Urteil des BGH vom 21.01.2016

Leitsatzentscheidung zu Umkehr der Beweislast, Konzept, Insolvenz, Kreditinstitut

ECLI:DE:BGH:2016:210116UIXZR84.13.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 84/13
Verkündet am:
21. Januar 2016
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 133 Abs. 1
Die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung können auch dann
unter dem Gesichtspunkt der erkannten drohenden Zahlungsunfähigkeit des
Schuldners zu bejahen sein, wenn der Schuldner im Zeitpunkt der angefochte-
nen Handlung noch uneingeschränkt zahlungsfähig ist, aber bereits feststeht,
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dass Fördermittel, von denen eine kostendeckende Geschäftstätigkeit abhängt,
alsbald nicht mehr gewährt werden.
BGH, Urteil vom 21. Januar 2016 - IX ZR 84/13 - OLG Frankfurt am Main
LG Frankfurt/Main
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 3. Dezember 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die
Richter Prof. Dr. Gehrlein, Grupp, die Richterin Möhring und den Richter
Dr. Schoppmeyer
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 28. Februar 2013 auf-
gehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 24. Zivilkammer
des Landgerichts Frankfurt am Main vom 4. April 2012 wird zu-
rückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 29. September 2006 am
1. Januar 2007 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der N.
GmbH & Co. KG, einer Kapitalan-
lagegesellschaft in der Form eines geschlossenen Immobilienfonds (fortan:
Schuldnerin). Gegenstand des Unternehmens der Schuldnerin war die Errich-
tung und Unterhaltung von Wohn- und Geschäftshäusern im Bereich des sozia-
len Wohnungsbaus in Berlin. Das Geschäftsmodell der Schuldnerin beruhte
darauf, dass die Differenz zwischen den durch die Mieten erzielbaren Einnah-
men und den höheren Kosten durch Fördermittel des Landes Berlin ausgegli-
chen wurde. Die Grundförderung war für 15 Jahre fest zugesagt, eine An-
schlussförderung für weitere 15 Jahre in Aussicht gestellt. Am 4. Februar 2003
beschloss der Berliner Senat, aus Gründen der Haushaltskonsolidierung keine
Anschlussförderung zu gewähren. Hierüber und über eingeleitete Maßnahmen
zur Abwendung der drohenden Insolvenz informierte die Schuldnerin mit
Schreiben vom 15. September 2003 die Rechtsvorgängerin der beklagten Bank
(künftig: die Beklagte), bei der die Schuldnerin im Jahr 1990 Finanzierungsdar-
lehen aufgenommen hatte. Im Mai 2005 übersandte die Schuldnerin der Be-
klagten ihren Geschäftsbericht für das Jahr 2003, in dem auf den Ablauf der
Förderung zum 28. Februar 2007 und darauf hingewiesen wurde, dass ohne
öffentliche Förderung in absehbarer Zeit danach die Insolvenz kaum zu vermei-
den sei. Ein entsprechender Hinweis erfolgte erneut im Geschäftsbericht für das
Jahr 2004, den die Schuldnerin der Beklagten im November 2005 übersandte.
Durch Urteil vom 11. Mai 2006 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht, wie
schon zuvor das Verwaltungs- und das Oberverwaltungsgericht, die Rechtmä-
ßigkeit des Beschlusses des Berliner Senats über die Einstellung der Förde-
rung.
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Am 16. Juni 2006 zog die Beklagte im Lastschriftverfahren fällige Zins-
und Tilgungsleistungen in Höhe von insgesamt 231.886,28
€ von einem Konto
der Schuldnerin bei einer anderen Bank ein. Am 7. September 2006 übersandte
die Schuldnerin der Beklagten ein von einem externen Unternehmen am
22. August 2006 erstelltes Sanierungskonzept. Daraus ergab sich, dass im Jahr
2007 mit Einnahmen von 1.133.000
€ und Ausgaben von 2.455.000 € zu rech-
nen war. Die in dem Konzept vorgeschlagene Sondertilgung von Darlehen
durch Nachzahlungen der Gesellschafter lehnten diese in der Gesellschafter-
versammlung vom 15. September 2006 ab.
