Urteil des BGH vom 21.07.2016

Leitsatzentscheidung zu Sparkasse, Beschwerderecht, Entlassung, Verwalter

ECLI:DE:BGH:2016:210716BIXZB58.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 58/15
vom
21. Juli 2016
in dem Insolvenzverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO §§ 56, 92, 76
a) Der einzelne Gläubiger hat kein Beschwerderecht gegen die Entscheidung des Insolvenz-
gerichts, auf Antrag oder Anregung der Gläubigerversammlung einen Sonderinsolvenz-
verwalter zu bestellen, um Gesamtschadensersatzansprüche gegen den Insolvenzverwal-
ter zu prüfen und gegebenenfalls durchzusetzen.
b) Das Insolvenzgericht hat im Rahmen der Anordnung der Sonderinsolvenzverwaltung so-
wohl im Amts- als auch im Antragsverfahren zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die
Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters vorliegen.
InsO §§ 56, 92 InsO
Die Sonderinsolvenzverwaltung zur Prüfung von Gesamtschadensersatzansprüchen gegen
den Insolvenzverwalter kann angeordnet werden, wenn tatsächlich und rechtlich begründete
Anhaltspunkte für das Vorliegen von Gesamtschadensersatzansprüchen gegen den Insol-
venzverwalter gegeben sind, sofern der Erfolg des Insolvenzverfahrens durch die Sonderin-
solvenzverwaltung nicht beeinträchtigt wird.
InsO §§ 56, 92, 76, 78 Abs. 1
Der Beschluss der Gläubigerversammlung zu beantragen, dass ein Sonderinsolvenzverwal-
ter zur Prüfung von Gesamtschadensersatzansprüchen gegen den Insolvenzverwalter be-
stellt werde, kann regelmäßig dem gemeinsamen Interesse der Gläubiger nicht widerspre-
chen.
BGH, Beschluss vom 21. Juli 2016 - IX ZB 58/15 - LG Münster
AG Münster
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, den Richter Vill, die Richterin Lohmann, den Richter Dr. Pape
und die Richterin Möhring
am 21. Juli 2016
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer
des Landgerichts Münster vom 24. Juli 2015 wird auf Kosten der
weiteren Beteiligten zu 3 zurückgewiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000
€ fest-
gesetzt.
Gründe:
I.
Am 1. April 2010 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der
Schuldnerin, einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, eröffnet und der wei-
tere Beteiligte zu 1 zum Insolvenzverwalter bestellt. Die weitere Beteiligte zu 2
(künftig Gläubigerin) ist Gläubigerin mit einer zur Tabelle festgestellten Forde-
rung in Höhe von 554.806,69
€, die weitere Beteiligte zu 3, eine Sparkasse,
(künftig Sparkasse) verfügt aus abgetretenem Recht über einen Tabellenan-
spruch in Höhe von 191.301,91
€. Nach Vorlage des Schlussberichts beantrag-
te die Gläubigerin im November 2014, eine Gläubigerversammlung einzuberu-
fen, um über die Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters zu befinden, der
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Schadensersatzansprüche der Masse gegen den Insolvenzverwalter prüfen
solle.
Die Gläubigerversammlung wurde am 27. November 2014 durchgeführt.
Mit den Stimmen der Gläubigerin und gegen die Stimmen der Sparkasse be-
schloss sie, Rechtsanwalt B. zum Sonderinsolvenzverwalter zur Über-
prüfung und etwaigen Geltendmachung von Ansprüchen gegen den Insolvenz-
verwalter zu bestellen. Die Sparkasse beantragte noch in der Gläubigerver-
sammlung, diesen Beschluss aufzuheben, und machte geltend, die Einsetzung
eines Sonderinsolvenzverwalters widerspreche dem gemeinsamen Interesse
der Gläubiger, weil die Beauftragung des Sonderinsolvenzverwalters die Masse
verkürze und den Abschluss des Insolvenzverfahrens verzögere.
Zur Umsetzung des Beschlusses der Gläubigerversammlung bestellte
das Insolvenzgericht durch auf den 5. Dezember 2014 datierten Beschluss
Rechtsanwalt B. zum Sonderinsolvenzverwalter. Sein Auf-
gabenbereich sollte die Prüfung und etwaige Geltendmachung von Schadens-
ersatzansprüchen gegen den Insolvenzverwalter umfassen. Zur Begründung
führte das Insolvenzgericht aus: Es könne nicht gänzlich ausgeschlossen wer-
den, dass Gesamtschadensersatzansprüche gegen den Insolvenzverwalter be-
stünden. Weiter ordnete es an, den Beschluss noch nicht an den bestellten
Sonderinsolvenzverwalter auszuhändigen, weil es die Rechtsmittelverfahren
abwarten wollte. Die Sparkasse legte gegen diesen Beschluss Erinnerung ein,
über die bislang noch nicht entschieden ist.
