Urteil des BGH vom 20.11.2014

Einzelrichter, Forderungsanmeldung, Antragsrecht, Beschränkung, Verschulden

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I X Z B 5 6 / 1 3
vom
20. November 2014
in dem Insolvenzverfahren
- 2 -
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, die Richterin Lohmann, die Richter Dr. Pape, Grupp und die
Richterin Möhring
am 20. November 2014
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin wird der Beschluss
der 3. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 9. Juli 2013 auf-
gehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zu-
rückverwiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € fest-
gesetzt.
Gründe:
I.
Der weitere Beteiligte zu 1 hat eine Forderung aus einem im Jahr 1997
notariell beurkundeten Anerkenntnis der Schuldnerin. Diese beantragte am
25. Juli 2011 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. In dem
von ihr eingereichten Gläubiger- und Forderungsverzeichnis führte sie die For-
1
- 3 -
derung des weiteren Beteiligten zu 1 nicht auf. Das Insolvenzgericht eröffnete
am 19. August 2011 das Verbraucherinsolvenzverfahren und ordnete das
schriftliche Verfahren an. Der weitere Beteiligte zu 1 meldete seine Forderung
nicht an. Nachdem er von dritter Seite Kenntnis von dem Insolvenzverfahren
erlangt hatte, beantragte er zu dem als Schlusstermin geltenden Zeitpunkt, der
Schuldnerin die Restschuldbefreiung zu versagen.
Das Insolvenzgericht hat der Schuldnerin die Erteilung der Restschuldbe-
freiung versagt. Den Umstand, dass der weitere Beteiligte zu 1 seine Forderung
nicht zur Tabelle angemeldet hatte, hat es für unerheblich gehalten, weil dies
von der Schuldnerin verhindert worden sei. Die sofortige Beschwerde der
Schuldnerin hat keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Einzelrichter des Beschwer-
degerichts wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Rechtsbeschwerde
verfolgt die Schuldnerin ihren Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung wei-
ter.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO, §§ 6,
289 Abs. 2 Satz 1 InsO) und auch im Übrigen zulässig. Sie führt zur Aufhebung
der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das
Beschwerdegericht.
Entscheidet der originäre Einzelrichter - wie hier - in einer Sache, der er
rechtsgrundsätzliche Bedeutung beimisst, über die Beschwerde und lässt er die
Rechtsbeschwerde zu, so ist die Zulassung wirksam. Auf die Rechtsbeschwer-
de unterliegt die Entscheidung jedoch wegen fehlerhafter Besetzung des Be-
2
3
4
- 4 -
schwerdegerichts der Aufhebung von Amts wegen, weil der Einzelrichter in
Rechtssachen, denen er grundsätzliche Bedeutung beimisst, zwingend das
Verfahren an das Kollegium zu übertragen hat. Bejaht er mit der Zulassungs-
entscheidung zugleich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, ist seine
Entscheidung objektiv willkürlich und verstößt gegen das Verfassungsgebot des
gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (BGH, Beschluss vom
13. März 2003 - IX ZB 134/02, BGHZ 154, 200, 201 ff; vom 28. Juni 2012
- IX ZB 298/11, ZInsO 2012, 1439 Rn. 3 mwN).
III.
Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und die Sache zur
erneuten Entscheidung an den Einzelrichter zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4
Satz 1 ZPO), damit er die gegebenenfalls nach § 568 Satz 2 ZPO erforderliche
Übertragungsentscheidung treffen kann.
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass der weitere
Beteiligte zu 1 nicht befugt war, einen Antrag auf Versagung der Restschuldbe-
freiung zu stellen, weil er seine Forderung gegen die Schuldnerin nicht zur In-
solvenztabelle angemeldet, sich mithin am Insolvenzverfahren nicht beteiligt
hat.
1. Die im Streitfall maßgebliche gesetzliche Regelung des § 290 Abs. 1
InsO in seiner bis zum 30. Juni 2014 geltenden Fassung gestattet die Versa-
gung der Restschuldbefreiung wegen der Verletzung einer Obliegenheit des
Schuldners im Insolvenzverfahren, wenn dies im Schlusstermin von einem In-
solvenzgläubiger beantragt worden ist. Nach der gefestigten Rechtsprechung
5
6
7
- 5 -
des Bundesgerichtshofs sind nur diejenigen Insolvenzgläubiger befugt, einen
Versagungsantrag zu stellen, die ihre Forderung im Insolvenzverfahren ange-
meldet haben. Erst die Teilnahme am Insolvenzverfahren begründet die An-
tragsberechtigung (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2007 - IX ZB 120/05, NZI
2007, 357 Rn. 2; vom 8. Oktober 2009 - IX ZB 257/08, NZI 2009, 856 Rn. 3;
vom 10. August 2010 - IX ZB 127/10, NZI 2010, 865 Rn. 4; vom 11. Oktober
2012 - IX ZB 230/09, NZI 2012, 892 Rn. 10). Da der weitere Beteiligte zu 1 sei-
ne Forderung nicht angemeldet hat, war er nicht berechtigt, die Versagung der
Restschuldbefreiung zu beantragen.
