Urteil des BGH vom 13.02.2014

Unabhängigkeit, Kritik, Arbeitsgericht, Zukunft

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
R i Z ( R ) 4 / 1 3
vom
13. Februar 2014
in dem Prüfungsverfahren
des Richters am Arbeitsgericht
Antragsteller, Revisionskläger und Revisionsbeklagter,
- Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin
gegen
Antragsgegner, Revisionsbeklagter und Revisionskläger,
wegen Anfechtung einer Maßnahme der Dienstaufsicht
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Der Bundesgerichtshof - Dienstgericht des Bundes - hat ohne mündliche Ver-
handlung am 13. Februar 2014 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesge-
richtshof Prof. Dr. Bergmann, die Richterin am Bundesgerichtshof Safari
Chabestari, den Richter am Bundesgerichtshof Dr. Drescher sowie die Richter
am Bundesarbeitsgericht Reinfelder und Dr. Spinner
für Recht erkannt:
Die Revision des Antragsgegners gegen das Urteil des
Dienstgerichts für Richter bei dem Landgericht Leipzig
vom 11. April 2013 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller ist des eingelegten Rechtsmittels der
Revision gegen das Urteil des Dienstgerichts für Richter
bei dem Landgericht Leipzig vom 11. April 2013 verlustig.
Die Kosten des Revisionsverfahrens haben der Antrag-
steller und der Antragsgegner je zur Hälfte zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsteller durch Formulierun-
gen in einer von dem Präsidenten des Sächsischen Landesarbeitsgerichts er-
stellten dienstlichen Beurteilung für den Beurteilungszeitraum vom 1. Januar
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2002 bis zum 31. Dezember 2005 in seiner richterlichen Unabhängigkeit beein-
trächtigt wird.
Der Antragsteller steht seit dem 1. August 1991 im richterlichen Dienst
des Antragsgegners. Seit dem 1. März 2000 ist er als Richter am Arbeitsgericht
tätig und dort Vorsitzender einer Kammer.
Am 8. Februar 2006 erstellte der damalige Präsident des Arbeitsgerichts
und heutige Präsident des Sächsischen Landesarbeitsgerichts über den
Antragsteller eine Beurteilung für den Beurteilungszeitraum vom 1. Januar 2002
bis 31. Dezember 2005. Mit rechtskräftigem Urteil vom 3. Juli 2008 hob das
Verwaltungsgericht Leipzig die Beurteilung auf und verpflichtete den Antrags-
gegner, eine neue dienstliche Beurteilung zu erstellen.
Mit Urteil des Landgerichts Leipzig - Dienstgericht für Richter - vom
3. Juli 2008 wurden einzelne Passagen der dienstlichen Beurteilung vom
8. Februar 2006 für unzulässig erklärt, weil sie geeignet seien, die richterliche
Unabhängigkeit zu beeinträchtigen. Der Bundesgerichtshof wies die Revision
des Antragsgegners gegen das Urteil des Dienstgerichts zurück und stellte auf
die begründete Revision des Antragstellers die Unzulässigkeit weiterer Passa-
gen in der dienstlichen Beurteilung vom 8. Februar 2006 fest (BGH, Urteil vom
4. Juni 2009 - RiZ(R) 5/08, BGHZ 181, 268).
Unter dem 5. Januar 2011 erstellte der Präsident des Sächsischen Lan-
desarbeitsgerichts erneut eine dienstliche Regelbeurteilung für den Zeitraum
vom 1. Januar 2002 bis zum 31. Dezember 2005. Diese hat u.a. folgenden
Wortlaut:
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"
Herr T. bereitet seine mündlichen Verhandlungen
auch mit entsprechenden Hinweis- und Auflagenbe-
schlüssen so vor, dass sie regelmäßig im ersten Kammer-
termin entscheidungsreif sind. In den von mir besuchten
mündlichen Verhandlungen war allerdings nicht erkenn-
bar, dass Herr T. die mündlichen Verhandlungen
leitet.