Am 6. Dezember 2014 hat das Insolvenzgericht den Antrag der Sparkas-
se auf Aufhebung des Beschlusses der Gläubigerversammlung abgewiesen.
Hiergegen hat die Sparkasse ohne Erfolg sofortige Beschwerde eingelegt. Mit
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der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde möchte die
Sparkasse erreichen, dass die angefochtenen Beschlüsse der Vorinstanzen
und der beanstandete Beschluss der Gläubigerversammlung aufgehoben wer-
den.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zwar statthaft (§§ 6, 78 Abs. 2 Satz 3 InsO,
§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 575 Abs. 1 und
2 ZPO). In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die Gläubigerversammlung
habe nur beschlossen, einen Antrag auf Bestellung eines Sonderinsolvenzver-
walters zu stellen. Ein solcher Antrag widerspreche grundsätzlich nicht den ge-
meinsamen Interessen der Gläubiger. Erst das Insolvenzgericht prüfe, ob die
Voraussetzungen für die Bestellung des Sonderinsolvenzverwalters vorlägen.
Dies stehe auch im Einklang mit der allgemeinen Meinung, dass Beschlüsse
der Gesellschafterversammlung wegen der Gläubigerautonomie nur ganz aus-
nahmsweise aufzuheben seien, wenn sie einseitig einzelne Gläubiger bevor-
zugten oder offensichtlich rechtsmissbräuchlich herbeigeführt würden. Die Ver-
letzung des gemeinsamen Interesses müsse eindeutig und nicht ganz unerheb-
lich sein. Deswegen könne ein Beschluss der Gläubigerversammlung, mit dem
die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters beantragt werde, allenfalls
dann aufgehoben werden, wenn das Bestehen von Gesamtschadensersatzan-
sprüchen gegen den Insolvenzverwalter von vornherein ausgeschlossen seien.
Das lasse sich nicht feststellen.
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2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand. Der
Beschluss der Gläubigerversammlung zu beantragen, dass vom Insolvenzge-
richt ein Sonderinsolvenzverwalter zur Prüfung von Gesamtschadensersatzan-
sprüchen nach §§ 60, 92 InsO gegen den Insolvenzverwalter bestellt werde,
widerspricht nicht dem gemeinsamen Interesse der Gläubiger nach § 78 Abs. 1
InsO.
a) Entgegen dem Wortlaut des angefochtenen Beschlusses der Gläubi-
gerversammlung wurde nicht durch diese die Sonderinsolvenzverwaltung an-
geordnet und der Sonderinsolvenzverwalter bestellt. Denn die Gläubigerver-
sammlung selbst kann die Sonderinsolvenzverwaltung nicht anordnen und den
Sonderinsolvenzverwalter nicht bestellen, sie kann insoweit nur einen dahinge-
henden Antrag an das Insolvenzgericht stellen oder eine entsprechende Ent-
scheidung des Insolvenzgerichts anregen. Der Beschluss der Gläubigerver-
sammlung ist deswegen in diesem Sinne auszulegen.
aa) Unter der Geltung der Konkursordnung war anerkannt, dass ein
Sonderverwalter zu berufen war, wenn der bestellte Verwalter aus rechtlichen
oder tatsächlichen Gründen an der Ausübung seines Amtes verhindert war. Die
Insolvenzordnung enthält keine die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters
betreffenden Vorschriften. Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs und einhelliger Auffassung in der Literatur ist die Bestellung
eines Sonderinsolvenzverwalters zulässig. Eine den Sonderinsolvenzverwalter
betreffende Vorschrift des Regierungsentwurfs einer Insolvenzordnung (§ 77
RegE-InsO, vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 20) wurde nur deshalb gestrichen, weil
der Rechtsausschuss sie für überflüssig hielt; die Bestellung eines Sonderinsol-
venzverwalters sei in den von der Entwurfsfassung erfassten Fällen auch ohne
eine ausdrückliche Regelung möglich (BT-Drucks. 12/7302, S. 162). Die in dem
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Entwurf in Bezug genommenen Vorschriften der §§ 65 bis 78 RegE-InsO (§§ 56
bis 66 InsO) wendet der Bundesgerichtshof im Grundsatz auch auf den Son-
derinsolvenzverwalter an (BGH, Beschluss vom 5. Februar 2009 - IX ZB
187/08, NZI 2009, 238 Rn. 4; vgl. auch BGH, Urteil vom 8. Mai 2008 - IX ZR
54/07, NZI 2008, 491 Rn. 16; Beschluss vom 20. Februar 2014 - IX ZB 16/13,
NZI 2014, 307 Rn. 8).
