Urteil des BGH vom 09.10.2014

Leitsatzentscheidung zu Verwalter, Überwachung, Erste Gläubigerversammlung, Festschrift, Ungerechtfertigte Bereicherung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I X Z R 1 4 0 / 1 1
Verkündet am:
9. Oktober 2014
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
InsO §§ 69, 71, 92, 149; ZPO § 287
a) Im Hinblick auf die Prüfung von Geldverkehr und -bestand besteht die Pflicht der
Mitglieder des Gläubigerausschusses darin, eine mit der Prüfung zu betrauende
Person sorgfältig auszuwählen und zu überwachen.
b) In welchen zeitlichen Abständen der Gläubigerausschuss Geldverkehr und -
bestand des Insolvenzverwalters prüfen muss, ist eine tatrichterlicher Würdigung
unterliegende Frage der Umstände des jeweiligen Einzelfalls; erforderlich ist je-
denfalls der unverzügliche Beginn der Prüfung nach Übernahme des Amts.
c) Geldverkehr und -bestand sind so zu prüfen, dass eine zuverlässige Beurteilung
des Verwalterhandelns möglich ist.
d) Hat die Gläubigerversammlung die Hinterlegungs- und Betriebskonten bestimmt,
die der Verwalter zu führen hat, darf dieser hiervon nicht abweichen; der Gläubi-
gerausschuss darf eine Abweichung nicht dulden.
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e) Grundsätzlich streitet ein Anscheinsbeweis dafür, dass es ein Insolvenzverwalter
bei sorgfältiger Überwachung nicht wagt, sich durch strafbare Handlungen an den
ihm anvertrauten Werten zu vergreifen (Festhaltung an BGH, Urteil vom 11. De-
zember 1967 - VII ZR 139/65, BGHZ 49, 121, 123 f; vom 11. November 1993 - IX
ZR 35/93, BGHZ 124, 86, 94, 98).
f) § 71 InsO schützt nur Insolvenzgläubiger und Absonderungsberechtigte, nicht da-
gegen Massegläubiger und Aussonderungsberechtigte; für Absonderungsberech-
tigte hat der Insolvenzverwalter nur insoweit eine Einziehungs- und Prozessfüh-
rungsbefugnis, als es um in die Insolvenzmasse fallende Übererlöse und Kosten-
pauschalen geht.
g) Erwirkt der Insolvenzverwalter in Ausübung seiner Einziehungs- und Prozessfüh-
rungsbefugnis aus § 92 InsO eine Schadensersatzleistung nach § 71 InsO, darf
diese nur zur Befriedigung der anspruchsberechtigten absonderungsberechtigten
Gläubiger und Insolvenzgläubiger verwandt werden. Die Kosten der Einziehung
sind vor der Verteilung abzuziehen.
BGH, Urteil vom 9. Oktober 2014 - IX ZR 140/11 - OLG Celle
LG Hannover
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 26. Juni 2014 durch die Richter Vill, Prof. Dr. Gehrlein, die Richterin
Lohmann, den Richter Dr. Pape und die Richterin Möhring
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Celle vom 7. September 2011 im Kostenpunkt
und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Klägers erkannt
worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 13. August 1999 noch
am selben Tag eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der M. AG,
in dem er mit Beschluss vom 30. Juni 2005 bestellt wurde. Zugleich entließ das
Insolvenzgericht den bisherigen Verwalter (nachfolgend: untreuer Verwalter)
aus dem Amt. Dieser hatte aus der Masse Gelder in Millionenhöhe veruntreut.
Er wurde unter anderem wegen dieser Veruntreuungen rechtskräftig zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Der Kläger nimmt die Beklag-
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ten als Mitglieder des Gläubigerausschusses oder als deren Rechtsnachfolger
auf Ersatz des durch die Veruntreuungen entstandenen Schadens in Anspruch,
den er auf rund 6,7 Millionen Euro beziffert. Außerdem begehrt er die Feststel-
lung ihrer Ersatzpflicht für weitere Schäden.
Zu Mitgliedern eines vom Insolvenzgericht vor der ersten Gläubigerver-
sammlung bestellten Gläubigerausschusses ernannte das Gericht den Rechts-
vorgänger der Beklagten zu 1 und die Beklagten zu 3 und 4. In der Sitzung die-
ses Ausschusses vom 23. August 1999 wurde der Beklagte zu 3 mit der Kas-
senprüfung betraut. Die erste Gläubigerversammlung vom 28. September 1999
wählte zusätzlich zu den bisherigen Mitgliedern den Beklagten zu 2 und die
Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 5 in den Gläubigerausschuss. Ferner be-
schloss die Gläubigerversammlung, dass ein von dem untreuen Verwalter ein-
gerichtetes Hinterlegungskonto sowie aus verfahrenstechnischen Gründen er-
öffnete Betriebskonten weitergeführt werden sollten. Der untreue Verwalter
wurde ermächtigt, über das Hinterlegungskonto und die Betriebskonten allein
zu verfügen. Eine erste Kassenprüfung nach § 69 InsO erfolgte am
1. November 2000. Beanstandungen ergaben sich keine. Unregelmäßigkeiten
hatte es zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegeben.
Gut zwei Wochen nach der ersten Kassenprüfung begann der untreue
Verwalter Gelder von dem Hinterlegungskonto auf von ihm eingerichtete Konten
bei anderen Banken zu verschieben, die (auch) nicht zu den Betriebskonten
gehörten, deren Weiterführung die Gläubigerversammlung beschlossen hatte.
Die erste Überweisung über 6 Millionen DM erfolgte am 16. November 2000.
Weitere Abflüsse vom Hinterlegungskonto waren am 13. Dezember 2000 (5,5
Millionen DM), 16. März 2001 (1,1 Millionen DM), 20. April 2001 (1,1 Millionen
DM), 29. August 2001 (1,6 Millionen DM), 23. November 2001 (220.000 DM)
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und am 28. Oktober 2002 (100.000
€) zu verzeichnen. Ein Teil dieser Gelder in
Höhe von 1.790.787,20 DM wurde dem Hinterlegungskonto später wieder zuge-
führt, der wesentliche Teil floss jedoch in eine von dem untreuen Verwalter zu-
sammen mit Mitgliedern seiner Familie in den 1990er Jahren gegründete Betei-
ligungsgesellschaft und ging für die Masse verloren. Dies deckten die weiteren,
von dem Beklagten zu 3 am 29. März 2001, 15. August 2002, 5. Juni 2003,
1. Juni 2004 und am 31. März 2005 durchgeführten Kassenprüfungen nicht auf;
erst infolge einer Selbstanzeige des untreuen Verwalters bei der Staatsanwalt-
schaft im Juni 2005 wurden die Vorgänge offenbar. Infolge eines Vergleichs mit
einer Bank erhielt der Kläger auf den Schaden 500.000
€. Noch vor der Bestel-
lung des Klägers zum Insolvenzverwalter waren von einer anderen Bank insge-
samt 1.383.000
€ auf das Hinterlegungskonto geflossen.
