Urteil des BGH vom 13.01.2011

Leitsatzentscheidung zu Verwalter, Treu Und Glauben, Grundstück, Nachlass, Miteigentumsanteil

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 53/09
Verkündet
am:
13. Januar 2011
Kluckow
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
InsO §§ 49, 165; ZPO § 767
Eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwischen dem Schuldner und einem
Grundpfandgläubiger getroffene vollstreckungsbeschränkende Vereinbarung bindet
den Insolvenzverwalter auch dann nicht, wenn das Grundstück zugunsten dieses
Gläubigers wertausschöpfend belastet ist.
BGH, Urteil vom 13. Januar 2011 - IX ZR 53/09 - LG Freiburg
OLG Karlsruhe in Freiburg
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. Januar 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, den
Richter Raebel, die Richterin Lohmann, den Richter Dr. Pape und die Richterin
Möhring
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 4. Zivil-
senats des Oberlandesgerichts Karlsruhe in Freiburg vom
19. Februar 2009 und der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frei-
burg vom 27. Februar 2007 aufgehoben, soweit sie nicht die für
erledigt erklärte Klage des früheren Klägers zu 2 betreffen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz, soweit sie
nicht den für erledigt erklärten Teil betreffen, trägt die Klägerin.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Klägerin.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin und ihr im Verlauf des Rechtsstreits verstorbener Ehemann
(früher Kläger zu 2) waren je hälftige Miteigentümer des von ihnen bewohnten
Hausgrundstücks D. in B. . Das Grundstück ist mit einer
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erstrangigen Grundschuld über 449.936,86 € zuzüglich 14,5 % Jahreszinsen
seit dem 11. November 1993 und 5 % Nebenleistung sowie weiteren Grund-
pfandrechten belastet. Die Grundschuld ist im Jahre 1993 eingetragen worden.
Mit Schreiben vom 11. Juli 2002, von den Eheleuten und ihrem Sohn R.
gegengezeichnet am 17. Juli 2002, bestätigte die Grundpfandgläubige-
rin unter anderem folgende mündlich getroffene Vereinbarung:
"Aufgrund der schweren Krankheiten von Herrn F.
und Frau D. werden wir bei unveränderter Sach-
lage und solange F. und D. in
dem Anwesen wohnen bis auf weiteres keine Zwangsmaßnahmen in Ihr Privat-
haus einleiten. Die selbstverständlich nur, wenn keine Zwangsvollstreckungs-
maßnahmen von Dritter Seite anstehen."
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Auf Antrag der Grundpfandgläubigerin wurde mit Beschlüssen vom
3. März 2006 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Kläger eröffnet.
In beiden Verfahren wurde der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.
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Die Kläger haben zunächst beantragt, den Beklagten zu verurteilen, jeg-
liche Verwertungsmaßnahmen hinsichtlich des von ihnen bewohnten Haus-
grundstücks zu unterlassen. Am 16. Januar 2007 verstarb der ehemalige Kläger
zu 2 und wurde von der Klägerin allein beerbt. Mit Urteil vom 27. Februar 2007
hat das Landgericht den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Im Berufungsver-
fahren haben die Parteien den Rechtsstreit bezüglich der Klage des Klägers
zu 2 übereinstimmend für erledigt erklärt. Im Übrigen ist die Berufung zurück-
gewiesen worden. Ziel der vom Senat zugelassenen Revision ist weiterhin die
Abweisung der Klage, soweit diese nicht für erledigt erklärt worden ist.
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Entscheidungsgründe:
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Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der Entscheidungen der
Vorinstanzen über die Klage der Klägerin und zur Abweisung dieser Klage.
I.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Klage der Klägerin gegen
den Beklagten als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über ihr Vermögen ei-
nerseits, den Beklagten als Verwalter im Insolvenzverfahren über den Nachlass
des früheren Klägers andererseits.
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1. Die Klage ist erhoben worden als Klage der Klägerin und des früheren
Klägers zu 2 gegen Rechtsanwalt P. genannt S. "als Insolvenz-
verwalter über das Vermögen der Frau D. und Herrn F.
". Tatsächlich ist die Klage damit gegen zwei Beklagte erhoben worden.
