Urteil des BGH vom 12.02.2015

Leitsatzentscheidung zu Eigentumsvorbehalt, Schlüssiges Verhalten, Gesetzliche Vermutung, Gegenleistung, Geschäftsverbindung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I X Z R 1 8 0 / 1 2
Verkündet am:
12. Februar 2015
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 133 Abs. 1
a) Kennt der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit, kann das daraus folgende starke Be-
weisanzeichen für seinen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz bei der Befriedigung eines
Gläubigers entfallen, wenn der mit diesem vorgenommene Leistungsaustausch barge-
schäftsähnlichen Charakter hat und zur Fortführung des Unternehmens notwendig ist.
b) Das aus der Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit abgeleitete Beweisanzeichen für den
Gläubigerbenachteiligungsvorsatz entfällt trotz Belieferung des Schuldners zu marktge-
rechten Preisen nicht, wenn es wegen eines verlängerten und erweiterten Eigentumsvor-
behalts des Geschäftspartners an dem erforderlichen unmittelbaren Austausch gleichwer-
tiger Leistungen fehlt oder der Schuldner weiß, dass mit der Fortführung des Unterneh-
mens weitere Verluste anfallen, die für die Gläubiger auch auf längere Sicht ohne Nutzen
sind.
BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - IX ZR 180/12 - OLG Nürnberg
LG Regensburg
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. Februar 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, den
Richter Vill, die Richterin Lohmann, den Richter Dr. Pape und die Richterin
Möhring
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel des Klägers werden das Urteil des
12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 4. Juli 2012
aufgehoben und das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts
Regensburg vom 27. September 2011 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 156.108,89 € nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basis-
zinssatz seit dem 1. Juni 2007 zu zahlen. Im Übrigen bleibt die
Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 10. April 2007 über
das Vermögen der B. -GmbH und Co. Abwick-
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lungs KG (nachfolgend: Schuldnerin) am 1. Juni 2007 eröffneten Insolvenzver-
fahren. Die Schuldnerin stellte Backwaren her. Zutaten, insbesondere Mehl,
bezog sie von der Beklagten.
Die von der Beklagten verwendeten Lieferungs- und Zahlungsbedingun-
gen für Mühlenprodukte sahen in Nr. VII Abs. 1 eine Zahlungsfrist von 14 Tagen
ab Rechnungsdatum vor. In Nr. XIII war ein Eigentumsvorbehalt vorgesehen.
Nach Absatz 4 dieser Bedingung war die Schuldnerin als Käuferin zu einem
Weiterverkauf der Vorbehaltsware berechtigt. Die ihr hieraus gegen die Kunden
zustehenden Forderungen trat sie im Voraus zur Sicherung sämtlicher Ansprü-
che aus der Geschäftsverbindung an die Beklagte ab, wobei sie zum Einzug
dieser Forderungen berechtigt sein sollte, solange sie alle Zahlungsverpflich-
tungen aus der Geschäftsverbindung mit der Beklagten ordnungsgemäß erfüll-
te. Nach Absatz 6 war die Schuldnerin zu einer Bearbeitung, Vermischung
oder Verarbeitung der Vorbehaltsware berechtigt. Die Beklagte sollte in diesen
Fällen als Herstellerin anzusehen sein und das Eigentum an der neuen Sache
erwerben. Bei Verwendung von Vorbehaltsware anderer Vorlieferanten sollte
sie gemäß § 947 BGB Miteigentum erwerben. Die Regelung des Absatz 4 sollte
für diese Fälle entsprechend gelten.
Ab April 2006 ließ die Schuldnerin vermehrt Beitragsrückstände bei den
Sozialversicherungsträgern entstehen. Ab Ende August 2006 erfüllte sie eine
Mehrzahl der Lohnforderungen ihrer Arbeitnehmer nicht mehr. Zum 1. Septem-
ber 2006 betrugen die Zahlungsrückstände gegenüber Lieferanten einschließ-
lich der Beklagten 141.063,73
€. Auf ihrem Hauptgeschäftskonto, von welchem
die Hauptlieferanten ihre jeweils fälligen Forderungen einziehen konnten, war
der Schuldnerin ein Kontokorrentkredit in Höhe von 100.000
€ eingeräumt. Der
Tagessaldo bewegte sich jedoch ab dem 1. Juli 2006 arbeitstäglich über dem
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eingeräumten Kreditlimit. Ab dem 3. Juli 2006 kam es zu einer Vielzahl von
Rücklastschriften, von welchen auch die Beklagte betroffen war. Allerdings glich
die Schuldnerin nach dem Eingang von Erlösen aus ihren Warenverkäufen
ausgewählte Forderungen durch erneute Vorlage der Lastschriftermächtigung
oder durch Scheckzahlung aus. Auf diese Weise erbrachte sie vom
5. September 2006 bis zur Stellung des Insolvenzantrages an die Beklagte Zah-
lungen für Warenlieferungen in einer Gesamthöhe von 156.108,89
€.
