Urteil des BGH vom 04.06.2009

Leitsatzentscheidung zu Unabhängigkeit, Gütliche Einigung, Verfassungskonform, Prozessvertreter, Kritik

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
RiZ(R) 5/08
vom
Verkündet
am:
4. Juni 2009
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
4. Juni 2009
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR
ja
_____________________
DRiG § 26 Abs. 1 und 2
Wird in einer dienstlichen Beurteilung die Form der Verhandlungsführung des Rich-
ters verallgemeinernd negativ bewertet, ohne konkrete Beobachtungen des Beurtei-
lers in bestimmten Verhandlungen in Bezug zu nehmen, kann dies als eine allgemei-
ne Kritik an der Verhandlungsführung des Richters verstanden werden und auf die
Weisung hinauslaufen, zukünftig anders oder im Sinne des Beurteilers zu verfahren,
die die richterliche Unabhängigkeit des Beurteilten beeinträchtigt.
BGH - Dienstgericht des Bundes - Urteil vom 4. Juni 2009 - RiZ(R) 5/08 -
Dienstgericht für Richter bei dem Landgericht Leipzig
- 2 -
In dem Prüfungsverfahren
des Richters am Arbeitsgericht
Antragsteller,
Revisionskläger
und
Revisionsbeklagter,
- Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
-
gegen
Freistaat
Antragsgegner,
Revisionsbeklagter
und
Revisionskläger,
wegen Anfechtung einer Maßnahme der Dienstaufsicht
- 3 -
Der Bundesgerichtshof - Dienstgericht des Bundes - hat aufgrund der mündli-
chen Verhandlung vom 4. Juni 2009 durch die Vorsitzende Richterin am Bun-
desgerichtshof Dr.
Rissing-van Saan, die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer und Prof. Dr. Büscher, die Richterin am Bundesarbeitsgericht
Gräfl und den Richter am Bundesarbeitsgericht Schmitz-Scholemann für Recht
erkannt:
1. Auf die Revision des Antragstellers wird das Urteil des
Landgerichts Leipzig - Dienstgericht für Richter - vom
3. Juli 2008 teilweise (dahin) abgeändert:
Die dienstliche Beurteilung vom 8. Februar 2006 in Ge-
stalt des Prüfungsvermerks vom 19. April 2006 und des
Widerspruchsbescheids vom 24. Juli 2007 ist unzuläs-
sig soweit darin ausgeführt wird:
"…
"Vor allem vor dem Hintergrund der dienstlichen Beur-
teilung vom 29. April 2002 zeigt dies, dass Herr T.
nicht gewillt ist, sich insoweit gesetz- und verfas-
sungskonform zu verhalten."
"Trotz vielfältiger Bitten der Prozessbevollmächtigten
äußert sich Herr T. zu den Prozesschancen und
-risiken nicht."
"Die Parteien und Prozessvertreter wissen nicht, ob und
was sie sagen sollen. Herr T. sitzt da und war-
tet, was denn wohl passieren werde. (Vergleichsvor-
schläge unter Berücksichtigung der Prozesschancen
und -risiken unterbreiter Herr T. nicht)."
2. Die Revision des Antragsgegners gegen das genannte
Urteil wird zurückgewiesen.
3. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Von Rechts wegen
- 4 -
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsteller durch Formulierun-
gen in der dienstlichen Beurteilung vom 8. Februar 2006 in seiner richterlichen
Unabhängigkeit beeinträchtigt wird.
1
Der Antragsteller steht seit dem Jahr 1991 im richterlichen Dienst des
Antragsgegners. Er ist seit März 2000 Richter am Arbeitsgericht L. und
Vorsitzender einer Kammer. Am 8. Februar 2006 beurteilte der Präsident des
Arbeitsgerichts L. den Antragsteller. Die dienstliche Regelbeurteilung um-
fasst den Zeitraum 1. Januar 2002 bis 31. Dezember 2005 und schließt mit dem
Gesamturteil "Er entspricht nicht den Anforderungen". Im Übrigen hat sie u. a.
folgenden Wortlaut:
2
"Von den insgesamt 217 streitigen Urteilen, den vier Teil-
urteilen sowie den elf Entscheidungen in BV-, GaBV- bzw.
