Urteil des BGH vom 10.09.2015

Leitsatzentscheidung zu Anschrift, Bekanntgabe, Verfügung, Verjährungsfrist

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 255/14
Verkündet am:
10. September 2015
Kluckow
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 14
a) Die Veranlassung der Bekanntgabe des erstmaligen Antrags auf Prozess-
kostenhilfe hemmt nur dann die Verjährung, wenn der Gläubiger die richtige
Anschrift des Schuldners mitgeteilt hat.
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b) Zu den Voraussetzungen, unter denen die Bekanntgabe des Antrags dem-
nächst nach dessen Einreichung veranlasst wird.
BGH, Urteil vom 10. September 2015 - IX ZR 255/14 - OLG Frankfurt in Darmstadt
LG Darmstadt
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 10. September 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die
Richterin Lohmann, die Richter Dr. Pape, Grupp und die Richterin Möhring
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 22. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main in Darmstadt vom
16. Oktober 2014 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 27. Zivilkammer
des Landgerichts Darmstadt vom 20. Dezember 2012, berichtigt
durch Beschluss vom 14. Februar 2013 und durch weiteren Be-
schluss vom 11. März 2013, wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
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Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 24. September 2007 am
25. Februar 2008 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der S.
GmbH (Schuldnerin). Die Beklagte ist die Ehefrau des
Geschäftsführers der Schuldnerin. Sie hatte der Schuldnerin unter dem 31. Au-
gust 2006 ein Darlehen in Höhe von 49.584,89 € gewährt. Am 24. August 2007
gingen auf dem im Soll befindlichen Geschäftskonto der Schuldnerin zwei Zah-
lungen der Beklagten in Höhe von 49.584,89 € und 49.920,50 € ein. Ebenfalls
am 24. August 2007 überwies die Schuldnerin an die Beklagte den Betrag von
49.584,89 € als "Rückzahlung Darlehen gemäß Vertrag vom 31. August 2006".
Der Kläger verlangt Rückgewähr des Betrages von 49.584,89 € nebst
Zinsen seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Er hat am 15. Dezember
2011 Prozesskostenhilfe für eine entsprechende Klage beantragt, die im Ent-
wurf beigefügt war. Mit Verfügung vom 22. Dezember 2011 hat das Landgericht
die Übersendung des Antrags und des Klageentwurfs an die Beklagte unter der
vom Kläger angegebenen Anschrift "
… " veran-
lasst. Am 12. Januar 2012 ist das Schreiben mit dem Vermerk "unbekannt ver-
zogen" wieder zur Akte gelangt. Mit Verfügung vom 13. Januar 2012, dem Klä-
ger eigenen Angaben zufolge zugegangen am 19. Januar 2012, ist dies dem
Kläger mitgeteilt worden. Am 8. Februar 2012 hat der Kläger die Anschrift "
" mitgeteilt. Mit Verfügung vom
9. Februar 2012 hat das Gericht die Übersendung des Antrags und des Klage-
entwurfs an die nunmehr mitgeteilte Anschrift veranlasst. Eigenen Angaben zu-
folge hat die Beklagte dieses Schreiben am 14. Februar 2012 erhalten. Mit Be-
schluss vom 15. März 2012 ist dem Kläger Prozesskostenhilfe für die beabsich-
tigte Klage bewilligt worden. Die Klage ist am 29. Mai 2012 zugestellt worden.
Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klä-
gers hat das Berufungsgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Mit ihrer
vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will die Beklagte die Wiederher-
stellung des landgerichtlichen Urteils erreichen.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts.
