Urteil des BGH vom 22.10.2014

Einreiseverbot, Nummer, Haftgrund, Befristung, Visum

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 64/14
vom
22. Oktober 2014
in der Abschiebungshaftsache
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Oktober 2014 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch,
den Richter Dr. Czub, die Richterin Weinland und den Richter Dr. Kazele
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer
des Landgerichts Stade vom 2. April 2014 wird auf Kosten des Be-
troffenen zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
5.000 €.
Gründe:
I.
Der Betroffene ist türkischer Staatsbürger und war im Jahr 2002 in die
Türkei abgeschoben worden. Zu einem unbekannten Zeitpunkt reiste er ohne
Reisepass und ohne Visum wieder nach Deutschland ein. Am 12. März 2014
wurde er im Rahmen einer Überprüfung nach dem Schwarzarbeitsbekämp-
fungsgesetz festgenommen. Die beteiligte Behörde ordnete mit Bescheid vom
gleichen Tag die Abschiebung des Betroffenen an.
Auf ihren Antrag hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 12. März 2014
gegen den Betroffenen Sicherungshaft für den Zeitraum bis zum 4. Juni 2014
angeordnet. Auf die Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht die Haft-
dauer auf den Zeitraum bis zum 24. April 2014 verkürzt, das weitergehende
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Rechtsmittel jedoch zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit
der Rechtsbeschwerde, mit welcher er nach seiner Abschiebung in die Türkei
die Feststellung beantragt, durch die Haftanordnung und ihre teilweise Auf-
rechterhaltung in seinen Rechten verletzt worden zu sein.
II.
Das Beschwerdegericht bejaht die Haftgründe des § 62 Abs. 3 Satz 1
Nr. 1 und Nr. 5 AufenthG. Lediglich die Haftdauer sei zu verkürzen, da für den
24. April 2014 bereits ein Rückflug gebucht sei.
III.
Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG mit einem Antrag
nach § 62 FamFG statthafte (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB
172/09, FGPrax 2010, 150, 151) und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde
bleibt ohne Erfolg. Die Haftanordnung des Amtsgerichts und ihre teilweise Auf-
rechterhaltung durch das Beschwerdegericht sind nicht zu beanstanden.
1. Der Haftanordnung liegt ein zulässiger Haftantrag zugrunde.
a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des
Verfahrens auch ohne eine Rüge des Betroffenen von Amts wegen zu prüfende
Verfahrensvoraussetzung. Der Haftantrag muss nach § 417 Abs. 2 Satz 1
FamFG begründet werden. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien
Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit
der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen
Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Ein Verstoß gegen den Be-
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gründungszwang führt zur Unzulässigkeit des Haftantrags. Zu den gemäß
§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG darzulegenden Abschiebungsvoraussetzun-
gen gehört die nach § 59 AufenthG erforderliche Abschiebungsandrohung.
Fehlt es an einer für die Vollstreckung der Abschiebung notwendigen Voraus-
setzung, darf auch eine kraft Gesetzes (§ 58 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) vollzieh-
bare Ausreisepflicht nämlich nicht ohne weiteres durchgesetzt werden (zum
Ganzen: Senat, Beschluss vom 16. Mai 2013 - V ZB 44/12, FGPrax 2013, 229
Rn. 9).
b) Diesen Anforderungen genügt der Haftantrag. Ausführungen zu einer
Abschiebungsandrohung oder dazu, dass es einer solchen ausnahmsweise
nicht bedurfte (z.B. nach § 59 Abs. 1 Satz 3 AufenthG oder nach § 34a Abs. 1
Satz 3 AsylVfG), enthält er selbst zwar nicht. Mit dem Antrag wurde jedoch die
Abschiebungsanordnung vom 12. März 2014 übersandt, welche Ausführungen
zur Entbehrlichkeit einer Abschiebungsandrohung enthielt. Auf diese Anord-
nung nimmt die beteiligte Behörde in dem Antrag Bezug. Sie ist dem Betroffe-
nen nach dem Inhalt des Protokolls bei der persönlichen Anhörung durch das
Amtsgericht ausgehändigt worden. Mehr war nicht erforderlich (Senat, Be-
schluss vom 16. Mai 2013
– V ZB 44/12, FGPrax 2013, 229 Rn. 15).
