Urteil des BGH vom 11.02.2016

Sicherungshaft, Mangel, Anhörung, Zukunft

ECLI:DE:BGH:2016:110216BVZB24.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 24/14
vom
11. Februar 2016
in der Abschiebungshaftsache
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Februar 2016 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch
und die Richter Dr. Czub, Dr. Kazele und Dr. Göbel beschlossen:
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde wirdfestgestellt, dass der Beschluss
des Amtsgerichts Straubing vom 17. Dezember 2013 und der
Beschluss des Landgerichts Regensburg - 5. Zivilkammer - vom
24. Januar 2014 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt
haben.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen
des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Landkreis
Straubing Bogen auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
5.000
€.
Gründe:
I.
Der Betroffene ist peruanischer Staatsangehöriger. Bei polizeilichen Kon-
trollen am 15. und 16. Dezember 2013 wurde festgestellt, dass er sich ohne
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einen gültigen Aufenthaltstitel und ohne gültige Ausweispapiere in der Bundes-
republik Deutschland aufhielt.
Auf Antrag der beteiligten Behörde vom 17. Dezember 2013 hat das
Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom gleichen Tage
Abschiebungshaft bis längstens 16. März 2014 angeordnet. Die hiergegen ge-
richtete Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht mit Beschluss vom
24. Januar 2014 zurückgewiesen. Am 6. Februar 2014 hat der Senat die Voll-
ziehung der Sicherungshaft einstweilen ausgesetzt. Der Betroffene will mit der
Rechtsbeschwerde die Feststellung erreichen, dass die Anordnung der Haft
und deren Aufrechterhaltung durch das Beschwerdegericht seine Rechte ver-
letzt haben.
II.
Das Beschwerdegericht meint, die Voraussetzungen für die Anordnung
der Sicherungshaft lägen vor. Zwar sei die Aushändigung des Haftantrags im
amtsgerichtlichen Verfahren nicht protokolliert worden. Die Beschwerde zeige
aber nicht auf, dass bei Aushändigung eine andere Entscheidung ergangen
wäre. Die Haftdauer von drei Monaten habe das Amtsgericht in hinreichendem
Maße damit begründet, dass zunächst ein Heimreisedokument zu beschaffen
und sodann ein Flug zu buchen sei. All dies nehme erfahrungsgemäß mehrere
Wochen in Anspruch.
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III.
Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag
nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige
Rechtsbeschwerde ist begründet.
Die Anordnung der Haft durch das Amtsgericht und deren Aufrechterhal-
tung durch das Beschwerdegericht haben den Betroffenen bereits deshalb in
seinen Rechten verletzt, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte und die-
ser Mangel während des Verfahrens nicht behoben worden ist.
1. Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des
Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist
der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforde-
rungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der
zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der
Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der
notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen
die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie
müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte an-
sprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet
werden (st. Rspr., Senat, Beschlüsse vom 18. Dezember 2014 - V ZB 192/13,
juris Rn. 6 mwN).
Diesen Anforderungen genügt der Haftantrag der beteiligten Behörde
nicht, weil er keine ausreichenden Angaben zu der notwendigen Haftdauer ent-
hält. Der Hinweis auf eine Mitteilung der Zentralen Rückführungsstelle der Re-
gierung von Oberbayern, wonach eine Passersatzpapierbeschaffung für Peru
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innerhalb von drei Monaten möglich sei und der Betroffene einen entsprechen-
den Antrag bereits ausgefüllt habe, ist unzureichend. Sie lässt insbesondere
unberücksichtigt, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken
ist und die Frist von drei Monaten die obere Grenze der möglichen Haft und
nicht deren Normaldauer bestimmt (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG; näher Senat,
Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, FGPrax 2012, 225 Rn. 10; vgl.
auch Beschluss vom 10. Oktober 2013 - V ZB 67/13, juris Rn. 9).
2. Mängel in der Antragsbegründung wegen fehlender Angabe zu der
notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG) führen zur Rechts-
widrigkeit der auf Grund eines solchen Antrages erlassenen Haftanordnung
(Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384
Rn. 18 ff.). Sie können allerdings in dem gerichtlichen Verfahren mit Wirkung für
die Zukunft geheilt werden. Die Behebung des Mangels kann dadurch erfolgen,
dass die Behörde von sich aus oder auf richterlichen Hinweis ihre Darlegung
ergänzt, dadurch die Lücken des Haftantrags schließt und der Betroffene dazu
Stellung nehmen kann. Der Mangel kann aber auch dadurch behoben werden,
dass das Gericht das Vorliegen der an sich seitens der Behörde nach § 417
Abs. 2 FamFG vorzutragenden Tatsachen aufgrund eigener Ermittlungen von
Amts wegen (§ 26 FamFG) in dem Beschluss feststellt (Senat, Beschluss vom
16. Juli 2014 - V ZB 80/13, aaO, Rn. 21 ff.).
Eine solche Heilung des Mangels ist hier jedoch nicht eingetreten. Das
Beschwerdegericht hat zwar die Feststellungen getroffen, dass inzwischen ein
Pass für den Betroffenen ausgestellt worden sei und der Heimflug voraussicht-
lich in der siebten oder achten Kalenderwoche, also spätestens bis zum
23. Februar 2014, stattfinden werde. Zwingende weitere Voraussetzung für eine
rechtmäßige Haftanordnung ist in einem solchen Fall aber, dass der Betroffene
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zu den ergänzenden Angaben persönlich angehört wird. Anderenfalls ist - weil
der Betroffene zuvor (mangels zulässigen Haftantrags) keine Gelegenheit hatte,
zu den tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der gegen ihn verhängten
Freiheitsentziehung Stellung zu nehmen - die nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG
zu beachtende Verfahrensvorschrift des § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht ge-
wahrt (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 284/10, juris Rn. 9; Be-
schluss vom 18. Dezember 2014 - V ZB 192/13, juris Rn. 9; Beschluss vom
29. Oktober 2015 - V ZB 67/15, juris Rn. 6). Eine Anhörung des Betroffenen in
der Beschwerdeinstanz hat jedoch nicht stattgefunden.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Stresemann Schmidt-Räntsch Czub
Kazele Göbel
Vorinstanzen:
AG Straubing, Entscheidung vom 17.12.2013 - XIV 30/13 -
LG Regensburg, Entscheidung vom 24.01.2014 - 5 T 17/14 -
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