Der Kläger hat die Zahlungen insolvenzrechtlich angefochten. Die Klage
ist in beiden Instanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen
Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat weitgehend Erfolg. Sie führt zur Verurteilung der Be-
klagten. Lediglich wegen einer Zinsmehrforderung ist die Klage unbegründet.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Sowohl eine Deckungsanfechtung
nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO als auch eine Vorsatzanfechtung nach
§ 133 Abs. 1 InsO scheide aus, weil es an einer objektiven Gläubigerbenachtei-
ligung fehle. Es sei ein verlängerter Eigentumsvorbehalt wirksam vereinbart
worden. Die Schuldnerin habe durch ihre Zahlungen daher lediglich ein Abson-
derungsrecht abgelöst. Für eine Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO fehle
überdies der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin. Die Zahlungen
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seien kongruente Leistungen gewesen, die für die Fortführung des Unterneh-
mens erforderlich gewesen seien.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Die erforderliche objektive Gläubigerbenachteiligung (§ 129 Abs. 1
InsO) ist gegeben. Eine Benachteiligung der Gläubiger ist zwar ausgeschlos-
sen, wenn ein anfechtungsfestes Absonderungsrecht durch eine den Wert aus-
gleichende Zahlung aus dem Schuldnervermögen abgelöst wird (BGH, Urteil
vom 17. Juni 2004 - IX ZR 124/03, ZIP 2004, 1509, 1511; vom 6. April 2006
- IX ZR 185/04, ZIP 2006, 1009 Rn. 21; HK-InsO/Kreft, 7. Aufl., § 129 Rn. 58).
Dies war bei den Zahlungen der Schuldnerin jedoch nicht der Fall.
a) Die Geschäftsbeziehung zwischen der Schuldnerin und der Beklagten
beruhte auf einem durch die Beklagte fortlaufend neu ausgereichten Warenkre-
dit, für welchen diese eine Sicherheit nach Maßgabe von Nr. XIII der von ihr
gestellten Lieferungs- und Zahlungsbedingungen verlangte. Nach Absatz 1 der
genannten Bedingung lieferte die Beklagte die zur Weiterverarbeitung durch die
Schuldnerin bestimmten Backzutaten nur unter Eigentumsvorbehalt. Gemäß
Absatz 4 war dieser nicht nur als verlängerter (vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB,
74. Aufl., § 449 Rn. 18), sondern auch als erweiterter Eigentumsvorbehalt in
Form des sogenannten Kontokorrentvorbehaltes (vgl. hierzu BGH, Urteil vom
4. März 1991 - II ZR 36/90, ZIP 1991, 665, 667; vom 9. Februar 1994 - VIII ZR
176/92, BGHZ 125, 83, 87; vom 17. März 2011 - IX ZR 63/10, BGHZ 189, 1
Rn. 20 ff; MünchKomm-BGB/Westermann, 6. Aufl., § 449 Rn. 81 f) ausgestaltet,
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so dass die im Voraus abgetretenen Forderungen aus der Weiterveräußerung
der Vorbehaltsware sämtliche offene Forderungen der Beklagten aus der mit
der Schuldnerin bestehenden Geschäftsverbindung sicherten. Dies ist im kauf-
männischen Verkehr regelmäßig unbedenklich (vgl. BGH, Urteil vom 9. Februar
1994, aaO), und zwar auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (BGH, Urteil
vom 17. März 2011, aaO Rn. 24). Überdies sah Absatz 6 zugleich eine Verar-
beitungs- beziehungsweise Herstellerklausel (vgl. Palandt/Bassenge, aaO
§ 950 Rn. 9) vor, nach welcher die Beklagte als Herstellerin der unter Verwen-
dung der von ihr gelieferten Zutaten neu hergestellten Backwaren anzusehen
war. Für die neue Ware sollten die Bestimmungen für den verlängerten und er-
weiterten Eigentumsvorbehalt nach Nr. XIII. Abs. 4 entsprechend gelten. Ferner
war die Schuldnerin nach Nr. XIII Abs. 4 Satz 3 zum Einzug der vorzedierten
Forderungen ermächtigt. Der Beklagten stand demzufolge eine revolvierende
Sicherheit zu (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 17. März 2011, aaO Rn. 41).
