Urteil des BGH vom 30.04.2015

Leitsatzentscheidung zu Verjährungsfrist, Stillstand, Einverständnis, Anfechtungsklage

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄUMNISURTEIL
I X Z R 1 / 1 3
Verkündet am:
30. April 2015
Kluckow
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 146 Abs. 1; BGB § 199 Abs. 1 Nr. 2; ZPO § 288 Abs. 1
Wer sich in seinem Parteivortrag erkennbar über die subjektiven Voraussetzungen
der Verjährung irrt und deswegen zur Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis
vom Anfechtungsanspruch und vom Anfechtungsgegner nicht vorträgt, gesteht diese
übersehene Tatbestandsvoraussetzung nicht zu.
BGH, Versäumnisurteil vom 30. April 2015 - IX ZR 1/13 - OLG München
LG München II
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 30. April 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, den Rich-
ter Vill, die Richterin Lohmann, den Richter Grupp und die Richterin Möhring
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts München vom 4. Dezember 2012 aufgeho-
ben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die
S.
AG (künftig: Schuldnerin) zahlte am 7. Juni 2006 den Betrag von
51.119,46
€ an den Beklagten, um die Vollstreckung aus einem Titel abzuwen-
den, den der Beklagte gegen eine andere wirtschaftlich angeschlagene Gesell-
schaft der Firmengruppe erwirkt hatte, zu der auch die Schuldnerin gehörte. Auf
Antrag der Schuldnerin vom 7. Juni 2007 eröffnete das Insolvenzgericht am
14. Juni 2007 das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen und bestellte zunächst
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P. K. und am 5. Juni 2008 - nach dessen Entlassung - den Kläger zum
Insolvenzverwalter. Der Kläger focht die Zahlung gegenüber dem Beklagten an
und erhob noch im Jahr 2010 Klage.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Anspruch verjährt
sei. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit
der vom Senat zugelassenen Revision möchte der Kläger die Verurteilung des
Beklagten auf Rückgewähr der Zahlung erreichen.
Entscheidungsgründe:
Da der Revisionsbeklagte trotz rechtzeitiger Ladung im Termin zur münd-
lichen Verhandlung nicht vertreten war, musste auf Antrag des Revisionsklä-
gers durch Versäumnisurteil entschieden werden. Das Urteil beruht jedoch nicht
auf der Säumnis, sondern auf einer umfassenden Sachprüfung (vgl. BGH, Urteil
vom 4. April 1962 - V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 81; vom 4. Juli 2013 - IX ZR
229/12, WM 2013, 1615 Rn. 6; insoweit in BGHZ 198, 77 nicht abgedruckt).
Danach ist die Revision begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat hinsichtlich der im Revisionsverfahren geltend
gemachten 51.119,46
€ ausgeführt: Der bestehende Rückgewähranspruch sei
nach § 146 Abs. 1 InsO, § 204 BGB verjährt. Der Kläger habe im Sinne von
§ 288 ZPO zugestanden, dass die Verjährung am 31. Dezember 2007 begon-
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nen habe. Zwar sei die Verjährung durch Einreichung der Klage rechtzeitig ge-
hemmt gewesen; das Verfahren sei jedoch mit der Wirkung des § 204 Abs. 2
Satz 2 BGB in Stillstand geraten und vom Kläger zu spät wieder angerufen
worden. Der Kläger habe das Geständnis nicht wirksam widerrufen. Weder ha-
be er einen Irrtum dargelegt noch bewiesen, dass sein Vorgänger keine Kennt-
nis von dem Anfechtungsanspruch gehabt habe.
II.
Die Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Kläger
hat nicht nach § 288 ZPO zugestanden, dass die Verjährungsfrist mit Ablauf
des 31. Dezember 2007 begonnen habe.