Der Kläger wirft den Mitgliedern des Gläubigerausschusses vor, mit den
Kassenprüfungen nicht rechtzeitig begonnen und diese sodann weder häufig
noch sorgfältig genug durchgeführt zu haben. Er macht einen Schaden geltend,
den er vornehmlich darauf stützt, ordnungsgemäß durchgeführte Prüfungen
hätten den untreuen Verwalter von den Veruntreuungen abgehalten. Unter An-
rechnung der vorgenannten Rück- und Zuflüsse verlangt er deshalb Ersatz aller
der Masse entzogenen Gelder (= 5.236.635,04
€) nebst entgangenen, auf dem
Hinterlegungskonto zu erwirtschaftenden Anlagezinsen, diese berechnet ab
dem
Zeitpunkt
des
jeweiligen
Abflusses
vom
Hinterlegungskonto
(= 1.437.993,82
€ bis zum 17. Dezember 2008). Hilfsweise ist der Kläger der
Auffassung, die Veruntreuungen hätten durch die vorzunehmenden Kassenprü-
fungen aufgedeckt und so der Schadenseintritt jedenfalls teilweise abgewendet
werden müssen.
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Das Landgericht hat der Klage teilweise in Höhe von rund 1,2 Millionen
Euro stattgegeben. Die Berufungen des Klägers und der Beklagten sind ohne
Erfolg geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Klä-
ger sein restliches Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils,
soweit zum Nachteil des Klägers erkannt worden ist, und zur Zurückverweisung
der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht meint, dem Kläger stehe ein Schadensersatzan-
spruch aus § 71 InsO zu. Hierzu hat es Folgendes ausgeführt:
Die Mitglieder des Gläubigerausschusses hätten sich eine beziehungs-
weise mehrere Pflichtverletzungen zuschulden kommen lassen. Die Pflichtwid-
rigkeiten des Beklagten zu 3 als gewähltem Kassenprüfer seien den übrigen
Mitgliedern zuzurechnen. Die vom Beklagten zu 3 durchzuführenden Kassen-
prüfungen seien nicht in dem gebotenen Abstand von drei Monaten, sondern in
zu großen Intervallen durchgeführt worden. Damit sei die erforderliche Dichte
der Kassenprüfungen nicht gegeben.
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Die Pflichtverletzungen seien allerdings nicht in vollem Umfang kausal für
den eingetretenen Schaden geworden. Grundsätzlich sei nach der Lebenser-
fahrung davon auszugehen, dass es ein Vermögensverwalter bei sorgfältiger
Überwachung nicht wage, sich durch strafbare Handlungen an den ihm anver-
trauten Werten zu vergreifen; dies stelle einen Anscheinsbeweis dar, den die
Beklagten nicht erschüttert hätten. Der Anscheinsbeweis gelte indes nicht für
solche Untreuehandlungen, die erstmals nach einer Kassenprüfung stattgefun-
den hätten, selbst wenn diese Prüfung bei ordnungsgemäßer Vorgehensweise
viel früher hätte stattfinden müssen und zu diesem Zeitpunkt schon die fünfte
Kassenprüfung geboten gewesen wäre.
Die Veruntreuungen hätten anlässlich der nächsten nach der Überwei-
sung vom 20. April 2001 gebotenen Kassenprüfung aufgedeckt werden müs-
sen. Es hätte auffallen müssen, dass diese Überweisung von 1,1 Millionen DM
auf ein bis dahin unbekanntes Kontokorrentkonto erfolgt sei. Dies hätte für den
Kassenprüfer Anlass geben müssen, nachzufassen. Dann wären bei der gebo-
tenen Sorgfalt die unberechtigten Abflüsse von diesem Konto und die weiteren
Verbindungen aufgefallen.
Ein Schaden sei nur in dem aus dem Tenor des landgerichtlichen Urteils
ersichtlichen Umfang entstanden. Zutreffend sei das Landgericht davon ausge-
gangen, dass selbst bei Aufdeckung der Veruntreuungen im Sommer 2001 der
bis dahin entstandene Schaden nicht hätte behoben werden können. Der un-
treue Verwalter sei nicht mehr in der Lage gewesen, die erfolgten Abhebungen
vom Hinterlegungskonto aus eigenen Mitteln auszugleichen. Hinsichtlich der
Überweisung vom 20. April 2001 in Höhe von 1,1 Millionen DM sei anzumerken,
dass es insoweit eine Rückzahlung auf das Hinterlegungskonto in einer diesen
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Betrag übersteigenden Höhe von 1,79 Millionen DM gegeben habe. Hier müsse
eine Verrechnung erfolgen. Auch die Abflüsse vom Hinterlegungskonto vom
23. November 2001 (220.000 DM) und vom 28. Oktober 2002 (100.000
€) seien
mit Rückflüssen zu verrechnen. Es verbleibe ein Schaden in dem vom Landge-
richt festgestellten Umfang von 1.165.548,38
€.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Mit der vom
Berufungsgericht gegebenen Begründung hätte der vom Kläger geltend ge-
machte weitergehende Schadensersatzanspruch aus § 71 InsO nicht verneint
werden dürfen.
1. Mit Recht hat das Berufungsgericht allerdings alle Beklagten für die
richtigen Klagegegner gehalten. Entgegen der Ansicht des Prozessbevollmäch-
tigten (auch) der Revisionsbeklagten zu 5 kommt es nicht darauf an, ob deren
Rechtsvorgängerin als Mitglied des Gläubigerausschusses in Ausübung eines
ihr anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt hat. Eine befreiende Haftungs-
übernahme durch den Staat beziehungsweise die entsprechende Anstellungs-
körperschaft gemäß Art. 34 Satz 1 GG würde sich allenfalls auf einen Anspruch
aus § 839 Abs. 1 BGB und die von diesem verdrängten deliktischen Haftungs-
tatbestände beziehen. Eine Haftung, die nicht durch § 839 BGB verdrängt wird,
besteht fort (vgl. Staudinger/Wöstmann, BGB, 2012, § 839 Rn. 34 ff; Palandt/
Sprau, BGB, 73. Aufl., § 839 Rn. 16).
Hier geht es um den Anspruch aus § 71 InsO und damit um eine Haftung
aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis (vgl. BGH, Urteil vom 11. November
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1993 - IX ZR 35/93, BGHZ 124, 86, 96), die gegebenenfalls neben die delikti-
sche Haftung tritt (vgl. Kübler in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2013, § 71 Rn. 21;
MünchKomm-InsO/Schmid-Burgk, 3. Aufl., § 71 Rn. 21; Uhlenbruck, InsO,
13. Aufl., § 71 Rn. 21; Pape in Pape/Uhländer, InsO, § 71 Rn. 2). Maßgeblich
für die Haftung aus § 71 InsO ist, wer Mitglied des Gläubigerausschusses ge-
worden ist. Dies war nach den von den Beklagten schon in der Berufungs-
instanz nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts die Rechtsvorgän-
gerin der Beklagten zu 5 persönlich.
2. Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben mehrfach, auf unter-
schiedliche Art und Weise und schuldhaft gegen die in § 69 InsO geregelten
Überwachungspflichten verstoßen. Dies hat das Berufungsgericht nur teilweise
erkannt.
a) Der Gläubigerausschuss ist ein selbständiges gesetzliches Organ im
Insolvenzverfahren. Durch ihn sollen der ständige Einfluss der beteiligten Gläu-
biger auf den Ablauf des Insolvenzverfahrens sichergestellt und so deren Inte-
ressen zur Geltung gebracht werden (BGH, Beschluss vom 1. März 2007
- IX ZB 47/06, ZInsO 2007, 444 Rn. 15). Hierzu erlegt § 69 Satz 1 InsO den
Mitgliedern des Gläubigerausschusses die Pflicht auf, den Insolvenzverwalter
bei seiner Geschäftsführung zu unterstützen und zu überwachen. Einzelne
Pflichten regelt § 69 Satz 2 InsO. Danach haben sich die Ausschussmitglieder
über den Gang der Geschäfte zu unterrichten sowie die Bücher und Geschäfts-
papiere einsehen und den Geldverkehr und -bestand prüfen zu lassen. Ein Ver-
stoß gegen diese Pflichten kann einen Schadensersatzanspruch aus § 71 InsO
begründen.
