Urteil des BGH vom 08.01.2015

Leitsatzentscheidung zu Zahlungseinstellung, Einstellung der Zahlungen, Gesetzliche Vermutung, Darlehen, Insolvenz

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I X Z R 2 0 3 / 1 2
Verkündet am:
8. Januar 2015
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 133 Abs. 1
Zur Feststellung der Zahlungseinstellung und der Kenntnis des Benachteiligungsvor-
satzes auf der Grundlage von Indizien.
BGH, Urteil vom 8. Januar 2015 - IX ZR 203/12 - OLG Celle
LG Hildesheim
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 8. Januar 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, den Rich-
ter Vill, die Richterin Lohmann, den Richter Dr. Pape und die Richterin Möhring
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 13. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Celle vom 12. Juli 2012 insoweit aufge-
hoben, als das Berufungsgericht das Urteil des Landgerichts Hil-
desheim vom 22. Juni 2011 aufgehoben, die Klage insgesamt ab-
gewiesen und über die Kosten des Rechtsstreits entschieden hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 19. März 2009 am
28. Juli 2009 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des M.
G. (nachfolgend: Schuldner), der ein Ingenieurbüro vormals zusammen mit
dem Beklagten betrieb. Beide hatten sich im Jahre 2002 zu einer Sozietät von
Vermessungsingenieuren zusammengeschlossen. In der Folgezeit änderten die
Gesellschafter den Sozietätsvertrag dahingehend ab, dass der Beklagte ab
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dem 1. Januar 2005 eine monatliche Pensionszahlung von 3.500
€ erhalten
sollte. Im Laufe des Jahres 2005 erbrachte der Beklagte zur Stützung der Liqui-
dität der Gesellschaft drei als Einlage bezeichnete Zahlungen von insgesamt
29.000
€. Ab Januar 2006 führte der Schuldner unter Auflösung der Sozietät
das Vermessungsbüro alleine weiter, wobei der Beklagte - zumindest stunden-
weise - weiter dort tätig war.
Mit Vertrag vom 9. März 2006 wandelten der Schuldner und der Beklagte
das Kapitalkonto des Beklagten, das zum Jahresende 2005 ein Guthaben von
131.279,07
€ auswies und dessen Auszahlung dem Schuldner nicht möglich
war, in ein verzinsliches Darlehen um. Für das Jahr 2005 waren 6.500
€ Zinsen
vereinbart. Ab Januar 2007 sollte das Darlehen in monatlichen Raten von
1.000
€ zurückgeführt werden.
Im Herbst 2006 zeichnete sich ab, dass der Schuldner das Weihnachts-
geld für dieses Jahr an die Mitarbeiter nicht werde leisten können. Um die Son-
derzahlungen gleichwohl zu ermöglichen, zahlte der Beklagte im Oktober 2006
insgesamt 20.000 € auf die bis dahin erhaltenen Pensionszahlungen zurück. Im
November 2006 schlossen der Schuldner und der Beklagte "mit Rücksicht auf
die angespannte wirtschaftliche Situation des ehemals gemeinsam betriebenen
P. Vermessungsbüros" einen Ergänzungsvertrag, wonach der Beklagte im
Jahre 2007 anstelle der vereinbarten 42.000
€ nur 24.000 € erhalten sollte.
Nach dem Vortrag des Klägers kam das Weihnachtsgeld 2006 trotz der Liquidi-
tätshilfen des Beklagten nicht zur Auszahlung. Im Januar 2008 wendete der
Beklagte die drohende Zwangsvollstreckung eines ausgeschiedenen Arbeit-
nehmers aus einem arbeitsgerichtlichen Vergleich mit der Zahlung von 4.800
ab. Ab November 2008 konnte der Schuldner den laufenden Lohn nicht mehr
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bezahlen. Es kam zu arbeitsgerichtlichen Klagen, auch wegen des Weih-
nachtsgeldes 2006.
Soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse, erbrachte der Schuld-
ner im Zeitraum von April 2007 bis Februar 2009 an den Beklagten Zahlungen
auf den Pensionsanspruch in Höhe von insgesamt 63.500
€, Rückzahlungen
auf das Darlehen in Höhe von insgesamt 38.967
€ sowie Mietzahlungen für ei-
nen an den Schuldner vermieteten Lagerraum in Höhe von 5.793,84
€, insge-
samt 108.260,84
€. In dieser Höhe, zuzüglich Zinsen, hat die auf Deckungs-
und Vorsatzanfechtung gestützte Klage des Klägers in erster Instanz Erfolg ge-
habt. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der vom Senat zuge-
lassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsanspruch in vollem Um-
fang weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit
es die Klage insgesamt abgewiesen hat, ausgeführt:
Der Kläger habe keinen Rückgewähranspruch aus § 143 Abs. 1, § 133
Abs. 1 InsO, weil er zu einem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners allen-
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falls für die Zeit ab November 2008 ausreichend vorgetragen habe. Der
Schuldner handele mit Benachteiligungsvorsatz, wenn er seine Zahlungsunfä-
higkeit oder seine drohende Zahlungsunfähigkeit kenne. Eine umfassende Ge-
genüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten einerseits und der liquiden Mittel
andererseits, aus welcher ein kurzfristig nicht zu behebender Mangel an Zah-
lungsmitteln in der Zeit ab April 2007 zu entnehmen sei, habe der Kläger nicht
vorgelegt. Vortrag zur künftigen Liquiditätssituation, der für den Nachweis der
drohenden Zahlungsunfähigkeit erforderlich sei, fehle ebenfalls. Soweit eine
(drohende) Zahlungsunfähigkeit in den Jahren 2004, 2005 und 2006 durch Pri-
vateinlagen der Gesellschafter und den Verzicht auf Entnahmen aus dem Kapi-
talkonto abgewendet worden sei, könne daraus nicht auf eine bestehende oder
drohende Zahlungsunfähigkeit ab April 2007 geschlossen werden.
Zwar könne es zur Darlegung der Zahlungsunfähigkeit auch ausreichen,
dass der Anfechtende vortrage, im maßgeblichen Zeitpunkt hätten fällige Ver-
bindlichkeiten bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen
und deshalb zu Tabelle angemeldet worden seien. Hierfür genüge der Vortrag
des Klägers, drei Arbeitnehmer hätten das Weihnachtsgeld für das Jahr 2006
bis zur Verfahrenseröffnung nicht erhalten, aber nicht. Ausreichend seien erst
die rückständigen Gehalts- und Gratifikationszahlungen ab November 2008.
Die Annahme einer Zahlungseinstellung, die auch zur Vermutung des
§ 133 Abs. 1 Satz 2 InsO führen könne und bezüglich derer es einer Liquidi-
tätsbilanz nicht bedürfe, sei zu verneinen, weil die vom Kläger vorgetragenen
Indizien nicht den Schluss auf eine Einstellung der Zahlungen des Schuldners
ab April 2007 zuließen. Selbst wenn man unterstelle, dass Zahlungen auf das
Weihnachtsgeld 2006 in Höhe von 30.000
€ offen geblieben seien, genüge dies
nicht, weil der Betrag nur verhältnismäßig gering sei. Dem Schreiben des
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Schuldners vom 4. Juli 2007 an seine Arbeitnehmer, das Weihnachtsgeld für
2006 nicht zahlen zu können, komme keine entscheidende Bedeutung zu. Glei-
ches gelte für das Schreiben des Steuerberaters vom 18. Juni 2007, wonach in
den ersten fünf Monaten 2007 im Ergebnis ein Verlust festzustellen sei, und die
den Arbeitnehmern überlassene vorgedruckte Erklärung, ungeachtet einer
eventuell drohenden Insolvenz nicht mit einer Gehaltskürzung einverstanden zu
sein.
