Urteil des BGH vom 17.03.2016

Leitsatzentscheidung zu Vorweggenommene Beweiswürdigung, Steuerberater, Zusicherung, Verfassungsbeschwerde

ECLI:DE:BGH:2016:170316BIXZR211.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZR 211/14
vom
17. März 2016
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 295, § 522 Abs. 2
Eine Revision ist nicht wegen eines Gehörsverstoßes zuzulassen, wenn es der Be-
schwerdeführer versäumt hat, den Verstoß im Rahmen der ihm eingeräumten Frist
zur Stellungnahme auf einen Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts zu rügen.
BGH, Beschluss vom 17. März 2016 - IX ZR 211/14 - OLG Celle
LG Hannover
- 2 -
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, den Richter Vill, die Richterin Lohmann, die Richter Dr. Pape
und Dr. Schoppmeyer
am 17. März 2016
beschlossen:
Die Nichtzulassungsbeschwerde gegen den die Berufung zurück-
weisenden Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
Celle vom 23. Juli 2014 wird auf Kosten des Klägers zurückgewie-
sen.
Der Wert des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf
344.050,43
€ festgesetzt.
Gründe:
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft (§ 522 Abs. 3, § 544 Abs. 1
Satz 1 ZPO) und zulässig (§ 544 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO). Sie hat jedoch
keinen Erfolg. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch er-
fordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1
ZPO).
1. Ohne Erfolg beruft sich der Kläger auf eine Verletzung seines Verfah-
rensgrundrechts aus § 103 Abs. 1 GG.
1
2
- 3 -
a) Die Revision ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu-
zulassen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer Verletzung des An-
spruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs beruht, so dass nicht zweifelhaft ist,
dass sie auf eine Verfassungsbeschwerde hin der Aufhebung durch das Bun-
desverfassungsgericht unterliegen würde. Für die Zulassung wegen eines
Rechtsfehlers sind deshalb die gleichen Voraussetzungen maßgebend, die
nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Erfolg einer
Verfassungsbeschwerde führen würden (BGH, Beschluss vom 27. März 2003
- V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 296 f; Beschluss vom 6. Mai 2010 - IX ZB
225/09, ZInsO 2010, 1156 Rn. 6).
b) Soweit der Kläger beanstandet, das Berufungsgericht habe in seinem
Hinweisbeschluss sein Vorbringen übergangen, wonach es sich bei den Äuße-
rungen der Steuerberater L. und M. zu der Wertentwicklung und der
gewinnbringenden Wiederverkäuflichkeit des Anlageobjekts nicht um eine un-
verbindliche Prognose oder bloß werbende Anpreisung ohne verbindlichen Ge-
halt, sondern um eine verbindliche Zusicherung mit einem für die Anlageent-
scheidung verbindlichen Inhalt gehandelt habe, steht der Geltendmachung ei-
nes Gehörsverstoßes der allgemeine Grundsatz der Subsidiarität entgegen.
Gleiches gilt hinsichtlich des Vorwurfs, das Berufungsgericht habe eine vor-
weggenommene Beweiswürdigung vorgenommen, indem es darauf verzichtet
habe, die vom Kläger als Zeugin benannte Ehefrau zur Abgabe einer verbindli-
chen Zusicherung durch die Steuerberater zu hören. Der Subsidiaritätsgrund-
satz fordert, dass ein Beteiligter über das Gebot der Erschöpfung des Rechts-
wegs im engeren Sinn hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehen-
den prozessualen Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend ge-
machten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung
zu verhindern (BGH, Beschluss vom 6. Mai 2010, aaO Rn. 7; BVerfGE 73, 322,
3
4
- 4 -
325; 77, 381, 401; 81, 22, 27; 86, 15, 22; 95, 163, 171; stRspr; vgl. Zöller/Gre-
ger, ZPO, 31. Aufl., Vor § 128 Rn. 8a). Diese Würdigung entspricht dem in
§ 295 ZPO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, nach dessen Inhalt
eine Partei eine Gehörsverletzung nicht mehr rügen kann, wenn sie die ihr nach
Erkennen des Verstoßes verbliebene Möglichkeit zu einer Äußerung nicht ge-
nutzt hat (BGH, Beschluss vom 6. Mai 2010, aaO; BFH/NV 1993, 34; 1993,
422, 423; BVerwG, Beschluss vom 14. Mai 2008 - 4 B 45/07, WV Rn. 23 mwN;
Zöller/Greger, § 295 Rn. 5; MünchKomm-ZPO/Prütting, 4. Aufl., § 295 Rn. 37;
Prütting/Gehrlein/Deppenkemper, ZPO, 7. Aufl. § 295 Rn. 6; Wieczorek/
Schütze/Gerken, ZPO, 4. Aufl. § 522 Rn. 87).
Die Möglichkeit, auf den Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts ge-
mäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO Stellung zu nehmen, dient nach allgemeiner Auf-
fassung dem Zweck, dem Berufungsführer das rechtliche Gehör zu gewähren
(Hk-ZPO/Wöstmann, 6. Aufl., § 522 Rn. 14 f; MünchKomm-ZPO/Rimmels-
pacher, 4. Aufl., § 522 Rn. 28; Stein/Jonas/Althammer, ZPO, 22. Aufl., § 522
Rn. 60; Wieczorek/Schütze/Gerken, aaO; Zöller/Heßler, aaO § 522 Rn. 34).
Diesem soll Gelegenheit gegeben werden, sich zu der vom Berufungsgericht
beabsichtigten Zurückweisung seines Rechtsmittels zu äußern. Dieser Zweck
der Vorschrift würde verfehlt, wenn man dem Berufungskläger die Wahl ließe,
ob er eine Gehörsverletzung im Hinweisbeschluss innerhalb der ihm einge-
räumten Frist zur Stellungnahme oder erst in einem sich anschließenden Nicht-
zulassungsbeschwerdeverfahren rügt. Dies würde der mit der Einführung des
§ 522 ZPO bezweckten Beschleunigung des Verfahrens zuwiderlaufen und die
rechtskräftige Erledigung der Streitigkeit zulasten der in erster Instanz obsie-
genden Partei verzögern (vgl. BT-Drucks. 14/4722, S. 96 f).
5
- 5 -
c) Im Streitfall hatte der Kläger nach Zustellung des Hinweisbeschlusses
vom 25. Juni 2014 am 4. Juli 2014 bis zum Erlass des Zurückweisungsbe-
schlusses am 23. Juli 2014 mehr als zwei Wochen Zeit, um die vermeintlichen
Gehörsverletzungen zu rügen. Von der ihm eingeräumten Stellungnahmefrist
von zwei Wochen hat er keinen Gebrauch gemacht. Die Geltendmachung von
Gehörsverstößen, auf denen die Zurückweisung der Berufung beruhen soll, im
Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren scheidet damit aus.
2. Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4
Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der
Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.
Kayser
Vill
Lohmann
Pape
Schoppmeyer
Vorinstanzen:
LG Hannover, Entscheidung vom 25.03.2014 - 20 O 14/12 -
OLG Celle, Entscheidung vom 23.07.2014 - 3 U 75/14 -
6
7