Urteil des BGH vom 18.12.2014

Eigenschaft, Parteiwechsel, Parteistellung, Kenntnisnahme, Verfügung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I X Z B 7 7 / 1 3
vom
18. Dezember 2014
in dem Rechtsstreit
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein und Vill, die Richterin Lohmann
und den Richter Dr. Fischer
am 18. Dezember 2014
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 14. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 12. September 2013 wird
auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 95.795
festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Klägerin erhob gegen den Beklagten "in seiner Eigenschaft als Insol-
venzverwalter" eine auf die Zahlung von Schadensersatz gerichtete Klage. Auf
die mit Klageerwiderung erhobene Rüge des Beklagten und den entsprechen-
den Antrag der Klägerin wurde das Verfahren an das gemäß § 19a ZPO zu-
ständige Landgericht verwiesen. In den nachfolgenden Schriftsätzen bezog sich
die Klägerin (auch) auf eine mögliche persönliche Haftung des Beklagten. Eine
ausdrückliche Erklärung, gegen welche Partei sich die Klage richten sollte, er-
folgte seitens der Klägerin trotz diesbezüglicher Ausführungen des Beklagten
und eines im Termin zur mündlichen Verhandlung erteilten Hinweises nicht.
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Das Landgericht hat die Klage als ausschließlich gegen den Beklagten
als Partei kraft Amtes gerichtet ausgelegt und abgewiesen. Die auf eine Verur-
teilung des Beklagten persönlich gerichtete Berufung hat das Oberlandesgericht
als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der von ihr
erhobenen Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1
Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist aber unzulässig, weil die Rechtssache keine
grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechts-
beschwerdegerichts erfordern (§ 574 Abs. 2 ZPO).
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die ausschließlich gegen den
Beklagten persönlich gerichtete Berufung sei mangels Beschwer unzulässig,
weil sie allein auf eine Änderung der im ersten Rechtszug erhobenen Klage ab-
ziele. Die Auslegung der Klageschrift ergebe, dass die Klägerin den Beklagten
erstinstanzlich in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter in Anspruch ge-
nommen und auch keine Parteierweiterung oder einen Parteiwechsel verfolgt
habe.
2. Gründe, die Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung als zuläs-
sig anzusehen, zeigt die Beschwerde nicht auf.
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a) Das Berufungsgericht hat angenommen, dass ein als Klageänderung
im Sinne der §§ 263, 533 ZPO zu behandelnder Parteiwechsel eine zulässige
Berufung voraussetzt. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist aner-
kannt und bedarf keiner weiteren Klärung, dass sich der Angriff des Rechtsmit-
telführers (auch) auf die Beseitigung der im vorinstanzlichen Urteil enthaltenen
Beschwer richten muss, weshalb nicht lediglich im Wege der Klageänderung
ein neuer, bislang nicht geltend gemachter Anspruch zur Entscheidung gestellt
werden darf, sondern auch der in erster Instanz erhobene Klageanspruch we-
nigstens teilweise weiterverfolgt werden muss (vgl. BGH, Beschluss vom
11. Oktober 2000 - VIII ZR 321/99, WM 2001, 45, 46 f mwN; vgl. MünchKomm-
ZPO/Becker-Eberhard, 4. Aufl., § 263 Rn. 44; Zöller/Heßler, ZPO, 30. Aufl., vor
§ 511 Rn. 10 a, § 533 Rn. 4).
Das Landgericht hat durch Abweisung der erstinstanzlichen Klage ent-
schieden, dass der Klägerin bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhand-
lung ein Anspruch gegen den Beklagten in seiner Eigenschaft als Partei kraft
Amtes nicht zustand. Mit der ausschließlich gegen den Beklagten persönlich
gerichteten Berufung greift die Klägerin diese in der erstinstanzlichen Entschei-
dung enthaltene Beschwer nicht an, sondern macht erstmals einen von der Gel-
tendmachung von Ansprüchen gegen die Masse zu unterscheidenden Streitge-
genstand geltend, auf den sich die Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils
nicht erstreckt (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2005 - IX ZR 115/01, WM
2006, 148, 149; Schmidt/Thole, InsO, 18. Aufl., § 60 Rn. 53).
b) Die geltend gemachte Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG liegt nicht
vor. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das entschei-
dende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu neh-
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men und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist erst verletzt, wenn sich
im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist,
denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen der
Parteien zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Es ist nicht
verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrück-
lich zu befassen (BGH, Beschluss vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ
154, 288, 300). Damit sich ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen
lässt, müssen demnach besondere Umstände deutlich gemacht werden, die
zweifelsfrei darauf schließen lassen, dass tatsächliches Vorbringen eines Betei-
ligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entschei-
dung nicht erwogen worden ist (BGH, aaO mwN).
Das Vorbringen der Klägerin, wonach sie ausdrücklich Schadensersatz-
ansprüche wegen schuldhafter Pflichtverletzung geltend gemacht und die Klage
zunächst vor dem für den Beklagten persönlich zuständigen Gericht erhoben
habe, ist ausweislich der vom Berufungsgericht gewählten Begründung erkenn-
bar in der Entscheidungsfindung berücksichtigt worden. Soweit die Klägerin
jedoch lediglich das Ergebnis der durch das Berufungsgericht vorgenommenen
Auslegung beanstandet, ist Art. 103 Abs. 1 GG nicht berührt. Das Grundrecht
auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist regelmäßig nicht verletzt, wenn die Wür-
digung des Berufungsgerichts angegriffen und durch die anderslautende Wer-
tung der Klägerseite ersetzt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 2011
- IX ZB 214/10, WM 2011, 1087 Rn. 13). Aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt keine
Verpflichtung der Gerichte, der von einer Verfahrenspartei vorgetragenen
Rechtsansicht zu folgen (BVerfGE 87, 1, 33; BGH, Beschluss vom 23. Septem-
ber 2010 - IX ZR 215/09, Rn. 3 nv; vom 21. Februar 2008 - IX ZR 62/07, DStRE
2009, 328 Rn. 5).
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Soweit die Klägerin beanstandet, das Landgericht habe auf die beabsich-
tigte Auslegung der Parteistellung erst in der mündlichen Verhandlung hinge-
wiesen, beruht die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht auf dieser be-
haupteten Gehörsverletzung des erstinstanzlichen Gerichts. Nach Kenntnis-
nahme des Hinweises, spätestens jedoch nach Zugang des erstinstanzlichen
Urteils hätte die Klägerin die ihr zur Verfügung stehenden prozessualen Mög-
lichkeiten zur Abwendung der behaupteten Grundrechtsverletzung ergreifen
können, wovon sie jedoch abgesehen hat.
c) Die Auslegung des Berufungsgerichts, wonach sich die Klage erstin-
stanzlich allein gegen den Beklagten in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwal-
ter richte, verstößt nicht gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem
Rechtsstaatsprinzip folgende Recht auf ein objektiv willkürfreies Verfahren. Das
Berufungsgericht hat sich eingehend mit dem Parteivortrag auseinandergesetzt.
Seine Ansicht ist nicht schlechthin unvertretbar, und es drängt sich deshalb
nicht der Schluss auf, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl.
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BVerfGE 89, 1, 14; BGH, Beschluss vom 25. November 1999 - IX ZB 95/99,
NJW 2000, 590; vom 20. Oktober 2011 - IX ZR 20/10, Rn. 3 nv).
Kayser
Gehrlein
Vill
Lohmann
Fischer
Vorinstanzen:
LG Kleve, Entscheidung vom 19.09.2012 - 2 O 116/12 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 12.09.2013 - I-14 U 76/13 -