Von einer Kenntnis des Benachteiligungsvorsatzes des Schuldners auf
Seiten des Beklagten ab November 2008 könne nicht ausgegangen werden,
denn die Gesellschaft habe bei seinem Ausscheiden Ende 2005 einen bilanzier-
ten Gewinn von 101.717,54
€ gehabt und seine Forderungen gegen den
Schuldner seien stets pünktlich befriedigt worden. Dass er Anfang 2008 einge-
sprungen sei, als der Schuldner 4.080
€ benötigt habe, um die Zwangsvollstre-
ckung eines ehemaligen Arbeitnehmers abzuwenden, sei kein ausreichendes
Indiz für die Kenntnis von Umständen, die zwingend auf eine drohenden Zah-
lungsunfähigkeit hindeuteten.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung in wesentlichen Punkten
nicht stand. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht die Voraussetzun-
gen eines Anfechtungsanspruchs verneint hat, beruhen auf einer unvollständi-
gen Auswertung des maßgeblichen Sachvortrags der Parteien.
1. Nach § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar,
welche der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung
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des Insolvenzverfahrens mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen,
vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des
Schuldners kannte. Der Benachteiligungsvorsatz ist gegeben, wenn der
Schuldner bei Vornahme der Rechtshandlung (§ 140 InsO) die Benachteiligung
der Gläubiger im Allgemeinen als Erfolg seiner Rechtshandlung gewollt oder als
mutmaßliche Folge - sei es auch als unvermeidliche Nebenfolge eines an sich
erstrebten anderen Vorteils - erkannt und gebilligt hat. Ein Schuldner, der seine
Zahlungsunfähigkeit kennt, handelt in aller Regel mit Benachteiligungsvorsatz.
Dessen Vorliegen ist auch schon dann zu vermuten, wenn der Schuldner seine
drohende Zahlungsunfähigkeit kennt. Dies ergibt sich mittelbar aus § 133
Abs. 1 Satz 2 InsO. Da für den anderen Teil die Kenntnis vom Gläubigerbe-
nachteiligungsvorsatz des Schuldners vermutet wird, wenn er wusste, dass
dessen Zahlungsunfähigkeit drohte, können für den Vorsatz des Schuldners
selbst keine strengeren Anforderungen gelten (BGH, Urteil vom 13. April 2006
- IX ZR 158/05, BGHZ 167, 190 Rn. 14 mwN; vom 30. Juni 2011 - IX ZR
134/10, ZInsO 2011, 1410 Rn. 8 mwN).
a) Die Zahlungsunfähigkeit beurteilt sich im gesamten Insolvenzrecht und
darum auch im Rahmen des Insolvenzanfechtungsrechts nach § 17 InsO (BGH,
Urteil vom 18. Juli 2013 - IX ZR 143/12, ZInsO 2013, 2109 Rn. 7 mwN). Zur
Feststellung der Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO
kann eine Liquiditätsbilanz aufgestellt werden. Dabei sind die im maßgeblichen
Zeitpunkt verfügbaren und innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden
Mittel in Beziehung zu setzen zu den am selben Stichtag fälligen und eingefor-
derten Verbindlichkeiten. Im Insolvenzanfechtungsprozess ist die Aufstellung
einer Liquiditätsbilanz oftmals nicht erforderlich, weil im eröffneten Verfahren
auch auf andere Weise festgestellt werden kann, ob der Schuldner einen we-
sentlichen Teil seiner fälligen Verbindlichkeiten nicht bezahlen konnte (vgl.