Über das Vermögen der Klägerin einerseits, des früheren Klägers zu 2 anderer-
seits sind selbständige Insolvenzverfahren eröffnet worden, in denen lediglich
ein und dieselbe natürliche Person zum Insolvenzverwalter bestellt worden ist.
Es gibt also zwei Parteien kraft Amtes, die von den Klägern auf Unterlassung
von Verwertungsmaßnahmen in Anspruch genommen werden.
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2. Nach dem Tod des früheren Klägers zu 2 haben, wie sich dem Proto-
koll der mündlichen Verhandlung vom 29. Januar 2009 entnehmen lässt, "die
Parteivertreter" den Rechtsstreit "bezüglich der Klage des verstorbenen Herrn
F. " für erledigt erklärt. Anhängig geblieben ist die Klage der Klä-
gerin, die sich ausweislich des Rubrums und der Entscheidungsgründe des Be-
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rufungsurteils aber gegen den Beklagten sowohl als Verwalter im Insolvenzver-
fahren über das Vermögen der Klägerin als auch als Verwalter im Insolvenzver-
fahren über den Nachlass des früheren Klägers zu 2 richtet.
II.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Klage der Klägerin beziehe
sich nach wie vor auf das gesamte Grundstück. Sie sei zulässig, obgleich bis-
her weder die Zwangsversteigerung noch die freihändige Versteigerung des
Wohngrundstücks eingeleitet worden sei. Der Beklagte habe die Verwertung
jedenfalls ernsthaft in Betracht gezogen, wie sich daraus ergebe, dass er das
Grundstück in seinen Berichten an das Insolvenzgericht als werthaltigen Ver-
mögensgegenstand erwähnt und sich im vorliegenden Prozess eines Verwer-
tungsrechts berühmt habe. Die Klägerin habe keine Möglichkeit gehabt, die Er-
öffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen zu verhindern.
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Die Klage sei auch begründet. Zwar binde der Vollstreckungsverzicht
den beklagten Insolvenzverwalter nicht. Ein Unterlassungsanspruch der Kläge-
rin folge jedoch aus § 242 BGB. Ein Insolvenzverwalter sei verpflichtet, Verfü-
gungen über die Insolvenzmasse zu unterlassen, die dem Schuldner Schaden
zufügten, ohne im schutzwürdigen Interesse sonstiger Verfahrensbeteiligter
geboten zu sein. Der Verkauf des schon durch die erstrangige Grundschuld
wertausschöpfend belasteten Grundstücks diene ausschließlich den Interessen
der Grundpfandgläubigerin, die jedoch nicht schutzwürdig seien, weil sie dem
im Juli 2002 vereinbarten Vollstreckungsverzicht zuwiderliefen. Belange der
sonstigen Gläubiger blieben unberührt. Die Frage, ob der beklagte Verwalter
mit der Grundpfandgläubigerin einen Verwertungsbeitrag vereinbaren könne,
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welcher der Masse zugute komme, sei für die Entscheidung unerheblich. Der
Verwalter könne das Grundstück ohne weiteres freigeben und damit der
Grundpfandgläubigerin zur Verwertung überlassen.
III.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
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1. Soweit sich die Klage gegen den Beklagten zu 1, den Verwalter im
Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin, richtet und den Miteigen-
tumsanteil des früheren Klägers zu 2 betrifft, scheitert ein Unterlassungsan-
spruch der Klägerin bereits daran, dass ihr insoweit keine Beeinträchtigung
droht (Rechtsgedanke des § 1004 BGB). Vollstreckungs- oder Verwertungs-
maßnahmen des Beklagten zu 1 hat die Klägerin schon aus Rechtsgründen
nicht zu befürchten. Obwohl der frühere Kläger zu 2 von der Klägerin allein be-
erbt worden ist, ist der Beklagte zu 1 insoweit nicht verwaltungs- und verfü-
gungsbefugt (§ 80 InsO). Der Nachlass des früheren Klägers zu 2 ist nunmehr
zwar auch Teil der Masse des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der
Klägerin (vgl. BGH, Urt. v. 11. Mai 2006 - IX ZR 42/05, BGHZ 167, 352 Rn. 11).