Herr T. s Urteile sind sprachlich gut nachvollzieh-
bar und in der Regel übersichtlich aufgebaut. Sie sind
auch gut verständlich. Zum Teil nimmt Herr T. die
höchstrichterliche Rechtsprechung nicht zur Kenntnis. In
einigen seiner Urteile ist Herr T. von der höchst-
richterlichen Rechtsprechung abgewichen, ohne in den
Entscheidungsgründen darauf hinzuweisen bzw. sich mit
dieser auseinanderzusetzen.
Herrn T. s Kenntnisse im materiellen Recht, insbe-
sondere im Arbeitsrecht sind befriedigend bis ausrei-
chend, seine prozessrechtlichen Kenntnisse sind nicht
immer ausreichend. Herr T. setzt seine juristi-
schen Kenntnisse oft nicht in seiner richterlichen Arbeit
um.
Während Herr T. die Parteien und ihre Prozess-
bevollmächtigten in den mündlichen Verhandlungen
freundlich behandelt, ist sein Verhalten ihnen gegenüber
außerhalb der mündlichen Verhandlung von Ignoranz und
Gleichgültigkeit geprägt. Auch vielfältige Schreiben, An-
träge, Bitten und Hilferufe ignoriert Herr T. zum
Teil über Jahre. Dies ist ein unangemessenes Verhalten,
zumal, wie regelmäßig, wenn die Anliegen der Parteien
oder ihrer Prozessbevollmächtigten im Hinblick auf die
vielfältige Untätigkeit des Richters berechtigt sind.
…"
Mit Schreiben vom 27. August 2011 erhob der Antragsteller Widerspruch
gegen die dienstliche Beurteilung vom 5. Januar 2011, der mit Widerspruchs-
bescheid vom 13. Oktober 2011 zurückgewiesen wurde. Das Verwaltungsge-
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richt Leipzig hat mit noch nicht rechtskräftigem Urteil vom 26. April 2012 den
Antragsgegner unter Aufhebung der dienstlichen Beurteilung vom 5. Januar
2011 und des Widerspruchsbescheids vom 13. Oktober 2011 verpflichtet, eine
neue dienstliche Beurteilung für den Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis zum
31. Dezember 2005 zu erstellen.
Mit seinem Antrag im Prüfungsverfahren hat der Antragsteller die Beein-
trächtigung seiner richterlichen Unabhängigkeit durch die dienstliche Beurtei-
lung vom 5. Januar 2011 geltend gemacht. Sie enthalte unzulässige Formulie-
rungen, mit denen ihm im Kernbereich der richterlichen Tätigkeit vorgeschrie-
ben würde, sich künftig anders zu verhalten, oder bei denen es sich um eine
bloße persönliche Herabsetzung handele.
Der Antragsteller hat beantragt
festzustellen, dass folgende Formulierungen in der über ihn erstellten
dienstlichen Beurteilung vom 5. Januar 2011 in der Gestalt des Wider-
spruchsbescheids vom 13. Oktober 2011 unzulässig sind und ihn in
seiner richterlichen Unabhängigkeit verletzen:
1.
In den von mir besuchten Verhandlungen war aller-
dings nicht erkennbar, dass Herr T. die
mündlichen Verhandlungen leitet.
2.
Zum Teil nimmt Herr T. die höchstrichterliche
Rechtsprechung nicht zur Kenntnis. In einigen seiner
Urteile ist Herr T. von der höchstrichterlichen
Rechtsprechung abgewichen, ohne in den Entschei-
dungsgründen darauf hinzuweisen bzw. sich mit die-
ser auseinanderzusetzen.
3.
Herr T. setzt seine juristischen Kenntnisse
oft nicht in seiner richterlichen Arbeit um.
4.
Während Herr T. die Parteien und ihre Pro-
zessbevollmächtigten in den mündlichen Verhand-
lungen freundlich behandelt, ist sein Verhalten ihnen
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gegenüber außerhalb der mündlichen Verhandlung
von Ignoranz und Gleichgültigkeit geprägt. Auch viel-
fältige Schreiben, Anträge, Bitten und Hilferufe igno-
riert Herr T. zum Teil über Jahre. Dies ist ein
unangemessenes Verhalten, zumal, wie regelmäßig,
wenn die Anliegen der Parteien oder ihrer Prozess-
bevollmächtigten im Hinblick auf die vielfältige Untä-
tigkeit des Richters berechtigt sind.
