte sich der
Haftantrag der Beteiligten zu 2 nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG verhal-
ten müssen, woran es hier fehlte.
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Dieser Mangel konnte in der Beschwerdeinstanz nicht mehr geheilt wer-
den, da es sich bei der ordnungsgemäßen Antragstellung durch die Behörde
um eine Verfahrensgarantie handelt, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 GG for-
dert (BVerfG, NVwZ-RR 2009, 304, 305; Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010
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- V ZB 218/09, NVwZ 2010, 1508, 1509 Rn. 19 und vom 22. Juli 2010 - V ZB
28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512 Rn. 16).
3. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass auch die Haftanordnung, die
nach dem von der Betroffenen gestellten Feststellungsantrag ebenfalls Gegen-
stand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist (vgl. Senat, Beschluss vom 4. März
2010 - V ZB 184/09, FGPrax 2010, 152, 154 Rn. 14), die Betroffene in ihrem
Freiheitsgrundrecht (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) verletzt hat.
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IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83
Abs. 2, § 430 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO; die Festsetzung des Be-
schwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.
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Krüger
Stresemann
Czub
Brückner
Weinland
Vorinstanzen:
AG Saarbrücken, Entscheidung vom 10.12.2009 - 7 XIV 88/09 -
LG Saarbrücken, Entscheidung vom 22.02.2010 - 5 T 651/09 -