1. Die Verjährung des Rückgewähranspruchs nach § 143 Abs. 1 Satz 1
InsO richtet sich für das im Jahr 2007 eröffnete Verfahren nach den Regelun-
gen über die regelmäßige Verjährung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch
(§ 146 Abs. 1 InsO; Art. 229 § 12 Abs. 1, § 6 Abs. 1 EGBGB).
a) Die dreijährige Regelfrist des § 195 BGB beginnt nach § 199 Abs. 1
Nr. 1 BGB frühestens mit dem Schluss desjenigen Jahres, in dem der Rückge-
währanspruch entstanden ist. Dieser Anspruch entstand mit der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens (BGH, Beschluss vom 24. März 2011 - IX ZB 36/09,
NZI 2011, 323 Rn. 6; vom 6. Dezember 2012 - IX ZB 84/12, NZI 2013, 147
Rn. 6; vom 7. Februar 2013 - IX ZB 286/11, NZI 2013, 393 Rn. 12). Denn vor-
her kann der Anspruch nicht als ein Recht der Insolvenzmasse entstehen. We-
gen des Eröffnungszeitpunkts ist auf den im Eröffnungsbeschluss bezeichneten
Tag (vgl. § 27 Abs. 2 Nr. 3 oder Abs. 3 InsO) abzustellen (MünchKomm-
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InsO/Kirchhof, 3. Aufl., § 146 Rn. 8). Das Insolvenzverfahren wurde am 14. Juni
2007 eröffnet, mithin ist der Anfechtungsanspruch im Jahr 2007 entstanden. Die
Verjährung trat frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2010 ein.
Wenn auf diesen Zeitpunkt abgestellt wird, ist der Rückgewähranspruch
des Klägers verjährt, wie das Berufungsurteil richtig ausführt und die Revision
nicht beanstandet. Zwar hat der Kläger durch Einreichung der Klage die Verjäh-
rung nach § 146 Abs. 1 InsO, § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB rechtzeitig gehemmt; die
Klage ist dem Beklagten vor Ablauf des Jahres 2010 zugestellt worden. Das
Verfahren ist jedoch nach § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB spätestens am 15. März
2011 in Stillstand geraten, weil das Landgericht im Einverständnis der Parteien
am 7. März 2011 das Ruhen des Verfahrens angeordnet und der Kläger am
15. März 2011 als letzte Verfahrenshandlung einen Schriftsatz zu den Akten
gereicht hat. Mithin hat die Hemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gemäß
§ 204 Abs. 2 BGB sechs Monate nach der Vorlage des Schriftsatzes am
15. März 2011 geendet, also am 15. September 2011. Mit Einreichung des
Schriftsatzes vom 2. November 2011 konnte der Kläger eine erneute Hemmung
nach § 204 Abs. 2 Satz 3 BGB nicht mehr erreichen, weil zu diesem Zeitpunkt
sein Anspruch jedenfalls verjährt war (§ 209 BGB; 3. Dezember 2010 Eingang
der Anfechtungsklage; 12. Dezember 2010 Zustellung der Anfechtungsklage:
Der Kläger hätte deswegen spätestens bis zum 15. Oktober 2011 das Verfah-
ren weiterbetreiben müssen).
Eine Verlängerung der Hemmung gemäß § 203 Satz 1 BGB wegen au-
ßergerichtlicher Vergleichsverhandlungen ist nicht eingetreten. Zwar haben bei-
de Parteien vor dem Landgericht ihre Bereitschaft erklärt, Vergleichsverhand-
lungen zu führen. Auch hat der Kläger im Hinblick darauf den Beklagten am
19. April 2011 angeschrieben und um Vergleichsangebote gebeten. Auf dieses
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Schreiben hat der Beklagte aber nicht geantwortet. Schlafen die Verhandlungen
ein, endet die Hemmung, wenn der Berechtigte den Zeitpunkt versäumt, zu
dem eine Antwort auf die letzte Anfrage des Ersatzpflichtigen spätestens zu
erwarten gewesen wäre (BGH, Urteil vom 6. November 2008 - IX ZR 158/07,
NJW 2009, 1806 Rn. 10 f). Entsprechendes gilt für den umgekehrten Fall, dass
der Verpflichtete auf ein Vergleichsangebot des Berechtigten nicht reagiert
(BGH, Urteil vom 5. November 2002 - VI ZR 416/01, NJW 2003, 895, 897).