Der geltend gemachte Anspruch ist verjährt.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Anfechtungsanspruch sei nicht
verjährt. Bereits die Veranlassung der Bekanntgabe des Antrags auf Prozess-
kostenhilfe am 22. Dezember 2011 habe die Verjährung gehemmt. Der An-
spruch des Klägers auf Rückgewähr der 49.584,89 € folge aus §§ 130, 131,
143 InsO. Die Schuldnerin sei am 24. August 2007 zahlungsunfähig gewesen,
was der Kläger dargelegt und die Beklagte nur unzulänglich bestritten habe. Die
Zahlung von einem überzogenen Konto schließe die Anfechtung nicht aus.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
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1. Die Verjährung eines Anfechtungsanspruchs richtet sich gemäß § 146
Abs. 1 InsO nach den Regelungen über die regelmäßige Verjährung nach dem
Bürgerlichen Gesetzbuch. Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjäh-
rungsfrist drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss
des Jahres, in welchem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger Kennt-
nis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuld-
ners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Die Ver-
jährungsfrist begann mit Ablauf des Jahres 2008 und endete mit Ablauf des
Jahres 2011. Anfechtungsansprüche entstehen mit der Eröffnung des Insol-
venzverfahrens (BGH, Urteil vom 1. Februar 2007 - IX ZR 96/04, BGHZ 171, 38
Rn. 20; vom 18. Juli 2013 - IX ZR 198/10, WM 2013, 1504 Rn. 30). Das Insol-
venzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin ist am 25. Februar 2008
eröffnet worden. Die Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, dass der Klä-
ger vor Ablauf des Jahres Kenntnis von den Anspruchsvoraussetzungen hatte
oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.
2. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe, der am 15. Dezember 2011 bei
Gericht eingegangen ist, hat nicht zu einer rechtzeitigen Hemmung der Verjäh-
rung geführt, weil er eine unrichtige Anschrift der Beklagten aufwies, diese also
nicht erreichen konnte.
a) Gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB wird die Verjährung durch die Veran-
lassung der Bekanntgabe des erstmaligen Antrags auf Gewährung von Pro-
zesskostenhilfe oder Verfahrenskostenhilfe gehemmt. Wird die Bekanntgabe
demnächst nach der Einreichung des Antrags veranlasst, so tritt die Hemmung
der Verjährung bereits mit der Einreichung des Antrags bei Gericht ein. Das
Gericht hat die Übersendung des Antrags an die Beklagte am 22. Dezember
2011 verfügt, mithin vor Ablauf der Verjährungsfrist.
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b) Entgegen der Ansicht der Revision (ebenso Staudinger/Peters/Jacoby,
BGB, 2014, § 204 Rn. 117, die sich zu Unrecht auf das die fehlende Veranlas-
sung der Bekanntgabe betreffende Senatsurteil vom 24. Januar 2008 - IX ZR
195/06, WM 2008, 806 Rn. 7 ff berufen) kommt es nicht darauf an, ob der An-
trag dem Schuldner tatsächlich bekanntgeworden ist. Nach dem Wortlaut des
Gesetzes kommt es auf die Veranlassung der Bekanntgabe an, nicht auf diese
selbst. Auch die Entstehungsgeschichte der betreffenden Bestimmung spricht
gegen die von der Revision für richtig gehaltene Auslegung. Die Vorschrift des
§ 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB ist durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuld-
rechts eingeführt worden. Der Gesetzentwurf vom 14. Mai 2001 (BT-Drucks.
14/6040, S. 4 zu § 204 Abs. 1 Nr. 14, S. 116) knüpfte die Hemmung zunächst
an die Bekanntgabe des Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe an,
um sicherzustellen, dass der Schuldner Kenntnis von der Hemmung erlangte.
Auf die Zustellung konnte es nicht ankommen, weil die Zivilprozessordnung ei-
ne solche nicht vorsah. Anträge, die dem Schuldner nicht bekanntgegeben
wurden, sollten keine Hemmung entfalten (BT-Drucks. 14/6040, S. 116 zu
Nr. 14). Die heutige Fassung des § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB geht auf einen Vor-
schlag des Rechtsausschusses zurück. Dieser befürchtete, dass der Schuldner
durch die schwer zu widerlegende Behauptung, das betreffende Schreiben
nicht erhalten zu haben, die Hemmungsregelung unterlaufen werde. Sachge-
recht sei daher, auf das aktenmäßig nachprüfbare Veranlassen der Bekanntga-
be des Antrags abzustellen (BT-Drucks. 14/7052, S. 181 zu Nr. 14, Nr. 4). Woll-
te man nun vom Gläubiger gleichwohl den Nachweis verlangen, dass der
Schuldner den Antrag tatsächlich erhalten hat, liefe das dem im Gesetz hinrei-
chend deutlich zum Ausdruck gekommenen Anliegen des Gesetzgebers zuwi-
der, die Hemmung unabhängig vom Nachweis der Kenntnis eintreten zu lassen.
