Urteil des BGH vom 26.02.2015

Leitsatzentscheidung zu Gesetzliche Formvorschrift, Zugang, Verwalter, Abtretung, Beurkundung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 174/13
Verkündet am:
26. Februar 2015
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 35 Abs. 1, § 80 Abs. 1
Der Insolvenzverwalter kann ein übertragbares Angebot auf Abschluss eines Abtre-
tungsvertrages annehmen, welches dem Schuldner nach der Eröffnung des Insolvenz-
verfahrens über sein Vermögen unterbreitet worden ist.
BGH, Urteil vom 26. Februar 2015 - IX ZR 174/13 - OLG Düsseldorf
LG Kleve
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. Dezember 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die
Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, die Richterin Lohmann und den Richter
Dr. Fischer
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlan-
desgerichts Düsseldorf vom 10. Juli 2013 wird auf Kosten der Be-
klagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Verwalter in dem am 27. März 2003 eröffneten Insolvenz-
verfahren über das Vermögen des R. B. sen. (fortan: Schuldner).
Die Beklagte zu 1 ist die dritte Ehefrau des Schuldners; die Beklagten zu 2 und
zu 3 sind Kinder des Schuldners aus früheren Ehen. Am 24. April 2007 gründe-
te die Beklagte zu 1 die B. GmbH. Am selben Tag grün-
deten
alle
Beklagten
gemeinsamen
die
B.
Verwaltungs GmbH. Diese GmbH wurde persönlich haftende Gesellschafte-
rin der ebenfalls am 24. April 2007 von den Beklagten gegründeten B.
GmbH & Co. KG. Die Beklagten schlossen je-
weils notariell beurkundete Treuhandverträge mit dem Schuldner, in denen sie
sich verpflichteten, ihren jeweiligen Anteil treuhänderisch für ihn zu halten, je-
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derzeit alles Erlangte an ihn herauszugeben, seinen Anweisungen Folge zu
leisten und - abgesehen vom Finanzamt - Stillschweigen gegenüber jedermann
zu bewahren. Sie gaben außerdem notariell beurkundete Abtretungsangebote
für ihren jeweiligen Anteil ab, die sich an den Schuldner oder einen von diesem
zu benennenden Dritten richteten. Mit notarieller Urkunde vom 7. Juli 2009 ver-
zichtete der Schuldner auf alle ihm aus den Abtretungsangeboten zustehenden
Rechte. Durch Vereinbarungen vom 21. Januar 2010, an denen der Kläger
nicht beteiligt war, wurden sämtliche Treuhandverträge rückwirkend aufgeho-
ben. Am 12. August 2010 nahm der Kläger sämtliche Abtretungsangebote
durch notariell beurkundete Erklärungen an. Eine Ausfertigung der notariell be-
urkundeten Angebote hatte er zuvor nicht erhalten.
Der Kläger verlangt nunmehr festzustellen, dass der Schuldner aufgrund
der Annahmeerklärungen vom 12. August 2010 die ihm angebotenen Ge-
schäftsanteile erworben habe, dass die Anteile vom Insolvenzbeschlag erfasst
und dass sie Teil der Insolvenzmasse seien. Das Landgericht hat die Klage ab-
gewiesen. Das Berufungsgericht hat die begehrten Feststellungen getroffen. Mit
ihrer vom Senat zugelassenen Revision wollen die Beklagten die Wiederher-
stellung des landgerichtlichen Urteils erreichen.
Entscheidungsgründe:
Die Revision bleibt ohne Erfolg.
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I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Kläger habe die auf Übertra-
gung der Anteile gerichteten Angebote wirksam angenommen. Die Angebote
seien dem Schuldner zugegangen, der im Notartermin vom 24. April 2007 per-
sönlich anwesend gewesen sei. Eine Willenserklärung unter Anwesenden gehe
zu, wenn der Empfänger sie wahrgenommen habe. Dies gelte auch im Falle
einer notariell beurkundeten Willenserklärung. Auf die Fragen der Zustellung
einer notariellen Beurkundung und eines Verzichts der Beteiligten auf den
formgemäßen Zugang komme es nicht an. Bei gleichzeitiger Anwesenheit aller
Beteiligten sei im Übrigen ein konkludenter Verzicht auf das Erfordernis des
formgemäßen Zugangs anzunehmen.