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Die § 69 InsO zu entnehmenden Pflichten treffen nicht den Gläubiger-
ausschuss als solchen, sondern die einzelnen Ausschussmitglieder (BGH, Be-
schluss vom 1. März 2007, aaO Rn. 11; vom 29. November 2007 - IX ZB
231/06, ZInsO 2008, 105 Rn. 6). Bei der Haftung aus § 71 InsO handelt es sich
um eine individuelle Haftung, die deshalb regelmäßig eine eigene Pflichtverlet-
zung des jeweiligen Ausschussmitglieds voraussetzt.
b) Besondere Bedeutung für die Überwachung der Geschäftsführung des
Insolvenzverwalters kommt der Prüfung von Geldverkehr und -bestand gemäß
§ 69 Satz 2 InsO zu. Was die Mitglieder des Gläubigerausschusses insoweit zur
ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Pflichten unternehmen müssen, ist höchst-
richterlich bislang ungeklärt. Es gelten die nachfolgenden Grundsätze:
aa) Dem Wortlaut der Vorschrift ("prüfen zu lassen") ist eindeutig zu ent-
nehmen, dass die Mitglieder des Gläubigerausschusses die Prüfung von Geld-
verkehr und -bestand nicht selbst vornehmen müssen. Nicht derart eindeutig
ergibt sich aus dem Wortlaut, welche Pflichten die Ausschussmitglieder insoweit
treffen. Denkbar ist zum einen, dass sie selbst zur Prüfung von Geldverkehr
und -bestand verpflichtet und lediglich berechtigt sind, mit der Erfüllung dieser
Pflicht einen Dritten zu betrauen (so wohl MünchKomm-InsO/Schmid-Burgk,
3. Aufl., § 69 Rn. 18; Schmidt/Jungmann, InsO, 18. Aufl., § 69 Rn. 21 ff; wohl
auch Ganter in Festschrift Fischer, 2008, S. 121, 133). Die Pflicht der Aus-
schussmitglieder kann sich aber auch darauf beschränken, eine mit der Prüfung
zu betrauende Person sorgfältig auszuwählen und diese zu überwachen (vgl.
Pape in Pape/Uhländer, InsO, § 69 Rn. 10).
Richtig ist Letzteres. Es besteht keine originäre Pflicht der Ausschuss-
mitglieder, die Prüfung von Geldverkehr und -bestand selbst vorzunehmen.
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Dies steht ihnen frei. Verpflichtet sind sie hierzu nicht. Die mit der Prüfung be-
traute Person wird daher nicht in Erfüllung einer Pflicht der (übrigen) Mitglieder
des Gläubigerausschusses tätig; eine Zurechnung fremden Verschuldens nach
§ 278 BGB kommt nicht in Betracht (HmbKomm-InsO/Frind, 4. Aufl., § 71 Rn. 4;
FK-InsO/Schmitt, 7. Aufl., § 71 Rn. 6; aA MünchKomm-InsO/Schmid-Burgk,
aaO § 71 Rn. 16; Schmidt/Jungmann, InsO, aaO § 71 Rn. 15 f; Kübler in Küb-
ler/Prütting/Bork, InsO, 2013, § 71 Rn. 15 f; Ganter in Festschrift Fischer, aaO
S. 132 ff). Allerdings müssen sich die Mitglieder des Gläubigerausschusses um
die Durchführung der Prüfungen sowie um deren Ergebnis kümmern (RGZ 150,
286, 287; zu § 88 Abs. 2 KO). Daher obliegt es ihnen zunächst, unverzüglich
und sorgfältig die Person auszuwählen, welche die Prüfungen vornehmen soll.
Sodann haben die Ausschussmitglieder sicherzustellen, dass die Person die
Prüfungen in zeitlicher Hinsicht ordnungsgemäß durchführt (vgl. Pape in Pa-
pe/Uhländer, aaO). Über die Ergebnisse der Prüfungen haben sie sich unter-
richten zu lassen und sich zu vergewissern, dass die Prüfungen den an derarti-
ge Kontrollen zu stellenden Anforderungen entsprechen (BGH, Urteil vom
27. April 1978 - VII ZR 31/76, BGHZ 71, 253, 256 f; zu § 88 KO). Dies folgt aus
der Gesetzgebungsgeschichte und dem in den Gesetzesbegründungen zutage
getretenen Willen des Gesetzgebers. Der eingeschränkte Pflichtenkreis der
Mitglieder des Gläubigerausschusses führt zudem zu einer sachgerechten Be-
grenzung ihres Haftungsrisikos.
(1) Vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung verpflichtete § 88 Abs. 2
Satz 2 KO den Gläubigerausschuss dazu, "die Untersuchung der Kasse des
Verwalters wenigstens einmal in jedem Monat durch ein Mitglied vornehmen zu
lassen". Das Mitglied war entsprechend zu beauftragen und der Hinterlegungs-
stelle namhaft zu machen (Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Aufl., § 88 Rn. 2 a). Die
übrigen Mitglieder des Gläubigerausschusses waren lediglich verpflichtet, sich
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um die Vornahme der Prüfung und deren Ergebnis zu kümmern (Kilger/
Schmidt, KO, 17. Aufl., § 88 unter Ziff. 2; Jaeger/Weber, KO, 8. Aufl., § 88
Rn. 4; Kuhn/Uhlenbruck, aaO). Über dieses hatten sich die Ausschussmitglie-
der zu unterrichten. Ferner hatten sie sich zu vergewissern, dass die erfolgte
Prüfung den an eine derartige Prüfung zu stellenden Anforderungen entsprach
(BGH, Urteil vom 27. April 1978, aaO; Kilger/Schmidt, aaO, § 89 unter Ziff. 1;
Jaeger/Weber, aaO § 88 Rn. 4; Kuhn/Uhlenbruck, aaO). Anknüpfungspunkt für
eine Haftung der übrigen, nicht mit der Kassenprüfung betrauten Mitglieder des
Gläubigerausschusses war demnach stets die Verletzung eigener Pflichten
(RGZ 150, aaO; BGH, Urteil vom 27. April 1978, aaO). Wird aber das mit der
Kassenprüfung befasste Ausschussmitglied nicht (auch) in Erfüllung einer den
übrigen Mitgliedern obliegenden Pflicht tätig, scheidet eine Zurechnung seines
Verschuldens gemäß § 278 BGB von vornherein aus.
Die Vorschrift des § 88 Abs. 2 Satz 2 KO und die zu ihr ergangene
höchstrichterliche Rechtsprechung standen zum Ende ihrer Anwendungszeit in
der Kritik. Angesichts der Entwicklung des modernen Rechnungswesens wurde
bezweifelt, ob die bisherigen Grundsätze noch uneingeschränkt Geltung bean-
spruchen könnten. Vor allem im Konkurs von Großunternehmen sei eine ord-
nungsgemäße Überwachung im hergebrachten Sinne nicht mehr möglich, wenn
nicht ein oder mehrere Mitglieder des Gläubigerausschusses dauernd abgestellt
werden sollten, um Kontrollen durchzuführen. Im Einzelfall könne es sogar ge-
rechtfertigt sein, auf Kosten der Masse einen Wirtschaftsprüfer oder ein Wirt-
schaftsprüferunternehmen mit einzelnen Prüfungstätigkeiten zu beauftragen
(Kuhn/Uhlenbruck, aaO Rn. 2 b mwN).