Wann die Verhandlungen einschlafen, kann nicht allgemein angegeben werden,
sondern ist eine Frage des Einzelfalls. Jedenfalls dann, wenn die Parteien Ver-
gleichsverhandlungen noch nicht ernsthaft aufgenommen haben, sind die Ver-
handlungen eingeschlafen, wenn der Schuldner auf die Anfrage des Berechtig-
ten, ein Vergleichsangebot zu unterbreiten, nicht innerhalb eines Monats rea-
giert (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 2002, aaO; OLG Hamm, AnwBl 2013,
665; OLG Stuttgart, Urteil vom 6. Dezember 2012 - 13 U 65/12, nv Rn. 13;
MünchKomm-BGB/Grothe, 6. Aufl., § 203 Rn. 8). Damit endete die Hemmung
nach § 203 Satz 1 BGB am 19. Mai 2011 und die Verjährung konnte nach § 203
Satz 2 BGB frühestens am 19. August 2011 eintreten. Die Hemmung des § 203
BGB und die Hemmung nach § 204 BGB liefen deswegen nebeneinander her
und führen zu keiner Verlängerung der Hemmung (Staudinger/Peters/Jacoby,
BGB, 2014, § 203 Rn. 3).
b) Erlangt der Insolvenzverwalter als die Anfechtung ausübender Gläubi-
ger Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vom tatsächlichen Vorliegen
der Anfechtungsvoraussetzungen und von der Person des Anfechtungsgegners
erst nach dem Eröffnungsbeschluss, so beginnt die Frist erst mit dem Jahres-
ende ab Kenntniserlangung. Der Kenntnis steht die grob fahrlässige Unkenntnis
der tatsächlichen Anfechtungsvoraussetzungen gleich. Sie setzt eine besonders
schwere, auch subjektiv vorwerfbare Vernachlässigung der Ermittlungspflichten
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des Insolvenzverwalters voraus. Grobe Fahrlässigkeit kann insbesondere vor-
liegen, wenn der Verwalter einem sich aufdrängenden Verdacht nicht nachgeht
oder auf der Hand liegende, Erfolg versprechende Erkenntnismöglichkeiten
nicht ausnutzt oder sich die Kenntnis in zumutbarer Weise ohne nennenswerte
Mühen und Kosten beschaffen könnte (MünchKomm-InsO/Kirchhof, 3. Aufl.,
§ 146 Rn. 8b).
aa) Der Kläger selbst kann frühestens mit seiner Bestellung im Juni 2008
Kenntnis vom tatsächlichen Vorliegen der Anfechtungsvoraussetzungen und
von der Person des Anfechtungsgegners erlangt haben. Wenn allein auf seine
Kenntnis abgestellt wird, würde die regelmäßige Verjährungsfrist nach § 199
Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 146 Abs. 1 InsO mit Schluss des Jahres 2008
beginnen und nach drei Jahren, also am 31. Dezember 2011, enden. Mit Ein-
reichung des Schriftsatzes am 2. November 2011 wäre die Verjährung deswe-
gen in jedem Fall nach § 204 Abs. 2 Satz 3 BGB rechtzeitig gehemmt. Der An-
spruch wäre dann nicht verjährt.