Wegen des im Zeitpunkt des Erbfalls laufenden Insolvenzverfahrens über das
Vermögen des Klägers zu 2 bleibt er jedoch vom Vermögen der Klägerin ge-
trennt. Mit dem Tod des früheren Klägers zu 2 ist das Insolvenzverfahren über
dessen Vermögen übergangslos in ein Nachlassinsolvenzverfahren (§§ 315 ff
InsO) übergegangen (vgl. BGH, Urt. v. 22. Januar 2004 - IX ZR 39/03, BGHZ
157, 350, 354; BGH, Beschl. v. 21. Februar 2008 - IX ZB 62/05, BGHZ 175, 307
Rn. 6 ff). Verwaltungs- und verfügungsbefugt über die zum Nachlass gehören-
den Gegenstände ist der Verwalter in diesem Nachlassinsolvenzverfahren,
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nicht die Klägerin und nicht der Beklagte zu 1 als der Verwalter im Insolvenzver-
fahren über das Vermögen der Klägerin.
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2. Soweit sich die Klage gegen den Beklagten zu 1 richtet und den Mitei-
gentumsanteil der Klägerin betrifft, ist die Klage ebenfalls unbegründet. Die Klä-
gerin kann nicht verlangen, dass jegliche Zwangsvollstreckungsmaßnahmen
unterbleiben.
a) Die im Juli 2002 zwischen den Eheleuten und der Grundpfandgläubi-
gerin getroffene Vereinbarung bindet den Beklagten zu 1 nicht. Schuldrechtliche
Vereinbarungen binden grundsätzlich nur die Vertragsparteien. Dazu gehörte
der Beklagte zu 1 nicht. Dass der Beklagte zu 1 Verwalter im Insolvenzverfah-
ren über das Vermögen der Klägerin ist, führt ebenfalls nicht dazu, dass er
nunmehr an die zuvor geschlossene vollstreckungsbeschränkende Vereinba-
rung gebunden wäre. Die Insolvenzordnung enthält keine Bestimmung, die zu
dieser Rechtsfolge führen könnte. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist
das Recht der Klägerin, das zur Masse gehörende Vermögen zu verwalten und
über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter übergegangen (§ 80 Abs. 1
InsO). Für Rechte und Pflichten der Grundpfandgläubigerin gilt dies hingegen
nicht. Die Grundpfandgläubigerin ist gemäß § 49 InsO weiterhin nach Maßgabe
des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung zur
abgesonderten Befriedigung aus dem zur Masse gehörenden Miteigentumsan-
teil berechtigt und kann dieses Recht auch gegenüber dem Insolvenzverwalter
durchsetzen. Die Rechte aus der Vereinbarung könnten - was hier aber nicht zu
entscheiden ist - ihr gegenüber geltend gemacht werden. Mit dem Recht und
der Pflicht des Verwalters, das zur Masse gehörende Vermögen der Klägerin zu
verwerten, hat dies jedoch nichts zu tun.
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b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts folgt ein Verwertungs-
verbot hier auch nicht aus den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242
BGB). Das Berufungsgericht hat allein die wertausschöpfende Belastung des
Grundstücks im Blick gehabt, die dazu führe, dass ausschließlich die an die
vollstreckungsbeschränkende Vereinbarung gebundene Grundpfandgläubigerin
von einer Verwertung des Miteigentumsanteils profitieren würde. Diese Sicht
greift jedoch zu kurz. Neben der Grundpfandgläubigerin haben weitere Gläubi-
ger Forderungen zur Tabelle angemeldet. Aufgabe des Beklagten ist es, durch
bestmögliche Verwertung des Vermögens der Schuldnerin die (ungesicherten)
Gläubiger gemeinschaftlich zu befriedigen (§ 1 Satz 1 InsO). Wenn die Grund-
pfandgläubigerin die Zwangsvollstreckung oder Zwangsverwaltung betreibt (vgl.
§ 49 InsO), ist dies zwar nicht möglich. Auch eine vom Verwalter selbst bean-
tragte Zwangsversteigerung des Grundstücks (§ 165 InsO, §§ 172 ff ZVG) wür-
de kaum zu einem Überschuss führen, den der Verwalter zur Masse ziehen
könnte. Der Verwalter ist jedoch - anders als die Grundpfandgläubigerin - auch
zur freihändigen Veräußerung des belasteten Grundstücks oder grundstücks-
gleichen Rechts berechtigt (vgl. BGHZ 47, 181, 183 zu § 47 KO; BGH, Urt. v.
