Urteil des BGH vom 12.03.2015

Aufrechnung, Darlehen, Rückzahlung, Verrechnung, Wiedergabe

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄUMNISURTEIL
IX ZR 5/13
Verkündet am:
12. März 2015
Kluckow
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. März 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, den Rich-
ter Vill, die Richterin Lohmann, den Richter Dr. Pape und die Richterin Möhring
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 14. Zivilsenats
des Kammergerichts in Berlin vom 4. Dezember 2012 im Kosten-
punkt sowie insoweit aufgehoben, als die gegen die Abweisung
der Darlehensansprüche gerichtete Berufung gegen das Urteil der
Zivilkammer 87 des Landgerichts Berlin vom 29. Juni 2010 in Hö-
he eines je erstrangigen Teilbetrages von 10 v.H. zurückgewiesen
worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Verwalter in dem am 1. September 2003 eröffneten Insol-
venzverfahren über das Vermögen der L.
mbH i.L. Die Beklagte ist eine Beteiligungsgesellschaft, die 94 v.H. der
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Geschäftsanteile der Schuldnerin hält. Ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenz-
verfahrens über das Vermögen der Beklagten ist mangels Masse abgewiesen
worden. Aufgrund eines Vertrages vom 10. Januar 2002 gewährte die Schuld-
nerin der Beklagten
ein Darlehen in Höhe von 400.000 €, dessen Laufzeit nach
einmaliger Verlängerung am 31. Dezember 2003 endete. Aufgrund eines Ver-
trages vom 31. Juli 2002 gewährte die Schuldnerin der Beklagten ein weiteres
Darlehen in Höhe von 210.277,47 €, dessen Laufzeit ebenfalls am 31. Dezem-
ber 2003 endete.
Der Kläger hat unter Darlegung von Einzelheiten behauptet, die Schuld-
nerin sei planmäßig "ausgenommen" und in die Insolvenz geschickt worden. Er
hat neben der Rückzahlung der beiden Darlehen auch die Rückgewähr von
Kostenumlagen für Dienstleistungen sowie Schadensersatz im Zusammenhang
mit dem Verkauf von Ersatzteilen verlangt, insgesamt Zahlung von
5.206.229,72 € nebst Zinsen. Die Beklagte hat gegenüber den Darlehensrück-
zahlungsansprüchen mit nachberechneten Dienstleistungsvergütungen und
Zinsen aufgerechnet. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Der
Senat hat die Revision hinsichtlich der Darlehensrückzahlungsansprüche zuge-
lassen, welche der Kläger jeweils in Höhe eines erstrangigen Teilbetrages von
10 v.H. des seiner Ansicht nach bestehenden Anspruchs von insgesamt
609.003,79
€ weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe:
Da die Revisionsbeklagte trotz rechtzeitiger Ladung im Termin zur münd-
lichen Verhandlung nicht vertreten war, musste auf Antrag des Revisionsklä-
gers durch Versäumnisurteil entschieden werden. Das Urteil beruht jedoch nicht
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auf der Säumnis, sondern auf einer umfassenden Sachprüfung (vgl. BGH, Urteil
vom 4. April 1962 - V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 81; vom 4. Juli 2013 - IX ZR
229/12, WM 2013, 1615 Rn. 6; insoweit in BGHZ 198, 77 nicht abgedruckt).
Danach ist die Revision im Umfang ihrer Zulassung begründet. Sie führt zur
Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit es die Darlehensrückzahlungsan-
sprüche betrifft, und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Landgericht hat die auf Rückzahlung der Darlehen gerichtete Klage
ohne nähere Erläuterung wegen der von der Beklagten erklärten "Aufrechnung/
Verrechnung mit nachberechneten Dienstleistungshonoraren" abgewiesen. Das
Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, die Berufung des
Klägers insoweit zurückzuweisen, auf die Klageschrift Bezug genommen und
gemeint, die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO seien wegen Fehlens
einer Gläubigerbenachteiligung nicht erfüllt.
II.
Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser Begründung ist dem Se-
nat nicht möglich. Das Urteil unterliegt der Aufhebung, weil es, wie die Revision
zutreffend rügt, insoweit nicht mit Gründen versehen ist (§ 547 Nr. 6 ZPO).