(2) Mit § 69 Satz 2 InsO hat der Gesetzgeber sowohl an die Vorschrift
des § 88 Abs. 2 Satz 2 KO als auch an die insoweit geäußerte Kritik ange-
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knüpft. Nach § 80 Abs. 3 des Regierungsentwurfs sollte der Gläubigeraus-
schuss verpflichtet sein, wenigstens einmal in jedem Vierteljahr die Kasse des
Verwalters prüfen zu lassen (BT-Drucks. 12/2443 S. 21). Die Pflicht zur Kas-
senprüfung sollte damit flexibler gestaltet werden: Die Prüfung brauche nicht
mehr einmal in jedem Monat, sondern nur einmal in jedem Vierteljahr vorge-
nommen zu werden, und sie brauche nicht durch ein Mitglied des Gläubiger-
ausschusses persönlich zu erfolgen, sondern könne einem sachverständigen
Dritten übertragen werden. Praktische Schwierigkeiten, die bei der Handhabung
der konkursrechtlichen Bestimmung aufgetreten seien, sollten damit für die Zu-
kunft vermieden werden (BT-Drucks. 12/2443 S. 132). Eine Erweiterung der
Pflichten der Mitglieder des Gläubigerausschusses sollte damit nicht verbunden
sein; vielmehr sollten die Ausschussmitglieder bei der Erfüllung ihrer in enger
Anlehnung an die Vorgängervorschrift des § 88 KO geregelten Pflichten (vgl.
BT-Drucks. 12/2442, aaO) sogar freier gestellt werden. Nach wie vor haben
also die Mitglieder des Gläubigerausschusses die Kasse des Insolvenzverwal-
ters nicht selbst zu prüfen, sondern lediglich prüfen zu lassen. Der Gesetzgeber
hat erkannt, dass die Entwicklung hin zu einem modernen Rechnungswesen
das unter der Geltung der Konkursordnung mit der Kassenprüfung zu betrau-
ende Ausschussmitglied insbesondere in der Insolvenz größerer Unternehmen
überfordern kann. Er hat deshalb vorgesehen, dass auch ein sachverständiger
Dritter eingeschaltet werden kann. Mit diesem Regelungsziel stünde es in Wi-
derspruch anzunehmen, der Gesetzgeber habe nunmehr alle Mitglieder des
Gläubigerausschusses originär selbst zur Vornahme der Kassenprüfung ver-
pflichten wollen.
Die im Regierungsentwurf vorgesehene Regelung findet sich im Wesent-
lichen in § 69 Satz 2 InsO. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren ist nur noch
die Frist von einem Vierteljahr gestrichen worden, um eine dem Einzelfall ange-
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passte Handhabung zu ermöglichen (BT-Drucks. 12/7302 S. 163). Die Anknüp-
fung an Geldverkehr und -bestand statt an die Kasse des Verwalters berück-
sichtigt - ohne Einfluss auf die Pflichten der Ausschussmitglieder - den moder-
nen Zahlungsverkehr. Es ist daher an die zu § 88 Abs. 2 Satz 2 KO ergangene
Rechtsprechung anzuknüpfen, welche stets auf eine eigene Pflichtverletzung
der übrigen Mitglieder des Gläubigerausschusses abgestellt und nicht etwa die
Pflichtverletzung des mit der Kassenprüfung betrauten Ausschussmitglieds zu-
gerechnet hat (RGZ 150, aaO; BGH, Urteil vom 27. April 1978, aaO). Etwas
anderes kann auch dann nicht gelten, wenn von der nach § 69 Satz 2 InsO be-
stehenden Möglichkeit, einen Dritten zu beauftragen, Gebrauch gemacht wird.
Mit Blick auf die Pflichten der Ausschussmitglieder kann es keinen Unterschied
bedeuten, ob diese ein Mitglied oder einen externen Dritten mit der Prüfung be-
auftragen. Wird ein Mitglied betraut, so haftet dieses für Fehler bei der Kassen-
prüfung ebenso nach § 71 InsO, wie die übrigen Mitglieder für ein etwaiges
Auswahl- und Überwachungsverschulden.
(3) Die Beschränkung der Pflichten der nicht mit der Prüfung von Geld-
verkehr und -bestand betrauten Mitglieder des Gläubigerausschusses ist sach-
gerecht. Eine effektive Kontrolle des Insolvenzverwalters liegt im Interesse der
Gläubiger. Die Aufsichtspflicht des Insolvenzgerichts vermag diesem Interesse
nicht vollständig gerecht zu werden; sie ist keine permanente oder vorbeugende
Pflicht, und oft wird das Insolvenzgericht praktisch nicht mehr leisten können,
als die Rechtmäßigkeit des Verfahrens zu überwachen (Ganter in Festschrift
Fischer, 2008, S. 121; vgl. auch Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 58 Rn. 5; Hmb-
Komm-InsO/Frind, 4. Aufl., § 71 Rn. 2). Vor diesem Hintergrund ist eine weiter-
gehende Kontrolle des Verwalterhandelns durch den Gläubigerausschuss ge-
boten. Die Mitgliedschaft im Ausschuss darf allerdings nicht mit übermäßigen
Risiken behaftet sein, um die Bereitschaft zur Übernahme eines solchen Amtes
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nicht zu beeinträchtigen. Ein übermäßiges Haftungsrisiko wäre die Zurechnung
des Verschuldens des mit der Kassenprüfung betrauten Ausschussmitgliedes
oder Dritten. Die Haftung gemäß § 71 InsO soll die Ausschussmitglieder zur
sorgfältigen Pflichterfüllung anhalten, nicht aber zum "Ausfallbürgen" für unge-
treue Insolvenzverwalter machen (Ganter in Festschrift Fischer, aaO S. 122).
bb) In welchen zeitlichen Abständen Geldverkehr und -bestand durch die
damit betraute Person zu prüfen sind, ist eine Frage der Umstände des jeweili-
gen Einzelfalls (vgl. MünchKomm-InsO/Schmid-Burgk, 3. Aufl., § 69 Rn. 18;
Pape in Pape/Uhländer, InsO, § 69 Rn. 15; Kübler in Kübler/Prütting/Bork, InsO,
2012, § 69 Rn. 26; Graf-Schlicker/Pöhlmann/Kubusch, 4. Aufl., § 69 Rn. 16;
Schmidt/Jungmann, InsO, 18. Aufl., § 69 Rn. 23; Ganter in Festschrift Fischer,
aaO S. 125; Gundlach/Frenzel/Jahn, ZInsO 2009, 1095, 1098), deren Würdi-
gung dem Tatrichter obliegt. Grundsätzlich muss die Überwachung des Insol-
venzverwalters während der gesamten Dauer des Insolvenzverfahrens gewähr-
leistet sein. In jedem Verfahren ist deshalb mit der Prüfung unverzüglich zu be-
ginnen (vgl. Kübler in Kübler/Prütting/Bork, aaO § 69 Rn. 28; Pape/Uhländer,
aaO § 69 Rn. 14; Schmidt/Jungmann, aaO § 69 Rn. 23; Lind in Ahrens/
Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2. Aufl., § 69 Rn. 6). Im weiteren Verlauf des Ver-
fahrens können etwa dessen Stand, die Anzahl der Kontobewegungen oder der
Umstand einer Betriebsfortführung von Einfluss auf die Länge der Prüfungsin-
tervalle sein (vgl. Ganter in Festschrift Fischer, aaO; Gundlach/Frenzel/Jahn,
ZInsO 2009, 902, 905). Treten Ungereimtheiten auf, sind die Prüfungsabstände
zu verkürzen (Pape in Pape/Uhländer, InsO, § 69 Rn. 16). Stets ist im Blick zu
behalten, dass die Prüfung von Geldverkehr und -bestand auch die Veruntreu-
ung von Massegeldern verhindern soll und eine solche unabhängig von den
genannten Umständen jederzeit verübt werden kann (Gundlach/Frenzel/Jahn,
ZInsO 2009, 1095, 1098).