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BGH, Urteil vom 12. Oktober 2006 - IX ZR 228/03, ZInsO 2006, 1210 Rn. 28
mwN; vom 18. Juli 2013, aaO).
b) Hat der Schuldner seine Zahlungen eingestellt, begründet auch dies
gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfä-
higkeit (BGH, Urteil vom 20. November 2001 - IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178,
184 f; vom 18. Juli 2013, aaO Rn. 8 mwN).
aa) Zahlungseinstellung ist dasjenige nach außen hervortretende Verhal-
ten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der
Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (BGH, Urteil vom
20. November 2001, aaO). Es muss sich mindestens für die beteiligten Ver-
kehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner außer-
stande ist, seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen zu genügen. Die tatsächli-
che Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für
eine Zahlungseinstellung aus. Haben im fraglichen Zeitpunkt fällige Verbindlich-
keiten erheblichen Umfangs bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht
mehr beglichen worden sind, ist regelmäßig von einer Zahlungseinstellung aus-
zugehen (BGH, Urteil vom 18. Juli 2013, aaO Rn. 9 mwN).
bb) Eine Zahlungseinstellung kann aus einem einzelnen, aber auch aus
einer Gesamtschau mehrerer darauf hindeutender, in der Rechtsprechung ent-
wickelter Beweisanzeichen gefolgert werden. Sind derartige Indizien vorhan-
den, bedarf es einer darüber hinaus gehenden Darlegung und Feststellung der
genauen Höhe der gegen den Schuldner bestehenden Verbindlichkeiten oder
einer Unterdeckung von mindestens zehn vom Hundert nicht (BGH, Urteil vom
18. Juli 2013, aaO Rn. 10 mwN).
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2. Nach diesen Maßstäben rechtfertigen die vom Kläger vorgetragenen
Beweisanzeichen die Annahme einer Zahlungseinstellung des Schuldners (§ 17
Abs. 2 Satz 2 InsO). Insoweit hat das Berufungsgericht den Prozessstoff nicht
ausgeschöpft und eine rechtsfehlerfreie Gesamtwürdigung der einzelnen Indi-
zien versäumt (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 2008 - IX ZR 38/04, ZInsO
2008, 378 Rn. 13; vom 29. März 2012 - IX ZR 40/12, ZInsO 2012, 976 Rn. 11;
vom 18. Juli 2013, aaO Rn. 10).
a) Das Berufungsgericht nimmt eine nur eingeschränkte Würdigung vor,
indem es die maßgeblichen Indizien nicht in einen Gesamtzusammenhang
stellt, sondern jeweils nur einzeln für sich betrachtet. So stellt es hinsichtlich der
zu Beginn des für die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit maßgeblichen Zeit-
raums offenen Verbindlichkeiten lediglich in Rechnung, dass die Weihnachts-
geldansprüche von drei Arbeitnehmern für das Jahr 2006 offengeblieben und
vom Schuldner bis zur Verfahrenseröffnung nicht ausgeglichen worden sind.
Dabei übergeht es den schon in der Klageschrift und in der Berufungserwide-
rung gehaltenen Vortrag des Klägers, dass der Schuldner sämtlichen Arbeit-
nehmern das Weihnachtsgeld für 2006 bis zur Insolvenzeröffnung schuldig ge-
blieben ist. Entgegen dem Grundsatz, dass regelmäßig von Zahlungseinstel-
lung auszugehen ist, wenn im fraglichen Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten be-
standen, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind
(BGH, Urteil vom 30. Juni 2011 - IX ZR 134/10, ZInsO 2011, 1410 Rn. 12
mwN), stellt es nicht fest, ob tatsächlich die Ansprüche aller Arbeitnehmer of-
fengeblieben sind und welchen Umfang diese hatten, sondern begnügt sich mit
dem Hinweis, dass drei - vom Kläger nur beispielhaft benannte - Arbeitnehmer
ihr Weihnachtsgeld nicht erhalten hätten, was nicht ausreiche, um im Verhältnis
zum sonstigen Zahlungsverkehr des Schuldners zu einer Zahlungseinstellung
zu kommen.