Die Vorschriften der §§ 56 ff InsO bieten allerdings keine Antwort auf die
Frage, wer unter welchen Voraussetzungen und auf wessen Antrag hin einen
Sonderinsolvenzverwalter bestellen kann oder muss. Der Insolvenzverwalter
wird im Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch das Insol-
venzgericht bestellt (vgl. § 27 Abs. 1 InsO). Ein Antrag eines Verfahrensbeteilig-
ten wird nicht vorausgesetzt; die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ohne die
Bestellung eines Insolvenzverwalters ist nicht vorstellbar. Damit muss auch kei-
ne Vorsorge für den Fall getroffen werden, dass die beantragte Bestellung ei-
nes Insolvenzverwalters unterbleibt. Die §§ 56 ff InsO regeln neben den Anfor-
derungen an die Person des Insolvenzverwalters (§ 56 InsO), dessen Haftung
(§§ 60 ff InsO) und dessen Vergütung (§§ 63 ff InsO) insbesondere Vorausset-
zungen und Verfahren der Wahl eines anderen Verwalters durch die Gläubiger-
versammlung (§ 57 InsO) und der Entlassung des Verwalters aus wichtigem
Grund durch das Insolvenzgericht (§ 59 InsO). Auf die Wahl eines anderen
Sonderverwalters und auf die Entlassung des Sonderverwalters aus wichtigem
Grund können die Vorschriften der §§ 57, 59 InsO entsprechend angewandt
werden. Für die Entscheidung, ob ein Sonderverwalter überhaupt zu bestellen
ist, das Antragsrecht, das einzuhaltende Verfahren und die Rechtsmittel gilt das
hingegen nicht (BGH, Beschluss vom 5. Februar 2009, aaO Rn. 5).
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Jedenfalls ergibt sich aus den §§ 27, 56 ff InsO, dass die Bestellung ei-
nes Insolvenzverwalters - und damit auch des Sonderinsolvenzverwalters - al-
lein durch das Insolvenzgericht erfolgt (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar
2014 - IX ZB 16/13, NZI 2014, 307 Rn. 11). Zwar können die Gläubiger nach
§ 57 Abs. 1 InsO in der ersten Gläubigerversammlung, die auf die Bestellung
des Insolvenzverwalters folgt, an dessen Stelle eine andere Person wählen.
Seine Bestellung erfolgt auch in diesem Fall durch das Gericht. Die Entlassung
eines Insolvenzverwalters aus wichtigem Grund erfolgt nach § 59 InsO eben-
falls durch das Insolvenzgericht. Nichts anderes gilt für die Entscheidung, über-
haupt einen Sonderinsolvenzverwalter einzusetzen (vgl. BGH, Beschluss vom
23. April 2015 - IX ZB 29/13, NZI 2015, 651 Rn. 10; Urteil vom 16. Juli 2015
- IX ZR 127/14, NJW 2015, 3299 Rn. 16; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 14. Aufl.,
§ 56 Rn. 59; Jaeger/Gerhardt, InsO, § 56 Rn. 80).
bb) In der Gläubigerversammlung kann allerdings die Frage, ob eine
Sonderinsolvenzverwaltung eingesetzt werden soll, zu einem zulässigen Bera-
tungsgegenstand gemacht werden. Die Gläubigerversammlung kann beschlie-
ßen, dass ein Schadensersatzanspruch der Masse gegen den Verwalter gel-
tend gemacht werden soll; sie kann zu der Frage Stellung nehmen, ob ein vom
Sonderinsolvenzverwalter ermittelter Schadensersatzanspruch gegen den Ver-
walter durchgesetzt werden und ob die Entlassung des Verwalters oder des
Sonderverwalters oder - etwa aus Kostengründen - die Aufhebung der Son-
derinsolvenzverwaltung beantragt oder jedenfalls angeregt werden soll. Wenn
das Insolvenzgericht den Antrag auf Anordnung der Sonderinsolvenzverwaltung
oder auf ihre Aufhebung ablehnt, kommt für jeden einzelnen Gläubiger zur
Durchsetzung des Beschlusses der Gläubigerversammlung entsprechend § 57
Satz 4, § 59 Abs. 2 Satz 2 InsO ein (abgeleitetes) Beschwerderecht in Betracht
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(BGH, Urteil vom 16. Juli 2015, aaO; vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2015,
aaO).