1. Eine Entscheidung ist dann nicht mit Gründen versehen, wenn aus ihr
- insgesamt oder bezogen auf einzelne prozessuale Ansprüche - nicht zu er-
kennen ist, welche tatsächlichen Feststellungen und welche rechtlichen Erwä-
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gungen für die getroffene Entscheidung maßgebend waren. Der "fehlenden"
Begründung gleichzusetzen ist der Fall, dass zwar Gründe vorhanden sind, die-
se aber unverständlich und verworren oder aber sachlich inhaltslos sind und
sich auf leere Redensarten oder einfach auf die Wiedergabe des Gesetzestex-
tes beschränken (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1962 - I ZB 27/62, BGHZ
39, 333, 337).
2. In der Klageschrift, auf welche das Berufungsurteil hinsichtlich des
Erlöschens der Darlehensforderungen verweist, hat der Kläger Forderungen
dargestellt, welche die Beklagte vorprozessual gegen die Darlehensrückzah-
lungsansprüche verrechnet habe. Die Summe dieser Forderungen beträgt
452.603,79
€. Dieser Betrag findet sich auch im Tatbestand des landgerichtli-
chen Urteils.
Gegenforderungen von 452.603,79 € können Forderungen in Hö-
he von insgesamt 609.003,79 € selbst dann nicht zum Erlöschen bringen, wenn
sie fällig und einredefrei bestehen. Warum das Berufungsgericht das klagab-
weisende Urteil des Landgerichts gleichwohl vollumfänglich bestätigt hat, lässt
sich nicht nachvollziehen.
III.
Das angefochtene Urteil kann damit keinen Bestand haben. Es ist aufzu-
heben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif. Rein
rechnerisch ist der nun noch geltend ge
machte Betrag von 60.900,38 € geringer
als die Differenz zwischen der Summe der ursprünglichen Forderungen von
609.003,79
€ und der Summe der Gegenforderungen von 452.603,79 €; es feh-
len jedoch Feststellungen dazu, welche der Gegenforderungen gegen welche
Ausgangsforderung zur Aufrechnung gestellt oder verrechnet worden ist. Die
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Sache wird daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungs-
gericht zurückverwiesen (§ 563 Abs. 1 ZPO), welches die von der Beklagten
erklärten Aufrechnungen oder vorgenommenen Verrechnungen den nunmehr
noch geltend gemachten Teilforderungen zuzuordnen und zu prüfen haben
wird, ob und wie weit es auf diese noch ankommen kann. Der Senat weist vor-
sorglich auf folgende rechtliche Gesichtspunkte hin:
Hinsichtlich der in den letzten drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag
vorgenommenen Verrechnungen werden im Hinblick auf § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO
die Tatbestände der besonderen Insolvenzanfechtung (§§ 130, 131 InsO) und
der Vorsatzanfechtung (§ 133 Abs. 1 InsO) zu prüfen sein. Ergibt sich der An-
spruch zur Auf- oder Verrechnung nicht aus dem zuerst zwischen den Parteien
geschlossenen Rechtsgeschäft, ist die Aufrechnungslage inkongruent erlangt
(vgl. BGH, Urteil vom 9. Februar 2006 - IX ZR 121/03, NZI 2006, 345 Rn. 14).
Eine objektive Gläubigerbenachteiligung kann entgegen der Ansicht des
Berufungsgerichts nicht deshalb verneint werden, weil die fehlende Werthaltig-
keit des Anspruchs auf die Pauschalvergütung nicht festgestellt wurde. Nach
gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs benachteiligt die Aufrech-
nung die übrigen Insolvenzgläubiger schon deshalb, weil die Forderung der
Masse im Umfang der Aufrechnung zur Befriedigung der Forderung eines ein-
zelnen Insolvenzgläubigers verbraucht wird (BGH, Urteil vom 5. April 2001
- IX ZR 216/98, BGHZ 147, 233, 238). Bereits die Herstellung der Aufrech-
nungslage ist gläubigerbenachteiligend (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2008
- IX ZR 195/07, BGHZ 179, 137 Rn. 12).
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Rechtsbehelfsbelehrung
Gegen dieses Versäumnisurteil steht der säumigen Partei der Einspruch zu.
Dieser ist von einem bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt
binnen einer Notfrist von zwei Wochen ab der Zustellung des Versäumnisurteils
bei dem Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, Karlsruhe, durch Einreichung
einer Einspruchsschrift einzulegen.
Kayser
Vill
Lohmann
Pape
Möhring
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 29.06.2010 - 87 O 27/05 -
KG Berlin, Entscheidung vom 04.12.2012 - 14 U 158/10 -
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