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Sodann unterstellt es zwar in seiner weiteren Würdigung, die gesamten
ungedeckten Ansprüche auf Weihnachtsgeld könnten auch 30.000
€ betragen
haben, hält aber auch einen deutlich geringeren Gesamtbetrag für möglich, so
dass unklar bleibt, von welchem Betrag es letztlich ausgeht, wenn es meint, die
offene Summe sei zu gering, um zu einem beachtlichen Zahlungsrückstand zu
kommen. Allein darauf, dass die Nichtzahlung von geschätzten 30.000
€ einen
nur unwesentlichen Betrag in Relation zu den gesamten Personalausgaben des
Schuldners darstelle, hätte die Würdigung des Gerichts aber ohnehin nicht ge-
stützt werden dürfen, weil der Kläger eine Fülle von weiteren Beweisanzeichen
vorgetragen hat, die auf eine Zahlungseinstellung des Schuldners schließen
lassen.
b) Die gebotene Gesamtwürdigung lässt unberücksichtigt, dass es sich
bei den Weihnachtsgeldzahlungen für das Jahr 2006 um Forderungen der Ar-
beitnehmer handelt, deren schleppende Zahlung auch im Fall der erzwungenen
"Stundung" durch den Arbeitgeber Anzeichen für eine Zahlungseinstellung ist
(BGH, Urteil vom 14. Februar 2008 - IX ZR 38/04, ZInsO 2008, 378 Rn. 20 ff).
Schon in den Jahren 2004 und 2005 bestehende Schwierigkeiten des Schuld-
ners, das Weihnachtgelt für diese Jahre zu zahlen, die sich aus den vom Kläger
vorgelegten Schreiben des Schuldners und des Beklagten an die Belegschaft
vom 22. November 2004 und 20. November 2005 ergeben, lässt das Beru-
fungsgericht bei seiner Würdigung außer Acht. Den für die Gesamtwürdigung
erheblichen Umstand, dass der Beklagte im Hinblick auf die anstehende Zah-
lung des Weihnachtsgeldes für das Jahr 2006 im Oktober 2006 an den Schuld-
ner 20.000 € aus den empfangenen Pensionsleistungen zurückgezahlt hat, um
dem Schuldner die Zahlung des Weihnachtsgeldes zu ermöglichen, und dieser
hierzu gleichwohl nicht in der Lage gewesen ist, erwähnt das Berufungsgericht
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in seiner Würdigung nicht. Auch dem Ergänzungsvertrag vom 13. November
2006, in dem der Beklagte im Hinblick auf die angespannte wirtschaftliche Situ-
ation des Schuldners diesem Pensionszahlungen in Höhe von 18.000
€ für das
Jahr 2007 erlassen hat, misst es keine Bedeutung zu. Obwohl auch diese Maß-
nahme nicht zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation des Schuld-
ners geführt hat, was nicht zuletzt die Mitteilung des Steuerberaters vom
18. Juni 2007 belegt, in welcher ein Verlust für die ersten fünf Monate des Jah-
res 2007 attestiert wird, der es nicht zulasse, Sonderzahlungen in der verein-
barten Höhe zu leisten, wird dies in der Entscheidung des Berufungsgericht
nicht erwähnt.
c) Nicht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu vereinbaren
ist die Auffassung des Berufungsgerichts, eine eigenständige Indizwirkung
komme dem Schreiben des Schuldners an seine Belegschaft vom 4. Juli 2007
nicht zu. Wenn der Schuldner in diesem Schreiben unter Hinweis auf das
Schreiben des Steuerberaters vom 18. Juni 2007 mitteilt, die Zahlung des
Weihnachgeldes 2006 sei - auch nur in Teilbeträgen - weiterhin unmöglich und
auch sonst lasse die finanzielle Situation die Erbringung von irgendwelchen Zu-
satzleistungen nicht zu, räumt er damit seinen Angestellten gegenüber ein, sei-
ne Verbindlichkeiten - auch nach Ablauf von mehr als einem halben Jahr nach
Fälligkeit - nicht vollständig erfüllen zu können. Die Auffassung des Berufungs-
gerichts, in dem Schreiben werde nur bestätigt, was der Beklagte ohnehin nicht
bestritten habe, verkennt, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofs eigene Erklärungen des Schuldners, fällige Verbindlichkeiten nicht
begleichen zu können, auf eine Zahlungseinstellung hindeuten (BGH, Urteil
vom 12. Oktober 2006 - IX ZR 228/03, ZInsO 2006, 1210 Rn. 15 mwN; vom
15. März 2012 - IX ZR 239/09, ZInsO 2012, 696, Rn. 27) und damit ein wesent-
liches Indiz in der gebotenen Gesamtwürdigung darstellen. Aus dem Schreiben
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ergibt sich in Verbindung mit dem beigefügten Schreiben des Steuerberaters
zudem, dass sich die angespannte finanzielle Situation des Schuldners seit
dem Jahresende 2006 weiter verschärft hat und die Verluste und damit auch
das Unvermögen, längst fällige Verbindlichkeiten zu bedienen, noch größer ge-
worden ist.
