Urteil des BGH vom 12.05.2016

Leitsatzentscheidung zu Vergütung, Schuldbeitritt, Wirtschaftliches Interesse, Mithaftung

ECLI:DE:BGH:2016:120516UIXZR208.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 208/15
Verkündet am:
12. Mai 2016
Kluckow
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
RVG § 3a Abs. 1, § 4b; BGB § 414
Die Formerfordernisse des § 3a Abs. 1 RVG gelten grundsätzlich auch für einen
Schuldbeitritt zur Vergütungsvereinbarung. Ihre Reichweite wird bestimmt durch den
Zweck, dem Beitretenden deutlich zu machen, dass er nicht nur der gesetzlichen
Vergütungsschuld des Mandanten beitritt, sondern der davon abweichenden, ver-
traglich vereinbarten Vergütung.
BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 - IX ZR 208/15 - LG Kleve
AG Moers
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. Mai 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter
Prof. Dr. Gehrlein, Grupp, die Richterin Möhring und den Richter
Dr. Schoppmeyer
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 6. Zivilkammer
des Landgerichts Kleve vom 24. September 2015 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts
Moers vom 28. Januar 2015 wird mit der Maßgabe zurückgewie-
sen, dass die Klage hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsan-
waltskosten in Höhe von 124 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Pro-
zentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. Dezember 2013
abgewiesen wird.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren werden der Beklagten aufer-
legt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger vertrat als Rechtsanwalt den georgischen Staatsangehörigen
B. G. in einem Asylfolgeverfahren. Er fertigte unter dem Datum des
30. April 2013 eine Vergütungsvereinbarung. Die Vereinbarung sieht unter der
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Nummer 1 vor, dass der Mandant anstelle der gesetzlichen Gebühren eine
pauschale Vergütung in Höhe von 800
€ einschließlich Umsatzsteuer zu zahlen
hat. Die Nummern 2 bis 9 regeln Einzelheiten der Vergütungspflicht. Die Num-
mer 10 der Vereinbarung lautet: "Die Unterzeichner haften gesamtschuldne-
risch." Darunter unterzeichnete neben dem Mandanten die als Dolmetscherin
für ihn tätige Beklagte.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von 800
€ nebst Zinsen und
vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Anspruch. Das Amtsgericht hat der
Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit seiner vom
Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren wei-
ter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Die Beklagte schuldet dem Kläger den in der
Hauptsache geltend gemachten Betrag von 800
€ nebst Verzugszinsen. Ledig-
lich hinsichtlich der zusätzlich verlangten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten
ist die Klage abzuweisen.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Dem Kläger stehe kein Anspruch
gegen die Beklagte zu, weil das von ihr unterzeichnete Schriftstück nicht den
Anforderungen des § 3a RVG an die äußere Gestaltung einer wirksamen Ver-
gütungsvereinbarung entspreche. Ein Schuldbeitritt bedürfe der Form des zu
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Grunde liegenden Geschäfts. Es müssten deshalb auch die Anforderungen des
§ 3a RVG an die formale Gestaltung der Vereinbarung erfüllt sein. Dies sei hier
nicht der Fall, weil die Verpflichtung der Beklagten zur Mithaftung nicht hinrei-
chend deutlich von der Vergütungsvereinbarung zwischen dem Kläger und sei-
nem Mandanten abgesetzt sei.
II.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Mit Recht hat das Berufungsgericht allerdings in der Unterzeichnung
der Vergütungsvereinbarung durch die Beklagte einen Beitritt zur Schuld des
Mandanten gesehen. Anders konnte der Kläger als Empfänger die ausdrücklich
auf eine Mithaftung als Gesamtschuldnerin gerichtete Erklärung der Beklagten
bei objektiver Würdigung nicht verstehen. Ein eigenes wirtschaftliches Interesse
des Beitretenden setzt die Annahme eines Schuldbeitritts nicht voraus. Sofern
die Beklagte, wie die Revisionserwiderung einwendet, eine Erklärung dieses
Inhalts nicht abgeben wollte oder ihr das Erklärungsbewusstsein überhaupt ge-
fehlt haben sollte, hätte sie ein mögliches Anfechtungsrecht innerhalb der Frist
des § 121 BGB ausüben müssen; das hat sie nicht getan.
