Urteil des BGH vom 10.05.2012

Leitsatzentscheidung zu Miteigentumsanteil, Miteigentümer, Grundbuchamt, Wohnung, Edition

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 279/11
vom
10. Mai 2012
in der Grundbuchsache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
WEG § 10 Abs. 3
Ein Sondernutzungsrecht kann auch einem Miteigentumsanteil an einer Wohnungs-
oder Teileigentumseinheit zugeordnet werden.
BGH, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 279/11 - OLG München
AG München-Grundbuchamt
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Mai 2012 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland
beschlossen:
Auf die Rechtsmittel der Beteiligten zu 1 werden der Beschluss
des 34. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom
21. November 2011 und der Beschluss des Amtsgerichts Mün-
chen - Grundbuchamt - vom 22. Juni 2011 aufgehoben.
Das Amtsgericht - Grundbuchamt - wird angewiesen, den Voll-
zug der beantragten Eintragung nicht aus den in dem Beschluss
vom 22. Juni 2011 genannten Gründen zu verweigern.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
20.000
€.
Gründe:
I.
Die Beteiligte zu 1 ist Eigentümerin der Wohnung Nr. 44 in einer Woh-
nungs- und Teileigentumsanlage. Mit dem Wohnungseigentum ist das im
Grundbuch eingetragene Recht zur ausschließlichen Nutzung eines Tiefgara-
genstellplatzes und eines Abstellraums verbunden, welche im Gemeinschafts-
eigentum stehen. Die Beteiligte zu 2 ist Miteigentümerin zu ½ einer in dersel-
ben Anlage befindlichen Teileigentumseinheit, die aus einem Miteigentumsan-
teil, verbunden mit dem Sondereigentum an einer Duplexgarage, besteht. De-
ren Benutzung ist zwischen den beiden Miteigentümern dergestalt geregelt,
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dass der Beteiligten zu 2 das Recht zur ausschließlichen Nutzung des oberen
Platzes zusteht.
Mit notariellem Vertrag vom 10. November 2010 verkaufte die Beteiligte
zu 1 das mit der Wohnung Nr. 44 verbundene Sondernutzungsrecht an die Be-
teiligte zu 2. Zugleich erklärten die Vertragsparteien, die Gemeinschaftsordnung
so zu ändern, dass das Sondernutzungsrecht an dem Tiefgaragenstellplatz von
der Wohnung Nr. 44 abgeschrieben und der Teileigentumseinheit Nr. 72
(Duplex Nr. 72 oben) zugewiesen werde.
Zur Sicherung des Übertragungsanspruchs bewilligte die Beteiligte zu 1
die Eintragung einer Vormerkung in das Grundbuch, deren Eintragung die Ur-
kundsnotarin am 31. März 2011 als Vertreterin der Beteiligten beantragt hat. Mit
Beschluss vom 22. Juni 2011 hat das Grundbuchamt den Antrag zurückgewie-
sen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 1 ist erfolglos ge-
blieben. Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde
verfolgt die Beteiligte zu 1 den Eintragungsantrag weiter.
II.
Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung unter anderem in ZWE
2012, 92 veröffentlicht ist, meint, ein Sondernutzungsrecht könne nicht einem
von mehreren Miteigentümern einer Wohnungs- oder Teileigentumseinheit
übertragen werden. Die Eintragung des Sondernutzungsrechts erfolge auf dem
Grundbuchblatt, auf welchem auch das Sondereigentum eingetragen sei. Da
nicht für jeden Miteigentümer ein eigenes Grundbuchblatt angelegt werde, kön-
ne das Recht nur einheitlich allen Miteigentümern zustehen.
Das hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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III.
Die nach § 78 GBO statthafte und nach § 71 FamFG auch im Übrigen
zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Das von dem Beschwerdegericht
als Grund für die Zurückweisung des Antrags angeführte rechtliche Hindernis
besteht nicht.