Der Kläger begehrt unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Insolvenz-
anfechtung die Erstattung des im Juni 2006 eingezogenen Betrags von
231.886,28
€ nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten. Seine Klage hat
beim Landgericht mit Ausnahme der Anwaltskosten Erfolg gehabt. Auf die Beru-
fung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit seiner
vom Senat zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung
des Urteils des Landgerichts.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils
und zur Zurückweisung der Berufung der Beklagten.
I.
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Das Berufungsgericht hat gemeint, die Lastschriftzahlungen seien nicht
nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar. Es könne offen bleiben, ob die Schuldnerin
mit dem Vorsatz gehandelt habe, ihre Gläubiger zu benachteiligen. Jedenfalls
könne nicht festgestellt werden, dass die Beklagte einen solchen Vorsatz der
Schuldnerin gekannt habe. Wegen der Einstellung der öffentlichen Förderung
zum 28. Februar 2007 habe der Schuldnerin zwar Zahlungsunfähigkeit gedroht.
Dies sei der Beklagten auch bekannt gewesen. Unter Würdigung sämtlicher
Umstände könne daraus aber nicht geschlossen werden, dass die Beklagte
Kenntnis von einem Gläubigerbenachteiligungswillen der Schuldnerin gehabt
habe. Zugunsten der Beklagten greife die Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofs ein, wonach von einer Kenntnis des Benachteiligungsvorsatzes bei
einem mit der Abwicklung des Zahlungsverkehrs beauftragten Kreditinstitut we-
gen seiner Verpflichtung zur Ausführung von Zahlungsaufträgen nur dann aus-
gegangen werden könne, wenn das Kreditinstitut im Zuge der Verfolgung eige-
ner Interessen in eine vom Schuldner angestrebte Gläubigerbenachteiligung
eingebunden sei und deshalb nicht als reine Zahlstelle fungiere. An einem sol-
chen kollusiven Zusammenwirken fehle es hier. Zum Zeitpunkt der Lastschrift-
buchungen am 16. Juni 2006 habe die Beklagte auch nicht davon ausgehen
müssen, dass sich die drohende Zahlungsunfähigkeit zwingend realisieren
müsse. Erst am 15. September 2006, als die Gesellschafter das Sanierungs-
konzept abgelehnt hätten, habe festgestanden, dass die Zahlungsunfähigkeit
nicht mehr habe abgewendet werden können. Für die Kenntnis der Beklagten
von einem Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin könne es im Übrigen nicht
allein auf die Kenntnis vom künftigen Wegfall der Fördergelder ankommen.
Maßgeblich sei vielmehr darauf abzustellen, ob es noch weitere Gläubiger mit
ungedeckten, fälligen Ansprüchen gegeben habe. Ziehe die Bank fällige Beträ-
ge von einem Konto des Schuldners mit offener Kreditlinie ein, fehle es an hin-
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reichenden Anhaltspunkten für ein Zusammenwirken mit dem Schuldner zum
Nachteil der Gläubiger.
II.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die
Feststellung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe einen Gläubigerbenach-
teiligungsvorsatz der Schuldnerin nicht gekannt, beruht, wie die Revision mit
Recht rügt, auf Rechtsfehlern.
1. Nach § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO wird die Kenntnis des Anfechtungs-
gegners vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners vermutet, wenn er wuss-
te, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung
die Gläubiger benachteiligte. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass der
Schuldnerin zum Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung Zahlungsunfä-
higkeit drohte und die Beklagte davon wusste. Dann musste es auch davon
ausgehen, dass die Beklagte die gläubigerbenachteiligende Wirkung der Last-
schriftzahlungen kannte und die Vermutungsregel des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO
deshalb anzuwenden war. Denn wenn ein Schuldner, wie es hier der Fall war,
unternehmerisch tätig ist, muss stets damit gerechnet werden, dass weitere
Verbindlichkeiten bei anderen Gläubigern existieren oder entstehen, die nicht in
gleichem Maß bedient werden können (BGH, Urteil vom 13. August 2009
- IX ZR 159/06, WM 2009, 1943 Rn. 14; vom 15. März 2012 - IX ZR 239/09,
WM 2012, 711 Rn. 12).