b) Darüber, in welchem Umfang das Gericht an Beschlussfassungen der
Gläubigerversammlung zur Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters ge-
bunden ist, hat der Bundesgerichtshof noch nicht entschieden (vgl. BGH, Be-
schluss vom 23. April 2015, aaO). Die Frage ist für den vorliegenden Fall dahin
zu beantworten, dass das Insolvenzgericht im Rahmen der Anordnung der
Sonderinsolvenzverwaltung im Amts- wie im Antragsverfahren in gleichem Ma-
ße prüfen muss, ob die Voraussetzungen für die Bestellung eines Sonderinsol-
venzverwalters vorliegen. Es ist kein Grund ersichtlich, dass die Anforderungen
an die Prüfungsintensität sich unterscheiden, je nachdem ob die Anordnung der
Sonderinsolvenzverwaltung von Amts wegen oder auf Antrag der Gläubigerver-
sammlung erfolgt. Der Grundsatz der Gläubigerautonomie rechtfertigt eine Un-
terscheidung nicht, weil sich diese nur im gesetzlichen Rahmen durchsetzen
kann. Das Insolvenzgericht hat deshalb stets zu prüfen, ob die Anordnung der
Sonderinsolvenzverwaltung (ausnahmsweise) masseschädlich oder gar geset-
zeswidrig ist (BGH, Beschluss vom 20. Februar 2014 - IX ZB 16/13, NZI 2014,
307 Rn. 11).
Haben allerdings die Gläubiger auf die Geltendmachung ihres Gesamt-
schadensersatzanspruchs verzichtet oder wollen sie Ansprüche gegen den In-
solvenzverwalter nicht geltend machen, weil etwa die Forderungsverfolgung
zweifelhaft erscheint, die Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters zu er-
heblichen Kosten und zu massiven sonstigen Belastungen des Verfahrens führt
und damit der Erfolg des Gesamtverfahrens beeinträchtigt wird, kann ein ent-
sprechender Beschluss der Gläubigerversammlung Einfluss auf die Entschei-
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dung des Insolvenzgerichts haben (vgl. HmbKomm-InsO/Pohlmann, 5. Aufl.,
§ 92 Rn. 56). Ein solcher Fall ist vorliegend jedoch nicht gegeben.
c) Wenn aber das Insolvenzgericht auf einen Antrag oder eine Anregung
der Gläubigerversammlung in die Prüfung eintritt, ob die Voraussetzungen für
die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters gegeben sind und ob die An-
ordnung der Sonderinsolvenzverwaltung masseschädlich oder gesetzwidrig ist,
kann der hierauf gerichtete Antrag oder die Anregung der Gläubigerversamm-
lung, einen Sonderinsolvenzverwalter zu bestellen, nicht dem gemeinsamen
Interesse der Gläubiger widersprechen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar
2014, aaO).
III.
Der Senat weist für das weitere Verfahren auf Folgendes hin:
1. Der Insolvenzrichter wird nunmehr über die (Rechtspfleger-) Erinne-
rungen nach § 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG zu entscheiden haben. Gegen die Ent-
scheidung des Insolvenzgerichts, einen Sonderinsolvenzverwalter zu bestellen,
besteht kein Beschwerderecht der Sparkasse.
Entschieden hat der Senat, dass der Insolvenzverwalter weder die Ent-
scheidung des Insolvenzgerichts anfechten kann, durch die ein Sonderinsol-
venzverwalter bestellt wird, noch über ein Antragsrecht nach § 78 Abs. 1 InsO
verfügt, wenn der Beschluss der Gläubigerversammlung darauf gerichtet ist,
einen Sonderinsolvenzverwalter einzusetzen mit der Aufgabe, einen Anspruch
der Gläubiger gegen den Insolvenzverwalter auf Ersatz eines Gesamtschadens
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zu prüfen und gegebenenfalls durchzusetzen (BGH, Beschluss vom
20. Februar 2014 - IX ZB 16/13, NZI 2014, 307 Rn. 6, 9 f; vgl. auch BGH, Be-
schluss vom 1. Februar 2007 - IX ZB 45/05, NZI 2007, 237 Rn. 6 ff). Umgekehrt
steht dem Schuldner kein Beschwerderecht zu, wenn das Insolvenzgericht es
ablehnt, einen Sonderinsolvenzverwalter zur Prüfung und Durchsetzung von
Gesamtschadensansprüche gegen den Insolvenzverwalter zu bestellen (BGH,
Beschluss vom 2. März 2006 - IX ZB 225/04, NZI 2006, 474 Rn. 10, 12).