Der Kläger habe gemäß § 80 InsO das Angebot annehmen können. Die
mit den Abtretungserklärungen erworbenen Anwartschaften auf den rechtlichen
Erwerb der Anteile seien Teil der Insolvenzmasse. Ob der Schuldner bereits mit
Abschluss der Treuhandverträge wirtschaftlicher Eigentümer der Anteile gewor-
den sei, könne offenbleiben. Eine Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO habe der
Kläger nicht erklärt. Dass im Gesellschaftsvertrag der Kommanditgesellschaft
das Ausscheiden eines Gesellschafters im Fall der Eröffnung des Insolvenzver-
fahrens über dessen Vermögen vorsehe, ändere nichts, weil die Treuhand nach
der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners
vereinbart und auch das Abtretungsangebot in Kenntnis des Insolvenzverfah-
rens abgegeben worden sei.
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II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis
stand.
1. Dem Schuldner sind wirksame Angebote auf Abtretung der Gesell-
schaftsanteile unterbreitet worden.
a) Ein Schuldner, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröff-
net worden ist, bleibt rechts- und geschäftsfähig (HK-InsO/Kayser, 7. Aufl., § 80
Rn. 19; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 80 Rn. 7; Piekenbrock in Ahrens/
Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2. Aufl., § 80 Rn. 9; Schmidt/Sternal, InsO,
18. Aufl., § 80 Rn. 8 f; Windel, KTS 1995, 367, 398). Die Insolvenzordnung ver-
bietet ihm nicht, nach Verfahrenseröffnung Verträge mit Dritten zu schließen.
Der Fall, dass ein Schuldner persönlich rechtsgeschäftlich tätig wird, ist in der
Insolvenzordnung - von der hier nicht einschlägigen und im Hinblick auf die Er-
öffnung des Insolvenzverfahrens am 27. März 2003 auch nicht anwendbaren
Vorschrift des § 35 Abs. 2 InsO abgesehen - nicht ausdrücklich geregelt und
wurde vom Gesetzgeber offensichtlich nicht bedacht. Die Anwendung der vor-
handenen Bestimmungen führt zu wenig sinnvollen Ergebnissen. Einerseits
wird nämlich der Schuldner persönlich aus den von ihm geschlossenen Verträ-
gen verpflichtet. Aus § 80 Abs. 1 InsO und § 55 InsO folgt hinreichend deutlich,
dass die vom Schuldner geschlossenen Verträge nicht das zur Insolvenzmasse
gehörende Vermögen betreffen können; Masseverbindlichkeiten kann der
Schuldner ohne Zustimmung des Verwalters nicht begründen. Andererseits fal-
len die aus dem Vertrag folgenden Rechte der Insolvenzmasse zu (Jae-
ger/Henckel, InsO, § 35 Rn. 126; vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. März 2003
- IX ZB 388/02, ZVI 2003, 170, 173 unter V 2 b). Gemäß § 35 Abs. 1 InsO (§ 35
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InsO aF) erfasst das Insolvenzverfahren auch dasjenige Vermögen, welches
der Schuldner während des Verfahrens erlangt. Dieses eigenartige, mit
§§ 320 ff BGB kaum im Einklang stehende Ergebnis (vgl. hierzu und zu mögli-
chen Lösungen Windel, KTS 1995, 367, 397 ff) ändert jedoch nichts daran,
dass der Schuldner persönlich Verträge schließen kann. Dann kann er auch
Empfänger eines auf Abschluss eines Abtretungsvertrages gerichteten Antrags
sein.
b) Das Angebot war hinreichend bestimmt (vgl. zur Geltung des sachen-
rechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes bei der Übertragung von Gesellschafts-
anteilen Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 20. Aufl., § 15 Rn. 22; vgl. auch
RG JW 1932, 1008, 1009; BGH, Beschluss vom 19. April 2010 - II ZR 150/09,
WM 2010, 1414 Rn. 4 jeweils zur Frage der Bestimmtheit des Gesellschaftsan-
teils). Es richtete sich an den Schuldner, dem das Recht eingeräumt worden
war, einen Dritten zu benennen.
c) Die Angebote der Beklagten sind dem Schuldner auch insoweit zuge-
gangen, als sie auf Abtretung von GmbH-Anteilen gerichtet waren und deshalb
gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 GmbHG notariell beurkundet werden mussten.