Die Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO bewirkt eine Umkehr der
Beweislast. Ist der Vermutungstatbestand gegeben, obliegt dem Anfechtungs-
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gegner der Gegenbeweis. Er muss darlegen und beweisen, dass er nichts von
einem Benachteiligungsvorsatz wusste (BGH, Urteil vom 15. März 2012, aaO
Rn. 14). Dies schließt nicht aus, dass der Tatrichter aufgrund der gesamten
Umstände die Überzeugung gewinnt, dass dem Anfechtungsgegner der Be-
nachteiligungsvorsatz des Schuldners nicht bekannt war. Er muss bei dieser
Würdigung aber die in der gesetzlichen Regelung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO
zum Ausdruck kommende starke indizielle Bedeutung der Kenntnis von der
drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners angemessen berücksichtigen.
2. Das Berufungsurteil lässt nicht zweifelsfrei erkennen, ob das Beru-
fungsgericht davon überzeugt war, dass die Beklagte keine Kenntnis von einem
Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin hatte. Sofern das Berufungsgericht zu
einer solchen Überzeugung gekommen sein sollte, beruhte dies aber auf einem
Rechtsfehler.
Die revisionsrechtliche Kontrolle der dem Tatrichter bei der Beurteilung
der subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung obliegenden Gesamt-
würdigung beschränkt sich darauf, ob sich der Tatrichter entsprechend dem
Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff umfassend und widerspruchsfrei
auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich
möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (BGH,
Urteil vom 12. Februar 2015 - IX ZR 180/12, WM 2015, 591 Rn. 15 mwN). Ein
solcher Verstoß liegt jedoch vor. Das Berufungsgericht hat sich bei seiner Wür-
digung maßgeblich auf die Erfahrungssätze gestützt, die nach der Rechtspre-
chung des Senats für die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung
von Zahlungen des Schuldners gegenüber Leistungsmittlern wie der das Konto
des Schuldners führenden Bank gelten. In solchen Fällen kann eine Kenntnis
der Bank von einem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners regelmäßig nicht
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angenommen werden, sofern sich die Bank auf ihre Funktion als Zahlstelle be-
schränkt und nicht im Eigen- oder Fremdinteresse aktiv an einer vorsätzlichen
Gläubigerbenachteiligung des Schuldners teilnimmt (BGH, Urteil vom 26. April
2012 - IX ZR 74/11, BGHZ 193, 129 Rn. 21 ff; vom 24. Januar 2013 - IX ZR
11/12, WM 2013, 361 Rn. 30 ff). Diese Erfahrungssätze sind hier nicht anwend-
bar, weil die Beklagte nicht als Leistungsmittlerin bei der Ausführung eines ihr
von der Schuldnerin erteilten Zahlungsauftrags tätig geworden ist, sondern als
Gläubigerin von einer Ermächtigung der Schuldnerin Gebrauch gemacht hat,
eine eigene Forderung von einem Konto der Schuldnerin bei einer anderen
Bank einzuziehen.
III.
Das angefochtene Urteil kann damit keinen Bestand haben. Es ist aufzu-
heben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung nur wegen Rechtsverletzung bei
Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach
letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat selbst ent-
scheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Berufung der Beklagten ist zurückzuweisen,
weil das Landgericht den geltend gemachten Rückgewähranspruch nach § 143
Abs. 1, § 133 Abs. 1 InsO mit Recht bejaht hat.