Der Antragsgegner hat die Zurückweisung des Antrags begehrt und u.a.
die Auffassung vertreten, die mit dem Antrag zu 2 beanstandete Passage sei
zulässig, da sie die Vorgaben des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 4. Juni
2009 umsetze. Die mit dem Antrag zu 4 beanstandete Formulierung entspreche
der dienstlichen Beurteilung vom 8. Februar 2006. Diese sei vom Antragsteller
nicht zum Gegenstand des vormaligen Prüfungsverfahrens gemacht worden.
Mit diesem Antrag sei er nunmehr ausgeschlossen. Im Übrigen handele es sich
hier um die Dokumentation des Verhaltens des Antragsstellers außerhalb der
mündlichen Verhandlung.
Das Landgericht Leipzig - Dienstgericht für Richter - hat den Antrag für
insgesamt zulässig, jedoch nur teilweise für begründet erachtet. Die Formulie-
rungen "Zum Teil nimmt Herr T. die höchstrichterliche Rechtsprechung
nicht zur Kenntnis" und "Während Herr T. die Parteien und ihre Pro-
zessbevollmächtigten in den mündlichen Verhandlungen freundlich behandelt,
ist sein Verhalten ihnen gegenüber außerhalb der mündlichen Verhandlung von
Ignoranz und Gleichgültigkeit geprägt" seien unzulässig. Im Übrigen hat das
Dienstgericht den Antrag zurückgewiesen.
Der Antragsgegner verfolgt mit der Revision seinen ursprünglichen Ab-
weisungsantrag weiter. Der Antragsteller begehrt - nach der Rücknahme der
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von ihm zunächst eingelegten Revision - die Zurückweisung der Revision des
Antragsgegners.
Entscheidungsgründe:
I. Die Revision des Antragsgegners ist unbegründet. Das Dienstgericht
für Richter bei dem Landgericht Leipzig hat dem Antrag zu Recht teilweise ent-
sprochen.
1. Zutreffend hat das Dienstgericht für Richter die angefochtene dienstli-
che Beurteilung ausschließlich daraufhin überprüft, ob sie den Antragsteller in
seiner richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt. Ob die Beurteilung im Übri-
gen rechtmäßig ist, hat es nicht zu entscheiden.
a) Nach § 26 Abs. 1 DRiG untersteht der Richter einer Dienstaufsicht
nur, soweit nicht seine Unabhängigkeit beeinträchtigt wird. Nach § 26 Abs. 2
DRiG umfasst die Dienstaufsicht vorbehaltlich des Absatzes 1 auch die Befug-
nis, dem Richter die ordnungswidrige Art der Ausführung eines Amtsgeschäftes
vorzuhalten und zu ordnungsgemäßer, unverzögerter Erledigung der Amtsge-
schäfte zu ermahnen. Demgemäß sieht § 6 Abs. 1 und 2 SächsRiG die periodi-
sche Beurteilung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung von Rich-
tern auf Lebenszeit vor, mit dem Hinweis, dass bei der Beurteilung richterlicher
Amtsgeschäfte die sich aus § 26 Abs. 1 und 2 DRiG ergebenden Beschrän-
kungen zu beachten sind und eine Stellungnahme zum Inhalt richterlicher Ent-
scheidungen unzulässig ist.