b) Mit ihren Zahlungen an die Beklagte löste die Schuldnerin jedoch kein
Absonderungsrecht der Beklagten ab. In diesem Zusammenhang bedarf es
keiner Entscheidung, ob, wie die Revision geltend macht, Nr. XIII Abs. 6
Buchst. d der Lieferungs- und Zahlungsbedingungen gegen das im Rahmen der
Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 BGB zu berücksichtigende Bestimmtheits-
gebot (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juni 1989 - III ZR 72/88, BGHZ 108, 98, 105;
Bamberger/Roth/Rohe, BGB, 3. Aufl., § 398 Rn. 42) verstößt. Hierauf kommt es
nicht an. Die Beklagte hatte auch bei Wirksamkeit der Bedingung durch die Ein-
ziehung der sicherungsabgetretenen Forderungen aus Warenveräußerungen
durch die Schuldnerin ein an ihnen etwaig bestehendes Absonderungsrecht
verloren, ohne dass ein Ersatzabsonderungsrecht oder ein sonstiges Absonde-
rungsrecht an dem Erlös entstanden wäre.
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aa) Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Schuldnerin in Aus-
übung ihrer Einziehungsermächtigung aus Nr. XIII Abs. 4 Satz 3 der Lieferungs-
und Zahlungsbedingungen die Forderungen aus den Warenverkäufen auch
nach dem 4. September 2006, also im Anfechtungszeitraum, weiterhin einge-
zogen und die Erlöse ihrem allgemeinen Geschäftskonto gutgebracht hatte.
Durch die Zahlung des jeweiligen Kunden auf die sicherungszedierte Forderung
erlosch diese jedoch auch mit Wirkung gegenüber der Beklagten gemäß § 362
Abs. 1, § 407 Abs. 1 BGB (BGH, Urteil vom 19. Januar 2006 - IX ZR 154/03,
ZIP 2006, 959 Rn. 14). Zugleich erlosch ein daran bestehendes Absonderungs-
recht (BGH, Urteil vom 6. April 2006 - IX ZR 185/04, ZIP 2006, 1009 Rn. 17
mwN). Den Verlust ihrer Sicherheit hätte die Beklagte nur vermeiden können,
wenn sie die Abtretung offen gelegt und die Forderungen selbst eingezogen
oder wenn sie eine Anschlusssicherheit vereinbart hätte (vgl. BGH, aaO mwN).
Beides ist nicht geschehen.
bb) Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, sie habe an den einge-
zogenen Erlösen ein Ersatzabsonderungsrecht entsprechend § 48 InsO (vgl.
BGH, Urteil vom 4. Dezember 2003 - IX ZR 222/02, ZIP 2004, 326, 328; vom
19. Januar 2006 - IX ZR 154/03, aaO Rn. 22) erworben, weil die Schuldnerin
die sicherungsabgetretenen Forderungen aus den Warenverkäufen unberech-
tigt eingezogen habe.
(1) Der Anspruch setzte jedenfalls voraus, dass der Gegenstand, an dem
das Absonderungsrecht bestand, vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
vom Schuldner oder nach Eröffnung vom Insolvenzverwalter unberechtigt ver-
äußert worden ist. Da dies ausscheidet, wenn der Schuldner oder der Insol-
venzverwalter mit Einwilligung oder Genehmigung des Gläubigers gehandelt
hat (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 1977 - VIII ZR 215/75, BGHZ 68, 199, 201;
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vom 6. April 2006, aaO Rn. 18; vom 23. September 2010 - IX ZR 212/09, ZIP
2010, 2009 Rn. 17 mwN), konnte hier nur die unbefugte Einziehung einer mit
einem Absonderungsrecht belasteten Forderung das Ersatzabsonderungsrecht
nach § 48 InsO auslösen (BGH, Urteil vom 24. Juni 2003 - IX ZR 120/02, ZIP
2003, 1404, 1406; HK-InsO/Lohmann, 7. Aufl., § 48 Rn. 17 ff).