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cc) Am Zweck der Prüfungspflicht hat sich auch die Prüfungsintensität zu
orientieren. Die von § 69 InsO geforderte Überwachung des Insolvenzverwal-
ters ist grundsätzlich nur dann gewährleistet, wenn Geldverkehr und -bestand
so geprüft werden, dass eine zuverlässige Beurteilung des Verwalterhandelns
möglich ist. Dies kann es erforderlich machen, alle Kontenbewegungen mit den
dahinter stehenden Geschäftsvorfällen durch Einsicht in die entsprechenden
Belege nachzuvollziehen (MünchKomm-InsO/Schmid/Burgk, aaO § 69 Rn. 18;
Pape in Pape/Uhländer, aaO § 69 Rn. 14 ff; Ganter in Festschrift Fischer, aaO
S. 124 ff). Insbesondere dann, wenn es sich bei den Belegen um Eigenbelege
des Verwalters handelt, gebietet es die Überwachungspflicht, sich durch geeig-
nete Maßnahmen von der inhaltlichen Richtigkeit der Belege zu überzeugen
(HmbKomm-InsO/Frind, 4. Aufl., § 69 Rn. 4). Die mit der Kassenprüfung betrau-
te Person darf sich nicht allein auf die Angaben des Verwalters verlassen (BGH,
Urteil vom 27. April 1978 - VII ZR 31/76, BGHZ 71, 253, 256; Graf-Schlicker/
Pöhlmann/Kubusch, aaO § 69 Rn. 12; Kübler in Kübler/Prütting/Bork, aaO § 69
Rn. 18). Begegnet die Belegführung Zweifeln - etwa weil der Verwalter nur Ei-
genbelege vorlegt oder die angelegten Gelder aufgrund unklarer Bezeichnun-
gen des Kontos nicht eindeutig dem jeweiligen Insolvenzverfahren zuzuordnen
sind - oder hat der Verwalter Gelder auf Konten transferiert, die nicht als Hinter-
legungsstelle bestimmt sind, haben die Ausschussmitglieder sofortige Nachfor-
schungen anzustellen und eine vollständige Überprüfung des Geldverkehrs
vorzunehmen oder vornehmen zu lassen (vgl. OLG Celle, ZInsO 2010, 1233,
1237; Kübler in Kübler/Prütting/Bork, aaO § 69 Rn. 28). Hierzu werden in Zwei-
felsfällen auch die Konten einzusehen und bei dem Geldinstitut nach dem Vor-
handensein der dort angeblich angelegten Gelder zu forschen sein. Verschiebt
der Verwalter Beträge auf Poolkonten, auf denen eine Zuordnung zum einzel-
nen Verfahren und eine gesonderte Kontenführung für jedes Verfahren nicht
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- 17 -
mehr gewährleistet ist, müssen die Ausschussmitglieder unverzüglich einschrei-
ten (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2013 - IX ZR 109/10, ZInsO 2013, 986
Rn. 3).
Einschränkungen der grundsätzlich geschuldeten Prüfungsintensität
können sich aus den Umständen des Einzelfalls ergeben. Eine lückenlose
Überwachung muss zumutbar sein, was - wenn keine besonderen Verdachts-
momente eingreifen - bei einem außergewöhnlich hohen Belegaufkommen
zweifelhaft erscheinen kann. Wegen der Möglichkeit, mit der Prüfung von Geld-
verkehr und -bestand einen sachverständigen Dritten zu betrauen, muss hier
jedoch ein strenger Maßstab angelegt werden (vgl. Pape in Pape/Uhländer,
aaO § 69 Rn. 15; Ganter in Festschrift Fischer, aaO S. 126).
dd) Auf einen festgestellten Verstoß haben alle Mitglieder des Gläubiger-
ausschusses unverzüglich und angemessen zu reagieren, nicht etwa nur der
mit der Kassenprüfung betraute Dritte. Dessen Aufgabe ist es, den Ausschuss-
mitgliedern das erforderliche Wissen zu vermitteln. Handelt es sich um einen
geringfügigen Verstoß, der das Vertrauen in den Verwalter unzweifelhaft nicht
insgesamt in Frage stellt, reicht es aus, den Verstoß zu rügen und (erforderli-
chenfalls) Abhilfe zu fordern. An das Insolvenzgericht muss ein solcher Verstoß
nur berichtet werden, wenn die Abhilfe nicht kurzfristig erfolgt (vgl. BGH, Be-
schluss vom 21. März 2013, aaO). Nicht nur geringfügige Verstöße sind regel-
mäßig sogleich dem Insolvenzgericht zu melden.
c) Den vorstehenden Anforderungen genügte die von dem Beklagten zu
3 als gewähltem Kassenprüfer entfaltete Prüfungstätigkeit nicht. Auch die übri-
gen Mitglieder des Gläubigerausschusses haben ihre Pflichten verletzt.
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aa) Die zeitliche Ausgestaltung der durch den Beklagten zu 3 vorge-
nommenen Kassenprüfungen war pflichtwidrig. Dies hat das Berufungsgericht
mit Recht erkannt. Die erste Prüfung erfolgte ohne ersichtlichen Grund erst über
ein Jahr nach der Wahl zum Kassenprüfer und damit nicht unverzüglich. Trotz
des späten Zeitpunkts der ersten Prüfung erfasste diese nicht einmal den ge-
samten zurückliegenden Zeitraum. Geldverkehr und -bestand während der letz-
ten vier Monate vor der Prüfung blieben weiterhin unbeachtet. Die weiteren Prü-
fungen fanden in Abständen zwischen knapp fünf und gut 16 Monaten statt.
Dies entsprach nicht dem vom Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu
beanstandender Weise als notwendig festgestellten Prüfungsintervall von drei
Monaten. Darin liegt zugleich eine Pflichtverletzung der übrigen Mitglieder des
Gläubigerausschusses. Sie hätten sich versichern müssen, dass der Beklagte
zu 3 die Kassenprüfungen in zeitlicher Hinsicht ordnungsgemäß durchführte.