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b) Soweit die richterliche Unabhängigkeit durch den Inhalt einer dienstli-
chen Beurteilung beeinträchtigt wird, ist diese unzulässig. Das ist allerdings
nicht schon dann der Fall, wenn darin die richterliche Amtsführung und spezi-
fisch richterliche Fähigkeiten bewertet werden. Das entspricht vielmehr ihrem
Zweck. Eine dienstliche Beurteilung verletzt die richterliche Unabhängigkeit nur
dann, wenn sie auf eine direkte oder indirekte Weisung hinausläuft, wie der
Richter künftig verfahren oder entscheiden soll. In dieser Richtung muss die
dienstliche Beurteilung eines Richters sich auch jeder psychologischen Ein-
flussnahme enthalten. Sie ist unzulässig, wenn die in ihr enthaltene Kritik den
Richter veranlassen könnte, in Zukunft eine andere Verfahrens- oder Sachent-
scheidung als ohne diese Kritik zu treffen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom
14. Oktober 2013 - RiZ(R) 2/12, NVwZ-RR 2014, 202 Rn. 15 mwN).
c) Zum Schutzbereich der sachlichen richterlichen Unabhängigkeit gehö-
ren in erster Linie die eigentliche Rechtsfindung und die ihr mittelbar dienenden
Sach- und Verfahrensentscheidungen einschließlich nicht ausdrücklich vorge-
schriebener, dem Interesse der Rechtssuchenden dienender richterlicher Hand-
lungen, die in einem konkreten Verfahren mit der Aufgabe des Richters, Recht
zu finden und den Rechtsfrieden zu sichern, in Zusammenhang stehen (sog.
Kernbereich; st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 4. Juni 2009 - RiZ(R) 5/08,
BGHZ 181, 268 Rn. 16 mwN). Sie sind dienstaufsichtlichen Maßnahmen
grundsätzlich entzogen, es sei denn, es liegt ein offensichtlicher, jedem Zweifel
entrückter Fehlgriff vor (BGH, Urteil vom 14. April 1997 - RiZ(R) 1/96,
DRiZ 1997, 467, 468). Dementsprechend ist auch die Verhandlungsführung
einer Dienstaufsicht weitgehend entzogen (BGH, Urteil vom 22. Februar 2006
- RiZ(R) 3/05, NJW 2006, 1674 Rn. 21).
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d) Hingegen unterliegt die richterliche Amtsführung insoweit der Dienst-
aufsicht, als es um die Sicherung eines ordnungsgemäßen Geschäftsablaufs,
die äußere Form der Erledigung eines Dienstgeschäftes oder um solche Fra-
gen geht, die dem Kernbereich der Rechtsprechungstätigkeit so weit entrückt
sind, dass sie nur noch als zur äußeren Ordnung gehörig angesehen werden
können (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 4. Juni 2009 - RiZ(R) 5/08, BGHZ
181, 268 Rn. 17; Urteil vom 22. Februar 2006 - RiZ(R) 3/05, NJW 2006, 1674
Rn. 20). So kann etwa der Vorhalt unangemessen langer Urteilsabsetzungsfris-
ten eine zulässige Ausübung von Dienstaufsicht sein (BGH, Urteil vom
27. Januar 1995 - RiZ(R) 3/94, DRiZ 1995, 352, 353; Urteil vom 22. März 1985
- RiZ(R) 2/84, DRiZ 1985, 394, 395; Urteil vom 31. Januar 1984 - RiZ(R) 3/83,
BGHZ 90, 41, 45 f.).
2. Die Feststellung des Inhalts einer dienstlichen Beurteilung und die
Würdigung der darin im Einzelfall verwendeten Formulierungen ist grundsätz-
lich Sache der Tatsachengerichte und unterliegt im Revisionsverfahren nur ei-
ner eingeschränkten Überprüfung (vgl. § 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG i.V.m. § 137
Abs. 2 VwGO). Sofern keine durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben wer-
den, ist das Revisionsgericht grundsätzlich an die im Urteil getroffenen tatsäch-
lichen Feststellungen gebunden (st. Rspr.; vgl. etwa BVerwG, Urteil vom
14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115, 123 mwN). Die tatrichterli-
che Würdigung einer Äußerung oder Erklärung, auch in einer Beurteilung, ist
nur darauf zu überprüfen, ob sie gegen anerkannte Auslegungsregeln, Denk-
gesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt, ob wesentlicher Tatsachen-
stoff, der für die Auslegung von Bedeutung sein kann, außer Betracht gelassen
wurde, oder ob sie sonst auf Rechtsfehlern beruht (vgl. BGH, Urteil vom
14. Oktober 2013 - RiZ(R) 2/12, NVwZ-RR 2014, 202 Rn. 18; Urteil vom
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22. Februar 2006 - RiZ(R) 3/05, NJW 2006, 1674 Rn. 23; Urteil vom 14. April
1997 - RiZ(R) 1/96, DRiZ 1997, 467, 469; BVerwG, Urteil vom 11. Januar 2011
- 1 C 1.10, BVerwGE 138, 371 Rn. 15).