(2) Hiervon kann selbst dann nicht ausgegangen werden, wenn die
Schuldnerin aus Nr. XIII Abs. 4 Satz 3 der Lieferungs- und Zahlungsbedingun-
gen gegenüber der Beklagten zur weiteren Einziehung nicht mehr berechtigt
gewesen sein sollte, weil sie dieser gegenüber nicht alle Zahlungsverpflichtun-
gen ordnungsgemäß erfüllt hatte. Denn die Beklagte hat der Fortsetzung des
Forderungseinzugs zugestimmt. Eine Genehmigung kann auch durch schlüssi-
ges Verhalten erfolgen (BGH, Urteil vom 14. Mai 2002 - XI ZR 148/01, BGHR
BGB § 177 Abs. 1 Genehmigung 2; Beschluss vom 10. Mai 2006 - II ZR 209/04,
ZIP 2006, 1343 Rn. 4; Urteil vom 16. Dezember 2009 - XII ZR 146/07, BGHZ
184, 35 Rn. 18 ff). Dies setzt regelmäßig voraus, dass der Genehmigende die
Unwirksamkeit kennt oder zumindest mit ihr rechnet und dass in seinem Verhal-
ten der Ausdruck des Willens zu sehen ist, das bisher als unberechtigt anzuse-
hende Geschäft auch für sich als verbindlich anzuerkennen (vgl. BGH, Urteil
vom 22. Oktober 1996 - XI ZR 249/95, WM 1996, 2230, 2232; vom 14. Mai
2002, aaO; MünchKomm-BGB/Bayreuther, 6. Aufl., § 182 Rn. 11). So liegt es
hier. Es entsprach der zwischen der Schuldnerin und der Beklagten bestehen-
den Vereinbarung, dass die Schuldnerin zum Einzug der vorzedierten Forde-
rungen aus Warenverkäufen ermächtigt war, auch um diese zur Befriedigung
der Forderungen der Beklagten gegenüber der Schuldnerin einsetzen zu kön-
nen. Soweit die Beklagte in Kenntnis der bestehenden Zahlungsrückstände
gleichwohl Zahlungen der Schuldnerin aus Veräußerungserlösen entgegen-
nahm, ohne den wegen § 407 BGB wirksam erfolgten Forderungseinzug zu
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beanstanden und den künftigen Forderungseinzug durch ausdrücklichen Wider-
ruf gegenüber der Schuldnerin oder Offenlegung der Sicherungsabtretung ge-
genüber den Drittschuldnern an sich zu ziehen, genehmigte sie vorausgegan-
gene Einziehungen und stimmte der Fortsetzung dieser Übung zu.
2. Die Schuldnerin nahm die Zahlungen an die Beklagte mit dem Vorsatz
vor, ihre Gläubiger zu benachteiligen (§ 133 Abs. 1 Satz 1 InsO). Zwar be-
schränkt sich die revisionsrechtliche Kontrolle der vom Berufungsgericht zum
Gläubigerbenachteiligungsvorsatz getroffenen gegenteiligen Feststellungen
darauf, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem
Prozessstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Be-
weiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denk-
gesetze und Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urteil vom 7. November 2013
- IX ZR 49/13, ZIP 2013, 2318 Rn. 8; vom 10. Juli 2014 - IX ZR 280/13, ZIP
2014, 1887 Rn. 18). Einer solchen Überprüfung hält die Würdigung des Beru-
fungsgerichts jedoch nicht stand.
a) Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, es
spreche eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Schuldnerin mit dem Vor-
satz gehandelt habe, ihre Gläubiger zu benachteiligen. Ein solcher Vorsatz ist
gegeben, wenn der Schuldner bei Vornahme der Rechtshandlung (§ 140 InsO)
die Benachteiligung der Gläubiger im Allgemeinen als Erfolg seiner Rechts-
handlung gewollt oder als mutmaßliche Folge, sei es auch als unvermeidliche
Nebenfolge eines erstrebten anderen Vorteils, erkannt und gebilligt hat. Ein
Schuldner, der zahlungsunfähig ist und seine Zahlungsunfähigkeit kennt, han-
delt in aller Regel mit Benachteiligungsvorsatz. In diesem Fall weiß er, dass
sein Vermögen nicht ausreicht, um sämtliche Gläubiger zu befriedigen (BGH,
Urteil vom 29. September 2011 - IX ZR 202/10, WM 2012, 85 Rn. 14 mwN; vom
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6. Dezember 2012 - IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 Rn. 15; vom 10. Januar 2013
- IX ZR 13/12, ZIP 2013, 174 Rn. 14; vom 10. Juli 2014 - IX ZR 280/13, ZIP
2014, 1887 Rn. 17). So liegt der Fall auch hier.
aa) Das Landgericht, auf dessen Ausführungen das Berufungsgericht
verweist, hat im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass die Schuldnerin ab Mitte
des Jahres 2006 zahlungsunfähig war und die Zahlungsunfähigkeit bis zur In-
solvenzeröffnung fortbestand.