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c) Unabdingbare Voraussetzung für den Eintritt der Verjährungshem-
mung ist jedoch, dass der Gläubiger die richtige ladungsfähige Anschrift des
Schuldners angegeben hat. Der Regelung des § 204 BGB liegt das Prinzip zu-
grunde, dass die Verjährung durch eine aktive Rechtsverfolgung des Gläubi-
gers gehemmt wird, die einen auf die Durchsetzung seines Anspruchs gerichte-
ten Willen für den Schuldner erkennbar macht (BGH, Urteil vom 18. Juni 2015
- III ZR 198/14, WM 2015, 1319 Rn. 18, zVb in BGHZ; vom 6. Juli 1993 - VI ZR
306/92, BGHZ 123, 337, 343 mwN zu § 209 BGB aF). Der Gläubiger muss dem
Schuldner seinen Rechtsverfolgungswillen so klar machen, dass dieser sich
darauf einrichten muss, auch nach Ablauf der (ursprünglichen) Verjährungszeit
in Anspruch genommen zu werden. Die einzelnen Tatbestände der "Rechtsver-
folgung" gemäß § 204 Abs. 1 BGB setzen deshalb überwiegend die Zustellung
des verfahrenseinleitenden Schriftsatzes voraus. Die in § 204 Abs. 1 Nr. 4 und
Nr. 14 BGB geregelten Ausnahmen des Güteantrags und des Antrags auf Pro-
zesskostenhilfe stellen, wie gezeigt, nur deshalb nicht auf die Bekanntgabe des
Antrags, sondern auf die vorbereitende Verfügung der Gütestelle und des Ge-
richts ab, weil der Gläubiger nicht durch ein wahrheitswidriges Bestreiten des
Zugangs in Beweisnot geraten soll, nicht weil der Schuldner in diesen Fallge-
staltungen keinen Schutz verdient. Eine unrichtig adressierte Sendung, die vom
beauftragten Postdienstleistungsunternehmen zurückgegeben wird, kann den
Schuldner aber von vornherein nicht erreichen. Der Schuldner wird nicht ge-
warnt. Der Gläubiger seinerseits braucht dann, wenn feststeht, dass die Sen-
dung den Schuldner unter der angegebenen Anschrift nicht erreichen wird, nicht
vor einem wahrheitswidrigen Bestreiten des Zugangs geschützt zu werden. Un-
geschriebene Voraussetzung des Hemmungstatbestandes des § 204 Abs. 1
Nr. 14 BGB muss daher sein, dass die gerichtliche Verfügung im Grundsatz
geeignet ist, die Bekanntgabe des Antrags zu bewirken. Das ist nicht der Fall,
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wenn im Antrag eine unrichtige Anschrift des Antragsgegners angegeben ist,
also nicht erwartet werden kann, dass er diesen überhaupt erreicht.
d) Diese einschränkende Auslegung des § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB fügt
sich in die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Hem-
mungstatbeständen des § 204 Abs. 1 BGB ein. Inhaltliche Anforderungen an
den Antrag lassen sich dem Gesetz nicht entnehmen. Darauf, ob die beabsich-
tigte Klage zulässig und schlüssig ist und ob die in § 117 Abs. 2 ZPO vorge-
schriebene Erklärung beigefügt ist, kommt es darum nicht an. Gleichwohl hat
der Bundesgerichtshof bei der Auslegung der vergleichbaren Bestimmung des
§ 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB - Hemmung der Verjährung durch die Veranlassung der
Bekanntgabe eines Güteantrags - nicht jeden Antrag ausreichen lassen, son-
dern eine ausreichende Individualisierung des geltend gemachten Anspruchs
verlangt (BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 - III ZR 198/14, WM 2015, 1319
Rn. 16 ff, zVb in BGHZ). Der Schuldner muss erkennen können, welcher An-
spruch gegen ihn geltend gemacht wird, damit er prüfen kann, ob eine Verteidi-
gung erfolgversprechend ist und ob er in das Güteverfahren eintreten möchte
(aaO, Rn. 22 f). Damit hat der Bundesgerichtshof nicht nur den Hemmungstat-
bestand des § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB einschränkend ausgelegt. Er hat auch zum
Ausdruck gebracht, dass auch dann, wenn der Gläubiger nur die Veranlassung
der Bekanntgabe des Antrags nachzuweisen hat, der Schuldner Kenntnis vom
Antrag erhalten können muss; denn andernfalls wären inhaltliche Vorgaben
nutzlos.
