Urteil des BGH vom 14.04.2016

Leitsatzentscheidung zu Geschäftsführer, Verwalter, Haftpflichtversicherung, Widerklage

ECLI:DE:BGH:2016:140416BIXZR161.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZR 161/15
vom
14. April 2016
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 60 Abs. 1 Satz 1; GmbHG § 64
Der Insolvenzverwalter einer GmbH ist deren Geschäftsführer gegenüber nicht ver-
pflichtet, eine zu dessen Gunsten abgeschlossene Haftpflichtversicherung aufrecht-
zuerhalten, um ihn aus einer Inanspruchnahme wegen verbotener Zahlungen freizu-
stellen.
BGH, Beschluss vom 14. April 2016 - IX ZR 161/15 - OLG Hamburg
LG Hamburg
- 2 -
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Richter Vill als Vorsit-
zenden und den Richter Prof. Dr. Gehrlein, die Richterin Lohmann, die Richter
Dr. Pape und Dr. Schoppmeyer
am 14. April 2016
beschlossen:
Die Beschwerde gegen den die Berufung zurückweisenden Be-
schluss des 11. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesge-
richts Hamburg vom 8. Juli 2015 wird auf Kosten der Streithelferin
des Beklagten zurückgewiesen.
Der Streitwert wird auf 2.729.934,93
€ festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Kläger, Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der
D. GmbH (nachfolgend Schuldnerin), nimmt den
Beklagten als Geschäftsführer der Schuldnerin gemäß § 64 GmbHG auf Erstat-
tung verbotener Zahlungen in Rückgriff. Zur Begründung beruft sich der Kläger
darauf, der Beklagte habe zugelassen, dass nach Insolvenzreife Zahlungen in
Höhe von 2.729.934,93
€ auf das Geschäftskonto der Schuldnerin eingegangen
seien, welche die Bank mit dem bestehenden Debetsaldo verrechnet habe.
1
- 3 -
Der Beklagte verlangt - soweit für das vorliegende Verfahren von Bedeu-
tung - von dem persönlich auf Schadensersatz in Anspruch genommenen In-
solvenzverwalter als Drittwiderbeklagten, ihn von dieser Verbindlichkeit freizu-
stellen. Insoweit wirft er dem Drittwiderbeklagten vor, eine von der Schuldnerin
abgeschlossene, Ansprüche aus § 64 GmbHG abdeckende Geschäftsführer-
haftpflichtversicherung
mit einer Deckungssumme von 3 Mio. € je Versiche-
rungsfall nach Verfahrenseröffnung beendet zu haben.
Die Vorinstanzen haben die Drittwiderklage durch Teilurteil abgewiesen.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt die Streithelferin das Begehren der
Beklagten weiter.
II.
Die Beschwerde deckt keinen entscheidungserheblichen Zulassungs-
grund auf. Die Drittwiderklage ist unbegründet, ohne dass es darauf ankommt,
ob die nach Verfahrenseröffnung beendete Haftpflichtversicherung die mit der
Klage verfolgten Ansprüche erfasst hat.
1. Die angefochtene Entscheidung unterliegt keinen prozessualen Bean-
standungen.
a) Die von dem Beklagten erhobene Drittwiderklage ist zulässig. Die in-
soweit von dem Drittwiderbeklagten erhobenen Rügen greifen nicht durch.
aa) Durch das Rechtsinstitut der Widerklage soll die Vervielfältigung und
Zersplitterung von Prozessen vermieden werden; zusammengehörende An-
2
3
4
5
6
7
- 4 -
sprüche sollen einheitlich verhandelt und entschieden werden können. Dieses
Ziel kann mit der isolierten Widerklage gegen einen bisher am Rechtsstreit nicht
Beteiligten jedenfalls dann erreicht werden, wenn die Dinge tatsächlich und
rechtlich eng miteinander verknüpft sind und keine schutzwürdigen Interessen
des Widerbeklagten verletzt werden (BGH, Urteil vom 13. März 2007 - VI ZR
129/06, NJW 2007, 1753 Rn. 10; Beschluss vom 7. Februar 2013 - IX ZR
186/11, IPRspr 2013, Nr. 177, 385, 386 f). Entscheidend sind also die enge
Verknüpfung des Gegenstands der Klage mit dem Gegenstand der Widerklage
und die fehlende Beeinträchtigung schützenswerter Interessen des Widerbe-
klagten (BGH, Urteil vom 13. März 2007, aaO Rn. 13; Beschluss vom 7. Febru-
ar 2013, aaO; Urteil vom 7. November 2013 - VII ZR 105/13, NJW 2014, 1670
Rn. 16).