2. Der Umstand, dass die Schuldnerin die Forderung des weiteren Betei-
ligten zu 1 in dem von ihr nach § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO zusammen mit dem Er-
öffnungsantrag eingereichten Gläubiger- und Forderungsverzeichnis nicht an-
gegeben hat, führt zu keiner anderen Beurteilung.
a) Die Befugnis, einen Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung zu
stellen, knüpft, weil es sich um einen Verfahrensantrag handelt, an die objektiv
zu bestimmende Eigenschaft des Gläubigers als Verfahrensbeteiligter an. Ist
diese nicht gegeben, weil der Gläubiger seine Forderung im Verfahren nicht
angemeldet hat, scheidet ein Antragsrecht aus, ohne dass es darauf ankommt,
wer das Unterbleiben der Forderungsanmeldung zu vertreten hat. Der Senat
hat deshalb bereits entschieden, dass vom Schuldner verschwiegene Insol-
venzgläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben, nicht berechtigt
sind, nachträglich während der Wohlverhaltensphase Versagungsanträge nach
§§ 296, 297 InsO zu stellen. Erlangt der Schuldner durch bewusstes Ver-
schweigen einer Forderung die Restschuldbefreiung in unredlicher Weise, kann
der betroffene Gläubiger seinen Anspruch unter Berufung auf § 826 BGB nur im
streitigen Verfahren verfolgen (BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2008 - IX ZB
8
9
- 6 -
16/08, ZInsO 2009, 52 Rn. 2). Dementsprechend ist ein Insolvenzgläubiger in
einem solchen Fall auch nicht befugt, im Schlusstermin einen Versagungsan-
trag nach § 290 InsO zu stellen.
b) Ein Antragsrecht nach § 290 Abs. 1 InsO stünde dem weiteren Betei-
ligten zu 1 selbst dann nicht zu, wenn von Bedeutung wäre, ob der Gläubiger
an der Forderungsanmeldung ohne sein Verschulden gehindert war. Denn die
Anmeldung einer Forderung kann noch im Schlusstermin erfolgen (BGH, Urteil
vom 19. Januar 2012 - IX ZR 4/11, NZI 2012, 323 Rn. 10; MünchKomm-InsO/
Riedel, 3. Aufl., § 177 Rn. 10; Uhlenbruck/Sinz, InsO, 13. Aufl., § 177 Rn. 8;
HK-InsO/Depré, 7. Aufl., § 177 Rn. 1). Will ein bisher nicht am Verfahren betei-
ligter Gläubiger im Schlusstermin einen Antrag auf Versagung der Restschuld-
befreiung stellen, kann er deshalb noch rechtzeitig durch Anmeldung seiner
Forderung die Stellung eines Verfahrensbeteiligten erlangen.
c) Die Obliegenheitsverletzung des Schuldners, der im Gläubiger- und
Forderungsverzeichnis unrichtige oder unvollständige Angaben macht, muss
deshalb nicht folgenlos bleiben. Neben der dem betroffenen Gläubiger eröffne-
ten Möglichkeit, sich gegenüber dem Schuldner auf § 826 BGB zu berufen,
steht es den am Verfahren beteiligten Insolvenzgläubigern frei, die Versagung
der Restschuldbefreiung zu beantragen. Denn hierzu ist jeder Insolvenzgläubi-
ger berechtigt, der seine Forderung angemeldet hat, nicht nur der im Einzelfall
von den unrichtigen Angaben betroffene (BGH, Beschluss vom 22. Februar
2007 - IX ZB 120/05, NZI 2007, 357 Rn. 2; vom 21. Januar 2010 - IX ZB
164/09, ZInsO 2010, 631 Rn. 15).
d) Die Beschränkung der Antragsbefugnis nach § 290 Abs. 1 InsO aF auf
am Verfahren beteiligte Insolvenzgläubiger ist zwischenzeitlich auch in den
10
11
12
- 7 -
Wortlaut des Gesetzes übernommen worden. Durch das Gesetz zur Verkür-
zung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrech-
te vom 15. Juli 2013 (BGBl. I S. 2379) wurde § 290 Abs. 1 InsO mit Wirkung
vom 1. Juli 2014 dahin geändert, dass die Restschuldbefreiung nur zu versagen
ist, wenn dies von einem Insolvenzgläubiger, der seine Forderung angemeldet
hat, beantragt worden ist. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs sollte
dadurch ausdrücklich die zur bisherigen Gesetzesfassung entwickelte Recht-
sprechung nachgezeichnet werden (BT-Drucks. 17/11268, S. 26).
Kayser
Lohmann
Pape
Grupp
Möhring
Vorinstanzen:
AG Verden (Aller), Entscheidung vom 20.03.2013 - 11 IK 187/11 -
LG Verden, Entscheidung vom 09.07.2013 - 3 T 58/13 -