Nötigenfalls hätten sie den Beklagten zu 3 von seiner Aufgabe entbinden und
eine andere Person mit der Prüfung betrauen müssen.
bb) Anlässlich der zweiten Kassenprüfung vom 29. März 2001 stellte der
Beklagte zu 3 fest, dass sich 11,5 Millionen DM auf einem Konto befanden, bei
dem es sich weder um das Hinterlegungskonto noch um eines der Betriebskon-
ten handelte, deren Weiterführung die erste Gläubigerversammlung beschlos-
sen hatte. Diesem Verstoß gegen § 149 Abs. 1 Satz 1 InsO hätten der Beklagte
zu 3 und die übrigen Mitglieder des Gläubigerausschusses unverzüglich und
angemessen begegnen müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2013,
aaO). Dass sie dies unterlassen haben, stellt einen weiteren Pflichtverstoß dar
und kann nicht etwa als schlüssige Bestimmung eines anderen Hinterlegungs-
kontos gebilligt werden. Hierzu waren die Mitglieder des Gläubigerausschusses
nicht berechtigt, nachdem die Gläubigerversammlung von ihrem aus § 149
Abs. 3 InsO aF (= § 149 Abs. 2 InsO) folgenden originären Bestimmungsrecht
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Gebrauch gemacht hatte (vgl. MünchKomm-InsO/Füchsl/Weishäupl/Jaffé,
3. Aufl., § 149 Rn. 10; Lind in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2. Aufl., § 149
Rn. 11 f).
cc) Die dritte Kassenprüfung vom 15. August 2002 erfolgte offenkundig
nicht mit der gebotenen Sorgfalt. Das entsprechende Protokoll weist ein Fest-
geldguthaben in Höhe von über 6,5 Millionen Euro bei der Bank aus, ob-
wohl das Guthaben nicht mehr bestand. Bereits im Juni 2001 war mit dem
Festgeldguthaben ein zu verfahrensfremden Zwecken aufgenommener Konto-
korrentkredit in Höhe knapp 10 Millionen DM getilgt worden. Von dem Restgut-
haben in Höhe von 1,79 Millionen DM hatte der untreue Verwalter im August
2001 1,6 Millionen DM über ein Schweizer Bankkonto "auf die Seite gebracht".
Dies hätte dem Beklagten zu 3 bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen
und gewissenhaften, mit der Prüfung von Geldverkehr und -bestand betrauten
Gläubigerausschussmitglieds (vgl. Pape in Pape/Uhländer, InsO, § 71 Rn. 11;
Schmidt/Jungmann, InsO, 18. Aufl., § 71 Rn. 12; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl.,
§ 71 Rn. 8) auffallen müssen.
Auch im Blick auf diese Kassenprüfung mussten sich die übrigen Mitglie-
der des Gläubigerausschusses vergewissern, ob sie den an eine solche Prü-
fung zu stellenden Anforderungen entsprach. Hierfür konnte es keineswegs ge-
nügen, das insoweit gefertigte Protokoll einzusehen. Hinreichende Schlüsse
ließen sich aus diesem nicht ziehen. Es spricht einiges dafür, dass die übrigen
Ausschussmitglieder den Sorgfaltsverstoß des Beklagten zu 3 hätten erkennen
müssen, wenn sie sich ausreichend vergewissert hätten. Ihre Haftung folgt je-
denfalls schon aus den übrigen Pflichtverletzungen, für die auch die beklagten
Rechtsnachfolger einzustehen haben.
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3. Mit dem Hauptvorbringen des Klägers ist davon auszugehen, dass
ordnungsgemäß durchgeführte Prüfungen den untreuen Verwalter von den
Veruntreuungen abgehalten hätten.
a) Mit Recht hat das Berufungsgericht erkannt, dass eine Beweiserleich-
terung für den Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Scha-
den in Form eines Anscheinsbeweises bestehen kann. Nach der Lebenserfah-
rung ist davon auszugehen, dass ein Vermögensverwalter es bei sorgfältiger
Überwachung nicht wagt, sich durch strafbare Handlungen an den ihm anver-
trauten Werten zu vergreifen (BGH, Urteil vom 11. Dezember 1967 - VII ZR
139/65, BGHZ 49, 121, 123 f mwN; vom 11. November 1993 - IX ZR 35/93,
BGHZ 124, 86, 94, 98; Beschluss vom 21. März 2013 - IX ZR 109/10, ZInsO
2013, 986 Rn. 2 f; Pape in Pape/Uhländer, InsO, § 71 Rn. 13; Ganter in Fest-
schrift Fischer, 2008, S. 121, 130 f; aA wohl Uhlenbruck InsO, aaO § 71 Rn. 14,
16). Eingreifen kann der Anscheinsbeweis demnach dann, wenn den Mitglie-
dern des Gläubigerausschusses vorgeworfen wird, durch eine mangelhafte
Überwachung des Verwalters Veruntreuungen nicht verhindert zu haben. Da-
von zu unterscheiden ist der Vorwurf, Veruntreuungen von Massegegenständen
seien nicht (rechtzeitig) aufgedeckt worden.
b) Der Anscheinsbeweis gilt aber nicht uneingeschränkt. Insbesondere
vermag nicht jede Verletzung der in § 69 InsO geregelten Überwachungspflich-
ten den Anscheinsbeweis zu begründen. Erforderlich ist vielmehr ein solcher
Verstoß, der aus der Sicht des Verwalters die Erwartung gerechtfertigt erschei-
nen lässt, eine Veruntreuung würde nicht alsbald aufgedeckt. Es reicht aus,
dass durch den Verstoß zum Ausdruck gebracht wird, die Mitglieder des Gläu-
bigerausschusses nähmen es mit der Überwachung im Allgemeinen nicht so
genau.
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Der Anscheinsbeweis versagt, wenn der Verwalter in der Erwartung han-
delt, die Veruntreuung würde auch durch eine den Anforderungen des § 69
InsO genügende Überwachung nicht entdeckt werden können. In diesem Fall
hätte es auf die Veruntreuung durch den Verwalter keinen Einfluss, ob die
Gläubigerausschussmitglieder ihrer Pflicht zur ordnungsgemäßen Überwa-
chung nachkommen. Der Verwalter ließe sich auch bei Einhaltung der ange-
messenen Prüfungsintervalle und -intensität nicht von der Veruntreuung der
Masse abhalten. Weiterhin kann der Anscheinsbeweis nicht eingreifen, wenn
der Verwalter zwar zeitweise nicht ordnungsgemäß überwacht wurde, die Ver-
untreuung jedoch erst zu einem Zeitpunkt begangen wird, in dem die Überwa-
chung wieder den Anforderungen entsprach (vgl. Ganter in Festschrift Fischer,
aaO) und dies auch für die Zukunft zu erwarten war.
c) Nach diesen Grundsätzen spricht im Streitfall der Beweis des ersten
Anscheins dafür, dass der untreue Verwalter die Gelder auf dem Hinterle-
gungskonto unangetastet gelassen hätte, wenn er ordnungsgemäß überwacht
worden wäre.
Die oben unter 1. c) aa) und bb) aufgeführten Pflichtverstöße rechtfertig-
ten aus der Sicht des untreuen Verwalters die Erwartung, Veruntreuungen wür-
de nicht alsbald aufgedeckt. Dadurch, dass mit der Prüfung von Geldverkehr
und -bestand weder unverzüglich begonnen noch die erforderlichen Prüfungsin-
tervalle eingehalten wurden, brachten der Beklagte zu 3 und die übrigen Mit-
glieder des Gläubigerausschusses zum Ausdruck, dass man es mit der Über-
wachung des untreuen Verwalters nicht so genau nehme. Zudem bestand die
Aussicht, dass die jeweils nächste Prüfung auch nicht rechtzeitig und sorgfältig
erfolgen würde und (auch) deshalb Handlungsspielraum für Veruntreuungen
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bestehe. Die Erwartung war bereits im Zeitpunkt der ersten Überweisungen
vom Hinterlegungskonto über 6 Millionen DM am 16. November 2000, über 5,5
Millionen DM am 13. Dezember 2000 und über 1,1 Millionen DM am 16. März
2001 begründet. Ohne schuldhaftes Zögern hätte mit der Prüfung von Geldver-
kehr und -bestand spätestens zwei Wochen nach der ersten Gläubigerver-
sammlung vom 28. September 1999, in der die Mitglieder des Gläubigeraus-
schusses in ihrem Amt bestätigt und die weiteren Mitglieder gewählt worden
waren, begonnen werden müssen. Zu den vorgenannten Zeitpunkten hätten
demnach bei ordnungsgemäßer Überwachung fünf Prüfungen stattgefunden
haben müssen. Tatsächlich war nur die Kassenprüfung vom 1. November 2000
erfolgt, die noch nicht einmal die gesamte bis dahin vergangene Zeit erfasste.
