Urteil des BGH vom 07.04.2016

Leitsatzentscheidung zu Private Krankenversicherung, Zwangsvollstreckung, Insolvenz, Unterliegen

ECLI:DE:BGH:2016:070416UIXZR145.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 145/15
Verkündet am:
7. April 2016
Kluckow
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 38
Ansprüche des Versicherers auf Prämien für einen privaten Krankenversicherungs-
vertrag aus der Zeit vor Insolvenzeröffnung sind Insolvenzforderungen.
InsO § 129 Abs. 1; ZPO § 811 Abs. 1 Nr. 8
Zahlt der Schuldner eine Versicherungsprämie für seinen privaten Krankenversiche-
rungsvertrag in bar aus einem nach § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO unpfändbaren Geldbe-
trag, fehlt es an einer Gläubigerbenachteiligung.
BGH, Urteil vom 7. April 2016 - IX ZR 145/15 - LG Köln
AG Köln
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 7. April 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter
Prof. Dr. Gehrlein, Grupp, die Richterin Möhring und den Richter
Dr. Schoppmeyer
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 23. Zivilkammer
des Landgerichts Köln vom 1. Juli 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Treuhänder im Insolvenzverfahren über das Vermögen
des T. (fortan: Schuldner). Der Schuldner hatte bei der Beklagten
einen privaten Krankenversicherungsvertrag abgeschlossen. Das Amtsgericht
Euskirchen erließ am 28. Juli 2010 auf Antrag der Beklagten einen Vollstre-
ckungsbescheid gegen den Schuldner wegen rückständiger Versicherungsprä-
mien. Die Beklagte führte die Zwangsvollstreckung durch; am 20. Januar 2011
zahlte der Schuldner im Rahmen der Zwangsvollstreckung an den Gerichtsvoll-
zieher 300
€ in bar.
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Aufgrund eines bereits am 2. September 2010 gestellten Insolvenzan-
trags eröffnete das Insolvenzgericht am 2. Mai 2011 das Insolvenzverfahren
über das Vermögen des Schuldners. Der Kläger verlangt von der Beklagten die
gezahlten 300
€ im Wege der Insolvenzanfechtung zurück.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen; die Berufung des Klägers
hat keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision
verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das private Krankenversicherungs-
verhältnis sei als insolvenzfreies Schuldverhältnis zu qualifizieren. Daher seien
die Regeln der Insolvenzanfechtung nicht anwendbar. Die Prämienforderungen
des Versicherers unterfielen nicht dem Insolvenzbeschlag. Die Unpfändbarkeit
der Forderungen aus dem Krankenversicherungsvertrag gemäß § 850b Abs. 1
Nr. 4 ZPO gelte auch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Zudem sei § 850e
Nr. 1 Satz 2 lit. b ZPO anzuwenden. Es sei kein Grund ersichtlich, warum die
Prämienforderungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmas-
se gezogen werden können sollten, die nach Eröffnung des Insolvenzverfah-
rens entstehenden Prämienforderungen jedoch als insolvenzfreies Schuldver-
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hältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens stehen sollten. Für eine Behandlung
des privaten Krankenversicherungsvertrags als insolvenzfreiem Schuldverhält-
nis spreche auch § 193 Abs. 3 VVG.
II.
Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, vom Schuldner im Rahmen
eines privaten Krankenversicherungsvertrags gezahlte Versicherungsbeiträge
unterlägen nicht der Insolvenzanfechtung. Die Zahlung von Versicherungsprä-
mien an einen privaten Krankenversicherer ist vielmehr eine anfechtbare
Rechtshandlung.
a) Anfechtbar nach § 131 InsO ist eine Rechtshandlung, die einem Insol-
venzgläubiger eine inkongruente Sicherung oder Befriedigung gewährt hat.
aa) Insolvenzgläubiger ist jeder persönliche Gläubiger, der einen zur Zeit
der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch ge-
gen den Schuldner hat. Es kommt mithin darauf an, ob der Gläubiger in der In-
solvenz eine Forderung im Sinne des § 38 InsO oder einen nachrangigen An-
spruch (§ 39 InsO) gehabt hätte (BGH, Urteil vom 19. Januar 2012 - IX ZR 2/11,
BGHZ 192, 221 Rn. 15 mwN). Ansprüche eines Versicherers auf Versiche-
rungsprämien aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung stellen nur eine Insol-
venzforderung dar (MünchKomm-InsO/Ehricke, 3. Aufl., § 38 Rn. 105; Jaeger/
Henckel, InsO, § 38 Rn. 160). Dies gilt ebenfalls für Ansprüche auf Versiche-
rungsprämien für eine private Krankenversicherung (OLG Hamm, NZI 2012,
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922; Koch, KTS 2013, 80, 82; Busch, VuR 2015, 272, 273; aA OLG Schleswig,
ZInsO 2015, 802). Auch solche Forderungen eines Versicherers begründen
lediglich einen einfachen Vermögensanspruch gegen den Schuldner.