Ga-Verfahren hat Herr T. 185 Entscheidungen (!) nicht in-
nerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 60 Abs. 4 bzw.
Abs. 1 ArbGG in vollständig abgesetzter Form der Ge-
schäftsstelle übergeben. 78 Entscheidungen legte Herr T.
erst vier bis fünf Monate - die allermeisten davon genau
fünf Monate - nach ihrer Verkündung in vollständig abge-
setzter Form der Geschäftsstelle vor. Vier Entscheidungen
wurden erst nach Ablauf von fünf Monaten nach ihrer Ver-
kündung in vollständig abgesetzter Form der Geschäfts-
stelle vorgelegt. Dieses Verhalten ist vor dem Hintergrund,
dass Herr T. jedenfalls in den Jahren 2004 und 2005 nicht
überbelastet war, nicht zu rechtfertigen. Für andere Ent-
scheidungen (zum Beispiel im Prozesskostenhilferecht)
brauchte Herr T. zum Teil Jahre. Vor allem vor dem Hin-
tergrund der dienstlichen Beurteilung vom 29. April 2002
zeigt dies, dass Herr T. nicht gewillt ist, sich insoweit ge-
setz- und verfassungskonform zu verhalten. Am
1. Februar 2003 hatte Herr T. zwei Urteile aus dem Jahre
2000 und zwei Urteile aus dem Jahre 2001 noch nicht ab-
gesetzt. Die beiden Urteile vom 24. November 2000 und
vom 8. Dezember 2000 lagen auch am 1. August 2003
noch nicht in vollständig abgesetzter Form der Geschäfts-
stelle vor.
- 5 -
Herr T. bereitet seine mündlichen Verhandlungen auch mit
entsprechenden Hinweis- und Auflagenbeschlüssen so
vor, dass sie regelmäßig im ersten Kammertermin ent-
scheidungsreif sind. Es ist allerdings nicht erkennbar, dass
Herr T. die mündlichen Verhandlungen leitet. Er lässt nach
der Antragstellung die Parteien reden, ohne auf die ent-
scheidungserheblichen Fragen hinzuwirken. Diese werden
auch nicht deutlich herausgearbeitet. Trotz vielfältiger Bit-
ten der Prozessbevollmächtigten äußert sich Herr T. zu
den Prozesschancen und -risiken nicht. Es entstehen in
der mündlichen Verhandlung Leerläufe. Die Parteien und
Prozessvertreter wissen nicht, ob und was sie sagen sol-
len. Herr T. sitzt da und wartet, was denn wohl passieren
werde. Vergleichsvorschläge unter Berücksichtigung der
Prozesschancen und -risiken unterbreitet Herr T. nicht. Er
schließt die Verhandlung, ohne dass die Parteien eine Ah-
nung davon haben, worauf es dem Gericht ankommt und
was das Gericht für entscheidungserheblich hält.
Herr T.s Urteile sind sprachlich gut nachvollziehbar und in
der Regel übersichtlich aufgebaut. Sie sind auch gut ver-
ständlich. Herr T. blendet allerdings die höchstrichterliche
Rechtsprechung oft selbst dann aus, wenn er von ihr ab-
weicht.
Für die Parteien wäre es jedenfalls hilfreich zu erfahren,
ob die Rechtsprechung der Kammer des Richters T. sich
an der höchstrichterlichen Rechtsprechung orientiert oder
nicht."
Die dienstliche Beurteilung wurde dem Antragsteller am 3. April 2006 er-
öffnet. Mit Prüfungsvermerk vom 19. April 2006 wurde sie vom Präsidenten des
Sächsischen Landesarbeitsgerichts bestätigt und am 24. April 2006 dem An-
tragsteller nochmals eröffnet.
3
Mit einem an den Präsidenten des Sächsischen Landesarbeitsgerichts
gerichteten Schreiben vom 24. April 2007 erhob der Antragsteller Widerspruch
gegen die dienstliche Beurteilung. Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juli 2007,
der dem Antragsteller am 1. August 2007 zuging, wurde dieser zurückgewie-
4
- 6 -
sen. Mit der am 3. September 2007 beim Landgericht Leipzig eingereichten An-
tragsschrift hat der Antragsteller eine gerichtliche Entscheidung des Dienstge-
richts für Richter beantragt. Daneben hat er die Beurteilung mit einer Klage vor
dem Verwaltungsgericht Leipzig (- 3 K 559/07 -) angefochten.