bb) Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Klage und Drittwiderklage
sind sachlich und rechtlich eng miteinander verwoben. Während die Klage ei-
nen Erstattungsanspruch aus § 64 GmbHG zum Gegenstand hat, bildet dieser
Anspruch die Grundlage für den mit der Widerklage verfolgten, aus § 60 Abs. 1
Satz 1 InsO hergeleiteten Befreiungsanspruch. Schützenswerte Interessen des
Drittwiderbeklagten werden nicht verletzt, der in seiner Eigenschaft als klagen-
der Insolvenzverwalter mit dem Streitgegenstand der Widerklage, die einen ge-
gen ihn persönlich gerichteten Schadensersatzanspruch betrifft, voll vertraut ist.
b) Vorliegend konnte - was von Amts wegen zu prüfen ist (BGH, Urteil
vom 11. Mai 2011 - VIII ZR 42/10, BGHZ 189, 356 Rn. 19) - durch Teilurteil ent-
schieden werden.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf ein
Teilurteil nur ergehen, wenn die Gefahr einander widersprechender Entschei-
8
9
10
- 5 -
dungen ausgeschlossen ist; dabei ist auch die Möglichkeit einer abweichenden
Entscheidung durch ein Rechtsmittelgericht zu berücksichtigen (BGH, Urteil
vom 24. Februar 2015 - VI ZR 279/14, NJW 2015, 2429 Rn. 7 mwN). Ein Teil-
urteil über die Klage gegen einen von mehreren einfachen Streitgenossen ist
daher in der Regel unzulässig, wenn die Möglichkeit besteht, dass es in dem-
selben Rechtsstreit, auch im Instanzenzug, zu einander widersprechenden Ent-
scheidungen kommt (BGH, aaO).
bb) Die Gefahr widersprechender Entscheidungen konnte im Streitfall
zunächst nicht ausgeschlossen werden, weil die Begründetheit eines An-
spruchs aus § 64 GmbHG sowohl für die Klage als auch die Drittwiderklage von
Bedeutung sein konnte und insoweit divergierende Beurteilungen möglich wa-
ren. Ein unzulässiges Teilurteil muss jedoch nicht aufgehoben werden, wenn
sich die prozessuale Situation so entwickelt hat, dass es nicht mehr zu wider-
sprüchlichen Erkenntnissen kommen kann (BGH, Urteil vom 8. Mai 2014 - VII
ZR 199/13, NJW-RR 2014, 979 Rn. 16). So verhält es sich im Streitfall. Mit vor-
liegender Entscheidung wird die Drittwiderklage rechtskräftig abgewiesen, weil
dem Beklagten als Schuldner der Masse schon dem Grunde nach ein Scha-
densersatzanspruch aus § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO gegen den Drittwiderbeklag-
ten nicht zusteht (vgl. nachfolgend unter 2.). Daraus ergeben sich keine Folge-
rungen für die Begründetheit der auf § 64 GmbHG beruhenden Klage, über die
noch zu befinden ist.
2. Die geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht entscheidungs-
erheblich.
a) Der Beklagte gehört - worauf der Drittwiderbeklagte im ersten Rechts-
zug und in seiner Berufungserwiderung jeweils unter Bezug auf einschlägige
11
12
13
- 6 -
Rechtsprechung hingewiesen hat - als Geschäftsführer der Schuldnerin hin-
sichtlich möglicher Ansprüche aus § 64 GmbHG nicht zu dem durch § 60 Abs. 1
Satz 1 InsO geschützten Personenkreis. Darum stehen ihm auf diese Vorschrift
gestützte Schadensersatzansprüche gegen den Drittwiderbeklagten als Insol-
venzverwalter der Schuldnerin nicht zu.