11. Dezember 1997 - IX ZR 278/96, WM 1998, 304, 305 zur GesO; Münch-
Komm-InsO/Ganter, 2. Aufl. Vor §§ 49-52 Rn. 99a; Uhlenbruck/Brinkmann,
InsO 13. Aufl. § 49 Rn. 30; HK-InsO/Lohmann, 5. Aufl. § 49 Rn. 23). Weil bei
der freihändigen Veräußerung oft ein höherer Kaufpreis erzielt wird, kann der
Verwalter sich mit dem absonderungsberechtigten Gläubiger darauf verständi-
gen, dass er, der Verwalter, diese gegen Zahlung eines vereinbarten Kosten-
beitrags zugunsten der Masse betreibt. Dieser Beitrag kommt der Gemeinschaft
der (ungesicherten) Insolvenzgläubiger zugute. Der Verwalter, der von dieser
Möglichkeit Gebrauch macht, wird nicht, wie das Berufungsgericht meint, nur im
Interesse des absonderungsberechtigten Gläubigers tätig, sondern zieht - sei-
nen Aufgaben und seinem Amt entsprechend - den trotz der Belastungen noch
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zu realisierenden Wert des Grundstücks zur Masse. Nicht die Grundpfandgläu-
bigerin, sondern der Verwalter für die Gesamtheit der Gläubiger greift damit auf
das Grundstück zu.
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c) Soweit das Berufungsgericht ohne nähere Erläuterungen auf den "pre-
kären Gesundheitszustand" der Klägerin verwiesen hat, ist die Klägerin nicht
schutzlos. Ihr bleibt die Möglichkeit, einen Vollstreckungsschutzantrag nach
§ 765a ZPO zu stellen. Sie kann damit zwar nicht die freihändige Veräußerung
des Miteigentumsanteils verhindern, möglicherweise aber die Räumung des
Hausgrundstücks durch den Erwerber hinauszögern. Ihr Interesse, den Mitei-
gentumsanteil behalten zu können, verdient im Insolvenzverfahren über ihr
Vermögen keinen Schutz.
3. Die Klage gegen den Beklagten zu 2, den Verwalter im Nachlassinsol-
venzverfahren über das Vermögen des früheren Klägers zu 2, scheitert hin-
sichtlich des Miteigentumsanteils der Klägerin wiederum am Fehlen einer aktu-
ellen oder drohenden Beeinträchtigung der Rechtsposition der Klägerin. Hier gilt
das zu II 1 Gesagte entsprechend. Zwangsvollstreckungs- oder Verwertungs-
maßnahmen des Beklagten zu 2 hat die Klägerin nicht zu befürchten, weil die-
ser nicht befugt ist, über ihr Vermögen zu verfügen.
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4. Hinsichtlich des zum Nachlass des früheren Klägers zu 2 gehörenden
Miteigentumsanteils fehlt es wegen der fortbestehenden Separierung des Nach-
lasses vom sonstigen Vermögen der Klägerin an einer Sonderrechtsbeziehung
zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 2, die Grundlage der vom Beru-
fungsgericht angenommenen Rücksichtnahmepflichten sein könnte. Sollte man
dies anders sehen, weil der Erwerber die Teilungsversteigerung beantragen
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könnte, so scheitert die Klage in diesem Prozessrechtsverhältnis aus dem glei-
chen Grunde wie diejenige gegen den Beklagten zu 1.
IV.
Das angefochtene Urteil kann deshalb keinen Bestand haben. Es ist auf-
zuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechts-
verletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis
erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat das Re-
visionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 1 ZPO). Die Kla-
ge der Klägerin wird abgewiesen.
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Kayser Raebel
Lohmann
Pape
Möhring
Vorinstanzen:
LG Freiburg, Entscheidung vom 27.02.2007 - 6 O 250/06 -
OLG Karlsruhe in Freiburg, Entscheidung vom 19.02.2009 - 4 U 40/07 -