Der Antragsteller hat die Auffassung vertreten, dass die dienstliche Beur-
teilung als Maßnahme der Dienstaufsicht ihn - soweit angefochten - in seiner
richterlichen Unabhängigkeit verletze. Dies folge schon daraus, dass die bean-
standeten Passagen keine zulässigen Maßnahmen der Dienstaufsicht darstell-
ten. Es handle sich um offenkundige Rügen seines Verhaltens im Kernbereich
der richterlichen Tätigkeit, der der Dienstaufsicht grundsätzlich entzogen sei.
5
Der Antragsteller hat beantragt
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festzustellen, dass die dienstliche Beurteilung vom
8. Februar 2006/19. April 2006 eine unzulässige Maß-
nahme der Dienstaufsicht insoweit darstellt, als dort
ausgeführt wird:
1.
"Vor allem vor dem Hintergrund der dienstlichen
Beurteilung vom 29. April 2002 zeigt dies, dass
Herr T. nicht gewillt ist, sich insoweit gesetz-
und verfassungskonform zu verhalten."
2.
"Er lässt nach der Antragstellung die Parteien
reden, ohne auf die entscheidungserheblichen
Fragen hinzuwirken. Diese werden auch nicht
deutlich herausgearbeitet. Trotz vielfältiger Bit-
ten der Prozessbevollmächtigten äußert sich
Herr T. zu den Prozesschancen und -risiken
nicht. Es entstehen in der mündlichen Verhand-
lung Leerläufe. Die Parteien und Prozessvertre-
ter wissen nicht, ob und was sie sagen sollen.
Herr T. sitzt da und wartet, was denn wohl pas-
sieren werde. Vergleichsvorschläge unter Be-
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rücksichtigung der Prozesschancen und -risiken
unterbreitet Herr T. nicht. Er schließt die Ver-
handlung, ohne dass die Parteien eine Ahnung
davon haben, worauf es dem Gericht ankommt
und was das Gericht für entscheidungserheb-
lich hält."
3. "Herr T. blendet allerdings die höchstrichterliche
Rechtsprechung oft selbst dann aus, wenn er
von ihr abweicht. Für die Parteien wäre es je-
denfalls hilfreich zu erfahren, ob die Rechtspre-
chung der Kammer des Richters T. sich an der
höchstrichterlichen Rechtsprechung orientiert
oder nicht."
Der die Zurückweisung des Antrags begehrende Antragsgegner ist der
Auffassung, die dienstliche Beurteilung wahre die Grenzen der richterlichen Un-
abhängigkeit. Sie sei eine notwendige und zulässige Bewertung der Eignung,
Leistung und Befähigung des Antragstellers.
7
Das Landgericht Leipzig - Dienstgericht für Richter - hat den Antrag für
zulässig und teilweise auch für begründet gehalten. Unbegründet sei er hin-
sichtlich der in Ziff. 1 des Antrags genannten Formulierung. Diese sei nicht ge-
eignet, die richterliche Unabhängigkeit zu beeinträchtigen. Sie stehe im Zu-
sammenhang mit der Feststellung der vielfachen Nichteinhaltung der Urteilsab-
setzungsfristen. Begründet sei der Antrag hingegen hinsichtlich der in Ziff. 2 des
Antrags genannten Formulierungen "Er lässt nach der Antragstellung die Par-
teien reden, ohne auf die entscheidungserheblichen Fragen hinzuwirken. Diese
werden auch nicht deutlich herausgearbeitet.", "Es entstehen in der mündlichen
Verhandlung Leerläufe." und "Er schließt die Verhandlung, ohne dass die Par-
teien eine Ahnung davon haben, worauf es dem Gericht ankommt und was das
Gericht für entscheidungserheblich hält". Diese Aussagen seien geeignet, die
richterliche Unabhängigkeit zu beeinträchtigen. Sie beträfen die Verhandlungs-
8
- 8 -
führung und damit den Kernbereich der richterlichen Tätigkeit. Hingegen gehe
es in der weiteren unter Ziff. 2 des Antrags beanstandeten Formulierung im
Wesentlichen um eine zulässige Beschreibung der Verhandlungsführung. Be-
gründet wiederum sei der Antrag hinsichtlich der unter Ziff. 3 bezeichneten
Wendungen. Welchen Weg der Rechtsfindung der Richter wähle, sei dem
Kernbereich der Rechtsprechung zuzuordnen.