aa) Der Insolvenzverwalter ist gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO allen Be-
teiligten zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er schuldhaft die Pflichten ver-
letzt, die ihm nach diesem Gesetz obliegen. Haftungsbegründend ist nur die
Verletzung solcher Pflichten, die dem Insolvenzverwalter in dieser Eigenschaft
durch die Vorschriften der Insolvenzordnung übertragen sind. Damit soll der
Gefahr einer Ausuferung der Haftung des Insolvenzverwalters vorgebeugt wer-
den (BT-Drucks. 12/2443, S. 129). In diesem Sinne war bereits § 82 KO als
Vorgängerregelung des § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO ausgelegt worden (BGH, Urteil
vom 14. April 1987 - IX ZR 260/86, BGHZ 100, 346, 350 ff). Insolvenzspezifi-
sche Pflichten hat der Verwalter gegenüber dem Schuldner und insbesondere
den Insolvenzgläubigern, aber auch gegenüber den Massegläubigern im Sinne
der §§ 53 ff InsO sowie gegenüber den Aussonderungs- und Absonderungsbe-
rechtigten wahrzunehmen. So hat er für eine möglichst weitgehende gleichmä-
ßige Befriedigung der Insolvenzforderungen zu sorgen (§§ 1, 187 ff InsO), Mas-
segläubiger vorweg (§ 53 InsO) und gegebenenfalls in der Rangfolge des § 209
InsO zu befriedigen sowie die dinglichen Rechte der Aussonderungs- und Ab-
sonderungsberechtigten (§§ 47 ff) zu beachten (vgl. BGH, aaO S. 350). Insol-
venzspezifische Pflichten obliegen dem Verwalter danach im Verhältnis zu einer
insolventen Schuldnerin, aber - gleich ob es sich um die Vorstände einer Akti-
engesellschaft oder die Geschäftsführer einer GmbH handelt - nicht im Verhält-
nis zu ihren Organen. Der Verwalter hat gegenüber den Organen nur insoweit
Pflichten zu erfüllen, als diese ihm als Vertreter der Schuldnerin oder Insolvenz-
14
- 7 -
oder Massegläubiger gegenübertreten (RG, DR 1939, 1798; Schmidt, KTS
1976, 191, 201 mwN).
bb) Vor diesem Hintergrund war schon unter der Geltung des § 82 KO
anerkannt, dass der nach § 64 Abs. 2 GmbHG aF (jetzt § 64 GmbHG) wegen
verbotener Zahlungen in Anspruch genommene Geschäftsführer einer insolven-
ten GmbH nicht zu dem Kreis der geschützten Beteiligten gehört. Der Ge-
schäftsführer ist insoweit vielmehr ausschließlich Schuldner der Masse, dem
gegenüber der Verwalter keine insolvenzspezifischen Pflichten zu erfüllen hat
(BGH, Urteil vom 18. Dezember 1995 - II ZR 277/94, BGHZ 131, 325, 328 f).
Diese rechtliche Würdigung hat auch unter der Insolvenzordnung - soweit er-
sichtlich - einhellige Zustimmung erfahren (Jaeger/Gerhardt, InsO, § 60 Rn. 95;
MünchKomm-InsO/Brandes/Schoppmeyer, 3. Aufl., § 60 Rn. 71; HK-InsO/
Lohmann, 8. Aufl., § 60 Rn. 6; Uhlenbruck/Sinz, InsO, 14. Aufl., § 60 Rn. 11;
HmbKomm-InsO/Weitzmann, 5. Aufl., § 60 Rn. 6; Schmidt/Thole, InsO,
19. Aufl., § 60 Rn. 6; Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch der In-
solvenzverwaltung, 9. Aufl., Kapitel 33 Rn. 151; Lüke in Kübler/Prütting/Bork,
InsO, 2009, § 60 Rn. 25). Deswegen kann der Geschäftsführer einer insolven-
ten GmbH nicht von dem Insolvenzverwalter Schadensersatz verlangen, weil
dieser es versäumt hat, aussichtsreiche Anfechtungsansprüche (§§ 129 ff InsO)
zu verfolgen, welche den auf § 64 GmbHG gestützten Erstattungsanspruch ge-
gen den Geschäftsführer vermindert hätten (vgl. BGH, aaO). Der Geschäftsfüh-
rer steht damit im Ergebnis nicht anders als ein Bürge, zu dessen Inanspruch-
nahme es nur deshalb kommt, weil der Insolvenzverwalter durch eine schuld-
hafte Verkürzung der Masse die Befriedigung des Hauptgläubigers aus der
Masse verhindert hat (BGH, aaO S. 329). Ebenso scheidet eine Schadenser-
satzpflicht aus, sofern der Insolvenzverwalter - wie hier - eine Haftpflichtversi-
15
- 8 -
cherung der GmbH der Versicherungsnehmerin beendet hat, die gegen den
Geschäftsführer gerichtete Ansprüche aus § 64 GmbHG abgedeckt hätte.