bb) Auf die Kenntnis des Klägers kann es aber erst von dem Zeitpunkt
seiner Bestellung ankommen. Vorher ist auf die Kenntnis oder die grob fahrläs-
sige Unkenntnis des früheren Verwalters abzustellen. Im Falle des Gläubiger-
wechsels durch Abtretung (§ 398 BGB), Legalzession (§ 412 BGB) oder Ge-
samtrechtsnachfolge muss sich der neue Gläubiger - entsprechend § 404
BGB - die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des alten Gläubigers zu-
rechnen lassen (BGH, Urteil vom 17. Oktober 1995 - VI ZR 246/94, NJW 1996,
117, 118; vom 24. April 2014 - III ZR 156/13, NJW 2014, 2345 Rn. 25; vom
30. April 2014 - IV ZR 30/13, NJW 2014, 2492 Rn. 13). Nichts Anderes kann für
den Wechsel des Verwalters gelten. Denn so wie die Rechtshandlungen des
entlassenen Verwalters, abgesehen von nichtigen Handlungen, ihre Wirksam-
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keit behalten (HK-InsO/Riedel, 7. Aufl., § 59 Rn. 12), setzt seine Kenntnis und
seine grob fahrlässige Unkenntnis von bestehenden Anfechtungsansprüchen
die Verjährungsfrist in Gang. Es wird allenfalls erörtert, ob bei einem Verwalter-
wechsel über § 146 Abs. 1 InsO § 210 BGB analog zur Anwendung kommt, mit
der Folge, dass Anfechtungsansprüche frühestens sechs Monate seit Bestel-
lung des neuen Verwalters verjähren können (MünchKomm-InsO/Kirchhof,
3. Aufl., § 146 Rn.
 24; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, 2014, § 146 Rn. 7;
HmbKomm-InsO/Rogge/Leptien, 5. Aufl., § 146 Rn. 5 aE; Uhlenbruck/Hirte,
InsO, 13. Aufl., § 146 Rn. 8). Nach dieser Regelung wird der Lauf der Verjäh-
rung jedoch nur beeinflusst, wenn der Wechsel des Verwalters während der
letzten sechs Monate der Verjährungsfrist erfolgt (vgl. MünchKomm-
BGB/Grothe, 6. Aufl., § 210 Rn. 6). Dies ist vorliegend nicht der Fall, weil der
Verwalterwechsel im Jahr 2008 stattgefunden hat und die Anfechtungsansprü-
che keinesfalls vor dem 31. Dezember 2010 verjährten.
c) Mithin kommt es auf die Beantwortung der Frage an, ob und wann der
Amtsvorgänger des Klägers Kenntnis vom tatsächlichen Vorliegen der Anfech-
tungsvoraussetzungen und von der Person des Anfechtungsgegners erlangt hat
oder ab wann seine Unkenntnis grob fahrlässig war.
2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat der Kläger den Ver-
jährungsbeginn nicht wirksam gestanden.
a) Ein Geständnis im Sinne von § 288 ZPO ist die Erklärung einer Partei,
dass eine von der Gegenseite behauptete, für die gestehende Partei ungünsti-
ge Tatsache wahr ist. Sie erklärt ihr Einverständnis damit, dass diese Tatsache
zur Urteilsgrundlage gemacht wird. In der Wirkung wird die Tatsachenbehaup-
tung im weiteren Prozess als wahr unterstellt (MünchKomm-ZPO/Prütting,
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4. Aufl., § 288 Rn. 5). Gegenstand eines Geständnisses können zunächst Tat-
sachen sein, zu denen auch innere Tatsachen wie eine Willensrichtung gehö-
ren. Einem Geständnis zugänglich sind darüber hinaus auch juristisch einge-
kleidete Tatsachen (BGH, Urteil vom 16. Juli 2003 - XII ZR 100/00, WM 2004,
544, 545; vom 18. Juni 2007 - II ZR 89/06, WM 2007, 1662 Rn. 16; vom
22. Februar 2011 - XI ZR 261/09, NJW 2011, 2130 Rn. 12). Grundsätzlich kön-
nen auch präjudizielle Rechtsverhältnisse Gegenstand eines Geständnisses
sein (BGH, Urteil vom 16. Juli 2003, aaO). Der Verjährungsbeginn als solcher
kann mithin als eine reine Rechtsfrage nicht Gegenstand eines Geständnisses
sein, sondern nur die Tatsachen, aus denen sich der Verjährungsbeginn herlei-
tet. Insbesondere kann ein Gläubiger zugestehen, Kenntnis von Anspruch und
Anspruchsgegner zu einem bestimmten Zeitpunkt erlangt zu haben. In diesem
Sinne kann seine Erklärung, die Verjährung habe zu einem bestimmten Zeit-
punkt begonnen, verstanden werden.
b) Ob der Kläger in diesem Sinne ein Geständnis gemäß § 288 Abs. 1,
§ 289 Abs. 2 ZPO abgegeben hat, ist revisionsrechtlich uneingeschränkt nach-
prüfbar (BGH, Urteil vom 22. Mai 2001 - VI ZR 74/00, NJW 2001, 2550, 2551).