Ebenso wenig hat der einzelne Gläubiger ein Antragsrecht auf Bestellung
eines Sonderinsolvenzverwalters und ein Beschwerderecht gegen die ableh-
nende Entscheidung (BGH, Beschluss vom 5. Februar 2009 - IX ZB 187/08,
NZI 2009, 238 Rn. 2 ff; vom 30. September 2010 - IX ZB 280/09, NZI 2010, 940
Rn. 5; vom 16. Dezember 2010 - IX ZB 238/09, ZInsO 2011, 131 Rn. 7; vom
9. Juni 2016 - IX ZB 21/15, ZInsO 2016, 1430 Rn. 10). Es kommt lediglich ein
von einer Entscheidung der Gläubigerversammlung abgeleitetes Beschwerde-
recht des einzelnen Gläubigers entsprechend § 57 Satz 4, § 59 Abs. 2 Satz 2
InsO in Betracht, das der Durchsetzung der Entscheidung der Gläubiger-
gesamtheit dient, nicht der Verwirklichung eines Rechts des einzelnen Gläubi-
gers (BGH, Beschluss vom 30. September 2010, aaO; vgl. BGH, Beschluss
vom 9. Juni 2016, aaO). Daraus folgt, dass der einzelne Gläubiger auch kein
Beschwerderecht hat, wenn das Insolvenzgericht dem Antrag der Gläubigerver-
sammlung auf Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters stattgibt (vgl.
Graeber/Pape, ZIP 2007, 991, 998).
2. Das Insolvenzgericht hätte die Entscheidung der Gläubigerversamm-
lung, einen Sonderinsolvenzverwalter zur Prüfung von Schadensersatzansprü-
chen gegen den Insolvenzverwalter zu bestellen, nicht einfach umsetzen, son-
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dern prüfen müssen, ob die Voraussetzungen einer Sonderinsolvenzverwaltung
gegeben sind.
aa) Ein Sonderinsolvenzverwalter ist zu bestellen, wenn und soweit der
Insolvenzverwalter aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen seine Aufgaben
nicht wahrnehmen kann (BGH, Beschluss vom 2. März 2006 - IX ZB 225/04,
NZI 2006, 474 Rn. 11). Eine solche Verhinderung des Verwalters ist wegen der
in seiner Person bestehenden Interessenkollision gegeben, sofern Schadenser-
satzansprüche der Masse gegen ihn selbst geltend gemacht werden sollen. Zur
Durchsetzung derartiger Ansprüche ist ein Sonderinsolvenzverwalter einzuset-
zen (BGH, Urteil vom 8. Mai 2008 - IX ZR 54/07, NZI 2008, 491 Rn. 16), wenn
der Insolvenzverwalter nicht entlassen und ein neuer Insolvenzverwalter bestellt
wird. Dem Insolvenzgericht obliegt hierbei insbesondere die Prüfung, ob gegen
den Insolvenzverwalter Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden
sollen und ob solche Schadensersatzansprüche bestehen können.
bb) Der Bundesgerichtshof hat noch nicht entschieden, ob das Insol-
venzgericht sich davon überzeugen muss, dass solche Ansprüche tatsächlich
bestehen (vgl. für den Fall, dass der Insolvenzverwalter solche Ansprüche be-
streitet und plausibel einen anderen Tatsachenverlauf darstellt als die Gläubi-
gerversammlung: Frege, Der Sonderinsolvenzverwalter, 2008, Rn. 218), ob sie
glaubhaft gemacht sein müssen, ob sie sich schlüssig aus der Akte ergeben
müssen oder ob es ausreicht, dass solche Schadensersatzansprüche möglich
(HK-InsO/Schmidt, InsO, 8. Aufl. § 92 Rn. 52; Jaeger/Müller, InsO, § 92 Rn. 44;
Schmidt, InsO, 19. Aufl., § 92 Rn. 23), naheliegend (Schmidt/Ries, aaO, § 56
Rn. 67: naheliegende Befürchtung), nicht fernliegend (AG Göttingen, ZIP 2006,
629, 630; Wittkowski/Kruth in Nerlich/Römermann, InsO, 2012, § 92 Rn. 18;
HmbKomm-InsO/Frind, 5. Aufl., § 56 Rn. 42), nicht völlig fernliegend (OLG
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München, ZIP 1987, 656, 657; AG Homburg, ZInsO 2008, 1146; AG Charlot-
tenburg, ZIP 2015, 1497, 1498; HmbKomm-InsO/Pohlmann, aaO, § 92 Rn. 56;
MünchKomm-InsO/Graeber, 3. Aufl., § 56 Rn. 156) oder sie nicht von vornhe-
rein ausgeschlossen (OLG München, ZIP 1987, 656, 657; Lüke in Kübler/
Prütting/Bork, InsO, 2009, § 56 Rn. 77b) sind.
