Urteil des BGH vom 12.11.2015

Leitsatzentscheidung zu Lex Fori, Rechtskräftiges Urteil, Neues Vermögen, Anfechtungsklage

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 301/14
Verkündet am:
12. November 2015
Kluckow
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
AnfG § 2
Eine dem Schuldner erteilte Restschuldbefreiung steht der Gläubigeranfechtung je-
denfalls dann nicht entgegen, wenn der Gläubiger die Anfechtungsklage bereits vor
Eröffnung des Insolvenzverfahrens erhoben hat und die Anfechtung Rechtshandlun-
gen betrifft, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden
sind.
EuInsVO Art. 4 Abs. 1
Die Auswirkungen einer Insolvenz auf das Recht der Einzelgläubigeranfechtung sind
nicht Gegenstand des Insolvenzstatuts nach Art. 4 Abs. 1 EuInsVO.
BGH, Urteil vom 12. November 2015 - IX ZR 301/14 - OLG Köln
LG Köln
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. November 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die
Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, die Richterin Lohmann und den Richter
Dr. Schoppmeyer
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 2. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Köln vom 26. November 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin gewährte der D. GmbH einen unbefristeten Kredit in Höhe
von zuletzt 7,2 Mio. €. Alleingesellschafter und Geschäftsführer der D. GmbH
war G. D. (fortan: Schuldner). Der Schuldner verbürgte sich gegenüber
der Klägerin für den der D. GmbH gewährten Kredit.
Der Schuldner ist mit der Beklagten zu 2 verheiratet, die Beklagte zu 1 ist
ihre gemeinsame Tochter. Der Schuldner und die Beklagte zu 2 waren je zur
Hälfte Miteigentümer des unbelasteten Grundstücks K. in O. . Mit
notariellem Vertrag vom 26. März 2007 übertrug der Schuldner seinen hälftigen
Miteigentumsanteil auf die Beklagte zu 2. Eine Gegenleistung sah der notarielle
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Vertrag nicht vor. Mit notariellem Vertrag vom 21. Juli 2008 übertrug die Beklag-
te zu 2 ihr Eigentum am Grundstück K. in O. unentgeltlich
auf die Beklagte zu 1.
Am 1. November 2008 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzver-
fahren über das Vermögen der D. GmbH. Die Klägerin nahm den Schuldner
aus der Bürgschaft in Höhe von 1.000.000
€ in Anspruch. Mit Urteil vom 2. März
2010 verurteilte das Landgericht Köln den Schuldner, 1.000.000
€ nebst Zinsen
an die Klägerin zu zahlen; das Urteil ist seit 2. Februar 2011 rechtskräftig.
Am 19. Juni 2010 erhob die Klägerin Anfechtungsklage gegen die Be-
klagten. Am 8. Juli 2011 reichte der Schuldner beim County Court von Reading
in England eine
Debtor’s Bankruptcy Petition ein. Der High Court of Justice er-
öffnete das Verfahren am 6. Februar 2012. Das Verfahren wurde am 6. Februar
2013 abgeschlossen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat
die Klage auf die Berufung der Beklagten als unzulässig abgewiesen. Hierge-
gen wendet sich die Klägerin mit der zugelassenen Revision, mit der sie die
Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg und führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
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I.
Das Berufungsgericht nimmt an, die Klage sei unzulässig, weil der
Schuldner Restschuldbefreiung (discharge) nach englischem Recht erlangt ha-
be. Diese sei in Deutschland anzuerkennen und führe zu einer Umgestaltung
der Forderung. Sie bewirke, dass dem Schuldner ein materiell-rechtlicher Ein-
wand zustehe, den er nach § 767 ZPO verfolgen könne. Damit werde die For-
derung zu einer unvollkommenen Verbindlichkeit, so dass der Gläubiger die
Leistung nicht mehr verlangen (§ 271 Abs. 1 BGB) könne und es daher an der
nach § 2 AnfG erforderlichen Fälligkeit fehle. Hierauf könne sich auch der An-
fechtungsgegner berufen.
Aus § 301 Abs. 2 InsO lasse sich nichts für den Gläubiger herleiten.