aa) Eine formbedürftige Willenserklärung muss nicht nur in der vorge-
schriebenen Form abgegeben, sondern dem Empfänger auch in dieser Form
zugehen. Eine schriftliche Erklärung geht erst mit Übergabe an den anwesen-
den oder Eingang im Herrschaftsbereich des abwesenden Empfänger zu (RGZ
61, 414, 415 zu § 766 BGB; BGH, Urteil vom 15. Juni 1998 - II ZR 40/97, ZIP
1998, 1392, 1393; RGRK/Krüger-Nieland, BGB, 12. Aufl., § 130 Rn. 18, 32;
MünchKomm-BGB/Einsele, 6. Aufl., § 130 Rn. 27, 33; Bamberger/Roth/
Wendtland, BGB, 3. Aufl., § 130 Rn. 11, 27; Erman/Arnold, BGB, 14. Aufl.,
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§ 130 Rn. 19, 22; Ahrens in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 9. Aufl., § 130
Rn. 8, 24). Ist die notarielle Beurkundung vorgeschrieben, muss der Empfänger
eine Ausfertigung erhalten, die gemäß § 47 BeurkG die notarielle Urkunde im
Rechtsverkehr vertritt (BGH, Urteil vom 7. Juni 1995 - VIII ZR 125/94, BGHZ
130, 71, 73; vom 10. Juli 2013 - IV ZR 224/12, BGHZ 198, 32 Rn. 25;
RGRK/Krüger-Nieland, aaO; MünchKomm-BGB/Einsele, aaO Rn. 21; Erman/
Arnold, aaO Rn. 19; krit. Kanzleiter, DNotZ 1996, 931). Der Schuldner hat
selbst keine Ausfertigung der notariell beurkundeten Angebote erhalten.
bb) Das Erfordernis des Zugangs einer Willenserklärung in der nach § 15
Abs. 4 GmbHG vorgeschriebenen Form ist jedoch, anders als die gesetzliche
Formvorschrift selbst, dispositiv. Abweichend von den gesetzlichen Vorschriften
können Zugangserleichterungen vereinbart werden (BGH, Urteil vom 7. Juni
1995, aaO S. 75). Das Berufungsgericht hat eine entsprechende, konkludent
getroffene Vereinbarung aus der gleichzeitigen Anwesenheit aller Beteiligten im
Notartermin geschlossen.
Die hiergegen gerichteten Einwände der Revision greifen im Ergebnis
nicht durch. Die Beklagten haben den Abschluss einer Verzichtsvereinbarung
zwar ausdrücklich bestritten. Der in beiden Instanzen zeugenschaftlich ver-
nommene Urkundsnotar hat zudem erklärt, dass der Schuldner gegebenenfalls
die bei ihm, dem Notar, verwahrten Ausfertigungen der Urkunden über die An-
gebote hätte anfordern können; der Schuldner habe ihn angewiesen, die Aus-
fertigungen in der Handakte zu verwahren. Der so beschriebene Ablauf, mit
welchem die Beklagten offensichtlich einverstanden waren, schließt einen bei-
derseitigen Verzicht auf den Zugang der Erklärungen in der Form des § 15
Abs. 4 GmbHG jedoch nicht aus. Nach der weiteren Aussage des Notars, wel-
che die Beklagten sich ausdrücklich zu Eigen gemacht haben, sollte der
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Schuldner allein entscheiden können, ob und wann er die Angebote annahm
oder durch einen Dritten annehmen ließ. Die Urkundsbeteiligten, also die Be-
klagten, sollten nichts mehr unternehmen müssen, um die Angebote "wirksam
zu machen". Dieses Ziel konnte nur durch rechtswirksame Angebote erreicht
werden. Nur dann waren die Angebote nämlich für die Beklagten überhaupt
bindend (§ 145 BGB). Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber
abzugeben ist, wird erst mit ihrem Zugang wirksam (vgl. § 130 Abs. 1 BGB).
Das gilt unabhängig davon, ob sie unter Anwesenden oder unter Abwesenden
abgegeben wird. Wären die Angebote dem Schuldner nicht zugegangen, hätten
die Beklagten sie jederzeit widerrufen können, ohne dass der Schuldner dies
hätte verhindern können. Das war offensichtlich nicht gewollt.
cc) Nicht geprüft hat das Berufungsgericht, ob darin, dass der Notar die
Ausfertigungen (§ 47 BeurkG) der Angebote auf Weisung des Schuldners bei
sich verwahrte, um sie ihm auf Anforderung zu übersenden, ein Zugang der
formgerechten Erklärungen beim Schuldner gesehen werden kann. War der
Notar insoweit als Beauftragter des Schuldners tätig, hätte es einer Verzichts-
vereinbarung nicht bedurft. Im Ergebnis kommt es hierauf jedoch auch nicht an.
Die Angebote sind dem Schuldner jedenfalls wirksam zugegangen.
2. Der Kläger hat die Angebote in seiner Eigenschaft als Insolvenzver-
walter über das Vermögen des Schuldners wirksam angenommen.
a) Gemäß § 80 Abs. 1 InsO ist der Verwalter von der Eröffnung des In-
solvenzverfahrens an berechtigt, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen
des Schuldners zu verwalten und über es zu verfügen. Soweit die Befugnisse
des Verwalters reichen, werden diejenigen des Schuldners verdrängt.