1. Anfechtbar nach § 133 Abs. 1 InsO ist eine Rechtshandlung, die der
Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insol-
venzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu
benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung
den Vorsatz des Schuldners kannte. Als Rechtshandlung der Schuldnerin
kommt bei einem Lastschrifteinzug im Wege des Einzugsermächtigungsverfah-
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rens die Genehmigung der Lastschriftbuchung durch die Schuldnerin in Be-
tracht. Bei einer Zahlung im Abbuchungsauftragsverfahren handelte die
Schuldnerin durch Erteilung dieses Auftrags.
2. Der für die Beurteilung der Anfechtbarkeit maßgebliche Zeitpunkt be-
stimmt sich nach dem Eintritt der rechtlichen Wirkungen der Zahlungen (§ 140
Abs. 1 InsO). Wirksam wurden die Lastschriftbuchungen frühestens am 16. Juni
2006, dem Tag der Buchung (im Falle eines Abbuchungsauftrags mit sofortiger
Einlösung, vgl. BGH, Urteil vom 17. Januar 2013 - IX ZR 184/10, WM 2013, 315
Rn. 8) und spätestens mit dem Eintritt der Genehmigungsfiktion nach Nr. 7
Abs. 3 AGB-Banken aF (bei einer Abbuchung im Einzugsermächtigungsverfah-
ren ohne vorherige ausdrückliche oder konkludente Genehmigung der Schuld-
nerin; vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 2012 - IX ZR 2/11, BGHZ 192, 221
Rn. 23 mwN); letzteres dürfte etwa Mitte August 2006 der Fall gewesen sein.
Der Zeitpunkt liegt jedenfalls innerhalb des Anfechtungszeitraums von zehn
Jahren vor dem Eröffnungsantrag.
3. Die Lastschriftzahlungen haben die übrigen Gläubiger der Schuldnerin
wegen des damit verbundenen Vermögensabflusses objektiv benachteiligt
(§ 129 Abs. 1 InsO). Ohne Belang ist, ob es bereits gegenwärtig weitere Gläu-
biger mit ungedeckten Forderungen gab oder die Schuldnerin zunächst noch
alle Gläubiger mit fälligen Forderungen befriedigen konnte. Denn im Rahmen
des § 133 Abs. 1 InsO genügt eine mittelbare, durch das spätere Hinzutreten
weiterer Umstände begründete Gläubigerbenachteiligung (etwa BGH, Urteil
vom 26. April 2012 - IX ZR 146/11, WM 2012, 1131 Rn. 19, 22). Solche Um-
stände liegen in der späteren Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, in dem re-
gelmäßig Gläubigeransprüche nicht vollständig befriedigt werden (vgl. BGH,
Urteil vom 20. Februar 2014 - IX ZR 164/13, BGHZ 200, 210 Rn. 20).
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4. Die Schuldnerin handelte mit dem Vorsatz, ihre Gläubiger zu benach-
teiligen. Hierfür genügt es, wenn der Schuldner die Benachteiligung der Gläubi-
ger als mutmaßliche Folge seiner Handlung erkennt und billigt. Nach der gefes-
tigten Rechtsprechung des Senats stellt nicht nur die bereits eingetretene, son-
dern auch die lediglich drohende Zahlungsunfähigkeit ein starkes Beweisanzei-
chen für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners dar, wenn sie von die-
sem zum Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung erkannt worden ist.
Denn der Schuldner muss in diesem Fall damit rechnen, dass er nicht sämtliche
Gläubiger befriedigen können wird. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn
eine kongruente Leistung angefochten wird (BGH, Urteil vom 8. Januar 2015
- IX ZR 198/13, WM 2015, 293 Rn. 9 mwN).