Hierbei handele es sich um eine Sonderregel für Dritte, die es übernommen
hätten, für die Forderung des Schuldners in einer bestimmten Weise einzu-
stehen. Das Anfechtungsrecht führe nur dazu, dass der Dritte die Vollstreckung
in bestimmte Vermögenswerte dulden müsse. Es gleiche also nur die Minde-
rung der Haftungssumme beim Schuldner aus. Darauf, dass sich die Rest-
schuldbefreiung letztlich auf die persönliche Situation des Schuldners beziehe,
komme es nicht an. Vielmehr sei ein Anspruch, wenn er nachträglich einge-
schränkt oder ausgeschlossen werde, nur noch im verbleibenden Umfang im
Anfechtungsprozess zu berücksichtigen. Dies gelte auch dann, wenn dies auf
die wirtschaftliche Situation des Schuldners zurückzuführen sei.
II.
Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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1. Die Anforderungen an eine Gläubigeranfechtung richten sich nach
deutschem Recht. § 19 AnfG bestimmt, dass außerhalb eines Insolvenzverfah-
rens für die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung das Recht maßgeblich ist,
dem die Wirkungen der Rechtshandlung unterliegen. Dies ist hier deutsches
Recht, weil das Grundstück, dessen Belastung und Übereignung angefochten
werden soll, in Deutschland belegen ist (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember
2011 - IX ZR 33/11, WM 2012, 185 Rn. 13). Dies gilt auch für den Fall, dass der
Schuldner im Ausland wohnhaft ist oder im Ausland ein Insolvenzverfahren
über das Vermögen des Schuldners durchgeführt worden ist.
2. Die Klage ist - anders als das Berufungsgericht meint - zulässig, weil
die von § 2 AnfG genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Danach genügt es,
wenn der Gläubiger einen vollstreckbaren Titel erlangt hat, die Forderung des
Gläubigers fällig ist und das Vermögen des Schuldners für eine vollständige
Befriedigung des Gläubigers nicht ausreicht. Dass dem Schuldner eine Rest-
schuldbefreiung erteilt ist oder er discharge gemäß section 280 ff. Insolvency
Act 1986 (fortan: IA 1986) nach englischem Recht erlangt hat, steht der Gläubi-
geranfechtung jedenfalls dann nicht entgegen, wenn - wie im Streitfall - der
Gläubiger die Anfechtungsklage bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens
erhoben hat und die Anfechtung Rechtshandlungen betrifft, die vor der Eröff-
nung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind.
a) Die Klägerin hat ein rechtskräftiges Urteil erlangt, wonach der Schuld-
ner ihr 1.000.000
€ nebst Zinsen zu bezahlen hat. Diese Forderung ist fällig.
Das Schuldnervermögen reicht nach den - unstreitigen - Erklärungen des
Schuldners nicht aus, um den titulierten Anspruch zu erfüllen. Zudem wäre der
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Klägerin aufgrund der nach englischem Recht erfolgten discharge der (weitere)
Zugriff auf das Vermögen des Schuldners versagt (vgl. section 281 (1) IA 1986).
b) Das Anfechtungsgesetz enthält keine Einschränkung, wonach eine
Gläubigeranfechtung ausscheidet, wenn der Schuldner ein Insolvenzverfahren
durchlaufen hat und dieses Insolvenzverfahren abgeschlossen ist. Ebensowe-
nig ist eine Gläubigeranfechtung grundsätzlich ausgeschlossen, wenn der
Schuldner als Ergebnis eines Insolvenzverfahrens von seinen am Ende des
Insolvenzverfahrens noch bestehenden Verbindlichkeiten befreit worden ist, er
also etwa Restschuldbefreiung gemäß §§ 286 ff. InsO erlangt hat oder die
Gläubiger aufgrund eines vergleichbaren Rechtsinstituts eines ausländischen
Insolvenzverfahrens nur noch eingeschränkt auf das Vermögen des Schuldners
zugreifen können.
aa) Das Insolvenzverfahren steht der Anfechtungsklage der Klägerin
nicht entgegen. Gemäß § 18 Abs. 1 AnfG kann ein einzelner Gläubiger einen
Anfechtungsanspruch nach Beendigung eines Insolvenzverfahrens selbst ver-
folgen. Dies gilt auch für den Fall, dass der Rechtsstreit bereits vor der Eröff-
nung des Insolvenzverfahrens anhängig war (MünchKomm-AnfG/Kirchhof, § 18
Rn. 13).
bb) Eine einem Schuldner im Rahmen eines Insolvenzverfahrens ge-
währte Schuldbefreiung ist kein dem Anfechtungsgegner zustehender Einwand.