2. Zu Recht haben das Amtsgericht und das Beschwerdegericht auch
den Haftgrund der unerlaubten Einreise nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG
angenommen.
a) Im Ansatz zutreffend macht der Betroffene allerdings geltend, dass bei
Bestehen eines auf Grund von § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG aF erlassenen un-
befristeten Einreiseverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG nF nachträglich von
Amts wegen einzelfallbezogen über eine Befristung befunden werden muss,
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sofern an ein Einreiseverbot anknüpfende Maßnahmen getroffen werden sollen,
und dass ohne eine solche nachträgliche Entscheidung eine unerlaubte Einrei-
se nicht bejaht werden darf. Das ergibt sich aus Art. 11 Abs. 2 der sog. Rück-
führungsrichtlinie 2008/115/EG, der ein über fünf Jahre hinausgehendes Einrei-
severbot nur im Einzelfall und bei Vorliegen besonderer Gründe zulässt und
nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auch für
„die künftigen Auswirkungen eines Sachverhalts“ anzuwenden ist, der unter der
Geltung der alten Rechtslage entstanden ist (EuGH, Urteil vom 19. September
2013, Rs. 297/12 - Filev und Osmani, ECLI:EU:C:2013:569 = NJW 2014, 527
Rn. 40; Senat, Beschluss vom 8. Januar 2014 - V ZB 137/12, NVwZ 2014, 1111
Rn. 8). Dies hat die Behörde übersehen, die in ihrem Antrag von einem nach
wie vor geltenden Einreiseverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG ausgeht. Das
nimmt auch das Beschwerdegericht an.
b) Auf diesem Fehler beruht aber weder die Haftanordnung des Amtsge-
richts noch die Beschwerdeentscheidung.
aa) Die Annahme, der Betroffene sei unerlaubt in das Bundesgebiet ein-
gereist, stützt das Amtsgericht ausschließlich und das Beschwerdegericht in
erster Linie darauf, dass er weder einen gültigen Pass noch einen Aufenthaltsti-
tel bei sich führte. Das ist zutreffend. Nach § 14 Abs. 1 AufenthG ist die Einreise
eines Ausländers in das Bundesgebiet nicht nur dann unerlaubt, wenn er wegen
eines Einreiseverbots nicht einreisen darf (Nummer 3 der Vorschrift), sondern
auch dann, wenn er den erforderlichen Pass oder Passersatz (Nummer 1 der
Vorschrift) oder das erforderliche Visum (Nummer 2 der Vorschrift) nicht besitzt,
was bei sich führen bedeutet (Senat, Beschluss vom 12. Juli 2013
- V ZB 224/12, juris Rn. 17). So lag es hier. Der Betroffene führte nach den
nicht angegriffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts keinen Pass oder
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Passersatz bei sich, sondern nur einen türkischen Personalausweis (Nüfus).
Zudem verfügte er auch nicht über das für türkische Staatsbürger, die, wie der
Betroffene, im Bundesgebiet kein Aufenthaltsrecht haben, nach § 4 Abs. 1 Satz
2 Nr. 1 AufenthG erforderliche und unionsrechtlich zulässige (vgl. EuGH, Urteil
vom 24. September 2013, C-221/11 - Demirkan, ECLI:EU:C:2013:583 = NVwZ
2013, 1465 Rn. 53 f.) Einreisevisum.
bb) Ist die Einreise eines Ausländers aus anderen Gründen unerlaubt,
darf der Haftgrund der unerlaubten Einreise auch angenommen werden, wenn
eine nachträgliche Entscheidung über die Befristung eines bestehenden alt-
rechtlichen unbefristeten Einreiseverbots nicht getroffen worden ist. Diese ist
nur, aber auch stets erforderlich, wenn sich die unerlaubte Einreise gemäß § 14
Abs. 1 Nr. 3 AufenthG allein aus dem Verstoß gegen das Einreiseverbot ergibt.
Nur dann ist die Anordnung von Abschiebungshaft eine an dieses Verbot an-
knüpfende Maßnahme.
3. Weitere Einwände gegen die Haftanordnung und ihre Verlängerung
erhebt der Betroffene nicht. Sie sind auch nicht ersichtlich.
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IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Festsetzung des
Gegenstandswerts auf § 36 Abs. 3 GNotKG.
Stresemann
Schmidt-Räntsch
Czub
Weinland
Kazele
Vorinstanzen:
AG Stade, Entscheidung vom 13.03.2014 - 41 XIV 2057 B -
LG Stade, Entscheidung vom 02.04.2014 - 9 T 24/14 -
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