1. Ob ein Sondernutzungsrecht einem Miteigentumsanteil an einer Woh-
nungs- oder Teileigentumseinheit zugeordnet werden kann, wird in Rechtspre-
chung und Literatur unterschiedlich beurteilt.
a) Nach einer Auffassung ist dies mit dem Wortlaut des § 10 Abs. 3 WEG
unvereinbar. Nach dieser Vorschrift werde ein im Grundbuch eingetragenes
Sondernutzungsrecht zum Inhalt des Sondereigentums. Sondereigentum könne
jedoch nur einem Wohnungseigentümer zustehen. Ein Bruchteilseigentümer sei
nicht alleiniger Berechtigter eines Sondereigentums und deswegen kein Woh-
nungseigentümer im Sinne von § 10 Abs. 3 WEG (KG, DNotZ 2004, 634 und
dem folgend MünchKomm-BGB/Commichau, 5. Aufl., § 10 WEG Rn. 20; Schö-
ner/Stöber, Grundbuchrecht, 14.
Aufl., Rn. 2910, 2963; Rapp in Beck’sches
Notarhandbuch, 5. Aufl., Teil A.III. Rn. 62; Herrmann in Kuntze/Ertl/Herrmann/
Eickmann, Grundbuchrecht, 6. Aufl., S. 179 Rn. E 83). Zudem führe die Verbin-
dung eines Sondernutzungsrechts mit einem Miteigentumsanteil zu einer unter-
schiedlichen Ausgestaltung der Miteigentumsanteile. Dies sei jedoch rechtlich
ausgeschlossen, weil § 10 Abs. 3 WEG nur die Eintragung von Vereinbarungen
als Inhalt des Sondereigentums insgesamt und nicht lediglich eines Teils des
Sondereigentums erlaube (KG, DNotZ 2004, 634 f.).
b) Nach der Gegenauffassung kann ein Sondernutzungsrecht einem Mit-
eigentumsanteil an einer Wohnungs- oder Teileigentumseinheit zugeordnet
werden. Auch ein Bruchteilseigentümer sei Wohnungseigentümer, so dass sich
aus dem Wortlaut des § 10 WEG keine Beschränkung ergebe (OLG Nürnberg,
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DNotZ 2012, 144; Klein in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 13 Rn. 79; Palandt/
Bassenge, BGB, 71. Aufl., § 13 WEG Rn. 9; Erman/Grziwotz, BGB, 13. Aufl.,
§ 15 WEG Rn. 7; Meikel/Morvilius, GBO, 10. Aufl., Einl. C Rn. 148; Bauer/
Oefele, GBO, 2. Aufl., AT V Rn. 135; Hügel/Kral, GBO, 2. Aufl., Seite 1146
Rn. 45; BeckOK GBO/Kral, Edition 14, Rn. 45; BeckOK WEG/Dötsch, Edition
11, § 15 Rn. 297; Bärmann/Seuß, Praxis des Wohnungseigentums, 5. Aufl., Teil
C Rn. 359; Häublein, DNotZ 2004, 635; Böttcher, Rpfleger 2005, 648, 652 f.;
Kühnlein, MittBayNot 2012, 43).
2. Der Senat war mit dieser Frage bislang nicht befasst. Er entscheidet
sie nun im Sinn der letztgenannten Auffassung.
a) Ein Sondernutzungsrecht ist das durch Vereinbarung begründete
Recht eines Wohnungs- oder Teileigentümers, abweichend von der Regel des
§ 13 Abs. 2 Satz 1 WEG Teile des Gemeinschaftseigentums allein zu benutzen
(Senat, Urteil vom 20. September 2000 - V ZB 58/99, BGHZ 145, 158, 167 f.).