Dies gilt jedenfalls, soweit - wie im Streitfall - der Anfechtungsanspruch bereits
vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens rechtshängig ist und mit der Gläubiger-
anfechtung Rechtshandlungen angefochten werden, die vorgenommen worden
sind, bevor das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.
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Allerdings ist der Anfechtungsgegner grundsätzlich berechtigt, Einwände
gegen den Bestand des dem Vollstreckungstitel zugrunde liegenden Anspruchs
in den Grenzen des § 767 ZPO zu erheben (BGH, Urteil vom 16. August 2007
- IX ZR 63/06, BGHZ 173, 328 Rn. 23 mwN). Der Schuldner selbst könnte im
Hinblick auf die discharge eine Vollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts
Köln vom 2. März 2010 mit der Vollstreckungsgegenklage abwehren (vgl. BGH,
Beschluss vom 25. September 2008 - IX ZB 205/06, WM 2008, 2219 Rn. 8). Ob
dies im Streitfall möglich ist, kann dahinstehen.
Die Beklagte ist im Streitfall nicht befugt, sich gegenüber dem Anfech-
tungsanspruch auf die Entschuldung des Schuldners zu berufen. Dies ergibt
sich aus den der Restschuldbefreiung und dem Anfechtungsrecht des einzelnen
Gläubigers zugrunde liegenden Wertungen. Bereits die Regelungen der Insol-
venzordnung machen deutlich, dass eine Restschuldbefreiung nicht sämtliche
Rechte der Insolvenzgläubiger ausschließt. So werden gemäß § 301 Abs. 2
InsO Rechte der Insolvenzgläubiger insbesondere bei akzessorischen Rechten
von der Restschuldbefreiung nicht berührt. Dies zeigt, dass - auch wenn die
Restschuldbefreiung zu einer unvollkommenen Verbindlichkeit führt - diese nur
die Person des Schuldners betrifft; im Verhältnis zu Dritten verbleibt es zuguns-
ten des Gläubigers dabei, dass die Forderung in vollem Umfang durchsetzbar
ist. Weiter ordnet die Insolvenzordnung an, dass ein Gläubiger, der befriedigt
worden ist, obwohl er dies auf Grund der Restschuldbefreiung nicht zu bean-
spruchen hatte, diese Leistungen behalten darf; es gibt keine Pflicht zur Rück-
gewähr (§ 301 Abs. 3 InsO). Schließlich bestätigt - der im Streitfall allerdings
noch nicht anwendbare (Art. 103h Satz 1 EGInsO) - § 300a Abs. 1 Satz 2 InsO
nF, dass trotz einer bereits erteilten Restschuldbefreiung weiterhin eine Insol-
venzanfechtung zulässig ist.
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Auch nach Sinn und Zweck der Restschuldbefreiung ist es nicht geboten,
diese auf jede Gläubigeranfechtung zu erstrecken. Die Restschuldbefreiung
wirkt nur zugunsten des Schuldners. Es handelt sich um eine Möglichkeit, sich
von der Haftung auch für solche Verbindlichkeiten zu befreien, die aus dem
vorhandenen Schuldnervermögen nicht erfüllt werden können (BT-Drucks.
12/2443 S. 109). Sie soll dem Schuldner einen wirtschaftlichen Neuanfang er-
möglichen (MünchKomm-InsO/Stephan, 3. Aufl. Vor §§ 286-303 Rn. 7; Wenzel
in Kübler/Prütting/Bork, InsO, Stand April 2014 § 286 Rn. 1). Diese Entschul-
dung beruht gerade darauf, dass das Vermögen des Schuldners im Rahmen
des Insolvenzverfahrens zugunsten der Gläubiger verwertet worden ist. Ihm soll
hingegen nicht ermöglicht werden, bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung
erworbenes oder vorhandenes Vermögen zu behalten, sondern er soll die
Chance erhalten, nach Abschluss des Insolvenzverfahrens neues Vermögen zu
erwirtschaften. Demgegenüber erhält der Gläubiger - soweit dem Schuldner
eine Restschuldbefreiung versprochen wird - tatsächlich keine Leistung. Die
Befreiung des Schuldners von den Verbindlichkeiten ist mithin in erster Linie auf
die persönliche Situation des Schuldners zurückzuführen; sie berührt weder den
ursprünglichen Bestand der Forderung noch gewährt sie dem Gläubiger eine
Befriedigung.