bb) Ausnahmebestimmungen für Ansprüche eines Krankenversicherers
auf rückständige Versicherungsprämien bestehen nicht. Es kommt weder auf
§ 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO noch auf § 850e Nr. 1 Satz 2 lit. b ZPO an. Denn diese
Vorschriften betreffen die Pfändbarkeit von Ansprüchen des Schuldners. Darum
geht es jedoch nicht. Für eine Anfechtung nach §§ 130, 131 InsO kommt es
vielmehr ausschließlich auf die Art des Anspruchs des Gläubigers an, der gesi-
chert oder befriedigt werden soll. Insofern genügt es, wenn es sich - wie im
Streitfall - um eine Insolvenzforderung gemäß §§ 38, 39 InsO handelt. Dass
bestimmte Ansprüche des Schuldners gemäß § 36 InsO nicht dem Insolvenz-
beschlag unterliegen, führt nicht dazu, dass Gläubiger, deren Forderungen der
Schuldner mit Mitteln aus seinen nicht dem Insolvenzbeschlag unterliegenden
Ansprüchen befriedigen könnte, keine Insolvenzgläubiger wären.
b) Anders als das Berufungsgericht meint, folgt aus der Entscheidung
des Bundesgerichtshofs vom 19. Februar 2014 (IV ZR 163/13, VersR 2014,
452) nichts dafür, inwieweit vor Insolvenzeröffnung gezahlte Versicherungsbei-
träge anfechtbar sind. Diese Entscheidung bestimmt lediglich, dass ein zum
Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bestehender Krankenversicherungsvertrag
nicht von § 103 InsO erfasst wird, der Insolvenzverwalter also kein Wahlrecht
nach § 103 Abs. 1 InsO hat. Dies ist unabhängig davon, ob es sich bei Ansprü-
chen auf Zahlung der Versicherungsprämie um Insolvenzforderungen handelt
und ob gezahlte Versicherungsprämien deshalb der Insolvenzanfechtung unter-
liegen.
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c) Auch die bestehende Versicherungspflicht steht einer Anfechtung nicht
entgegen. Zwar bestimmt § 193 Abs. 3 VVG, dass jede Person mit Wohnsitz im
Inland grundsätzlich verpflichtet ist, bei einem in Deutschland zum Geschäfts-
betrieb zugelassenen Versicherungsunternehmen für sich selbst eine - be-
stimmten Anforderungen entsprechende - Krankheitskostenversicherung abzu-
schließen und aufrechtzuerhalten. Werden bereits gezahlte Versicherungsprä-
mien erfolgreich angefochten, erlischt jedoch weder der Krankenversicherungs-
vertrag noch gibt dies dem Versicherer eine Möglichkeit, den Krankenversiche-
rungsvertrag zu beenden. Selbst wenn eine solche Insolvenzanfechtung dazu
führen sollte, dass hinsichtlich der vom Versicherer gemäß § 143 Abs. 1 InsO
zurückzugewährenden Prämien ein Prämienrückstand im Sinne des § 193
Abs. 6 VVG anzunehmen wäre, führt dies nicht dazu, dass keine Krankheits-
kostenversicherung mehr besteht.
Insbesondere gelten §§ 37, 38 VVG nicht bei einem Prämienrückstand in
einer Krankenversicherung (Prölss/Martin/Voit, VVG, 29. Aufl., § 193 Rn. 40).
