Urteil des BGH vom 13.10.2011
Zustellung, Aufenthalt, Bezirk, Abschiebung, Asylbewerber
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 13/11
vom
13. Oktober 2011
in der Abschiebungshaftsache
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Oktober 2011 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Prof. Dr. Schmidt-Räntsch
und Dr. Roth und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass
der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom
7. Januar 2011 und der Beschluss des Amtsgerichts Hannover
vom 5. Januar 2011 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt
haben.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechen-
den Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen
werden dem Landkreis Saalekreis auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
3000
€.
Gründe:
I.
Der Betroffene, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszuge-
hörigkeit, stellte am 18. März 2002 bei der Zweigstelle Halberstadt des Bun-
desamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge einen Asylantrag, den
er wenige Tage später zurücknahm. Mit Bescheid vom 27. März 2002, be-
standskräftig seit 8. April 2002, wurde das Asylverfahren eingestellt und die
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Abschiebung angedroht. Die für die landesinterne Verteilung zuständige Zent-
rale Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Sachsen-Anhalt wies den Be-
troffenen einer Unterkunft zu, die im Bezirk der beteiligten Behörde liegt. Sie
teilte dies der Gemeinschaftsunterkunft in Halberstadt mit Schreiben vom
8. Mai 2002 mit. Die schriftliche Zuweisungsentscheidung vom gleichen Tag
wurde dem Betroffenen nicht zugestellt, weil sein Aufenthalt unbekannt war.
Am 28. November 2010 wurde er am Flughafen Hannover festgenommen. Das
Amtsgericht hat auf den Haftantrag der beteiligten Behörde hin zunächst eine
einstweilige Anordnung getroffen und mit Beschluss vom 5. Januar 2011 Siche-
rungshaft bis zum 17. Januar 2011 angeordnet. Die dagegen gerichtete Be-
schwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde will
der Betroffene die Rechtswidrigkeit der in dem Hauptsacheverfahren erlasse-
nen Beschlüsse feststellen lassen, nachdem er am 10. Januar 2011 abgescho-
ben worden ist.
II.
Das Beschwerdegericht meint, die beteiligte Behörde sei zuständig für
die Stellung des Haftantrags. Auf die Zustellung der Zuweisungsentscheidung
an den Betroffenen komme es nicht an. Es sei ausreichend, dass der beteiligte
Landkreis im Rahmen einer Unterkunftszuweisung zur zuständigen Ausländer-
behörde bestimmt worden sei.
III.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Betroffene ist durch
die Haftanordnung und die Beschwerdeentscheidung in seinen Rechten ver-
letzt, weil die beteiligte Behörde nicht zuständig für die Stellung des Haftantrags
war.
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1. Die Haft darf gemäß § 417 Abs. 1 FamFG nur auf Antrag der zustän-
digen Verwaltungsbehörde angeordnet werden. Fehlt es an der Zuständigkeit,
ist der Haftantrag unzulässig. Das Vorliegen eines zulässigen Antrags ist in je-
der Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (st. Rspr., vgl. nur Senat,
Beschluss vom 18. März 2010 - V ZB 194/09, FGPrax 2010, 156 Rn. 11 mwN).
Sachlich zuständig ist gemäß § 71 Abs. 1 AufenthG die Ausländerbehörde. Die
örtliche Zuständigkeit folgt aus den jeweiligen Landesgesetzen (Drews/Fritsche,
NVwZ 2011, 527, 528). Gemäß § 1 Abs. 1 VwVfG LSA i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 3a
VwVfG ist bei natürlichen Personen der gewöhnliche Aufenthalt, hilfsweise der
letzte gewöhnliche Aufenthalt maßgeblich.
2. Hält sich ein Asylbewerber in dem ihm gemäß § 50 Abs. 4 Satz 1
AsylVfG zugewiesenen Bezirk auf, so bleibt die dortige Ausländerbehörde auch
dann zuständig, wenn er sich unerlaubt aus dem Bezirk entfernt, um sich einer
angedrohten Abschiebung zu entziehen. Grund hierfür ist, dass er wegen der
Aufenthaltsbeschränkung an einem anderen Ort nicht bleiben kann (Senat, Be-
schluss vom 18. März 2010 - V ZB 194/09, FGPrax 2010, 156 Rn. 13 f. mwN).
Ist dem Ausländer dagegen die Zuweisungsentscheidung nicht zugestellt wor-
den und hat er auch keinen gewöhnlichen Aufenthalt in dem zugewiesenen Be-
zirk begründet, ist die Zuständigkeit der örtlichen Ausländerbehörde nicht be-
gründet worden. Allerdings ermöglicht § 10 AsylVfG im Regelfall eine verein-
fachte Zustellung der Zuweisungsentscheidung.
Hier hat das Beschwerdegericht für den Senat bindend festgestellt, dass
eine wirksame Zustellung nicht erfolgt ist. Die Zuweisungsentscheidung ist nicht
- wie das Beschwerdegericht meint - eine bloße verwaltungsinterne Abgabe,
sondern ein Verwaltungsakt, der gemäß § 1 Abs. 1 VwVfG LSA i.V.m. § 43
Abs. 1 Satz 1 VwVfG erst mit der Bekanntgabe an den Betroffenen wirksam
wird. Diese hat gemäß § 50 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG durch Zustellung an den
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Ausländer selbst zu erfolgen. Sie hat zur Folge, dass er sich unverzüglich zu
der in der Zuweisungsverfügung angegebenen Stelle begeben muss, § 50
Abs. 6 AsylVfG, und sich andernfalls strafbar macht, § 85 Nr. 1 AsylVfG. Auch
steht ihm die Verpflichtungsklage hinsichtlich der Zuweisungsentscheidung of-
fen (HK-AuslR/Keßler, § 50 AsylVfG Rn. 37). Ist die Zuweisung mangels Zustel-
lung nicht wirksam geworden, bleibt die bis dahin zuständige Ausländerbehörde
zuständig.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83
Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO.
Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m.
§ 30 Abs. 2 KostO.
Krüger
Schmidt-Räntsch
Roth
Brückner
Weinland
Vorinstanzen:
AG Hannover, Entscheidung vom 05.01.2011 - 44 XIV 148/10 -
LG Hannover, Entscheidung vom 07.01.2011 - 8 T 5/11 -
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