Der Antragsteller verfolgt mit seiner Revision seinen Antrag, soweit er
ohne Erfolg blieb, mit Ausnahme der Formulierung "Es ist allerdings nicht er-
kennbar, dass Herr T. die mündlichen Verhandlungen leitet.", weiter.
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Der Antragsgegner erstrebt mit seiner Revision die vollständige Zurück-
weisung des Antrags.
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Die Beteiligten rügen insoweit jeweils die Verletzung materiellen Rechts.
Wechselseitig beantragen die Beteiligten jeweils die Revision der Gegenseite
zurückzuweisen und verteidigen insoweit das dienstgerichtliche Urteil.
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Entscheidungsgründe:
I. Die Revision des Antragstellers hat Erfolg, die des Antragsgegners
nicht. Der Antrag ist in den mit der Revision weiter verfolgten Punkten begrün-
det. Die beanstandeten Formulierungen sind geeignet, den Antragsteller in sei-
ner richterlichen Unabhängigkeit zu beeinträchtigen, so dass unter Aufhebung
des Urteils des Landgerichts in diesem Umfang antragsgemäß deren Unzuläs-
sigkeit festzustellen war (§ 26 Abs. 3 DRiG i. V. m. § 50 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1
SächsRiG).
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1. Zutreffend hat das Dienstgericht für Richter die angefochtene dienstli-
che Beurteilung ausschließlich daraufhin überprüft, ob sie den Antragsteller in
seiner richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt. Ob die Beurteilung im Übri-
gen rechtmäßig ist, hat es nicht zu entscheiden.
13
a) Nach § 26 Abs. 1 DRiG untersteht der Richter einer Dienstaufsicht
nur, soweit nicht seine Unabhängigkeit beeinträchtigt wird. Nach § 26 Abs. 2
DRiG umfasst die Dienstaufsicht vorbehaltlich des Absatzes 1 auch die Befug-
nis, die ordnungswidrige Art der Ausführung eines Amtsgeschäftes vorzuhalten
und zu ordnungsgemäßer, unverzögerter Erledigung der Amtsgeschäfte zu er-
mahnen. Demgemäß sieht § 6 Abs. 1 und 2 SächsRiG die periodische Beurtei-
lung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung von Richtern auf Le-
benszeit vor, mit dem Hinweis, dass bei der Beurteilung richterlicher Amtsge-
schäfte die sich aus § 26 Abs. 1 und 2 DRiG ergebenden Beschränkungen zu
beachten sind und dass eine Stellungnahme zum Inhalt richterlicher Entschei-
dungen unzulässig ist.
14
b) Soweit die richterliche Unabhängigkeit durch den Inhalt einer dienstli-
chen Beurteilung beeinträchtigt wird, ist diese unzulässig. Das ist allerdings
nicht schon dann der Fall, wenn darin die richterliche Amtsführung und spezi-
fisch richterliche Fähigkeiten bewertet werden. Das entspricht vielmehr ihrem
Zweck. Eine dienstliche Beurteilung verletzt die richterliche Unabhängigkeit nur
dann, wenn sie auf eine direkte oder indirekte Weisung hinausläuft, wie der
Richter künftig verfahren oder entscheiden soll. In dieser Richtung muss die
dienstliche Beurteilung eines Richters sich auch jeder psychologischen Ein-
flussnahme enthalten. Sie ist unzulässig, wenn die in ihr enthaltene Kritik den
Richter veranlassen könnte, in Zukunft eine andere Verfahrens- oder Sachent-
scheidung als ohne diese Kritik zu treffen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom
25. September 2002 - RiZ(R) 4/01 = NJW-RR 2003, 492; vom 10. August
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2001 - RiZ(R) 5/00 = NJW 2002, 359; vom 14. April 1997 - RiZ(R) 3/96 = DRiZ
1998, 20).
c) Zum Schutzbereich der sachlichen richterlichen Unabhängigkeit gehö-
ren in erster Linie die eigentliche Rechtsfindung und die ihr mittelbar dienenden
Sach- und Verfahrensentscheidungen, einschließlich nicht ausdrücklich vorge-
schriebener, dem Interesse der Rechtssuchenden dienender richterlicher Hand-
lungen, die in einem konkreten Verfahren mit der Aufgabe des Richters, Recht
zu finden und den Rechtsfrieden zu sichern, in Zusammenhang stehen (sog.