3. Gemessen daran ist die Würdigung der dienstlichen Beurteilung durch
das Dienstgericht revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Verfahrensrügen hat
die Revision des Antragsgegners nicht erhoben, sonstige Rechtsfehler lässt die
Entscheidung des Dienstgerichts nicht erkennen.
a) Das Dienstgericht hat die Formulierung "Zum Teil nimmt Herr T.
die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht zur Kenntnis" zu Recht be-
anstandet.
aa) Das Dienstgericht hat angenommen, diese Formulierung sei nicht
eindeutig. Mit ihr könne gemeint sein, der Antragsteller müsse der höchstrich-
terlichen Rechtsprechung folgen. Dies würde eine unzulässige Weisung dar-
stellen, da sie den Antragsteller veranlassen könnte, in Zukunft eine andere
Verfahrens- oder Sachentscheidung zu treffen. Soweit mit der beanstandeten
Formulierung für alle Fälle ein Hinweis auf die höchstrichterliche Rechtspre-
chung verlangt werde, erweise sie sich als zu weitgehende Anweisung an den
Antragsteller für sein künftiges Verhalten. Zulässig seien nur solche Formulie-
rungen, die unter keinem Gesichtspunkt direkt oder indirekt nahelegten, wie der
Richter künftig verfahren oder entscheiden solle. Lasse eine Formulierung meh-
rere Auslegungen zu, so sei sie auch dann unzulässig i.S.d. § 26 Abs. 3 DRiG,
wenn einer der möglichen - nicht völlig fernliegenden - Auslegungen geeignet
sei, die richterliche Unabhängigkeit zu beinträchtigen. Dies sei hier der Fall.
bb) Die Revision macht geltend, die beanstandete Passage enthalte of-
fensichtlich keine Weisung, der Richter möge der höchstrichterlichen Recht-
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sprechung folgen. Sie stelle fest, dass der Antragsteller in einigen seiner Urteile
von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweiche ohne darauf hinzuwei-
sen. Die Feststellung, dass der Antragsteller von der höchstrichterlichen Recht-
sprechung abweiche, dies aber nicht deutlich mache, sei zulässig. Der Bun-
desgerichtshof halte eine Formulierung nur dann für zu weitgehend, wenn im-
mer ein Hinweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung verlangt werde. Ein
solcher Hinweis werde zum einen vorliegend nicht verlangt und zum anderen
werde lediglich festgestellt und dokumentiert, dass ein Hinweis auf die höchst-
richterliche Rechtsprechung in den Fällen nicht erfolge, in denen der Antrag-
steller von dieser abweiche. Das angefochtene Urteil werde allein von der An-
nahme getragen, die inkriminierte Formulierung sei nicht eindeutig. Der Rechts-
fehler des Urteils ergebe sich daraus, dass verschiedene Deutungsmöglichkei-
ten aufgezeigt würden, von denen das Gericht dann die dem Antragsgegner
ungünstige wähle. Die inkriminierte Formulierung sei sprachlich eindeutig. Sie
habe feststellenden Charakter und drücke keine Erwartung oder gar einen Hin-
weis aus.
cc) Mit diesem Vorbringen zeigt die Revision keinen Rechtsfehler des
Dienstgerichts auf. Die Revision befasst sich überwiegend mit dem zweiten
Satz "In einigen seiner Urteile ist Herr T. von der höchstrichterlichen
Rechtsprechung abgewichen, ohne in den Entscheidungsgründen darauf hin-
zuweisen bzw. sich mit dieser auseinanderzusetzen". Diesen Satz hat das
Dienstgericht jedoch nicht beanstandet, sondern ausdrücklich für zulässig er-
klärt.
