Urteil des BGH vom 09.06.2016

Leitsatzentscheidung zu Anfechtungsklage, Ermächtigung, Verwalter, Abweisung

ECLI:DE:BGH:2016:090616BVZB17.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 17/15
vom
9. Juni 2016
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 511 Abs. 2 Nr. 1; WEG § 46 Abs. 1
Hat ein Wohnungseigentümer erfolglos einen Beschluss angefochten,
durch den der Verwalter zur gerichtlichen Geltendmachung einer Forderung
gegen ihn ermächtigt worden ist, bestimmt sich der Wert seiner Beschwer
grundsätzlich nach dem Nennbetrag der Forderung.
BGH, Beschluss vom 9. Juni 2016 - V ZB 17/15 - LG Aurich
AG Oldenburg
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Juni 2016 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Dr. Brückner und
Weinland, den Richter Dr. Kazele und die Richterin Haberkamp
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss der
4. Zivilkammer des Landgerichts Aurich vom 12. Dezember 2014
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht
zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
4.727,63 €.
Gründe:
I.
Die Parteien sind die Mitglieder einer Wohnungseigentümergemein-
schaft. In der Eigentümerversammlung vom 23. Juli 2013 wurde unter TOP 3
beschlossen, die Verwalterin zur gerichtlichen Geltendmachung von Forderun-
gen in Höhe von 4.427,63 € gegen die Kläger zu ermächtigen.
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Die Kläger wenden sich mit der Anfechtungsklage gegen diesen und ei-
nen weiteren zu TOP 2 ergangenen Beschluss. Das Amtsgericht hat die Klage
abgewiesen. Die Berufung hat das Landgericht als unzulässig verworfen. Da-
gegen wenden sich die Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Das Berufungsgericht meint, die Beschwer der Kläger bemesse sich be-
züglich der Anfechtung des Beschlusses zu TOP 3 nach dem Anteil der Kläger
an den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz im Fall der Klageabweisung;
danach ergebe sich ein Betrag von 111,93 €. Verfahrenskosten für ein Beru-
fungsverfahren seien nicht zu berücksichtigen, da sich die Ermächtigung der
Verwalterin nur auf die erste Instanz beziehe. Das Interesse der Kläger, die Er-
hebung der Anfechtungsklage überhaupt zu vermeiden, bleibe außer Betracht,
da sie dieses Interesse in dem gegen sie geführten Rechtsstreit wahren könn-
ten.
III.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 522
Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist nicht bereits deshalb auf-
zuheben, weil sie keine Sachdarstellung enthält.
a) Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen nach ge-
festigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allerdings den für die Ent-
scheidung maßgeblichen Sachverhalt wiedergeben. Dies gilt auch für einen
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Beschluss, durch den die Berufung mit der Begründung verworfen wird, die Be-
rufungssumme nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO sei nicht erreicht. Nach § 577 Abs.
2 Satz 4, § 559 ZPO hat das Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich von dem
Sachverhalt auszugehen, den das Beschwerdegericht festgestellt hat. Fehlen
tatsächliche Feststellungen, ist es zu einer rechtlichen Überprüfung nicht in der
Lage, was die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nach sich zieht (vgl.
Senat, Beschluss vom 7. April 2011 - V ZB 301/10, WuM 2011, 377 Rn. 3).
b) Vorliegend geht aus der angegriffenen Entscheidung der konkrete
Gegenstand des Beschlusses zu TOP 2 zwar nicht hervor, so dass insoweit
eine rechtliche Nachprüfung nicht erfolgen kann. Anders ist dies aber in Bezug
auf den Beschluss der Wohnungseigentümer zu TOP 3. Die insoweit getroffe-
nen Feststellungen ermöglichen eine rechtliche Prüfung der Frage, ob die not-
wendige Beschwer v
on 600 € (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) überschritten ist.
2. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitli-
chen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfor-
dert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Dieser Zulässigkeitsgrund ist unter ande-
rem dann gegeben, wenn das Berufungsgericht dem Rechtsmittelführer den
Zugang zu der an sich gegebenen Berufung unzumutbar erschwert. Eine solche
Erschwerung kann in einem Fehler bei der Bemessung der Beschwer liegen.