Kernbereich; st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 22. Februar 2006 - RiZ(R)
3/05 = NJW 2006, 1674; vom 14. April 1997 - RiZ(R) 1/96 = DRiZ 1997, 467).
Sie sind dienstaufsichtlichen Maßnahmen grundsätzlich entzogen, es sei denn,
es liegt ein offensichtlicher, jedem Zweifel entrückter Fehlgriff vor (BGH, Urteil
vom 14. April 1997 - RiZ(R) 1/96 = DRiZ 1997, 467). Dementsprechend ist auch
die Verhandlungsführung einer Dienstaufsicht nicht zugänglich (BGH, Urteil
vom 22. Februar 2006 - RiZ(R) 3/05 = NJW 2006, 1674).
16
d) Hingegen unterliegt die richterliche Amtsführung insoweit der Dienst-
aufsicht, als es um die Sicherung eines ordnungsgemäßen Geschäftsablaufs,
die äußere Form der Erledigung eines Dienstgeschäftes oder um solche Fragen
geht, die dem Kernbereich der Rechtsprechungstätigkeit so weit entrückt sind,
dass sie nur noch als zur äußeren Ordnung gehörig angesehen werden können
(st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 22. Februar 2006 - RiZ(R) 3/05 = NJW
2006, 1674; vom 14. April 1997 - RiZ(R) 1/96 = DRiZ 1997, 467). So kann etwa
der Vorhalt unangemessen langer Urteilsabsetzungsfristen eine zulässige Aus-
übung von Dienstaufsicht sein (BGH, Urteile vom 27. Januar 1995 - RiZ(R)
3/94 = DRiZ 1995, 352; vom 22. März 1985 - RiZ(R) 12/84 = DRiZ 1985, 394;
vom 31. Januar 1984 - RiZ(R) 3/83 = BGHZ 90, 41, 44).
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- 11 -
e) Ein in einer dienstlichen Beurteilung enthaltener Vorhalt hat sich in der
Anführung von Tatsachen und in deren sachbezogener Wertung zu erschöpfen.
Dazu gehört zwar auch die objektive Feststellung eines Verschuldens des Rich-
ters, ohne die ein Vorhalt nicht erteilt werden darf. Das objektiv festgestellte
Verschulden darf jedoch nicht zu einer persönlichen Herabsetzung gegenüber
dem Richter führen. Geschieht das, liegt der - unzulässige - Ausspruch einer
Missbilligung vor (BGH, Urteile vom 14. April 1997 - RiZ(R) 1/96 = DRiZ 1997,
467; vom 22. März 1985 - RiZ(R) 12/84 = DRiZ 1985, 394; vom 9. März 1967 -
RiZ(R) 2/66 = BGHZ 47, 275, 285; Schmidt-Räntsch, DRiG 6. Aufl. § 26
Rdn. 38; Fürst/Mühl/Arndt Richtergesetz 1. Aufl. § 26 Rdn. 32 f.).
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2. Gemessen daran sind die vom Antragsteller bemängelten Formulie-
rungen in der dienstlichen Beurteilung geeignet, den Antragsteller in seiner rich-
terlichen Unabhängigkeit zu beeinträchtigen.
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a) Die mit dem Antrag zu 1. angegriffene Formulierung bezieht sich auf
die ihr vorangestellten Feststellungen. Die dort beschriebenen Verletzungen der
gesetzlichen Vorschriften über die Fristen zur Absetzung von Urteilen (§ 60
Abs. 4 Satz 2 und 3 ArbGG) sprechen für sich und mussten von dem Antrags-
gegner nicht hingenommen werden. Indes begnügt sich die angegriffene For-
mulierung nicht mit der Feststellung der Tatsachen und - was zulässig gewesen
wäre - der Bewertung, dass es sich um Rechtsverstöße handelt. Stattdessen
greift sie zu der persönlich herabwürdigenden und den Vorwurf der jederzeiti-
gen Bereitschaft zum vorsätzlichen Rechts- und Verfassungsbruch beinhalten-
den Aussage, der Antragsteller sei "nicht gewillt", sich gesetzes- und verfas-
sungskonform zu verhalten. Eine derart unsachliche und über das Gebotene
hinausschießende Abwertung der gesamten Richterpersönlichkeit beeinträchtigt
die richterliche Unabhängigkeit.