Den vorangestellten Satz "Zum Teil nimmt Herr T. die höchstrich-
terliche Rechtsprechung nicht zur Kenntnis" hat das Dienstgericht dagegen oh-
ne erkennbaren Rechtsfehler dahin gewürdigt, dass er mehrere nicht völlig
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fernliegende Deutungen zulässt. Das Dienstgericht hat rechtsfehlerfrei ange-
nommen, dass diese Formulierung nicht lediglich einen zulässigen Vorhalt ent-
hält, dass der Antragsteller die höchstrichterliche Rechtsprechung von vornhe-
rein nicht zur Kenntnis nimmt und damit gegen methodische Standards der
Rechtsanwendungstechnik verstößt, sondern sie - auch unter Berücksichtigung
des nachfolgenden Satzes - dahin verstanden werden kann, der Antragsteller
müsse der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgen oder es werde für alle
Fälle ein Hinweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung verlangt, und damit
den Antragsteller in seiner richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt (vgl.
BGH, Urteil vom 4. Juni 2009 - RiZ(R) 5/08, BGHZ 181, 268 Rn. 25; Schnellen-
bach, RiA 1999, 161, 165).
b) Das Dienstgericht hat auch die Passage "Während Herr T. die
Parteien und ihre Prozessbevollmächtigten in den mündlichen Verhandlungen
freundlich behandelt, ist sein Verhalten ihnen gegenüber außerhalb der mündli-
chen Verhandlung von Ignoranz und Gleichgültigkeit geprägt" zu Recht bean-
standet.
aa) Das Dienstgericht hat insoweit angenommen, es sei dem Antragstel-
ler nicht verwehrt, diese Formulierung im vorliegenden Verfahren auf eine Be-
einträchtigung seiner richterlichen Unabhängigkeit überprüfen zu lassen,
obschon sie bereits in der früheren Beurteilung vom 8. Februar 2006 enthalten
gewesen sei, ohne dass sie vom Antragsteller zum Gegenstand des früheren
Prüfungsverfahrens (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juni 2008 - RiZ(R) 5/08,
BGHZ 181, 268) gemacht worden sei. Diese Beurteilung sei vom Verwaltungs-
gericht Leipzig aufgehoben und der Antragsgegner zur Erstellung einer neuen
Beurteilung verpflichtet worden, weshalb dem Antrag die Rechtskraft einer
früheren Entscheidung nicht entgegenstehe. Auch eine Verwirkung sei nicht
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eingetreten. Der Antragsgegner habe im Hinblick auf die Vielzahl der Verfahren
zwischen den Beteiligten nicht darauf vertrauen können, der Antragsteller wer-
de sich nicht gegen diese Formulierung wenden. Die beanstandete Passage
enthalte eine kritische Stellungnahme zu dem dienstlichen Verhalten des An-
tragstellers gegenüber den Parteien und ihren Prozessbevollmächtigten. Sie
setze den Antragsteller ohne Anführung von Tatsachen persönlich herab. Die
Wendung, das Verhalten des Antragstellers sei von "Ignoranz und Gleichgültig-
keit geprägt", enthalte einen unzulässigen Ausspruch der Missbilligung. Dabei
sei der allgemeine Sprachgebrauch des Wortes "Ignoranz" als "Unwissenheit",
"Dummheit" und "Kenntnislosigkeit" zugrunde zu legen.