Die Auslegung und rechtliche Würdigung prozessualer Willenserklärungen der
Parteien unterliegt der uneingeschränkten Nachprüfung des Revisionsgerichts
(BGH, Urteil vom 14. April 1999 - IV ZR 289/97, NJW-RR 1999, 1113).
aa) Als derjenige, dem die Einrede der Verjährung zugutekommt, ist der
Beklagte für die dafür maßgeblichen Tatsachen darlegungs- und beweispflich-
tig. Ihm obliegt es, die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis seines Gläu-
bigers von den in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB genannten Voraussetzungen darzu-
tun. Er muss also Umstände dartun und gegebenenfalls beweisen, aus denen
folgt, dass der zunächst bestellte Insolvenzverwalter von dem Anfechtungsan-
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spruch bis Ende des Jahres 2007 erfahren hat oder sich einem sorgfältig arbei-
tenden Insolvenzverwalter der Schluss auf einen Anspruch und auf die Person
des Schuldners hätte aufdrängen müssen. Allerdings obliegt es dem Kläger,
soweit es um Umstände aus seiner Sphäre geht, an der Sachaufklärung mitzu-
wirken. Er hat deswegen die Umstände darzulegen, die ihn an der Erkenntnis
gehindert haben, dass ihm ein Anspruch zusteht. Gleiches gilt für das, was er
zur Ermittlung der Voraussetzungen seines Anspruchs getan hat (vgl.
MünchKomm-BGB/Grothe, 6. Aufl., § 199 Rn. 42).
Die Mitwirkungspflichten des Klägers erstrecken sich allerdings nur ein-
geschränkt auf die Zeit der Verwaltung durch den Amtsvorgänger. Im Rahmen
des § 138 Abs. 4 ZPO ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aner-
kannt, dass eine Partei auf die Kenntnisse ihres früheren gesetzlichen Vertre-
ters nicht verwiesen werden kann (BGH, Urteil vom 9. Juli 1987 - III ZR 229/85,
WM 1987, 1125, 1126), weil das Wissen ihr durch das Ausscheiden des Or-
ganmitglieds gleichsam verloren gegangen ist (Wieczorek/Schütze/Gerken,
ZPO, 4. Aufl., § 138 Rn. 43). Nichts anderes kann im Verhältnis vom Insolvenz-
verwalter zu seinem Amtsvorgänger gelten. Doch muss der Kläger immerhin
vortragen, welche Kenntnisse zu den Anfechtungsansprüchen sein Amtsvor-
gänger ihm übermittelt hat und wie der Bearbeitungsstand der Anfechtungsan-
sprüche war, als er das Amt übernommen hat (vgl. Wieczorek/
Schütze/Gerken, aaO). Diesen Vortrag hat der Kläger gehalten.