2. Die Erklärung eines Schuldbeitritts bedarf grundsätzlich keiner beson-
deren Form. Er unterliegt aber als Verpflichtungsgeschäft den Formerfordernis-
sen, die für den Hauptvertrag gelten, soweit diese mit Rücksicht auf den Leis-
tungsgegenstand des Schuldbeitritts aufgestellt sind (BGH, Urteil vom 31. Ja-
nuar 1991 - III ZR 150/88, NJW 1991, 3095, 3098; vom 8. Dezember 1992
- XI ZR 96/92, BGHZ 121, 1, 3; vom 14. Juni 1996 - V ZR 85/95, NJW 1996,
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2503, 2504; vom 21. April 1998 - IX ZR 258/97, BGHZ 138, 321, 327; zum Ver-
braucherkreditgesetz: BGH, Urteil vom 8. November 2005 - XI ZR 34/05, BGHZ
165, 43, 46 f; vom 24. Juli 2007 - XI ZR 208/06, ZIP 2007, 1850 Rn. 12 mwN).
Um solche Formerfordernisse handelt es sich auch bei denjenigen nach § 3a
Abs. 1 RVG (vgl. zur Vorgängervorschrift § 3 Abs. 1 BRAGO: BGH, Urteil vom
31. Januar 1991, aaO). Sowohl das Erfordernis der Textform als auch die weite-
ren, in den Sätzen 2 und 3 der Norm aufgeführten Anforderungen dienen der
Warnung und dem Schutz des Mandanten. Er soll klar erkennbar darauf hinge-
wiesen werden, dass er eine Vergütungsvereinbarung schließt, die dem
Rechtsanwalt einen von den gesetzlichen Gebührenvorschriften abweichenden
Honoraranspruch auf vertraglicher Grundlage verschafft (BGH, Urteil vom
3. Dezember 2015 - IX ZR 40/15, AnwBl 2016, 268 Rn. 17). Tritt ein Dritter der
Verpflichtung des Mandanten aus der Vergütungsvereinbarung bei, ist er in
gleicher Weise schutzbedürftig. Die Formerfordernisse des § 3a Abs. 1 RVG
gelten deshalb grundsätzlich auch für die Erklärung des Schuldbeitritts.
3. Der Ansicht des Berufungsgerichts, im Streitfall genüge die Gestaltung
des Schuldbeitritts nicht den Anforderungen des § 3a Abs. 1 Satz 2 RVG, kann
jedoch nicht beigetreten werden.
a) Nach dieser Vorschrift muss eine Vergütungsvereinbarung als solche
oder in vergleichbarer Weise bezeichnet werden, sie muss von anderen Ver-
einbarungen mit Ausnahme der Auftragserteilung deutlich abgesetzt sein und
darf nicht in der Vollmacht enthalten sein. Inwiefern diese Anforderungen auch
auf den Beitritt eines Dritten zu der Vergütungsschuld des Mandanten anzu-
wenden sind, bestimmt sich nach ihrem Schutzzweck. Dieser besteht darin, den
Mandanten, der eine Vergütung für die Tätigkeit des Rechtsanwalts schon von
Gesetzes wegen schuldet, davor zu bewahren, dass er sich unbemerkt vertrag-
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lich zu einem von der gesetzlichen Vergütung abweichenden Honorar verpflich-
tet. Bezogen auf den Schuldbeitritt kann es danach nur darum gehen, dem Bei-
tretenden deutlich vor Augen zu führen, dass er nicht nur der gesetzlichen Ver-
gütungsschuld des Mandanten beitritt - ein solcher Beitritt bedürfte keiner be-
sonderen Form -, sondern der davon abweichenden, vertraglich vereinbarten
Vergütung.
b) Diesen Schutz gewährleistet die hier gewählte Form. Die Vereinba-
rung ist als Vergütungsvereinbarung bezeichnet und enthält ausschließlich die
Vergütung betreffende Regelungen. Sie stellt klar, dass die vereinbarte Vergü-
tung von der gesetzlichen Regelung abweicht. Die am Ende unter Nummer 10
getroffene Bestimmung, dass die Unterzeichner gesamtschuldnerisch haften, ist
ein Bestandteil der Vergütungsvereinbarung selbst. Sie machte der Beklagten
unmissverständlich klar, dass sie mit ihrer Unterschrift die Mithaftung für die
vereinbarte Vergütungsschuld des Mandanten übernahm.