bb) Die Revision macht geltend, der Antragsteller sei mit seinem Antrag
ausgeschlossen, weil er die identische Formulierung in der dienstlichen Beurtei-
lung vom 8. Februar 2006 nicht angegriffen habe. Im Übrigen handele es sich
um die reine Dokumentation des Verhaltens des Antragsstellers gegenüber den
Prozessbeteiligten. Dieses Verhalten ließe sich nicht anders beschreiben als
dadurch, dass der Antragsteller deren vielfältige Schreiben, Anträge, Bitten und
Hilferufe ignoriere und ihnen gleichgültig gegenüberstehe. Eine bessere Be-
zeichnung als die gewählte gebe es nicht. Das Dienstgericht würde neuerlich
unterschiedliche Deutungsvarianten unterstellen und dem Antragsgegner die
ihm ungünstige Variante vorhalten. Dem Dienstgericht unterlaufe insoweit auch
der Fehler, dass dem Antragsteller gerade nicht "Kenntnislosigkeit" vorgehalten
werde, sondern offensichtlich die unterbliebene Kenntnisnahme im Sinne einer
Weigerung, sich mit den Eingaben von Prozessbeteiligten überhaupt zu befas-
sen.
cc) Hiermit zeigt die Revision keinen Rechtsfehler des Dienstgerichts
auf.
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(1) Das Dienstgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass es dem An-
tragsteller nicht verwehrt ist, die beanstandete Formulierung zum Gegenstand
des vorliegenden Verfahrens zu erheben. Das frühere Prüfungsverfahren betraf
die Beurteilung vom 8. Februar 2006 und damit einen anderen Streitgegen-
stand. Aus welchen Gründen der Antragsteller die insoweit inhaltsgleiche For-
mulierung in der Beurteilung vom 8. Februar 2006 nicht angegriffen und zum
Gegenstand des früheren Prüfungsverfahrens gemacht hat, kann daher dahin-
stehen. Der Antragsgegner konnte jedenfalls nicht darauf vertrauen, dass der
Antragsteller die Verwendung dieser Formulierung in einer - hier aufgrund des
Urteils des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 3. Juli 2008 erforderlichen - neuen
dienstlichen Beurteilung hinnehmen werde. Mit der Beschränkung des Prü-
fungsverfahrens auf einzelne konkrete Formulierungen und Passagen ist keine
Erklärung verbunden, andere Formulierungen als rechtmäßig anzusehen und
auch bei erneuter Verwendung keine gerichtliche Überprüfung anzustreben.
(2) Das Dienstgericht hat die Formulierung "Während Herr T. die
Parteien und ihre Prozessbevollmächtigten in den mündlichen Verhandlungen
freundlich behandelt, ist sein Verhalten ihnen gegenüber außerhalb der mündli-
chen Verhandlung von Ignoranz und Gleichgültigkeit geprägt" zu Recht bean-
standet. Sie stellt einen über die zulässige Ausübung der Dienstaufsicht hin-
ausgehende Missbilligung und Herabsetzung der Richterpersönlichkeit des An-
tragstellers dar (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juni 2009 - RiZ(R) 5/08, BGHZ 181,
268 Rn. 18; Urteil vom 6. Oktober 2011 - RiZ(R) 3/10, NJW 2012, 939 Rn. 20
f.). Sie ist darauf gerichtet, den Richter persönlich herabzusetzen. Die Substan-
tive "Ignoranz" und "Gleichgültigkeit" sollen die Kritik an dem Verhalten über
das für eine Beanstandung der Verhaltensweisen des Antragstellers notwendi-
ge Maß hinaus betonen und hervorheben. Es wird nicht nur zum Ausdruck ge-
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bracht, dass Eingaben ignoriert werden, sondern dass das Verhalten des An-
tragstellers von "Ignoranz geprägt" ist.
II. Der Antragsteller ist nach § 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG, § 140 Abs. 2
Satz 1 VwGO des Rechtsmittels der Revision verlustig, nachdem er seine Revi-
sion zurückgenommen hat. Die Kostenentscheidung beruht auf § 80 Abs. 1
Satz 1 DRiG i.V.m. § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 und 2 VwGO.
Bergmann Safari Chabestari Drescher
Reinfelder Spinner
Vorinstanzen:
LG Leipzig, Entscheidung vom 11.04.2013 - 66 DG 7/11 -
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