(1) Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit beurteilt sich im gesamten Insol-
venzrecht und darum auch im Insolvenzanfechtungsrecht nach § 17 InsO
(BGH, Beschluss vom 13. Juni 2006 - IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457 Rn. 6). Zur
Feststellung der Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO
kann eine Liquiditätsbilanz aufgestellt werden, wobei die im maßgeblichen Zeit-
punkt verfügbaren und innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden Mittel
in Beziehung zu setzen sind zu den am selben Stichtag fälligen und eingefor-
derten Verbindlichkeiten (BGH, Urteil vom 29. März 2012 - IX ZR 40/10, WM
2012, 998 Rn. 8). Dem werden die Darlegungen des klagenden Verwalters zu
den stichtagsbezogenen Unterdeckungen zwar nicht gerecht, weil sie keine An-
gaben zu kurzfristig verfügbaren Mittel enthalten. Zur Feststellung der Zah-
lungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO ist die Aufstellung einer
Liquiditätsbilanz jedoch entbehrlich, wenn eine Zahlungseinstellung (§ 17
Abs. 2 Satz 2 InsO) die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit be-
gründet (BGH, Urteil vom 20. November 2001 - IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178,
184 f; vom 30. Juni 2011 - IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 Rn. 10; vom
6. Dezember 2012 - IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 Rn. 20 mwN). Zahlungseinstel-
lung ist dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem
sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zah-
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lungspflichten zu erfüllen. Sie kann auch, wie hier, aus einer Gesamtschau
mehrerer darauf hindeutender Beweisanzeichen gefolgert werden (vgl. BGH,
Urteil vom 30. Juni 2011, aaO Rn. 12 f; vom 6. Dezember 2012 aaO; vom
18. Juli 2013 - IX ZR 143/12, ZIP 2013, 2015 Rn. 10; jeweils mwN).
(2) Spätestens ab Mitte des Jahres 2006 schob die Schuldnerin infolge
der ständig verspäteten Begleichung ihrer Verbindlichkeiten einen Forderungs-
rückstand vor sich her und operierte demzufolge ersichtlich am finanziellen Ab-
grund (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni 2011, aaO Rn. 16; vom 6. Dezember 2012,
aaO Rn. 21). Den Hauptlieferanten der Schuldnerin war von dieser ermöglicht
worden, ihre fälligen Forderungen im Abbuchungsauftrags- oder Einziehungs-
ermächtigungsverfahren einzuziehen. Hierbei kam es jedoch zu Rücklastschrif-
ten in erheblichem Umfang (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2010 - IX ZR 70/08,
WM 2010, 1756 Rn. 10) und zwar zwischen dem 3. Juli 2006 und dem
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Dezember 2006 in einer Gesamthöhe von 886.000 € und zwischen dem
1. Januar 2007 und dem 11. April 2007 in Höhe von weiteren 987.000
€. Die
Schuldnerin widerrief Lastschriften, die vom Überziehungskredit des Geschäfts-
kontos nicht gedeckt waren, und glich in arbeitstäglicher Abstimmung mit der
kontoführenden Bank nach dem Eingang von Erlösen aus Warenverkäufen bei
den betroffenen Gläubigern ausgewählte Forderungen durch erneute Vorlage
der Lastschriftermächtigung oder durch Scheckzahlung wieder aus. Ihre be-
triebswirtschaftliche Unterdeckung vergrößerte sich von 289.653,57
€ zum
30. Juni 2006 auf 585.820,55
€ bis zum 31. Dezember 2006. Auch ließ sie er-
hebliche Beitragsrückstände gegenüber den Sozialversicherungsträgern auflau-
fen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 20. November 2001 - IX ZR 48/01, BGHZ 149,
178, 187; Beschluss vom 13. Juni 2006 - IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457 Rn. 6;
vom 11. April 2013 - IX ZB 256/11, ZIP 2013, 1086 Rn. 10) und zwar ab April
2006 der A. gegenüber in Höhe von 87.173,59
€. Weitere Beweisan-
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zeichen sind die ab dem 31. August 2006 aufgelaufenen und bis zur Insol-
venzeröffnung am 1. Juni 2007 nicht mehr ausgeglichenen Lohnforderungen
(vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 2008 - IX ZR 38/04, ZIP 2008, 706 Rn. 20;
vom 15. Oktober 2009 - IX ZR 201/08, ZIP 2009, 2306 Rn. 13) und die gegen-
über Hauptlieferanten entstandenen mehrmonatigen Zahlungsrückstände (vgl.
Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 17 Rn. 33). Dafür, dass die Schuldnerin ihre Zah-
lungen im Allgemeinen wieder aufgenommen und damit die eingetretene Zah-
lungseinstellung beseitigt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2001 - IX ZR
17/01, BGHZ 149, 100, 109; vom 20. Dezember 2007 - IX ZR 93/06, ZIP 2008,
420 Rn. 24 mwN), besteht kein Anhalt.
bb) Rechtsfehlerfrei ist auch die Feststellung, dass die Zahlungsunfähig-
keit dem schuldnerischen Geschäftsführer infolge der ihm geläufigen Indizien
bekannt war.
b) Die damit für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin
bestehende Vermutung kann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts
nicht mit der Begründung entkräftet werden, die Zahlungen an die Beklagte sei-
en kongruente Leistungen, die Zug um Zug gegen eine zur Fortführung des Un-
ternehmens unentbehrliche Gegenleistung erbracht worden seien, die den
Gläubigern im Allgemeinen nutze.
aa) Die genannten Grundsätze gelten grundsätzlich auch bei Anfechtung
kongruenter Deckungen, wenn der Schuldner nur weiß, dass er zur Zeit der
Wirksamkeit der Rechtshandlung (§ 140 InsO) zahlungsunfähig oder drohend
zahlungsunfähig war (BGH, Urteil vom 10. Januar 2013 - IX ZR 13/12, ZIP
2013, 174 Rn. 15; vom 25. April 2013 - IX ZR 235/12, ZInsO 2013, 1077
Rn. 25). In Fällen kongruenter Leistungen hat der Senat allerdings anerkannt,
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dass der Schuldner trotz der vorgenannten Vermutungsregel ausnahmsweise
nicht mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz handelt, wenn er diese Zug um Zug
gegen eine zur Fortführung seines Unternehmens unentbehrliche Gegenleis-
tung erbracht hat, die den Gläubigern im Allgemeinen nutzt (BGH, Urteil vom
10. Juli 1997 - IX ZR 234/96, NJW 1997, 3028, 3029; Beschluss vom 16. Juli
2009 - IX ZR 28/07, ZInsO 2010, 87 Rn. 2; vom 24. September 2009
- IX ZR 178/07, nv Rn. 4; vom 6. Februar 2014 - IX ZR 221/11, ZInsO 2014, 496
Rn. 3; Urteil vom 10. Juli 2014 - IX ZR 280/13, ZIP 2014, 1887 Rn. 24; vom
17. Juli 2014 - IX ZR 240/13, ZIP 2014, 1595 Rn. 29). Der subjektive Tatbe-
stand kann hiernach entfallen, wenn im unmittelbaren Zusammenhang mit der
potentiell anfechtbaren Rechtshandlung eine gleichwertige Gegenleistung in
das Vermögen des Schuldners gelangt, also ein Leistungsaustausch ähnlich
einem Bargeschäft stattfindet (BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - IX ZR 240/13,
aaO mwN; Gehrlein in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2. Aufl., § 133
Rn. 28). Dem liegt zugrunde, dass dem Schuldner in diesem Fall infolge des
gleichwertigen Leistungsaustauschs die dadurch eingetretene mittelbare Gläu-
bigerbenachteiligung nicht bewusst geworden sein kann (BGH, Urteil vom
10. Juli 2014 - IX ZR 280/13, aaO; Kayser, NJW 2014, 422, 427; Fischer, NZI
2008, 588, 594).
bb) Die Voraussetzungen für das gegenläufige Indiz einer berücksichti-
gungsfähigen bargeschäftsähnlichen Lage liegen jedoch nicht vor.
(1) Mit Blick auf den in Nr. XIII Abs. 4 der Lieferungs- und Zahlungsbe-
dingungen vorgesehenen verlängerten und erweiterten Eigentumsvorbehalt in
Form des sogenannten Kontokorrentvorbehalts fehlt es für die Annahme einer
bargeschäftsähnlichen Lage an dem für das Bargeschäft erforderlichen unmit-
telbaren Austausch zwischen Leistung und Gegenleistung (vgl. BT-Drucks.
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12/2443, S. 167 zu § 161 RegE; BGH, Urteil vom 2. Februar 2006 - IX ZR
67/02, BGHZ 166, 125 Rn. 48; vom 13. April 2006 - IX ZR 158/05, BGHZ 167,
190 Rn. 31 f). Bei der Vereinbarung eines erweiterten Eigentumsvorbehalts in
der Form, dass der Schuldner Eigentum an den erstandenen Sachen erst er-
werben soll, wenn er nicht nur den Kaufpreis bezahlt, sondern auch alle ande-
ren oder zumindest bestimmte andere Ansprüche aus der Geschäftsverbindung
tilgt, fehlt es zudem an der Gleichwertigkeit der erbrachten Gegenleistung (vgl.