bb) Der Beklagte selbst hat erstinstanzlich weder behauptet noch unter
Beweis gestellt, dass der frühere Insolvenzverwalter noch im Jahr 2007 Kennt-
nis vom tatsächlichen Vorliegen der Anfechtungsvoraussetzungen und von der
Person des Anfechtungsgegners hatte. Kläger, Beklagter und Landgericht gin-
gen ersichtlich im Anschluss an die bis zum 14. Dezember 2004 geltende
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Rechtslage davon aus, dass die Anfechtungsansprüche kenntnisunabhängig in
drei Jahren ab Schluss des Jahres, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet
worden ist, verjährten. So hat der Beklagte im Schriftsatz vom 9. Februar 2012
die Einrede der Verjährung erhoben und hierzu vorgetragen, gemäß § 146
Abs. 1 InsO in Verbindung mit § 195 BGB verjährten Anfechtungsansprüche
innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren, die im Jahr der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu laufen beginne. Vorliegend verjährten
Verjährungsansprüche folglich mit Ablauf des 31. Dezember 2010. Der Kläger
hat darauf reagiert mit dem Vortrag, richtig sei, dass gemäß § 146 Abs. 1 InsO
in Verbindung mit § 195 BGB die insolvenzrechtlichen Anfechtungsansprüche
innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren verjährten. Die
Frist beginne mit dem Ende des Jahres der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
zu laufen. Diese Erklärung erfasste mithin - ebenso wenig wie die Erklärung des
Beklagten - nicht eine Kenntnis der Insolvenzverwalter von Anspruch und An-
spruchsgegner oder deren grob fahrlässige Unkenntnis. Noch im Verhandlungs-
termin, auf den das erstinstanzliche Urteil erging, stellte das Landgericht in sei-
nen Hinweisen zum Verjährungsbeginn allein auf die Eröffnung des Insolvenz-
verfahrens ab. Erstmals im nicht nachgelassenen Schriftsatz hat der Kläger die
Frage nach der Kenntnis angesprochen.
Da in der ersten Instanz eine etwaige Kenntnis oder grob fahrlässige Un-
kenntnis des Amtsvorgängers des Klägers von den Parteien nicht angespro-
chen worden ist, kann die klägerische Einlassung nicht so ausgelegt werden,
dieser habe Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis seines Amtsvorgängers
zugestanden. Den Beginn der Verjährung als reine Rechtsfrage konnte der Klä-
ger nicht gestehen und hat er auch nicht gestanden. Insoweit hat er lediglich
Rechtsausführungen gehalten, wobei diesen eine zu seinen Ungunsten er-
kennbar rechtsirrige Rechtsauffassung vom Verjährungsbeginn zugrunde lag.
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Wer sich in seinem Vortrag erkennbar über die Voraussetzungen der Verjäh-
rung irrt, deswegen eine Tatbestandsvoraussetzung ersichtlich übersieht und zu
dieser nicht vorträgt, ist nicht einverstanden damit, dass diese übersehene Tat-
bestandsvoraussetzung zu seinem Nachteil zur Urteilsgrundlage gemacht wird.
cc) Da der Kläger zum Verjährungsbeginn kein Geständnis im Sinne von
§ 288 ZPO abgegeben hat, durfte das Berufungsgericht seinen diesbezüglichen
Vortrag nicht unberücksichtigt lassen. Auch hätte es den Vortrag nicht nach
§ 531 Abs. 2 ZPO zurückweisen dürfen. Vielmehr hätte schon das Landgericht
gemäß § 296a, § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die Verhandlung wiedereröffnen müs-
sen, nachdem in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz erstmals zu einem Ge-
sichtspunkt vorgetragen worden ist, den die Parteien bis dahin übersehen hat-
ten. Deswegen hätte das Berufungsgericht den neuen Vortrag nach § 531
Abs. 2 Nr. 1 ZPO zulassen müssen.
III.
Das angefochtene Urteil kann folglich keinen Bestand haben. Es ist auf-
zuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist,
wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
Rechtsbehelfsbelehrung
Gegen dieses Versäumnisurteil steht der säumigen Partei der Einspruch zu.
Dieser ist von einem bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt
binnen einer Notfrist von zwei Wochen ab der Zustellung des Versäumnisurteils
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bei dem Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, Karlsruhe, durch Einreichung
einer Einspruchsschrift einzulegen.
Kayser
Vill
Lohmann
Grupp
Möhring
Vorinstanzen:
LG München II, Entscheidung vom 19.03.2012 - 11 O 6070/10 -
OLG München, Entscheidung vom 04.12.2012 - 5 U 1664/12 -