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- 12 -
b) Auch die mit dem Antrag zu 2. beanstandeten Formulierungen sind
geeignet, den Antragsteller in seiner richterlichen Unabhängigkeit zu beein-
trächtigen. Die dienstliche Beurteilung greift insoweit in die dem Kernbereich
richterlicher Tätigkeit zugehörige Verhandlungsführung ein, ohne dass dies
ausnahmsweise gerechtfertigt wäre.
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aa) Die hier in Rede stehenden Formulierungen können in ihrem Aussa-
gegehalt nur im Zusammenhang erfasst werden. Dieser Zusammenhang ist
einerseits gekennzeichnet durch die vorausgegangenen herabsetzenden Wen-
dungen, die auf die nachfolgende Passage ausstrahlen. Zum andern sind in der
dienstlichen Beurteilung die vom Antragsteller geleiteten Sitzungen, die der Be-
urteilende besucht haben mag, nicht bezeichnet; auf diese Weise entsteht für
den Leser der Beurteilung der Eindruck, die - als reine Beschreibung einer ein-
zelnen Sitzung wohl zulässigen - Aussagen gäben eine Art der Verhandlungs-
führung wieder, die sich der Antragsteller zur Regel gemacht habe. Indem die
dienstliche Beurteilung diese Form der Verhandlungsführung verallgemeinert
und negativ bewertet, entsteht der Eindruck, der Beurteilende wolle dem Beur-
teilten eine gerade gegenteilige Verhandlungsführung vorschreiben. Die gesam-
te Passage erhält so den Charakter einer Anweisung zur Gestaltung von münd-
lichen Verhandlungen.
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bb) Mit diesem Inhalt verletzen die betreffenden Wendungen den An-
tragsteller in seiner richterlichen Unabhängigkeit. Die Verhandlungsführung ge-
hört zum Kernbereich der richterlichen Tätigkeit. Es ist Sache des Prozessge-
richts und nicht der Dienstaufsicht, darüber zu befinden, wie es die mündliche
Verhandlung gestaltet. Nur das Prozessgericht kann entscheiden, welche Fra-
gen es für entscheidungserheblich hält und wie und wann es sie anspricht. Das
muss nicht in der mündlichen Verhandlung, es kann auch durch vorbereitende
Auflagen geschehen. Verfassungsrechtlich ist das Gericht nicht gezwungen, vor
23
- 13 -
der Entscheidung seine Rechtsauffassung mitzuteilen (BVerfG, Beschl. vom
19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 = BVerfGE 86, 133; BAG, Beschl. vom 20. März
2008 - 8 AZN 1062/07 = EzA ArbGG 1979 § 72 Nr. 38). Dasselbe gilt für die
Frage, ob gelegentliche "Leerläufe" hingenommen werden. Der Senat hat be-
reits mehrfach ausgesprochen, dass eine Aufforderung an den Richter zur straf-
feren Verhandlungsführung diesen in seiner richterlichen Unabhängigkeit beein-
trächtigt (vgl. BGH, Urteile vom 27. Januar 1995 - RiZ(R) 3/94 = DRiZ 1995,
352; vom 31. Januar 1984 - RiZ(R) 3/83 = BGHZ 90, 41, 44). Ob der Vorsitzen-
de die Parteien zunächst einmal reden lässt, ohne in deren Vortrag einzugreifen
oder ob er von Beginn an, wenn die Parteien von den maßgeblichen Fragen
"abschweifen", strukturierend eingreift, um den Vortrag auf die entscheidungs-
erheblichen Punkte zu lenken, hat er unbeeinflusst von der Dienstaufsicht zu
entscheiden. Die Frage, ob und wann das Gericht einen Vergleichsvorschlag
unterbreitet, ist ebenfalls Teil der richterlichen Unabhängigkeit (Müller-
Piepenkötter DRiZ 2005, 101). Zwar schreibt das Gesetz dem Richter vor, in
jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Einigung hinzuwirken. Das muss
aber nicht durch Vergleichsvorschläge in der mündlichen Verhandlung gesche-
hen. Feststellungen, wie ein Richter die Norm des § 57 Abs. 2 ArbGG in der
mündlichen Verhandlung ausfüllt, betreffen auch - entgegen der Auffassung des
Landgerichts - nicht die äußere Ordnung der Erledigung richterlicher Amtsge-
schäfte, sondern den Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit (vgl. BGH,
Urteil vom 10. Dezember 1971 - RiZ(R) 4/71 = BGHZ 57, 344, 350; Stephan
DRiZ 2002, 301, 305; Müller-Piepenkötter DRiZ 2005, 101, 103; Schaffer DRiZ
1992, 292, 295). All dies gilt insbesondere angesichts des Umstandes, dass der
Arbeitsrichter im Kammertermin nicht Einzelrichter, sondern Vorsitzender eines
Spruchkörpers ist.