Unverständlich ist in diesem Zusammenhang die Auffassung des Beru-
fungsgerichts, die den Arbeitnehmern überlassene vorformulierte Erklärung,
trotz eingehender Information über die eventuell drohende Insolvenz und den
damit drohenden Verlust aller Arbeitsplätze mit einer Minderung des monatli-
chen Gehalts nicht einverstanden zu sein, komme keine indizielle Bedeutung
zu. Wird mit einer derartigen Erklärung, die nach dem Vortrag des Klägers vom
Beklagten stammen soll, Druck auf die Arbeitnehmer ausgeübt, um diese zu
Lohnverzichten zu bewegen, muss hierin ein erhebliches Indiz für eine drohen-
de Insolvenz, auf die im Übrigen in dem Schriftstück auch ausdrücklich hinge-
wiesen wird, gesehen werden.
d) Keine Bedeutung im Blick auf die Indizien für eine Zahlungseinstellung
misst das Berufungsgericht schließlich auch der Zahlung des Beklagten im Ja-
nuar 2008 in Höhe von 4.080
€ bei, mit welcher er dem Schuldner beigesprun-
gen ist, um die zwangsweise Beitreibung titulierter Forderungen eines ausge-
schiedenen Arbeitnehmers abzuwenden. Wenn das Berufungsgericht hierzu im
Rahmen seiner Hilfsbegründung zur fehlenden Kenntnis des Beklagten vom
Benachteiligungsvorsatz des Schuldners erneut ausführt, es handele sich um
einen im Vergleich zu den sonstigen Verbindlichkeiten des Schuldners, uner-
heblichen Betrag, übersieht es, dass auch diese Finanzhilfe schon bei der Ge-
samtwürdigung zur Zahlungseinstellung hätte berücksichtigt werden müssen.
Gegen den Schuldner betriebene Vollstreckungsverfahren legen die Schluss-
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folgerung der Zahlungseinstellung nahe (vgl. BGH, Beschluss vom 13. April
2006 - IX ZB 118/04, WM 2006, 1215 Rn. 14; Urteil vom 30. Juni 2011 - IX ZR
134/10, ZInsO 2011, 1410 Rn. 17). Auch diese Zahlung trägt deshalb zu dem
Gesamtbild eines am Rande des finanzwirtschaftlichen Abgrunds operierenden
Schuldners bei (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2013 - IX ZR 143/12, ZInsO 2013,
2109 Rn. 13), dem es auf Dauer nicht gelingt, bestehende Liquiditätslücken zu
schließen, sondern der nur noch darum bemüht ist, trotz fehlender Mittel den
Anschein eines funktionstüchtigen Geschäftsbetriebs aufrechtzuerhalten.