c) Mit der Bestimmung in § 3a Abs. 1 Satz 2 RVG, dass die Vergütungs-
vereinbarung von anderen Vereinbarungen deutlich abgesetzt sein muss, soll
verhindert werden, dass der Mandant eine Vergütungsvereinbarung übersieht,
die zwischen anderen mit dem Rechtsanwalt getroffenen Vereinbarungen "ver-
steckt" ist. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann daraus nicht ab-
geleitet werden, dass der Schuldbeitritt der Beklagten deutlich von der Vergü-
tungsvereinbarung des Mandanten hätte abgesetzt werden müssen. Die Be-
klagte gab neben dem Schuldbeitritt keine weiteren Erklärungen ab, die ihren
Blick auf den Beitritt hätten beeinträchtigen können. Entscheidend ist, dass ihr
durch die Gestaltung der Erklärung klar gemacht wurde, einer vertraglichen,
von der gesetzlichen Regelung abweichenden Vergütungsschuld beizutreten.
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d) Liegt der nach Ansicht des Berufungsgerichts gegebene Formmangel
mithin nicht vor, bedarf die Frage nach der Rechtsfolge eines solchen Mangels
keiner Entscheidung. Die Vergütungsvereinbarung zwischen dem Rechtsanwalt
und dem Mandanten ist im Falle eines Verstoßes gegen die Formvorschriften
des § 3a Abs. 1 Satz 1 und 2 RVG nicht unwirksam; aus ihr kann die vereinbar-
te Vergütung nur bis zur Höhe der gesetzlichen Gebühr gefordert werden (BGH,
Urteil vom 5. Juni 2014 - IX ZR 137/12, BGHZ 201, 334 Rn. 16 ff, 31; vom
22. Oktober 2015 - IX ZR 100/13, WM 2016, 178 Rn. 8; vom 3. Dezember 2015
- IX ZR 40/15, AnwBl 2016, 268 Rn. 21). Ob entsprechendes bei Formmängeln
eines Schuldbeitritts gilt, kann dahinstehen.
III.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich nicht aus anderen
Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).
1. Der Schuldbeitritt genügt der durch § 3a Abs. 1 Satz 1 RVG vorge-
schriebenen Textform. Die Vergütungsvereinbarung einschließlich der Mithaf-
tungserklärung der Beklagten erfüllt die Voraussetzungen des § 126b BGB,
insbesondere sind die Personen der Erklärenden hinreichend benannt. Hierfür
genügt es, dass die Beklagte in der Unterschriftszeile am Ende der Vereinba-
rung mit ihrem Namen genannt ist. Dass es sich dabei nicht um ihren tatsächli-
chen Namen, sondern um den Namen ihrer Tochter handelt, schadet nicht, weil
die Beklagte unbestritten regelmäßig unter diesem Namen auftritt und allen Be-
teiligten klar war, dass sie mit diesem Namen gemeint war (vgl. MünchKomm-
BGB/Einsele, 7. Aufl., § 126b Rn. 7).
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2. Der Umstand, dass die Vergütungsvereinbarung entgegen § 3a Abs. 1
Satz 3 RVG keinen Hinweis darauf enthält, dass die gegnerische Partei, ein
Verfahrensbeteiligter oder die Staatskasse im Falle der Kostenerstattung re-
gelmäßig nicht mehr als die gesetzliche Vergütung erstatten muss, lässt den
Anspruch des Rechtsanwalts auf die vereinbarte Vergütung - anders als eine
Verletzung der Formvorschriften nach § 3a Abs. 1 Satz 1 und 2 RVG - unbe-
rührt (§ 4b Satz 1 RVG; AnwK-RVG/Onderka, 7. Aufl., § 3a Rn. 3; Mayer/Kroiß/
Teubel, RVG, 6. Aufl., § 3a Rn. 49). Eine weitergehende Rechtsfolge kann die-
sem Formmangel auch im Verhältnis zu einem Dritten, welcher der Schuld des
Mandanten beigetreten ist, nicht zukommen.