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b) Ob der Schuldner nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über
sein Vermögen ein ihm persönlich unterbreitetes Vertragsangebot annehmen
kann oder ob die Annahme des Angebots dem Insolvenzverwalter vorbehalten
ist, hängt davon ab, ob die durch das Angebot vermittelte Rechtsposition zur
Masse gehört und damit Neuerwerb im Sinne von § 35 Abs. 1 InsO (§ 35 InsO
aF) darstellt.
aa) Ein Vertragsangebot verschafft dem Empfänger eine rechtlich ge-
schützte Position. Gemäß § 145 BGB ist der Antragende an den Antrag gebun-
den, wenn er die Bindung nicht ausgeschlossen hat. Gemäß § 146 BGB erlischt
der Antrag erst, wenn er abgelehnt oder nicht nach den §§ 147 bis 149 BGB
rechtzeitig angenommen wird.
bb) Zur Masse gehört die Rechtsposition des Angebotsempfängers nach
den allgemeinen Regeln (§§ 35, 36 InsO) dann, wenn sie abtretbar (§§ 398 ff
BGB) und damit pfändbar (§§ 851, 857 ZPO) ist. Ob dies der Fall ist, lässt sich
nicht generell, sondern nur für den jeweiligen Einzelfall durch Auslegung der
Parteierklärungen entscheiden (Staudinger/Bork, BGB, 2010, § 145 Rn. 35;
Soergel/Wolf, BGB, 13. Aufl., § 145 Rn. 19; RGRK/Piper, BGB, 12. Aufl., § 145
Rn. 20; Bamberger/Roth/Eckert, BGB, 3. Aufl., § 145 Rn. 48; Brinkmann in Prüt-
ting/Wegen/Weinreich, BGB, 9. Aufl., § 145 Rn. 13; Windel, KTS 1995, 367,
371). Sehr oft wird ein Vertragsangebot, das sich an einen bestimmten Ange-
botsempfänger richtet, ausschließlich für diesen bestimmt sein. Eine Abtretung
kommt dann nicht in Betracht. Dem Anbieter kann nicht ohne oder sogar gegen
seinen Willen ein anderer als der gewollte Vertragspartner aufgedrängt werden
(vgl. MünchKomm-BGB/Busche, 6. Aufl., § 145 Rn. 22). Es gibt jedoch Aus-
nahmen. Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts kann das aus der Ge-
bundenheit des Antragenden folgende Recht des Angebotsempfängers jeden-
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falls dann abgetreten werden, wenn letzterem die entsprechende Befugnis ver-
traglich eingeräumt worden ist (RGZ 111, 46, 47; RG JW 1914, 350). Hat der
Antragende sich ausdrücklich oder den Umständen nach damit einverstanden
erklärt, dass der Angebotsempfänger an einen beliebigen Dritten weiterleiten
kann, wird ihm dieser Dritte nicht ohne oder gegen seinen Willen aufgedrängt.
Der Senat hat unter Bezugnahme auf diese Rechtsprechung angenommen,
dass das Recht aus einem Vertragsangebot unter der genannten Vorausset-
zung pfändbar ist (BGH, Urteil vom 20. Februar 2003 - IX ZR 102/02, BGHZ
154, 64, 69). Im Einverständnis aller Beteiligten können im Wege der Vertrags-
übernahme sogar die gesamten Rechte und Pflichten aus einem Schuldverhält-
nis übertragen werden (vgl. etwa BGH, Urteil vom 20. Juni 1985 - IX ZR 173/84,
BGHZ 95, 88, 93 ff; vom 15. August 2002 - IX ZR 217/99, WM 2002, 1968,
1970; vom 11. Mai 2012 - V ZR 237/11, WM 2012, 1331 Rn. 7). Für die aus
einem Vertragsangebot folgenden Rechte kann nichts anderes gelten. Sind sie
abtretbar und pfändbar, gehören sie auch zur Masse (vgl. Jaeger/Windel, InsO,
§ 81 Rn. 37; Staudinger/Bork, aaO).
cc) Die notariellen Angebote, um deren Annahme es hier geht, richteten
sich jeweils an den Schuldner oder eine von diesem zu benennende Person.