3. Soweit das Berufungsgericht ausführt, es fehle auch daran, dass der
Beklagte von einem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners Kenntnis gehabt
habe, kann dies die Abweisung der Klage nicht rechtfertigen. Die Ausführungen
beruhen auf einem gehörswidrigen Übergehen von Vortrag des Klägers und der
unterlassenen Durchführung einer Beweisaufnahme zu der Behauptung, der
Beklagte habe das Schreibens vom 4. Juli 2007 und die vorformulierte Erklä-
rung der Arbeitnehmer verfasst.
a) Die subjektiven Tatbestandsmerkmale der Vorsatzanfechtung können
- weil es sich um innere, dem Beweis nur eingeschränkt zugängliche Tatsachen
handelt - meist nur mittelbar aus objektiven Tatsachen hergeleitet werden. So-
weit dabei Rechtsbegriffe wie die Zahlungsunfähigkeit betroffen sind, muss de-
ren Kenntnis außerdem oft aus der Kenntnis von Anknüpfungstatsachen er-
schlossen werden. Der Kenntnis von der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit steht
auch im Rahmen des § 133 Abs. 1 InsO die Kenntnis von Umständen gleich,
die zwingend auf eine drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit
hinweisen (BGH, Urteil vom 13. August 2009 - IX ZR 159/06, ZInsO 2009, 1909
Rn. 8 mwN). Es genügt daher, dass der Anfechtungsgegner die tatsächlichen
Umstände kennt, aus denen bei zutreffender rechtlicher Bewertung die (dro-
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hende) Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei folgt (BGH, Urteil vom 19. Februar
2009 - IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 Rn. 13; vom 13. August 2009, aaO). Bewer-
tet der Gläubiger das ihm vollständig bekannte Tatsachenbild falsch, kann er
sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er diesen Schluss nicht gezogen hat.
Die Feststellung der subjektiven Voraussetzungen der Anfechtung obliegt dabei
in erster Linie dem Tatrichter. Erforderlich ist auch im Blick auf die Kenntnis der
aufgrund der Zahlungseinstellung vermuteten Zahlungsunfähigkeit eine Ge-
samtwürdigung sämtlicher Umstände, sofern aus ihnen ein zwingender Schluss
auf die Kenntnis folgt (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2013 - IX ZR 143/12, ZInsO
2013, 2109 Rn. 17 mwN).
b) Diesen Grundsätzen genügt die Entscheidung des Berufungsgerichts,
das nur einzelne Umstände herausgreift und keine Gesamtwürdigung vornimmt,
ebenfalls nicht. Das Berufungsgericht hätte sämtliche für den Beklagten er-
kennbaren Umstände in einem Gesamtzusammenhang stellen und würdigen
müssen.
aa) Der ausgewiesene Bilanzgewinn zum Jahresende 2005 wird in der
Entscheidung für ausschlaggebend im Hinblick auf die fehlende Kenntnis der
Zahlungseinstellung gehalten. Dies sagt aber nichts über die vorhandene Liqui-
dität aus. Um diese aufrechtzuerhalten, mussten die Sozien im Jahre 2004
schon Einlagen in Höhe von insgesamt 71.905,09
€ und im Jahre 2005 in Höhe
von insgesamt 41.500
€ leisten. Zudem war die angespannte finanzielle Situati-
on des Schuldners dem Beklagten schon aufgrund der fehlenden Erfüllbarkeit
seines Anspruchs auf Ausgleich seines Kapitalkontos zum Jahresende 2005,
der zum Abschluss des Darlehensvertrags vom 9. März 2006 führte, bekannt.
Auszahlen konnte der Schuldner den dem Beklagten bei seinem Ausscheiden
aus der Sozietät zustehenden Kapitalanteil nicht.
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Das Berufungsgericht erkennt zwar, dass bei Durchsetzung des dem
Beklagten zustehenden Ausgleichsanspruchs schon zum Jahresende 2005 ei-
ne Unterdeckung in Höhe von 4.775,74
€ entstanden wäre, hält dies aber we-
gen der Erfüllung der - allerdings durch Teilverzicht und Reduzierung für 2007 -
herabgesetzten Ansprüche des Klägers für unerheblich. Die sonstige finanzielle
Situation, zu der es im Zusammenhang mit der Prüfung einer drohenden Zah-
lungsunfähigkeit anhand einer Finanzplanung festgestellt hat, dass eine (dro-
hende) Zahlungsunfähigkeit schon 2004 und 2005 nur durch Einlagen der Ge-
sellschafter und den Verzicht auf Entnahmen aus dem Kapitalkonto abgewen-
det werden konnte, lässt es unberücksichtigt. Die weiteren Beweisanzeichen für
einen finanziellen Zusammenbruch werden ebenfalls nicht in einen Gesamtzu-
sammenhang gestellt.
