Urteil des BGH vom 01.03.2012

Verwaltung, Erheblichkeit, Meinung, Umgestaltung, Anfechtungsklage

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 189/11
vom
1. März 2012
in dem Rechtsstreit
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. März 2012 durch den Vor-
sitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Prof. Dr. Schmidt-
Räntsch und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer
des Landgerichts Dortmund vom 25. Juli 2011 wird auf Kosten der
Kläger zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
300 €.
Gründe:
I.
Die Parteien sind die Mitglieder einer Wohnungseigentümergemein-
schaft. Die Anlage besteht aus Reihen-, Mehr- und Einfamilienhäusern. In der
Eigentümerversammlung vom 19. April 2010 beschlossen die Eigentümer mit
Zustimmung der Kläger u.a., dass im Vorgartenbereich eines der Mehrfamilien-
häuser die vorhandene Gartenbepflanzung entfernt und ein Steingarten mit
neuer Bepflanzung angelegt werden dürfe. Der Beschluss sieht vor, dass der
Gemeinschaft durch die Umgestaltung des Gartens keine Kosten entstehen.
Das Amtsgericht hat, soweit von Interesse, die hiergegen gerichtete Anfech-
tungsklage der Kläger abgewiesen.
Den Streitwert hat es auf 1.000 € festge-
setzt. Das Landgericht, das die Beschwer der Kläger mit 300 € bewertet hat, hat
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die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbe-
schwerde der Kläger. Sie sind der Meinung, das Berufungsgericht hätte die Be-
rufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache sowie zur Fortbildung des
Rechts und Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nachträglich zulas-
sen müssen.
II.
1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO
statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Hat das erstinstanzliche Gericht, wie
hier, keine Veranlassung gesehen, die Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 ZPO
zuzulassen, weil es den Streitwert auf über 600 € festgesetzt hat, und hält das
Berufungsgericht diesen Wert für nicht erreicht, muss es die Entscheidung dar-
über nachholen, ob die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung erfüllt
sind. Denn die unterschiedliche Bewertung der Beschwer darf nicht zu Lasten
der Partei gehen (vgl. nur Senat, Beschluss vom 19. Mai 2011 - V ZB 250/10,
ZMR 2011, 782 mwN). Diese Rechtsprechung ist dem Berufungsgericht offen-
bar nicht bekannt. Daher erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtspre-
chung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2
ZPO).
2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Der Senat kann die
Erheblichkeit der fehlenden Zulassungsentscheidung durch die Instanzgerichte
im Rechtsbeschwerdeverfahren selbst prüfen (BGH, Beschluss vom 21. April
2010 - XII ZB 128/09, NJW-RR 2010, 934 Rn. 21). Diese Prüfung ergibt, dass
eine Zulassung der Berufung nicht in Betracht gekommen wäre.
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a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kommt unter dem
Gesichtspunkt der Divergenz eine Zulassung der Berufung zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung (§ 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Alt. 3 ZPO) nicht in
Betracht. Die Ansicht des Amtsgerichts, dass ein Wohnungseigentümer, der
einem Beschluss zugestimmt hat, eines besonderen Grundes für die Anfech-
tung bedürfe, ist für die Entscheidung nicht tragend geworden (vgl. Senat, Be-
schluss vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 292 f.; Münch-
Komm-ZPO/Wenzel, 3. Aufl., § 543 Rn. 15). Es stützt seine Entscheidung allein
darauf, dass der Beschluss ordnungsgemäßer Verwaltung entspreche ("Insge-
samt ist der Beschluss mithin, unabhängig davon, dass die Kläger zunächst
zugestimmt haben, auch ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechend gültig.").
b) Auch unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des Anspruchs der
Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist die Berufung nicht zuzulassen.
Ob ein Verstoß des Erstgerichts gegen das Gebot des rechtlichen Ge-
hörs überhaupt einen Zulassungsgrund im Sinne des § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO
darstellt, kann dahinstehen. Denn das Amtsgericht hat das rechtliche Gehör der
Kläger nicht verletzt.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen
der Parteien zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Es ist da-
bei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen
ausdrücklich zu befassen. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt beson-
dere Umstände voraus, die zweifelsfrei darauf schließen lassen, dass tatsächli-
ches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis ge-
nommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (Senat, Be-
schluss vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 300). Solche Um-
stände sind hier weder dargetan noch ersichtlich.
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Dass das Amtsgericht den Vortrag der Kläger nicht zur Kenntnis ge-
nommen hat, wonach die Gartenfläche unter Beseitigung der vorhandenen
Sträucher in einen nicht näher bezeichneten Steingarten umgestaltet werden
soll, ist fernliegend. Dies ist Gegenstand des angefochtenen Beschlusses. So-
weit die Kläger Ausführungen des Amtsgerichts zu ihrem Vorbringen vermissen,
dass durch Beschluss einzelnen Eigentümern nicht Kosten auferlegt werden
können, lag eine Erörterung dieser Frage schon deswegen nicht nahe, weil ein
solcher Beschluss nicht gefasst worden war.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Krüger
Lemke
Schmidt-Räntsch
Brückner
Weinland
Vorinstanzen:
AG Gelsenkirchen-Buer, Entscheidung vom 10.11.2010 - 9 C 258/10 -
LG Dortmund, Entscheidung vom 25.07.2011 - 1 S 321/10 -
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