Es kann aufgrund der Privatautonomie im Rahmen der Gesetze frei gestaltet
werden (Häublein, DNotZ 2004, 635 f.; Kühnlein, MittBayNot 2012, 43 f.; vgl.
auch Klein in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 13 Rn. 79). Der Zuordnung eines
Sondernutzungsrechts zu einem Miteigentumsanteil an dem Sondereigentum
stehen keine gesetzlichen Regelungen entgegen; insbesondere ist sie mit dem
Wortlaut des § 10 Abs. 3 WEG vereinbar. Miteigentum ist nämlich dem Alleinei-
gentum gleichartig (BGH, Urteil vom 14. Februar 1962 - IV ZR 156/61, BGHZ
36, 365, 368; Bamberger/Roth/Fritzsche, BGB, 3. Aufl. § 1008, Rn. 1). Auch
derjenige, der lediglich Miteigentümer einer Wohnungs- bzw. Teileigentumsein-
heit ist, gehört somit zu dem Kreis der Wohnungs- bzw. Teileigentümer. Dies
zeigt sich auch daran, dass ihm das Recht zur Benutzung des gemeinschaftli-
chen Eigentums und zur Teilnahme an der Eigentümerversammlung zusteht
(OLG Nürnberg, DNotZ 2012, 144 f.; Häublein, DNotZ 2004, 635; Böttcher,
Rpfleger 2005, 648, 652 f.; Kühnlein, MittBayNot 2012, 43 f.). Die Regelung in
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§ 25 Abs. 2 Satz 2 WEG, dass Miteigentümer von Wohnungseigentum das
Stimmrecht nur einheitlich ausüben können, verdeutlicht in besonderem Maß,
dass das Wohnungseigentumsgesetz auch solche Miteigentümer als Woh-
nungseigentümer ansieht. Zudem kann der Formulierung, dass Vereinbarungen
"als Inhalt des Sondereigentums" in das Grundbuch eingetragen werden kön-
nen (§ 10 Abs. 3 WEG), weder nach dem Wortlaut noch nach Sinn und Zweck
oder Entstehungsgeschichte der Vorschrift eine Beschränkung der Zuordnung
von Sondernutzungsrechten zu Miteigentumsanteilen entnommen werden (nä-
her Häublein, DNotZ 2004, 635 f.).
b) Der Zuordnung von Sondernutzungsrechten zu Miteigentumsanteilen
an Wohnungs- bzw. Teileigentum stehen die aus den Rechten folgenden Be-
fugnisse nicht entgegen. Für die Zuordnung besteht auch ein praktisches Be-
dürfnis, wie der vorliegende Fall zeigt. Die Beteiligte zu 2 hat ein berechtigtes
Interesse daran, das Sondernutzungsrecht ohne Mitwirkung des weiteren Mitei-
gentümers der Duplexgarage zu erwerben. Wäre die Zuordnung des Son-
dernutzungsrechts nur zu der Teileigentumseinheit insgesamt möglich, müsste
der weitere Miteigentümer bei dem Erwerb durch die Beteiligte zu 2 mitwirken
und anschließend mit ihr eine Benutzungsregelung hinsichtlich des Sondernut-
zungsrechts treffen.
c) Der Hinweis des Beschwerdegerichts auf Besonderheiten bei der
Grundbucheintragung, dass nämlich die Eintragung eines Sondernutzungs-
rechts, welches einem Bruchteilseigentümer von Wohnungs- bzw. Teileigentum
zustehen soll, mangels Anlegung eines Grundbuchblatts für jeden Bruchteilsei-
gentümer auf dem Grundbuchblatt des (gesamten) Sondereigentums erfolge,
führt zu keinem anderen Ergebnis. Das Grundbuchverfahrensrecht hat gegen-
über dem materiellen Recht dienende Funktion und muss sich diesem unter-
ordnen; die Reichweite materieller Rechtspositionen kann nicht ausgehend von
möglichen grundbuchtechnischen Schwierigkeiten bei deren Eintragung be-
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stimmt werden (vgl. Senat, Beschluss vom 4. Dezember 2008 - V ZB 74/08,
BGHZ 179, 102, 109 Rn. 13).
IV.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Festsetzung des Ge-
genstandswerts beruht auf §§ 131 Abs. 4, 30 Abs. 1 KostO.
Krüger
Lemke
Schmidt-Räntsch
Brückner
Weinland
Vorinstanzen:
AG München-Grundbuchamt, Entscheidung vom 22.06.2011 - ST-2334-8 -
OLG München, Entscheidung vom 21.11.2011 - 34 Wx 357/11 -
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