Schon deshalb kann nicht angenommen werden, dass die Überwachung des
untreuen Verwalters nach dem 1. November 2000 (zunächst) den Anforderun-
gen entsprochen habe.
Durch die weitere Kassenprüfung vom 29. März 2001 wurde die Erwar-
tung, Veruntreuungen würden nicht alsbald aufgedeckt, noch verstärkt, weil der
festgestellte Verstoß gegen § 149 Abs. 1 Satz 1 InsO unbeanstandet blieb.
Dem ersten Anschein nach wären deshalb auch die nach diesen unzulängli-
chen Prüfungen erfolgten Überweisungen vom 20. April 2001 (1,1 Millionen
DM), 29. August 2001 (1,6 Millionen DM), 23. November 2001 (220.000 DM)
und 28. Oktober 2002 (100.000
€) verhindert worden. Da sämtliche veruntreu-
ten Gelder von dem den Mitgliedern des Gläubigerausschusses bekannten Hin-
terlegungskonto abgeflossen sind, wären die Vorgänge bei ordnungsgemäßer
Überwachung auch erkennbar gewesen. Es kann schließlich auch keine Rede
davon sein, dass der untreue Verwalter zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen der
Kassenprüfung vom 29. März 2001 und der letzten Überweisung vom 28. Okto-
ber 2002 ordnungsgemäß überwacht worden wäre. Erfolgt war in diesem Zeit-
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raum lediglich die sorgfaltswidrige Kassenprüfung vom 15. August 2002, die ein
tatsächlich nicht mehr vorhandenes Guthaben in Höhe von über 6,5 Millionen
Euro auf einem tatsächlich nicht mehr existenten Konto bescheinigte.
d) Der Anscheinsbeweis kann entkräftet werden durch die Darlegung und
erforderlichenfalls den Nachweis von Tatsachen, die für ein atypisches Verhal-
ten des untreuen Verwalters im Falle seiner ordnungsgemäßen Überwachung
durch die Mitglieder des Gläubigerausschusses sprechen (vgl. BGH, Urteil vom
5. Februar 1987 - I ZR 210/84, BGHZ 100, 31, 34 f; vom 13. März 2008 - IX ZR
136/07, WM 2008, 1560 Rn. 19; vom 10. Mai 2012 - IX ZR 125/10, BGHZ 193,
193 Rn. 36). Dies ist den Beklagten nicht gelungen. Nach den Feststellungen
des Berufungsgerichts findet ihre Behauptung, der untreue Verwalter sei ohne-
hin zur Veruntreuung erheblicher Finanzmittel bereit gewesen, im Sachverhalt
keine Stütze. Diese tatrichterliche Würdigung ist aus revisionsrechtlicher Sicht
nicht zu beanstanden. Es ist daher davon auszugehen, dass eine ordnungsge-
mäße Überwachung des untreuen Verwalters durch die Mitglieder des Gläubi-
gerausschusses alle streitbefangenen Veruntreuungen verhindert hätte.
4. Ob auch die übrigen Voraussetzungen des mit dem Hauptvorbringen
des Klägers geltend gemachten Schadensersatzanspruchs aus § 71 InsO vor-
liegen, kann anhand der bisher durch das Berufungsgericht getroffenen Fest-
stellungen nicht beurteilt werden.
Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 71 InsO sind die Mitglieder des
Gläubigerausschusses nur den absonderungsberechtigten Gläubigern und den
Insolvenzgläubigern zum Schadensersatz verpflichtet. Die Interessen der übri-
gen Beteiligten - namentlich des Schuldners und der Massegläubiger - sollen
nach dem Willen des Gesetzgebers durch den Pflichtenkreis des Insolvenzver-
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walters und die Aufsicht durch das Insolvenzgericht geschützt werden (BT-
Drucks. 12/2443 S. 132). Massegläubiger können ihre Ansprüche nicht auf § 71
InsO stützen. Es kann daher offenbleiben, ob und gegebenenfalls unter wel-
chen Voraussetzungen der (neu bestellte) Insolvenzverwalter nach § 92 InsO
auch zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen der Massegläubiger
berechtigt ist (vgl. BGH, Urteil vom 6. Mai 2004 - IX ZR 48/03, BGHZ 159, 104,
111 f; Beschluss vom 9. August 2006 - IX ZB 200/05, ZInsO 2006, 936 Rn. 7 f).
Soweit Absonderungsrechte beeinträchtigt worden sein sollten und es nicht um
in die Insolvenzmasse fallende Übererlöse oder verloren gegangene Kosten-
pauschalen (§§ 170, 171 InsO) ginge, fehlte dem Kläger im Übrigen die Einzie-
hungs- und Prozessführungsbefugnis (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 2011
- IX ZR 210/10, ZInsO 2011, 1453 Rn. 9 mwN).
Über die bereits rechtskräftig zuerkannten Ansprüche hinaus kann die
Klage deshalb nur insoweit Erfolg haben, als durch die Veruntreuungen die zur
Befriedigung der Insolvenzgläubiger zur Verfügung stehende Masse vermindert
worden ist. Der Schaden besteht in der Differenz zwischen der ohne die Verun-
treuungen anzunehmenden (Soll-)Quote und der aufgrund der noch vorhande-
nen Masse zu erwartenden (Ist-)Quote. Beträge, die auf vorrangig zu befriedi-
gende Gläubiger entfielen, stellen bei der Schadensberechnung nur einen fikti-
ven Berechnungsposten dar. Entgegen der Ansicht des Klägers werden mithin
Massegläubiger nicht reflexartig unter den Schutz des § 71 InsO gestellt. Er-
satzfähig nach § 71 InsO ist vielmehr nur die Masseminderung, die sich in einer
verminderten Befriedigung der nach § 71 InsO (nur) Anspruchsberechtigten
tatsächlich niedergeschlagen hat. Freilich darf die so berechnete Schadenser-
satzleistung als Sondermasse auch nur zur Befriedigung dieser Anspruchsbe-
rechtigten verwendet werden (vgl. HK-InsO/Kayser, 7. Aufl., § 92 Rn. 27; Pie-
kenbrock in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2. Aufl., § 92 Rn. 21; Schmidt,
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aaO Rn. 14; Jaeger/Müller, InsO, § 92 Rn. 5; Bork in Kölner Schrift zur InsO,
3. Aufl., S. 1027; Brinkmann, Die Bedeutung der §§ 92, 93 InsO für den Umfang
der Insolvenz- und Sanierungsmasse, 2001, S. 62 f). Die aufgrund der Bildung
und Verteilung der Sondermasse verursachten Kosten einschließlich der Kos-
ten der Einziehung der zu verteilenden Beträge sind vorab der Sondermasse zu
entnehmen (Bork, aaO S. 1025; Oepen, Massefremde Masse, 1999, Rn. 187;
Engels in Pape/Uhländer, InsO, § 92 Rn. 16; Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO,
2012, § 92 Rn. 24 mwN). Eine Schadensberechnung im vorstehenden Sinne
hat das Berufungsgericht nicht vorgenommen. Es fehlt auch an den hierfür er-
forderlichen Feststellungen.