Die Regeln der Gläubigeranfechtung beruhen darauf, dass anfechtbar
weggegebenes Vermögen des Schuldners weiterhin den Gläubigern offensteht,
um daraus ihre Forderungen befriedigen zu können. Unterliegt ein Gegenstand
der Gläubigeranfechtung nach §§ 3 ff AnfG, so soll damit der Gläubiger in den
Stand gesetzt werden, auf den anfechtbar weggegebenen Gegenstand zuzu-
greifen (vgl. § 11 Abs. 1 AnfG). Es geht gerade darum, den Zugriff auf ehemali-
ges Vermögen des Schuldners zu erweitern, weil und soweit der Gläubiger auf-
grund der Unzulänglichkeit des Schuldnervermögens leer ausgeht. Dieser
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Grund trifft auch dann zu, wenn dem Schuldner aufgrund seiner Vermögensun-
zulänglichkeit eine Restschuldbefreiung erteilt worden ist. Das rechtfertigt es,
den Zugriff der Gläubiger im Wege der Gläubigeranfechtung auf ehemaliges
Vermögen des Schuldners jedenfalls dann trotz Restschuldbefreiung zuzulas-
sen, sofern die Anfechtungsklage bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfah-
rens erhoben und die Rechtshandlung vorgenommen worden ist, bevor das
Insolvenzverfahren eröffnet wurde. In diesem Fall erfasst eine Gläubigeranfech-
tung nur Vermögen, das ohne Weggabe im Rahmen des Insolvenzverfahrens
hätte verwertet werden können. Die betroffenen Vermögensgegenstände waren
bereits zum Zeitpunkt der Restschuldbefreiung vorhanden und hätten bis zur
Restschuldbefreiung einem Zugriff der Gläubiger offengestanden, wenn sie der
Schuldner noch besessen hätte.
Soweit nach § 12 AnfG sich der Anfechtungsgegner wegen einer Erstat-
tung einer Gegenleistung oder eines infolge der Anfechtung wiederauflebenden
Anspruchs an den Schuldner halten kann, wird damit - jedenfalls wenn es sich
um Rechtshandlungen handelt, die vorgenommen worden sind, bevor das In-
solvenzverfahren eröffnet worden ist - die Wirkung der Restschuldbefreiung
nicht umgangen. Denn auch solche Ansprüche des Anfechtungsgegners wer-
den von der Restschuldbefreiung erfasst (§ 301 Abs. 1 InsO). Es handelt sich
um Insolvenzforderungen, die der Anfechtungsgegner - gegebenenfalls als be-
dingte Forderung - hätte anmelden können (§§ 38, 41 InsO). Im Übrigen gilt
§ 301 Abs. 2 Satz 2 InsO entsprechend.
cc) Eine englische Restschuldbefreiung (discharge gemäß section 280 ff
IA 1986) hat keine weitergehenden Wirkungen für die Einzelgläubigeranfech-
tung als eine Restschuldbefreiung. Dabei kann dahinstehen, wie sich nach eng-
lischem Recht eine discharge gemäß section 280 ff IA 1986 auf das Recht der
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Einzelgläubigeranfechtung auswirkt. Denn die Voraussetzungen für eine Ein-
zelgläubigeranfechtung regelt das Anfechtungsgesetz.
Entsprechend den Wertungen des Anfechtungsgesetzes entfällt der An-
fechtungsanspruch eines Gläubigers nicht schon dann, wenn der Schuldner als
Ergebnis eines Insolvenzverfahrens von seinen am Ende des Insolvenzverfah-
rens noch bestehenden Verbindlichkeiten befreit worden ist, wenn der Gläubi-
ger hierbei keine Leistung erhalten hat und die Schuldbefreiung darauf abzielt,
dem Schuldner nach Verwertung seines vorhandenen Vermögens einen wirt-
schaftlichen Neubeginn zu ermöglichen. Dies ist bei der discharge gemäß sec-
tion 280 ff IA 1986 der Fall. Sie ist als Rechtsinstitut nach allgemeiner Meinung
mit der Restschuldbefreiung vergleichbar (vgl. Wiedemann/Guglia, ZVI 2014,
397, 398 f;
Allemand/Baister/Kuglarz/Mathijsen/O’Neill/Potamitis/Vallender, NZI
2014, 1, 4). Ein Rechtsinstitut des ausländischen Rechts, dass in Anlass und
Wirkungen der Restschuldbefreiung vergleichbar ist, berührt den Anfechtungs-
anspruch eines Gläubigers nicht.