Vielmehr hat der Gesetzgeber in § 193 Abs. 6 bis 10 VVG (für die Zeit bis
31. Juli 2013: § 193 Abs. 6 VVG aF) geregelt, welche Folgen ein Rückstand des
Versicherungsnehmers mit Versicherungsprämien hat. Dass der Vertrag da-
nach unter Umständen ruht (§ 193 Abs. 6 Satz 4 VVG) beziehungsweise der
Versicherer das Ruhen der Leistungen feststellen konnte (§ 193 Abs. 6 Satz 2
VVG aF), und deshalb nur noch eingeschränkte Leistungspflichten des Versi-
cherers bestehen (vgl. § 193 Abs. 7 VVG beziehungsweise § 193 Abs. 6 Satz 6
VVG aF; zum Übergangsrecht Art. 7 EGVVG), ist das Ergebnis der gesetzgebe-
rischen Interessenabwägung zum Schutz des säumigen Versicherungsnehmers
(vgl. BT-Drucks. 17/13079 S. 6). Diese Regelung gibt jedoch keinen Grund,
Zahlungen auf Versicherungsprämien von den allgemein geltenden Regeln der
Insolvenzanfechtung auszunehmen. Entgegen der Revisionserwiderung stellt
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§ 193 VVG Ansprüche des Versicherers auf rückständige Versicherungsprä-
mien nicht insolvenzfrei. Insbesondere verschafft die Norm einem Versicherer,
dessen Ansprüche auf (rückständige) Versicherungsprämien lediglich einfache
Insolvenzforderungen darstellen, in der Insolvenz des Versicherungsnehmers
keine Stellung eines bevorzugten Gläubigers.
Hierfür besteht auch kein Bedarf. Vielmehr kann ein Versicherungsneh-
mer die Versicherungsprämien entweder im Rahmen eines Bargeschäfts (§ 142
InsO) zahlen oder aber aus pfändungsfreiem und damit nicht dem Insolvenzbe-
schlag unterliegendem Vermögen, insbesondere von einem Pfändungsschutz-
konto (§ 850k ZPO). Damit ist er in der Lage, anfechtungsfest seinen bestehen-
den Krankenversicherungsschutz zu wahren. Ein darüber hinausgehender
Schutz des Versicherers widerspricht dem Grundsatz der Gläubigergleichbe-
handlung. Entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffas-
sung der Revisionsbeklagten liegt darin keine verfassungswidrige Ungleichbe-
handlung gegenüber Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung.
2. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 1 ZPO). Ob
die Anfechtungsklage begründet ist, kann auf der Grundlage der Feststellungen
des Berufungsgerichts nicht entschieden werden.
Zwar sind die Voraussetzungen des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfüllt. Die
Zahlung erfolgte nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Sie
war inkongruent, weil die Beklagte sie innerhalb des Dreimonatszeitraums im
Wege der - unmittelbar bevorstehenden - Zwangsvollstreckung erlangte (BGH,
Urteil vom 11. April 2002 - IX ZR 211/01, WM 2002, 1193, 1194 unter II. 2. c.;
vom 22. Januar 2004 - IX ZR 39/03, BGHZ 157, 350, 353 mwN).
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Jedoch steht nicht fest, ob die Zahlung die Gläubiger gemäß § 129
Abs. 1 InsO benachteiligt hat. Daran fehlt es, wenn die Zahlung aus insolvenz-
freiem Vermögen des Schuldners erfolgte. Befriedigt der Schuldner einen Gläu-
biger durch eine Verfügung über unpfändbare Gegenstände, ist diese Verfü-
gung mangels Gläubigerbenachteiligung nicht anfechtbar, weil diese Gegen-
stände von vornherein nicht zur Insolvenzmasse im Sinne der §§ 35, 36 InsO
gehören (MünchKomm-InsO/Kayser, 3. Aufl., § 129 Rn. 84 mwN; Schmidt/
K. Schmidt, InsO, 19. Aufl., § 129 Rn. 52). Deshalb kann es an einer Gläubiger-
benachteiligung fehlen, wenn der Schuldner die Versicherungsprämie für sei-
nen privaten Krankenversicherungsvertrag aus unpfändbarem Vermögen zahlt.
Im Streitfall hat das Berufungsgericht festgestellt, dass der Schuldner im Rah-
men der Zwangsvollstreckung 300
€ in bar an den Gerichtsvollzieher zahlte.
Insoweit kommt eine Unpfändbarkeit nach § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO in Betracht.
Nachdem es bisher auf diesen Gesichtspunkt nicht ankam, ist den Parteien
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hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme und zu ergänzendem Sachvortrag zu
gewähren.
Kayser
Gehrlein
Grupp
Möhring
Schoppmeyer
Vorinstanzen:
AG Köln, Entscheidung vom 10.12.2014 - 118 C 412/14 -
LG Köln, Entscheidung vom 01.07.2015 - 23 S 26/14 -