e) Die gerichtliche Verfügung vom 22. Dezember 2011 war wegen der
unrichtigen Adressierung ungeeignet, der Beklagten Kenntnis von dem Antrag
des Klägers auf Prozesskostenhilfe zu vermitteln. Sie vermochte die Verjährung
nicht zu hemmen.
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3. Der geltend gemachte Anspruch wäre folglich nur dann nicht verjährt,
wenn die Veranlassung der Bekanntgabe gemäß Verfügung vom 9. Februar
2012, nunmehr mit der zutreffenden Anschrift der Beklagten, im Sinne von
§ 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB "demnächst" nach dem Eingang des Antrags bei Ge-
richt am 15. Dezember 2011 erfolgt wäre. Das ist jedoch nicht der Fall.
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a) Der Begriff "demnächst" in § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB entspricht demje-
nigen in § 167 ZPO. Er beschreibt keinen festgelegten oder festzulegenden
Zeitraum. Vielmehr ist im Einzelfall zu würdigen, ob der Gläubiger alles Erfor-
derliche und Zumutbare für eine Zustellung (in § 167 ZPO) oder die Veranlas-
sung der Bekanntgabe (in § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB) getan hat und ob der
Rückwirkung schützenswerte Belange des Schuldners entgegenstehen (vgl.
BGH, Urteil vom 27. Mai 1999 - VII ZR 24/98, MDR 1999, 1016, 1017). Verzö-
gerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebs dürfen dem Gläubiger
nicht zum Nachteil gereichen, da er auf diesen keinen Einfluss hat. Hingegen
sind dem Gläubiger Verzögerungen zuzurechnen, die er bei gewissenhafter
Vorbereitung des Antrags hätte vermeiden können, wobei es nicht darauf an-
kommt, ob ihm insoweit Vorsatz oder Fahrlässigkeit, sei es auch nur leichte
Fahrlässigkeit, zur Last fällt (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juni 1988 - IVb ZR 92/87,
FamRZ 1988, 1154 f zu § 270 Abs. 3 ZPO aF). Geringfügige Verzögerungen
von bis zu 14 Tagen, gerechnet vom Tage des Ablaufs der Verjährungsfrist an,
bleiben außer Betracht (BGH, Urteil vom 8. Juni 1988, aaO; vom 22. Juni 1993
- VI ZR 190/92, NJW 1993, 2614 f; vom 27. Mai 1999, aaO; vom 10. Juli 2015
- V ZR 154/14, MDT 2015, 1028 Rn. 5; jeweils zu § 270 Abs. 3 ZPO aF oder
§ 167 ZPO).
b) Die Verzögerung, die infolge der vom Kläger mitgeteilten unrichtigen
Anschrift eingetreten ist, war nicht nur geringfügig. Die Verjährungsfrist endete
mit Ablauf des 31. Dezember 2011. Das Gericht hat jedoch erst am 9. Februar
2012, also mehr als einen Monat ab Fristablauf, die Bekanntgabe des Antrags
an die richtige Anschrift der Beklagten verfügt.
c) Der Kläger hätte die eingetretene Verzögerung vermeiden können,
indem er den Antrag mit der zutreffenden Anschrift der Beklagten versah.