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c) Schließlich ist auch der Antrag zu 3. begründet. Die beanstandete
Formulierung ist unzulässig, weil sie den Antragsteller in seiner richterlichen
Unabhängigkeit beeinträchtigt.
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aa) Der Richter ist grundsätzlich nicht verpflichtet, einer höchstrichterli-
chen Rechtsprechung Folge zu leisten (vgl. Schmidt-Räntsch, DRiG 6. Aufl.
§ 25 Rdn. 16; Fürst/Mühl/Arndt Richtergesetz 1. Aufl. § 25 Rdn. 22 f.). Ausnah-
men gelten lediglich für Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
(Art. 94 Abs. 2 GG, § 31 BVerfGG) und in besonderen Einzelfällen, etwa bei
einer Zurückverweisung eines Rechtsstreits durch das Revisionsgericht (§ 563
Abs. 2 ZPO). Auch wenn ein Richter immer wieder bewusst von der höchstrich-
terlichen Rechtsprechung abweicht und seine Entscheidungen deshalb mehr-
fach in der Rechtsmittelinstanz korrigiert worden sind, kann ihm dies vom
Dienstvorgesetzten nicht vorgehalten werden (vgl. Schnellenbach RiA 1999,
161, 165; grds. auch Fürst/Mühl/Arndt Richtergesetz 1. Aufl. § 26 Rdn. 46). An-
deres kann gelten, wenn der Richter eine höchstrichterliche Rechtsprechung
von vornherein nicht zur Kenntnis nimmt, da dies die Methodik, die Rechtsan-
wendungstechnik betrifft (vgl. Schnellenbach RiA 1999, 161, 165). Eine Ver-
pflichtung des Richters, in den Entscheidungsgründen des Urteils auf höchst-
richterliche Rechtsprechung hinzuweisen bzw. sich mit dieser auseinanderzu-
setzen, besteht allenfalls dann, wenn der Richter von der höchstrichterlichen
Rechtsprechung bewusst abweicht.
25
bb) Gemessen an diesen Grundsätzen verletzt die dienstliche Beurtei-
lung auch durch die zu Ziff. 3. beanstandeten Formulierungen die richterliche
Unabhängigkeit. Der Beurteilung lässt sich entnehmen, dass sich der betreffen-
de Textauszug auf die Abfassung der Urteile bezieht. Kritisiert wird, dass der
Antragsteller die höchstrichterliche Rechtsprechung "ausblendet". Soweit damit
gemeint ist, der Antragsteller müsse ihr inhaltlich folgen, handelt es sich um
26
- 15 -
eine unzulässige Weisung. Soweit damit für alle Fälle ein Hinweis auf die
höchstrichterliche Rechtsprechung verlangt wird, erweist sich die Formulierung
als zu weitgehend. Denn der Richter ist keineswegs verpflichtet, stets auch
dann höchstrichterliche Rechtsprechung zu zitieren, wenn er ihr folgt. Eben dies
verlangt aber die dienstliche Beurteilung.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG, § 154
Abs. 1 und 2, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.
27
III. Der Wert des Streitgegenstandes für das Revisionsverfahren wird
gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000 Euro festgesetzt.
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Rissing-van Saan Fischer Büscher
Gräfl Schmitz-Scholemann
Vorinstanzen:
LG Leipzig, Entscheidung vom 03.07.2008 - 66 DG 6/07 -