cc) Den Insolvenzverwalter treffen, sofern die Prämien überhaupt aus der
Masse aufgebracht werden können, Versicherungspflichten ausschließlich im
Interesse des Schuldners und seiner Gläubiger zum Zweck der Obhut und des
Erhalts des Schuldnervermögens (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 1988
- IX ZR 39/88, BGHZ 105, 230, 237; Jaeger/Gerhardt, aaO § 60 Rn. 39;
MünchKomm-InsO/Brandes/Schoppmeyer, aaO § 60 Rn. 15). Unter dem Ge-
sichtspunkt der bestmöglichen Wahrung der Gläubigerinteressen mag es gebo-
ten sein, eine zugunsten des Geschäftsführers einer insolventen GmbH abge-
schlossene Haftpflichtversicherung aufrechtzuerhalten, sofern Haftungsansprü-
che gegen den Geschäftsführer mangels finanzieller Leistungsfähigkeit nicht
durchsetzbar sind (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 1995, aaO S. 329). Hin-
gegen besteht keine Verpflichtung des Insolvenzverwalters, eine solche Haft-
pflichtversicherung aus Mitteln der Masse zu bestreiten, um den Geschäftsfüh-
rer von einer etwaigen Haftung zu befreien.
b) Ohne Erfolg beruft sich der Beklagte schließlich auf einen Schadens-
ersatzanspruch aus § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO, weil er durch die Beendigung des
Versicherungsverhältnisses in einem ihm gemäß § 110 VVG zustehenden Ab-
sonderungsrecht beeinträchtigt worden sei. Diese Vorschrift greift nicht zuguns-
ten des Beklagten ein.
aa) Gemäß § 110 VVG kann der geschädigte Dritte wegen des ihm ge-
gen den Versicherungsnehmer zustehenden Anspruchs abgesonderte Befriedi-
gung aus dem Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers verlangen,
wenn über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet ist. Dies stellt
16
17
18
- 9 -
sicher, dass die Versicherungsleistung dem geschädigten Dritten und nicht den
Gläubigern des Versicherungsnehmers zugutekommt; letzteres widerspräche
der Sozialbindung der Haftpflichtversicherung zu Gunsten des Dritten (BGH,
Beschluss vom 25. September 2014 - IX ZB 117/12, WM 2014, 2057 Rn. 7).
Das Absonderungsrecht nach § 110 VVG entsteht bei Vorliegen eines Scha-
densfalls mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des
versicherten Schädigers, auch wenn der Haftpflichtanspruch noch nicht mit bin-
dender Wirkung für den Versicherer (§ 106 Satz 1 VVG) festgestellt ist (BGH,
aaO Rn. 8).
bb) Diese Regelung ist hier nicht einschlägig, weil dem Beklagten ein
Schadensersatzanspruch gegen die Schuldnerin nicht zusteht. Die Schuldnerin
19
- 10 -
hat nicht den Beklagten geschädigt, sondern dieser der Schuldnerin durch ver-
botene Zahlungen (§ 64 GmbHG) einen Nachteil zugefügt. Ein Absonderungs-
recht des Beklagten ist folglich nicht gegeben.
Vill
Gehrlein
Lohmann
Pape
Schoppmeyer
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 11.11.2013 - 419 HKO 101/12 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 08.07.2015 - 11 U 313/13 -