bb) Das Berufungsgericht blendet aus, dass der Schuldner nach dem
Vorbringen des Klägers letztlich zu keinem Zeitpunkt in der Lage gewesen ist,
das Weihnachtsgeld für das Jahr 2006 trotz der Liquiditätshilfen des Beklagten,
dem diese Schwierigkeiten spätestens seit Oktober 2006 bekannt waren, aus-
zugleichen. Den unter Beweis gestellten Vortrag des Klägers, der Beklagte sei
Verfasser des Schreibens vom 4. Juli 2007 gewesen, hält es mit der verfehlten
Begründung für unerheblich, dieses Schreiben sei für eine Kenntnis des Be-
nachteiligungsvorsatzes nicht ausreichend, obwohl in diesem Schreiben das
Unvermögen, das Weihnachtgeld für 2006 überhaupt noch zu zahlen, auf Dau-
er eingeräumt wird. Gleiches gilt im Hinblick auf den Vortrag des Klägers, der
Beklagte habe den Arbeitnehmern ein vorformuliertes Schreiben zur Verfügung
gestellt, aus dem sich die drohende Zahlungsunfähigkeit unübersehbar ergibt.
Stattdessen begnügt es sich mit der pauschalen Feststellung, auch wenn der
Beklagte bis Ende 2008 weiter stundenweise in dem Büro tätig gewesen sei, an
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Betriebsversammlungen teilgenommen und massiven Einfluss auf die Perso-
nalpolitik - insbesondere im Hinblick auf Kürzungen bei den Personalausga-
ben - genommen habe, sage dies nichts darüber aus, welche konkreten Kennt-
nisse er über welche offenen Forderungen und die zur Verfügung stehenden
liquiden Mittel gehabt habe.
cc) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Gläubi-
ger, der es mit einem unternehmerisch tätigen Schuldner zu tun hat und der
weiß, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Verbindlichkeiten
zu befriedigen, damit rechnen, dass auch gegenüber anderen Gläubigern Ver-
bindlichkeiten (wobei künftige Verbindlichkeiten ebenfalls in Betracht kommen)
entstehen, die er nicht bedienen kann (vgl. BGH, Urteil vom 13. August 2009
- IX ZR 159/06, ZInsO 2009, 1909 Rn. 14; vom 25. Oktober 2012 - IX ZR
117/11, ZInsO 2012, 2244 Rn. 30). Auch diese Rechtsprechung beachtet das
Berufungsgericht nicht hinreichend, indem es trotz des Wissens um die dauern-
de Nichterfüllbarkeit der offen gebliebenen Weihnachtsgeldansprüche der Ar-
beitnehmer aus dem Jahr 2006 und der vielfältigen finanziellen Unterstützungs-
leistungen des Beklagten, denen jeweils das Eingeständnis des Schuldners
vorausgegangen war, seine Verbindlichkeiten nicht vollständig erfüllen zu kön-
nen, nur darauf abstellt, dass der Schuldner jedenfalls seine reduzierten Zah-
lungspflichten gegenüber dem Beklagten erfüllt habe.
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III.
Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben. Es ist auf-
zuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563
Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung (§ 563 Abs. 3 ZPO) kann
der Senat auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsge-
richts nicht treffen.
Kayser
Vill
Ri'inBGH Lohmann ist
im Urlaub und kann deshalb
nicht unterschreiben.
Kayser
Pape
Möhring
Vorinstanzen:
LG Hildesheim, Entscheidung vom 22.06.2011 - 2 O 353/10 -
OLG Celle, Entscheidung vom 12.07.2012 - 13 U 142/11 -
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