OLG Saarbrücken, ZInsO 2010, 92, 95; MünchKomm-InsO/Kirchhof, 3. Aufl.,
§ 142 Rn. 13d; Zeuner in Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, 3. Aufl., § 142 Rn. 4;
Bräuer, Ausschluss der Insolvenzanfechtung bei Bargeschäften nach Maßgabe
des § 142 InsO, 2006, S. 149 f). Dasselbe gilt, wenn bei einem verlängerten
und erweiterten Eigentumsvorbehalt in Form des Kontokorrentvorbehalts, wie
im vorliegenden Fall, sämtliche Forderungen des Lieferanten gesichert sind.
(2) Selbst wenn eine bargeschäftsähnliche Situation in dem genannten
Sinne vorliegt, wird sich der Schuldner der eintretenden mittelbaren Gläubiger-
benachteiligung jedoch gleichwohl bewusst werden, wenn er weiß, dass er trotz
Belieferung zu marktgerechten Preisen fortlaufend unrentabel arbeitet und des-
halb bei der Fortführung seines Geschäfts mittels der durch bargeschäftsähnli-
che Handlungen erworbenen Gegenstände weitere Verluste anhäuft, die die
Befriedigungsaussichten der Gläubiger weiter mindern, ohne dass auf längere
Sicht Aussicht auf Ausgleich besteht. Deshalb konnte auch die Schuldnerin
nicht davon ausgehen, dass der durch die angefochtenen Zahlungen ermöglich-
te weitere Bezug der Zutaten den Gläubigern auch nur im Allgemeinen genutzt
hätte. Die Fortführung der Produktion war hier für die Gläubiger ohne Nutzen,
weil die Schuldnerin nach dem unwidersprochenen Vortrag des Klägers unwirt-
schaftlich arbeitete und damit die Zahlungsrückstände ständig erhöhte. Die be-
triebswirtschaftliche Unterdeckung der Schuldnerin vergrößerte sich von Mitte
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bis zum Ende des Jahres 2006 von 289.653,57
€ auf 585.820,55 €. Angesichts
ihrer Kenntnis der eigenen Zahlungsunfähigkeit fehlte der Schuldnerin die be-
rechtigte Erwartung, durch die Fortsetzung der Produktion die eigene Insolvenz
noch abwenden oder einen anderen Nutzen für ihre Gläubiger erzielen zu kön-
nen.
III.
Das Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561
ZPO).
1. Durch die Zahlungen der Schuldnerin an die Beklagte sind die Gläubi-
ger im Sinne von § 129 Abs. 1 InsO objektiv benachteiligt worden. Deren Be-
friedigungsmöglichkeiten hätten sich ohne diese Rechtshandlungen bei wirt-
schaftlicher Betrachtungsweise günstiger gestaltet. Durch die angefochtenen
Zahlungen auf die Lieferforderungen der Beklagten ist das Aktivvermögen der
Schuldnerin verkürzt und insoweit der Zugriff der anderen Gläubiger auf ihr
Vermögen vereitelt worden (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2013 - IX ZR
13/12, ZIP 2013, 174 Rn. 12 mwN; vom 7. Mai 2013 - IX ZR 113/10, ZIP 2013,
2323 Rn. 9).
2. Die Beklagte hatte zumindest gemäß § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO Kennt-
nis vom Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin. Nach dieser Vorschrift wird
die Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners widerleglich vermu-
tet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners
drohte und die Handlung die Gläubiger benachteiligte, wobei es für die Kenntnis
der drohenden Zahlungsunfähigkeit ausreicht, wenn der Gläubiger Umstände
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kennt, die zwingend auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit hindeuten (BGH,
Urteil vom 20. November 2008 - IX ZR 188/07, ZIP 2009, 189 Rn. 10; vom
10. Juli 2014 - IX ZR 280/13, ZIP 2014, 1887 Rn. 26; jeweils mwN).
a) Hiernach ist eine entsprechende Kenntnis bereits nach dem unstreiti-
gen Vorbringen zu vermuten. Sie ist in der Regel anzunehmen, wenn die Ver-
bindlichkeiten des Schuldners bei dem Anfechtungsgegner, wie hier, über einen
längeren Zeitraum hinweg ständig in beträchtlichem Umfang nicht ausgeglichen
werden und diesem den Umständen nach bewusst ist, dass es noch weitere
Gläubiger mit ungedeckten Ansprüchen gibt (BGH, Urteil vom 24. Mai 2007
- IX ZR 97/06, ZIP 2007, 1511 Rn. 24; vom 13. August 2009 - IX ZR 159/06,
ZIP 2009, 1966 Rn. 10). Mit solchen musste die Beklagte schon angesichts der
gewerblichen Tätigkeit der Schuldnerin rechnen (vgl. BGH, Urteil vom
13. August 2009, aaO Rn. 14; vom 25. Oktober 2012 - IX ZR 117/11, ZIP 2012,
2355 Rn. 30). Ein weiteres Beweisanzeichen für die Kenntnis der Beklagten
zumindest von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit ist der Umstand, dass ihre
Lastschriften zurückgegeben wurden (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2010 - IX ZR
70/08, WM 2010, 1756 Rn. 10; vom 6. Dezember 2012 - IX ZR 3/12, ZIP 2013,
228 Rn. 44). Es ist in diesem Zusammenhang unbeachtlich, ob die Rückgabe
aufgrund fehlender Kontodeckung oder aufgrund nicht näher begründeten Wi-
derspruchs der Schuldnerin erfolgte, zumal die Beklagte eingeräumt hat,
Kenntnis von den Liquiditätsproblemen der Schuldnerin und dem Wunsch nach
längeren Zahlungsfristen gehabt zu haben.