Das Insolvenzstatut nach Art. 4 Abs. 1 EuInsVO betrifft nicht die Auswir-
kungen einer Insolvenz auf das Recht der Einzelgläubigeranfechtung. Deshalb
ist unerheblich, ob eine discharge nach englischem Recht eine Einzelgläubiger-
anfechtung ausschließt. Die Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO) er-
fasst nur Fallgestaltungen, die als insolvenzrechtliche im Sinne der EuInsVO
einzuordnen sind (Mäsch in Rauscher, EuZPR-EuIPR, 4. Aufl. Art. 4 EG-InsVO
Rn. 8). Ihr Anwendungsbereich ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH
im Hinblick auf ihren sechsten Erwägungsgrund nicht weit auszulegen (EuGH,
Urteil vom 4. September 2014 - C-157/13, ZIP 2015, 96 Rn. 22; vom 11. Juni
2015 - C-649/13, ZIP 2015, 1299 Rn. 27). Entscheidend ist, ob ein Anspruch
anlässlich eines Insolvenzverfahrens erhoben wurde und ob er seinen Ursprung
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im Insolvenzverfahrensrecht hat (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Dezember 2014
- C-295/13, ZIP 2015, 196 Rn. 18 mwN).
Dies trifft auf die Einzelgläubigeranfechtung nicht zu. Das nach der
EuInsVO berufene Insolvenzstatut umfasst daher nicht die Regeln des an-
wendbaren Insolvenzrechts, welche die Einzelgläubigeranfechtung betreffen.
Insbesondere erstreckt die EuInsVO die Wirkungen der lex fori concursus nicht
auf die Frage, wie sich die Rechtsbeziehungen zwischen Gläubigern und Drit-
ten gestalten, wenn das Insolvenzverfahren beendet ist und der Schuldner hier-
von nicht betroffen ist (vgl. auch Art. 4 Abs. 2 lit. k EuInsVO). Denn dies gehört
nicht mehr zum autonom auszulegenden Begriff des Insolvenzverfahrens im
Sinne des Art. 4 EuInsVO. Auch aus Art. 4 Abs. 2 lit. m EuInsVO ergibt sich
nicht, dass die lex fori concursus zugleich über Voraussetzungen der Gläubi-
geranfechtung bestimmt (Paulus, EuInsVO, 4. Aufl. Art. 4 Rn. 36). Gläubigeran-
fechtungsklagen fallen vielmehr unter die EuGVVO (vgl. EuGH, Urteil vom
10. Januar 1990 - C-115/88, IPrax 1991, 45 zu Art. 16 Abs. 1 EuGVÜ; ebenso
EuGH, Urteil vom 19. April 2012 - C-213/10, ZIP 2012, 1049 Rn. 29, 48 für die
Anfechtungsklage eines Zessionars; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivil-
prozessrecht, 9. Aufl. Art. 1 EuGVO Rn. 35). Bezüglich dieser aus den Regeln
der EuInsVO folgenden Abgrenzung zum Recht der Einzelgläubigeranfechtung
besteht kein Raum für einen vernünftigen Zweifel, weshalb der Senat ein Vor-
abentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV an den Gerichtshof der Europä-
ischen Union zur Auslegung der Europäischen Insolvenzverordnung im Streitfall
nicht für erforderlich erachtet.
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III.
Das Berufungsgericht wird daher in der Sache über die geltend gemach-
te Gläubigeranfechtung zu entscheiden haben.
Kayser
Gehrlein
Vill
Lohmann
Schoppmeyer
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 08.07.2011 - 7 O 207/10 -
OLG Köln, Entscheidung vom 26.11.2014 - 2 U 146/11 -
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