Urteil des BGH vom 07.04.2011

Abschiebungshaft, Ausstellung, Beschleunigungsgebot, Anhörung, Hindernis

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 133/10
vom
7. April 2011
in der Abschiebungshaftsache
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. April 2011 durch den Vor-
sitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richterin Dr. Stresemann, den Richter
Dr. Czub und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland
beschlossen:
Der Betroffenen wird gegen die Versäumung der Frist zur Begrün-
dung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand gewährt.
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird festgestellt, dass
der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom
19. April 2010 und der Beschluss des Amtsgerichts Bingen vom
3. März 2010 die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechen-
den Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Betroffenen
werden dem S. auferlegt. Im Übrigen findet keine Ausla-
generstattung statt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
3.000 €.
Gründe:
I.
Zur Darstellung des Sachverhalts wird auf den heute in der Sache V ZB
77/10 ergangenen Beschluss Bezug genommen. Ergänzend ist auszuführen:
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Die Betroffene stellte aus der Haft einen Asylantrag, der bei dem Bun-
desamt für Migration und Flüchtlinge am 21. Dezember 2009 einging und den
das Amt mit Bescheid vom 15. Januar 2010, zugestellt am 18. Januar 2010,
zurückwies. Einen Eilantrag der Betroffenen nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die
mit der Zurückweisung des Asylantrags ergangene Abschiebungsandrohung
des Bundesamts wies das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 28. Januar
2010 zurück.
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Auf Antrag der Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht mit Beschluss vom
3. März 2010 die Verlängerung der Abschiebungshaft bis zum 9. Juni 2010 und
die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Mit Beschluss vom
19. April 2010 hat das Landgericht die Beschwerde der Betroffenen gegen die-
sen Beschluss zurückgewiesen. Die Betroffene, die am 26. April 2010 nach Ni-
geria abgeschoben worden ist, erstrebt die Feststellung, dass sie durch die
Entscheidung des Beschwerdegerichts und den die Haft verlängernden Be-
schluss in ihren Rechten verletzt worden sei.
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II.
Das Beschwerdegericht bejaht den Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Satz 1
Nr. 5 AufenthG, weil der Verdacht bestehe, dass sich die Betroffene einer Ab-
schiebung in ihr Heimatland entziehen werde. Die Sicherungshaft sei auf sechs
Monate zu verlängern gewesen, weil die Betroffene die bei der Beschaffung von
Ersatzpapieren eingetretenen Verzögerungen zu vertreten habe. Ein Verstoß
gegen das Beschleunigungsgebot liege ebenfalls nicht vor, weil die für die Aus-
stellung von Passersatzpapieren erforderliche Konsulatsvorführung erst nach
Abschluss des Asylverfahrens möglich gewesen sei.
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III.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
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Die Betroffene ist bereits deshalb in ihrem Freiheitsgrundrecht verletzt
worden, weil der Verlängerung der Abschiebungshaft ebenfalls kein zulässiger
Haftantrag zugrunde lag. Auch dieser Antrag der Beteiligten zu 2 verhielt sich
nicht zu dem für eine Abschiebung nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG notwen-
digen Einvernehmen der Staatsanwaltschaft. Die Haftanordnung und die Zu-
rückweisung der Beschwerde ergingen daher auf der Grundlage eines unzuläs-
sigen Antrags, der nicht den in § 417 Abs. 2 FamFG bestimmten Anforderungen
an die Darlegung der Vollziehbarkeit der beabsichtigten Abschiebung genügte.
Der Senat nimmt insoweit zur Begründung seiner Entscheidung auf die Ausfüh-
rungen in der die ursprüngliche Haftanordnung betreffenden Sache (V ZB
77/10) Bezug.
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Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die zuständige Staats-
anwaltschaft dem Beschwerdegericht ihr Einvernehmen mit der Abschiebung
der Betroffenen telefonisch mitgeteilt und das Beschwerdegericht die Beteiligten
in dem Termin zur Anhörung der Betroffenen davon unterrichtet hat. Damit ent-
fiel zwar das deren Abschiebung entgegenstehende Hindernis, jedoch nicht die
in der Beschwerdeinstanz nicht heilbare Verletzung des Art. 104 Abs. 1 Satz 1
GG. Ohne einen nach § 417 FamFG wirksamen Haftantrag durfte die Abschie-
bungshaft weder angeordnet noch verlängert werden (vgl. BVerfG, NVwZ-RR
2009, 304, 305; Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, NVwZ
2010, 1508, 1509 Rn. 19 und vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, NVwZ 2010,
1511, 1512 Rn. 16). Einen erneuten Haftantrag vor dem Amtsgericht hat die
Beteiligte zu 2 jedoch nicht gestellt.
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IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83
Abs. 2, § 430 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO; die Festsetzung des Be-
schwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.
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Krüger
Stresemann
Czub
Brückner
Weinland
Vorinstanzen:
AG Bingen am Rhein, Entscheidung vom 03.03.2010 - 10 XIV 7/10.B -
LG Mainz, Entscheidung vom 19.04.2010 - 8 T 50/10 -