Voraussetzung dafür ist, dass das Berufungsgericht die Grenzen seines Er-
messens überschritten oder von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Er-
mächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Denn die Be-
messung der Beschwer kann auch in dem Verfahren über eine aus anderen
Gründen zulässige Rechtsbeschwerde nur in dieser Hinsicht überprüft werden
(Senat, Beschluss vom 11. Juni 2015 - V ZB 78/14, NJW-RR 2015, 1421 Rn. 7
mwN). Hier hat das Berufungsgericht den Klägern den Zugang zu der Berufung
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deshalb unzumutbar erschwert, weil es die Beschwer aufgrund von rechtlichen
Erwägungen bemessen hat, die das Rechtsschutzziel der Kläger verkennen.
3. Das Rechtsmittel ist begründet. Die Berufung durfte nicht als unzuläs-
sig verworfen werden, weil schon die Abweisung der Anfechtungsklage betref-
fend den unter TOP 3 gefassten Beschluss die Kläger mit über 600 € be-
schwert.
a) Maßgebend für den Wert des Beschwerdegegenstands ist das Inte-
resse des Berufungsklägers an der Abänderung des angefochtenen Urteils;
dieses ist unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu bewerten. Dabei ist auch in
wohnungseigentumsrechtlichen Verfahren allein auf die Person des Rechtsmit-
telführers, seine Beschwer und sein Änderungsinteresse abzustellen (Senat,
Beschluss vom 9. Februar 2012 - V ZB 211/11, ZWE 2012, 224 Rn. 4 mwN).
b) Hiervon ausgehend hat das Berufungsgericht die Beschwer der Kläger
rechtsfehlerhaft bemessen.
Das Interesse der Kläger, den Beschluss der Wohnungseigentümer zu
TOP 3 für ungültig erklären zu lassen, besteht nicht in der Abwehr einer mögli-
chen anteilsmäßigen Belastung mit Prozesskosten, sondern liegt in der Verhin-
derung der gerichtlichen Geltendmachung der gegen sie gerichteten Forderung.
Zu der Erhebung einer Klage im Namen der Gemeinschaft der Wohnungseigen-
tümer ist der Verwalter nach § 27 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 WEG nämlich nur berech-
tigt, soweit er hierzu durch Vereinbarung oder Beschluss der Wohnungseigen-
tümer mit Stimmenmehrheit ermächtigt ist (vgl. nur Senat, Urteil vom 28. Januar
2011 - V ZR 145/10, BGHZ 188, 157 Rn. 13; Merle/Becker in Bärmann, WEG,
13. Aufl., § 27 Rn. 272). Gelänge es den Klägern, die Ermächtigung der Verwal-
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terin als Voraussetzung für eine Klageerhebung zu beseitigen, könnten die Be-
klagten die Forderung nicht geltend machen. Hat ein Wohnungseigentümer er-
folglos einen Beschluss angefochten, durch den der Verwalter zur gerichtlichen
Geltendmachung einer Forderung gegen ihn ermächtigt worden ist, bestimmt
sich der Wert seiner Beschwer deshalb grundsätzlich nach dem Nennbetrag der
Forderung (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Juni 2013 - V ZB 182/12, MDR 2013,
961 Rn. 10). Folglich sind die Kläger bereits wegen der in Bezug auf TOP 3 ab-
gewiesenen Anfechtungsklage in Höhe von 4.427,63 € beschwert.
IV.
Die Sache ist nach § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO an das Berufungsgericht zur
erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. Die Festsetzung des Gegen-
standswerts für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 49a Abs. 1 GKG;
das Interesse der Kläger an der Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils be-
treffend die Abweisung der Anfechtungsklage bezüglich TOP 3 entspricht dem
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Nennwert der Forderung und bildet die Untergrenze für den Gegenstandswert
(§ 49a Abs. 1 Satz 2 GKG). In Bezug auf die Berufung gegen die Abweisung
der Anfechtungsklage bezüglich des Beschlusses zu TOP 2 schätzt der Senat
das Interesse mangels anderer Anhaltspunkte auf 300 €.
Stresemann Brückner Weinland
Kazele Haberkamp
Vorinstanzen:
AG Oldenburg, Entscheidung vom 19.06.2014 - 10 C 20/13 (WEG) -
LG Aurich, Entscheidung vom 12.12.2014 - 4 S 149/14 -