Im Streitfall war der Schuldnerin in dem maßgeblichen Zeitraum zwi-
schen Mitte Juni und Mitte August 2006 klar, dass die öffentliche Förderung,
von der ihre Zahlungsfähigkeit abhing, mit Ablauf des Monats Februar 2007
endete. Damit wusste sie auch, dass sie ab März 2007 schon jetzt bestehende,
aber noch nicht fällige Zahlungspflichten, etwa aus Darlehen, nicht mehr voll-
ständig erfüllen konnte, mithin dass ihr die Zahlungsunfähigkeit im Sinne von
§ 18 Abs. 2 InsO drohte. In einem solchen Fall handelt der Schuldner nicht mit
Benachteiligungsvorsatz, wenn konkrete Umstände nahe legen, dass die Krise
noch abgewendet werden kann (BGH, Urteil vom 8. Januar 2015, aaO; vom
12. Februar 2015 - IX ZR 180/12, WM 2015, 591 Rn. 31 mwN). Solche Um-
stände gab es zu dem Zeitpunkt, als die Lastschrifteinzüge wirksam wurden
- spätestens Mitte August 2006 -, nicht. Der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bei
Auslaufen der öffentlichen Förderung konnte nur vermieden werden, wenn die
dann sicher zu erwartende Unterdeckung durch Zuführung neuen Kapitals oder
durch eine deutliche Verringerung der Verbindlichkeiten, etwa durch einen teil-
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weisen Forderungsverzicht der Hauptgläubiger, beseitigt werden konnte. Hierfür
gab es keine konkreten Anhaltspunkte. Erst am 22. August 2006 wurde von
dem damit beauftragten Unternehmen ein Sanierungskonzept vorgelegt. Auch
danach war aber völlig offen, ob es zu der in dem Konzept vorausgesetzten
Kapitalzufuhr durch Nachzahlungen der Gesellschafter kommen würde. Die
Abwendbarkeit der Zahlungsunfähigkeit lag weiterhin nicht nahe.
Der Sanierungsversuch auf der Grundlage des Konzepts vom 22. August
2006 erfüllte im Übrigen auch nicht die Voraussetzungen, unter denen nach der
Rechtsprechung die drohende Zahlungsunfähigkeit ihre Bedeutung als Beweis-
anzeichen für einen Benachteiligungsvorsatz des Schuldners verlieren kann. Ist
die angefochtene Rechtshandlung Bestandteil eines ernsthaften, letztlich aber
fehlgeschlagenen Sanierungsversuchs, kann dies dafür sprechen, dass sich der
Schuldner von einem anfechtungsrechtlich unbedenklichen Willen hat leiten
lassen. Es muss dann aber zu der Zeit der angefochtenen Handlung ein
schlüssiges Sanierungskonzept vorgelegen haben, das mindestens in den An-
fängen schon in die Tat umgesetzt wurde und beim Schuldner die ernsthafte
und begründete Aussicht auf Erfolg rechtfertigte (BGH, Urteil vom 21. Februar
2013 - IX ZR 52/10, WM 2013, 763 Rn. 11). Diese Voraussetzungen waren hier
nicht gegeben. Weder lag das Sanierungskonzept zum Zeitpunkt der angefoch-
tenen Handlungen bereits vor noch war mit seiner Umsetzung begonnen, und
im Hinblick auf die erforderliche, aber sehr fragliche Mitwirkung der Gesellschaf-
ter bot das Konzept auch keine ausreichende Erfolgsaussicht.