Die Beklagten waren von vornherein mit einem anderen Vertragspartner als
dem Schuldner einverstanden. Die Rechtsposition, welche der Schuldner nach
Zugang der Angebote innehatte, war abtretbar, damit pfändbar und fiel als
Neuerwerb in die Insolvenzmasse. Gemäß § 80 Abs. 1 InsO war es Sache des
Klägers, über die Annahme oder Ablehnung des Angebots zu entscheiden.
dd) Dieses Ergebnis läuft der vielfach vertretenen Ansicht zuwider, der
Schuldner entscheide allein über den Neuerwerb, während dem Verwalter al-
lenfalls ein Zurückweisungsrecht entsprechend § 333 BGB zustehe (vgl. etwa
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MünchKomm-InsO/Peters, 3. Aufl., § 35 Rn. 53; Häsemeyer, Insolvenzrecht,
4. Aufl., Rn. 9.26; Windel, KTS 1994, 367, 400). Es ist gleichwohl richtig. Die
Befugnisse des Schuldners sind dann, wenn er an ihn persönlich gerichtete
Vertragsangebote nicht annehmen oder ablehnen kann, zwar beträchtlich ein-
geschränkt. Die Einschränkung betrifft jedoch nur solche Angebote, die abtret-
bar und pfändbar sind und deshalb in die Masse fallen. Für ein Angebot auf Ab-
schluss eines Arbeitsvertrages wird dies regelmäßig nicht der Fall sein. Soweit
der Schuldner selbständig tätig ist und durch § 35 Abs. 1 (§ 35 aF) teilweise
vom Geschäftsleben ausgeschlossen wird (vgl. Windel, aaO), hat er diese Wer-
tentscheidung des Gesetzgebers hinzunehmen. Nach § 35 InsO wird der
Schuldner entweder mit Zustimmung des Verwalters selbständig tätig, steht
dann aber unter dessen Aufsicht und handelt für Rechnung der Masse, oder die
selbständige Tätigkeit wird freigegeben (§ 35 Abs. 2 InsO). Dass der Schuldner
unabhängig vom Verwalter eigennützig selbständig tätig ist, sieht die Insolvenz-
ordnung während des laufenden Insolvenzverfahrens nicht vor.
c) Der Verwalter konnte auch das auf Abtretung des Kommanditanteils
gerichtete Angebot annehmen. Die Revision verweist dazu auf § 16 des Gesell-
schaftsvertrages dieser Gesellschaft, in welchem es unter der Überschrift "Ver-
mögensverfall" heißt: "Wird über das Vermögen eines Gesellschafters das In-
solvenzverfahren eröffnet oder Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens
mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse abgelehnt, schei-
det der betroffene Gesellschafter rückwirkend auf den Zeitpunkt der Verfah-
renseröffnung oder -ablehnung aus der Gesellschaft aus". Daraus, dass sämtli-
che Beteiligte bei Abgabe des Angebots von der Eröffnung des Insolvenzver-
fahrens wussten, hat das Berufungsgericht geschlossen, dass der Schuldner
das Angebot auch während des Insolvenzverfahrens sollte annehmen können.
Die Revision vermisst demgegenüber einen rechtlichen Hinweis des Beru-
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fungsgerichts und legt dar, dass die Beklagten gegebenenfalls ihr fehlendes
Einverständnis behauptet und durch einen Antrag auf Parteivernehmung und
die Benennung des Schuldners als Zeugen unter Beweis gestellt hätten. Diese
Rüge geht fehl. Das bindende, unwiderrufliche Angebot in Kenntnis des eröffne-
ten Insolvenzverfahrens, welches der Schuldner ohne weitere Mitwirkung der
Beklagten sollte annehmen können, stand außer Streit. Dass der Schuldner
gleichwohl erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens berechtigt sein sollte,
die Annahme zu erklären, haben die Beklagten in den Tatsacheninstanzen nicht
behauptet. Entsprechenden Vortrag weist die Revision jedenfalls nicht nach.
d) Der Verzicht, welchen der Schuldner am 7. Juli 2009 erklärt hat, war
wirkungslos. Der Schuldner konnte nicht über ein zur Masse gehörendes Recht
verfügen (§ 80 Abs. 1 InsO).
e) Die Annahmeerklärungen des Klägers brauchten dem jeweiligen An-
bieter nicht zuzugehen. Die Angebote sahen jeweils vor, dass für die Wirksam-
keit der Annahme deren notarielle Beurkundung durch einen Notar genügen
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sollte. Damit haben die Beklagten auf den Zugang der Annahmeerklärung ver-
zichtet (§ 151 BGB).
Kayser
Gehrlein
Vill
Lohmann
Fischer
Vorinstanzen:
LG Kleve, Entscheidung vom 22.02.2012 - 2 O 397/10 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 10.07.2013 - I-15 U 28/12 -