3. Die vertragliche Regelung über den Schuldbeitritt hält auch einer Kon-
trolle nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen stand.
a) Die Vertragsklausel betreffend den Schuldbeitritt ist nicht als überra-
schende Klausel nach § 305c Abs. 1 BGB unwirksam. Als der Kläger von der
Beklagten die Mitunterzeichnung der von ihm mit seinem Mandanten zu schlie-
ßenden Gebührenvereinbarung verlangte, lag es für die Beklagte nahe, dass es
dem Kläger darauf ankam, zur Absicherung seiner Gebührenforderung eine
weitere Person in die Mithaftung zu nehmen. Andere Gründe, die eine Unter-
zeichnung durch die Beklagte erfordert hätten, lagen - anders als etwa bei ei-
nem Handeln als Abschlussvertreter (vgl. dazu § 309 Nr. 11 Buchst. a BGB) -
nicht vor. Drängte sich dieses Interesse des Klägers der Beklagten auf, musste
sie damit rechnen, dass der ihr vorgelegte Vertragstext eine entsprechende
Klausel enthielt. Ein Überrumpelungseffekt ergab sich im Übrigen auch nicht
aus dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags. Die Klausel betreffend die
gesamtschuldnerische Mithaftung der Beklagten findet sich knapp und prägnant
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formuliert als letzte Vertragsbestimmung unmittelbar über dem für die Beklagte
vorgesehenen Unterschriftsfeld.
b) Auf die Frage, ob die unter Nummer 7 der Vergütungsvereinbarung
getroffene Regelung, dass die vorzeitige Beendigung des Mandats durch den
Mandanten den Vergütungsanspruch nicht berührt, nach § 307 Abs. 2 Nr. 1,
§ 308 Nr. 7a BGB unwirksam ist, kommt es nicht an. Die Vergütungsvereinba-
rung bliebe im Übrigen gleichwohl wirksam (§ 306 Abs. 1 BGB; vgl. OLG Köln,
JurBüro 2013, 469, 470 mwN). Der Inhalt der Vereinbarung richtet sich in dem
betreffenden Punkt gegebenenfalls nach den gesetzlichen Regeln. Ihr Fortbe-
stand nach dieser Maßgabe stellte für die Vertragsparteien keine unzumutbare
Härte dar (§ 306 Abs. 3 BGB).
IV.
Das Berufungsurteil ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die
Aufhebung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das
festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endent-
scheidung reif ist, kann der Senat selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).
Die Beklagte schuldet dem Kläger aufgrund ihres Beitritts zu der Vergü-
tungsvereinbarung 800
€. Dieser Betrag ist wegen Verzugs ab dem Ablauf der
vom Kläger gesetzten Zahlungsfrist zum 13. Dezember 2013 mit dem gesetzli-
chen Zinssatz zu verzinsen (§§ 286, 288 Abs. 1 BGB). Keinen Anspruch hat der
Kläger hingegen auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten. Zwar können
Rechtsverfolgungskosten im erforderlichen und zweckmäßigen Umfang zu dem
wegen Verzugs erstattungsfähigen Schaden gehören (§ 280 Abs. 1 und 2,
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§ 286 BGB; vgl. etwa BGH, Urteil vom 6. Oktober 2010 - VIII ZR 271/09, NJW
2011, 296 Rn. 8 f mwN), auch wenn ein Rechtsanwalt in eigener Sache tätig
wird (vgl. BAG ZIP 1995, 499). Sie müssen jedoch durch den Verzug verursacht
worden sein. Daran fehlt es im Streitfall. Der Kläger hat die Beklagte bereits mit
der verzugsbegründenden Mahnung vom 20. Dezember 2013 zur Zahlung der
Anwaltskosten aufgefordert, die demnach schon zuvor entstanden sein müs-
sen. Die Berufung der Beklagten war daher unter Abweisung der Klage bezüg-
lich der vorgerichtlichen Anwaltskosten zurückzuweisen.
Kayser
Gehrlein
Grupp
Möhring
Schoppmeyer
Vorinstanzen:
AG Moers, Entscheidung vom 28.01.2015 - 561 C 259/14 -
LG Kleve, Entscheidung vom 24.09.2015 - 6 S 17/15 -