5. Die Beklagte kannte den Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin.
Diese Kenntnis ist hier gemäß § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO zu vermuten. Wie das
Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, wusste die Beklagte, dass die
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Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin drohte. Bereits im Jahr 2003 hatte die
Schuldnerin die Rechtsvorgängerin der Beklagten über den Beschluss des Ber-
liner Senats informiert, nach dem keine Anschlussförderung gewährt werden
würde. Aus den im Mai und November 2005 übersandten Geschäftsberichten
der Schuldnerin für die Jahre 2003 und 2004 war der Beklagten bekannt, dass
die öffentliche Förderung des Unternehmens der Schuldnerin mit Ablauf des
Monats Februar 2007 endete und die Insolvenz in absehbarer Zeit danach
kaum zu vermeiden war. Ob sie zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Last-
schrifteinzüge bereits von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
11. Mai 2006 erfahren hatte, durch das die Rechtmäßigkeit des Beschlusses
des Berliner Senats über die Beendigung der Förderung bestätigt worden war,
kann dahinstehen. Denn es ist nicht festgestellt, dass der Beklagten überhaupt
die gerichtliche Anfechtung dieses Beschlusses bekannt war; dann hatte sie
auch keinen Grund, vor der letztinstanzlichen gerichtlichen Entscheidung am
rechtlichen Bestand des angefochtenen Beschlusses zu zweifeln. Ebenso we-
nig ist festgestellt, dass die Beklagte zum maßgeblichen Zeitpunkt von einem
konkreten Sanierungsplan wusste. Selbst wenn sie aber bereits Kenntnis von
dem am 22. August 2006 erstellten Sanierungskonzept gehabt hätte, stellte
dies ihr Wissen von der drohenden Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin nicht in
Frage, weil die Durchführbarkeit der Sanierung nach dem Konzept von Nach-
zahlungen der Gesellschafter abhängig war, mit denen im Hinblick auf die struk-
turelle Unwirtschaftlichkeit des Geschäftsmodells ohne staatliche Subventionen
nicht gerechnet werden konnte. Im Blick auf die unternehmerische Tätigkeit der
Schuldnerin wusste die Beklagte auch, dass die Schuldnerin zumindest in der
Zukunft weitere Gläubiger haben würde, die durch die Lastschrifteinzüge be-
nachteiligt wurden.
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Die danach zu vermutende Kenntnis der Beklagten vom Vorsatz der
Schuldnerin kann nicht aufgrund der Gesamtumstände als widerlegt betrachtet
werden. Insbesondere erlaubt der Umstand, dass die Schuldnerin zum Zeit-
punkt der angefochtenen Handlungen noch uneingeschränkt zahlungsfähig war
und erst zu einem bestimmten in der Zukunft liegenden Zeitpunkt aufgrund des
Wegfalls der öffentlichen Förderung zahlungsunfähig zu werden drohte, keine
andere Beurteilung. In einem solchen Fall kann die Erwartung gerechtfertigt
sein, dass der Schuldner auch weiterhin bis zum Eintritt der Zahlungsunfähig-
keit alle Gläubiger befriedigen kann. Es liegt aber auf der Hand, dass der
Schuldner danach die dann fälligen Forderungen nicht mehr vollständig erfüllen
kann. Dass der Schuldner diese später eintretende Gläubigerbenachteiligung
zum Zeitpunkt seiner Leistung an den Anfechtungsgegner nicht in Kauf nimmt,
kann der Anfechtungsgegner nur dann annehmen, wenn ihm Umstände be-
kannt sind, die darauf schließen lassen, dass in der verbleibenden Zeit entwe-
der die Zahlungsunfähigkeit abgewendet oder auf andere Weise eine Gläubi-
gerbenachteiligung vermieden werden kann, etwa durch die rechtzeitige Ein-
stellung des Geschäftsbetriebs unter Befriedigung aller Gläubiger. Liegt der
Zeitpunkt, zu dem der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit droht, noch in weiter Fer-
ne, mögen an die Darlegung und den Nachweis solcher Umstände geringere
Anforderungen zu stellen sein. Im Streitfall aber gab es für die Beklagte keinen
Grund anzunehmen, die Schuldnerin gehe davon aus, trotz der an die Beklagte
geleisteten Zahlungen auch künftig sämtliche Gläubiger befriedigen zu können.
Sie wusste, dass die öffentliche Förderung, die eine kostendeckende Ge-
schäftstätigkeit der Schuldnerin erst ermöglichte, auslief. Es blieben bis zu die-
sem Zeitpunkt nur noch rund acht Monate, und konkrete Maßnahmen für eine
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erfolgversprechende Sanierung hatte ihr die Schuldnerin ebenso wenig mitge-
teilt wie Pläne, den Geschäftsbetrieb rechtzeitig vor dem Ende der Förderungs-
dauer zu beenden.
Kayser
Gehrlein
Grupp
Möhring
Schoppmeyer
Vorinstanzen:
LG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 04.04.2012 - 2-24 O 208/11 -
OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 28.02.2013 - 3 U 122/12 -