Richtigerweise muss sich das Insolvenzgericht hiervon nicht vorab über-
zeugen, will es die Sonderinsolvenzverwaltung zur Prüfung von Schadenser-
satzansprüchen gegen den Insolvenzverwalter anordnen. Dies nähme die Auf-
gabe des Sonderinsolvenzverwalters vorweg. Im Übrigen hat allein das Pro-
zessgericht, wenn es denn angerufen wird, über die Haftung des Insolvenzver-
walters zu entscheiden (vgl. Graeber/Pape, ZIP 2007, 991, 993 f).
Es kann als Voraussetzung allerdings auch nicht genügen, dass ein Ge-
samtschadensersatzanspruch nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Dies
wird sich in vielen Insolvenzverfahren nicht feststellen lassen, so dass hierin ein
sinnvolles Abgrenzungskriterium nicht liegen kann und einer missbräuchlichen
Verwendung des Instituts der Sonderinsolvenzverwaltung Tür und Tor geöffnet
wäre. Vielmehr muss das Insolvenzgericht aufgrund des Akteninhalts oder nach
dem Vortrag eines Verfahrensbeteiligten oder dem Beschluss der Gläubiger-
versammlung hinreichende rechtliche und tatsächliche Anhaltspunkte haben,
dass ein Gesamtschadensersatzanspruch der Masse gegen den Insolvenzver-
walter möglich erscheint (vgl. Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 14. Aufl., § 56 Rn. 57;
vgl. auch HK-InsO/Riedel, 8. Aufl. § 56 Rn. 34). Es muss, ähnlich wie im Pro-
zesskostenhilfeverfahren, summarisch prüfen, ob das Bestehen eines Gesamt-
schadensersatzanspruchs gegen den Insolvenzverwalter hinreichend wahr-
scheinlich ist (vgl. Graeber/Pape, aaO).
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cc) Weiter hat das Insolvenzgericht abzuwägen, welche Folgen die Be-
stellung eines Sonderinsolvenzverwalters für den Verwalter und den weiteren
Verfahrensverlauf haben kann. Denn die Einsetzung eines Sonderinsolvenz-
verwalters kann neben erheblichen Kosten zu deutlichen Verfahrens-
verzögerungen führen und damit den Erfolg des Gesamtverfahrens beinträchti-
gen. Bei geringfügigen und zweifelhaften Ansprüchen kann es eher gerechtfer-
tigt sein, auf die Bestellung eines Sonderverwalters zu verzichten, als bei hohen
oder als gesichert zu beurteilenden Ansprüchen (vgl. Graeber/Pape, aaO;
HmbKomm-InsO/Pohlmann, aaO, § 92 Rn. 56). Hierbei wird es die Interessen
der Insolvenzgläubiger zu beachten haben, weil das Verfahren primär in ihrem
Interesse durchgeführt wird. Deswegen wird sich das Gericht nachvollziehbar
begründete, dem gemeinsamen Interesse aller Gläubiger (§ 78 Abs. 1 InsO)
nicht widersprechende Entscheidungen der Gläubigerversammlung zu Eigen
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machen und im Einzelfall von der Anordnung einer Sonderverwaltung absehen,
wenn dies mit den sonstigen Regeln des Verfahrens vereinbar ist (vgl. Graeber/
Pape, aaO).
Kayser
Vill
Lohmann
Pape
Möhring
Vorinstanzen:
AG Münster, Entscheidung vom 06.12.2014 - 77 IN 111/09 -
LG Münster, Entscheidung vom 24.07.2015 - 5 T 8/15 -