b) Die Einwände der Beklagten gegen die aus den vorgenannten Be-
weisanzeichen abzuleitenden Vermutungswirkung sind demgegenüber uner-
heblich.
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aa) Die Beklagte kann sich nicht damit entlasten, der Geschäftsführer der
Schuldnerin habe immer wieder versichert und dies auch plausibel dargestellt,
er werde durch den Verkauf der Filialen und deren Umstellung auf Franchising
die seit dem Jahr 2005 aufgelaufenen Verbindlichkeiten erfüllen können. Ist der
Schuldner bereits zahlungsunfähig, handelt er zwar ohne Vorsatz, die Gesamt-
heit der Gläubiger zu benachteiligen, wenn er aufgrund konkreter Umstände mit
einer baldigen Überwindung seiner Krise rechnen kann; droht ihm die Zah-
lungsunfähigkeit, bedarf es konkreter Umstände, die nahe legen, dass die Krise
noch abgewendet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 24. Mai 2007, aaO Rn. 8;
vom 15. März 2012 - IX ZR 239/09, ZIP 2012, 735 Rn. 15). Entsprechendes gilt
für die Widerlegung der Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO (BGH, Urteil
vom 24. Mai 2007, aaO Rn. 9). Solche Umstände, etwa ein in Kürze bevorste-
hender Verkauf von kostenträchtigen Filialen, hat die Beklagte jedoch nicht aus-
reichend dargelegt. Ihr Vortrag beschränkt sich auf die Wiedergabe einer ent-
sprechenden Hoffnung, ohne deren Stichhaltigkeit zu begründen.
bb) Die Beklagte kann die Vermutungswirkung auch nicht damit entkräf-
ten, Nr. XIII der von ihr verwendeten Lieferungs- und Zahlungsbedingungen
sehe einen umfassenden Eigentumsvorbehalt vor, der eine Gläubigerbenachtei-
ligung ausschließe. Gleiches gilt für den Hinweis, die Schuldnerin habe ihre
Zahlungen im Rahmen einer bargeschäftsähnlichen Lage erbracht. Der Beklag-
ten waren alle tatsächlichen Umstände bekannt, welche eine umfassende Si-
cherung ihrer Ansprüche ausschließen. Mit Blick auf den von ihr geforderten
Kontokorrentvorbehalt war ihr auch bekannt, dass die Schuldnerin für ihre Zah-
lungen keine gleichwertigen Gegenleistungen erhielt.
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- 18 -
IV.
Das Berufungsurteil ist demnach aufzuheben. Da die Aufhebung nur we-
gen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte
Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif
ist, kann der Senat selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO) und der Klage unter
Abänderung auch des erstinstanzlichen Urteils bis auf einen Teil der Zinsforde-
rung stattgeben. Der Hauptanspruch folgt in Höhe der Klageforderung aus
§ 143 Abs. 1, § 129 Abs. 1, § 133 Abs. 1 InsO. Der Zinsausspruch beruht auf
§ 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4, § 291, § 288 Abs. 1
Satz 2 BGB. Der weitergehende Antrag, gerichtet auf einen bereits mit Vor-
nahme der angefochtenen Handlung einsetzenden Zinsbeginn, ist demgegen-
über unbegründet, weil der Masse für den Zeitraum vor Insolvenzeröffnung kei-
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ne Prozesszinsen zustehen (BGH, Urteil vom 1. Februar 2007 - IX ZR 96/04,
BGHZ 171, 38 Rn. 19 f; vom 24. Mai 2012 - IX ZR 125/11, ZIP 2012, 1299
Rn. 6).
Kayser
Vill
Lohmann
Pape
Möhring
Vorinstanzen:
LG Regensburg, Entscheidung vom 27.09.2011 - 4 O 38/11 (1) -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 04.07.2012 - 12 U 2181/11 -