III.
Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die
Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zu-
rückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
1. Unter Berücksichtigung der Ausführungen oben unter II. wird die Fra-
ge, ob den Insolvenzgläubigern ein (weitergehender) Schaden entstanden ist,
nach dem Hauptvorbringen des Klägers und dem insoweit geltend gemachten
Kausalverlauf zu beurteilen sein. Durch sämtliche Abflüsse vom Hinterlegungs-
konto können die Insolvenzgläubiger daher geschädigt worden sein, ebenso
durch der Masse entgangene Anlagezinsen (§ 252 BGB). Verzugszinsen ge-
mäß § 288 Abs. 1 BGB auf die im Klageantrag ausgerechneten Anlagezinsen
kann der Kläger allerdings nicht verlangen (§ 289 Satz 1 BGB). Mit Blick auf die
Hauptforderung wird zu beachten sein, dass der Kläger für den Zeitraum vom
1. März 2007 bis zum 17. Dezember 2008 sowohl entgangene und im Klagean-
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trag ausgerechnete Anlagezinsen geltend macht als auch Verzugszinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz. Dieses Verlangen ist of-
fenkundig unbegründet. Der Kläger kann nicht entgangene Anlagezinsen und
den gesetzlichen Zinssatz gemäß § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB für ein und densel-
ben Zeitraum verlangen.
2. Ein Zurückbehaltungsrecht nach § 255 BGB (analog) steht den Be-
klagten nicht zu. Nach den Feststellungen des Landgerichts, auf die das Beru-
fungsgericht Bezug genommen hat, machen die Beklagten ein solches mit Blick
auf Ansprüche gegen die V. und die C. geltend.
a) Keiner Prüfung bedarf allerdings, ob und welche Ansprüche der Ge-
schädigte konkret gegen einen Dritten hat. Es genügt, dass Ansprüche mög-
licherweise bestehen und ausreichend bestimmt bezeichnet werden (BGH, Ur-
teil vom 30. April 1952 - II ZR 143/51, BGHZ 6, 55, 61; vom 25. Januar 1990
- IX ZR 65/89, NJW-RR 1990, 407, 408). Unabhängig davon, ob die Beklagten
die Ansprüche ausreichend bestimmt bezeichnet haben, vermögen diese eine
Zug-um-Zug-Verurteilung nicht zu begründen. Es fehlt an der für eine Zurück-
haltung erforderlichen Gegenseitigkeit (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 1962
- V ZR 1/61, BGHZ 38, 122, 125; vom 6. Oktober 2004 - XII ZR 323/01, NJW-
RR 2005, 375, 377). Anspruchsberechtigt nach § 71 InsO sind die absonde-
rungsberechtigten Gläubiger und die Insolvenzgläubiger. Diese sind nicht Inha-
ber möglicher Forderungen gegen die vorerwähnten Banken; diese Forderun-
gen gehören zur Insolvenzmasse. Sie dienen daher zur Befriedigung aller
Gläubiger und damit auch zur Befriedigung der von § 71 InsO nicht geschützten
Massegläubiger.
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b) Im Gegenseitigkeitsverhältnis zu dem Schadensersatzanspruch nach
§ 71 InsO stehen die Absonderungsrechte und Insolvenzforderungen der an-
spruchsberechtigten Gläubiger. Insoweit fehlt es indes an dem erforderlichen
spezifischen Zusammenhang mit der schädigenden Handlung. Es handelt sich
nicht um konkurrierende Ansprüche auf Schadloshaltung, die eine entspre-
chende Anwendung von § 255 BGB rechtfertigen könnten (vgl. BGH, Urteil vom
15. April 2010 - IX ZR 223/07, NJW 2010, 1961 Rn. 30 mwN). Absonderungs-
recht und Insolvenzforderung begründen vielmehr die Anspruchsberechtigung
aus § 71 InsO. Durch die Verwirklichung des Absonderungsrechts und die Erfül-
lung der Insolvenzforderung wird dem jeweiligen Gläubiger nur das zugewandt,
was er im Verhältnis zur Masse beanspruchen kann. Ein Verstoß gegen das
schadensrechtliche Bereicherungsverbot kann damit nicht verbunden sein.
c) Vorliegend könnten allerdings die Insolvenzgläubiger eine ungerecht-
fertigte Quotenerhöhung erlangen, wenn im Zuge des Insolvenzverfahrens nicht
nur die streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche realisiert würden,
sondern auch (weitere, vom Kläger nicht ohnehin schon angerechnete) Ansprü-
che gegen die beteiligten Banken, die der Masse aufgrund oder trotz der von
dem untreuen Verwalter begangenen Veruntreuungen zustehen. Einen über-
tragbaren Vermögenswert würde diese Quotenerhöhung nicht darstellen. Sie
wäre Teil des untrennbar mit der jeweiligen Insolvenzforderung verbundenen
Nebenrechts auf anteilige Befriedigung aus der Insolvenzmasse (§ 399 Fall 1
iVm § 401 Abs. 1 BGB analog).
Der Ausgleich einer möglichen ungerechtfertigten Quotenerhöhung ist
dadurch sicherzustellen, dass den Beklagten im Urteil vorbehalten wird, ihre
Rechte gegen den Insolvenzverwalter nach Erfüllung der Schadensersatzan-
sprüche zu verfolgen. Es besteht eine dem Anspruch aus § 64 Satz 1 GmbHG
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vergleichbare Interessenlage (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 8. Januar 2001
- II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 278 f; vom 26. März 2007 - II ZR 310/05, WM
2007, 973 Rn. 14; zu § 64 Abs. 2 GmbHG aF und § 130a Abs. 2 HGB aF). Im
Falle verbotswidriger Zahlungen gemäß § 64 Satz 1 GmbHG folgt die mögliche
ungerechtfertigte Bereicherung daraus, dass die Masse die vor Verfahrenser-
öffnung an den Gesellschaftsgläubiger geleistete Zahlung in voller Höhe zu-
rückerhält, der Gläubiger jedoch nicht als Insolvenzgläubiger bei der Verteilung
der Masse zu berücksichtigen ist. In Höhe dessen fiktiver Quote können die
Insolvenzgläubiger deshalb eine ungerechtfertigte Quotenerhöhung erlangen.
Dieses Ergebnis wird dadurch vermieden, dass der zum Ersatz der verbotswid-
rigen Zahlung verpflichtete Geschäftsführer von dem Insolvenzverwalter die
fiktive Quote zurückfordern kann. Dementsprechend wäre der den Beklagten
vorliegend gegen den Kläger zustehende Anspruch die Summe etwaig eintre-
tender Quotenerhöhungen. Die den Beklagten haftende Masse speist sich
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dabei aus dem, was der Kläger in Verfolgung der fraglichen Ansprüche gegen
die beteiligten Banken erzielt, abzüglich der auf vorrangig zu befriedigende
Gläubiger entfallenden Beträge.
Vill
Gehrlein
Lohmann
Pape
Möhring
Vorinstanzen:
LG Hannover, Entscheidung vom 16.08.2010 - 20 O 329/08 -
OLG Celle, Entscheidung vom 07.09.2011 - 4 U 152/10 -