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aa) Die Angabe einer unrichtigen Anschrift allein lässt den Schluss auf
ein fahrlässiges Verhalten des Gläubigers allerdings nicht zu. Fahrlässigkeit
kann erst dann bejaht werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen Woh-
nungswechsel des Schuldners bestehen. Ohne jedes konkrete Anzeichen eines
Wohnungswechsels des Anspruchsgegners ist der Gläubiger nicht verpflichtet,
vor Einreichung eines Antrags auf Prozesskostenhilfe beim zuständigen Ein-
wohnermeldeamt die ihm bekannte Anschrift des Anspruchsgegners überprüfen
zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juni 1993, aaO).
bb) Entgegen der nicht näher begründeten Ansicht des Berufungsge-
richts bestanden nach dem festgestellten und revisionsrechtlich zugrunde zu
legenden Sachverhalt derartige konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die vom
Kläger verwandte Anschrift nicht mehr zutraf. Der Kläger hat vorgetragen, die
Beklagte sei bis Mitte 2007 Arbeitnehmerin der Schuldnerin gewesen; ihre An-
schrift habe er den dazu gehörenden Unterlagen entnommen. Mit einer Ände-
rung der Anschrift habe er schon deshalb nicht zu rechnen brauchen, weil er
noch im Jahre 2008 ein Schreiben an diese Anschrift versandt habe, welches
nicht zurückgekommen sei. Der Kläger wusste jedoch, dass die Beklagte die
Ehefrau des Geschäftsführers der Schuldnerin war. Als solche hatte er sie in
Anspruch genommen. Die Anschrift
… war zugleich
diejenige des Geschäftsführers des Schuldners. Der Ehemann der Beklagten
hatte den Kläger am 10. Februar 2009 wegen einer Versicherungsangelegen-
heit angeschrieben und dabei die Anschrift
… angege-
ben. Mit Email vom 19. August 2010 hatte er sich erneut an den Kläger ge-
wandt und gebeten, die betreffenden Unterlagen an die Anschrift
zu übersenden. Hierbei handelt es sich um diejenige An-
schrift, die der Kläger dem Gericht am 8. Februar 2012 mitgeteilt hat. Der
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Schluss darauf, dass die Beklagte gemeinsam mit ihrem Ehemann umgezogen
war, mag nicht zwingend sein. Das ist jedoch auch nicht erforderlich. Die mitge-
teilten Anschriften boten jedenfalls Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte nicht
mehr an derjenigen Anschrift wohnte, die bis zur Eröffnung des Insolvenzver-
fahrens gegolten hatte, sei es, dass die Eheleute gemeinsam umgezogen wa-
ren, sei es, dass die Beklagte als Folge einer Trennung einen separaten Wohn-
sitz begründet hatte. Ein sorgfältig handelnder Gläubiger hätte dies zum Anlass
genommen, rechtzeitig vor Ablauf der Verjährungsfrist zu prüfen, ob die in den
alten Unterlagen befindliche Anschrift der Beklagten noch zutraf. Dann wäre die
eingetretene Verzögerung vermieden worden. Bereits leichte Fahrlässigkeit des
Gläubigers schließt mit Rücksicht auf die berechtigten Interessen des Forde-
rungsschuldners, Klarheit darüber zu erlangen, ob die gegen ihn gerichtete
Forderung nun verjährt ist, die Annahme einer demnächst erfolgten Veranlas-
sung der Bekanntgabe des Antrags auf Prozesskostenhilfe aus (vgl. BGH, Urteil
vom 8. Juni 1988 - IVb ZR 92/87, FamRZ 1988, 1554 f).
cc) Der Beklagten kann die eingetretene Verzögerung nicht zugerechnet
werden. Der Kläger hat seine Behauptung, die Beklagte selbst habe ihm die im
ersten Antrag enthaltene Anschrift mitgeteilt, nicht aufrechterhalten.
III.
Das angefochtene Urteil kann folglich keinen Bestand haben. Es ist auf-
zuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung nur wegen Rechtsverletzung
bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und
nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat selbst in
der Sache zu entscheiden (§ 563 Abs. 2 ZPO). Da der geltend gemachte An-
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spruch verjährt ist, ist das klagabweisende Urteil des Landgerichts wieder her-
zustellen.
Kayser
Lohmann
Pape
Grupp
Möhring
Vorinstanzen:
LG Darmstadt, Entscheidung vom 20.12.2012 - 27 O 419/11 -
OLG Frankfurt in Darmstadt, Entscheidung vom 16.10.2014 - 22 U 22/13 -