Urteil des BGH vom 24.03.2016

Wirksames Rechtsmittel, Gesetzliche Vertretung, Gesellschafterversammlung, Wohnung

ECLI:DE:BGH:2016:240316BIXZB31.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 31/15
vom
24. März 2016
in dem Insolvenzverfahren
über das Vermögen der
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, die Richterin Lohmann, die Richter Dr. Pape, Grupp und die
Richterin Möhring
am 24. März 2016
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin wird der Beschluss
der 23. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld vom 14. April 2015
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zu-
rückverwiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000
€ fest-
gesetzt.
Gründe:
I.
Die n. GmbH, an der die Beteiligten zu 2
und 3 mit jeweils 50 v.H. beteiligt sind, wurde im Mai 2013 mit einem Stammka-
pital in Höhe von 50.000
€ gegründet und im Juni 2013 im Handelsregister ein-
getragen. Sie ist die persönlich haftende Gesellschafterin der Schuldnerin, einer
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Kommanditgesellschaft, die im Juli 2013 im Handelsregister eingetragen wurde.
Kommanditisten sind die weiteren Beteiligten zu 2 und 3 mit einem Kommandit-
anteil von jeweils 5.000
€. Beide Gesellschaften haben ihren Sitz in Herford in
der E. straße . Bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichts waren im
Handelsregister als Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin
der Schuldnerin die Beteiligten zu 2 und 3 eingetragen; sie wurde durch beide
Geschäftsführerinnen gemeinsam vertreten. Schon kurz nach der Gründung der
Gesellschaften kam es zwischen den beiden Gesellschafterinnen und Ge-
schäftsführerinnen zu einem Zerwürfnis, so dass der Geschäftsbetrieb nicht
aufgenommen wurde.
Am 21. Oktober 2013 stellte die weitere Beteiligte zu 3 die Anträge, so-
wohl über das Vermögen der persönlich haftenden Gesellschafterin als auch
über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren zu eröffnen. Als
Insolvenzgrund gab sie an, sowohl die persönlich haftende Gesellschafterin wie
auch die Schuldnerin seien zahlungsunfähig. Dem trat die weitere Beteiligte
zu 2 entgegen und bestritt die von der weiteren Beteiligten zu 3 angegebenen
Forderungen gegen die Schuldnerin. Nach Einholung von Gutachten eröffnete
das Insolvenzgericht am 22. August 2014 die Insolvenzverfahren über das
Vermögen beider Gesellschaften und ernannte den Beteiligten zu 1 zum Insol-
venzverwalter. Die sofortigen Beschwerden der persönlich haftenden Gesell-
schafterin und der Schuldnerin gegen die Eröffnungsbeschlüsse, eingelegt
durch die weitere Beteiligte zu 2, verwarf das Beschwerdegericht jeweils als
unzulässig.
Mit Einschreiben vom 16. September 2014 lud die weitere Beteiligte zu 2
die weitere Beteiligte zu 3 zu einer Gesellschafterversammlung der persönlich
haftenden Gesellschafterin für den 30. September 2014 in die Büroräume bei-
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der Gesellschaften in Herford und für den Fall, dass der Zutritt zu diesen Räu-
men durch den Vermieter, den Ehemann der weiteren Beteiligten zu 3, verwei-
gert werde, in die Wohnung der weiteren Beteiligten zu 2 ein. Einziger in der
Ladung angegebener Tagesordnungspunkt war die Abberufung der weiteren
Beteiligten zu 3 als Geschäftsführerin der persönlich haftenden Gesellschafterin
aus wichtigem Grund. Die weitere Beteiligte zu 3 widersprach der Einladung in
die Wohnung der weiteren Beteiligten zu 2, weil ihr dort die Teilnahme an der
Gesellschafterversammlung nicht zuzumuten sei. Dennoch fand die Gesell-
schafterversammlung in der Wohnung der weiteren Beteiligten zu 2 in Abwe-
senheit der weiteren Beteiligten zu 3 statt und sie wurde als Geschäftsführerin
der persönlich haftenden Gesellschafterin abberufen.
Am 21. Oktober 2014 haben die persönlich haftende Gesellschafterin
und die Schuldnerin, beide Gesellschaften vertreten durch die weitere Beteiligte
zu 2, beantragt, beide Insolvenzverfahren nach § 212 InsO einzustellen, weil
die Forderungen, derentwegen die Insolvenzverfahren eröffnet worden seien,
nicht bestünden. Das Insolvenzgericht hat beide Anträge als unzulässig abge-
lehnt, weil sie nicht von beiden Geschäftsführerinnen gestellt worden seien. Die
Rechtsmittel der Schuldnerin und der persönlich haftenden Gesellschafterin,
wobei wiederum allein die weitere Beteiligten zu 2 die persönlich haftende Ge-
sellschafterin vertrat, hat das Landgericht durch Beschlüsse vom 14. April 2015
als unzulässig verworfen, die Rechtsbeschwerden aber zugelassen.
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II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO,
§§ 212, 216 Abs. 2 InsO) und auch im Übrigen zulässig (§ 575 Abs. 1 und 2
ZPO). Insbesondere ist die Schuldnerin im Rechtsbeschwerdeverfahren durch
die persönlich haftende Gesellschafterin und diese durch die weitere Beteiligte
zu 2 wirksam vertreten, auch wenn der Beschluss der Gesellschaf-
terversammlung vom 30. September 2014, durch den die weitere Beteiligte zu 3
als gemeinsam mit der weiteren Beteiligten zu 2 vertretungsbefugte Geschäfts-
führerin der persönlich haftenden Gesellschafterin abberufen worden ist, un-
wirksam sein sollte. Ist die Partei- oder Prozessfähigkeit, die Existenz einer Par-
tei oder ihre gesetzliche Vertretung im Streit, gilt sie bis zur rechtskräftigen
Feststellung des Mangels als partei- oder prozessfähig, existent oder gesetzlich
vertreten (BGH, Urteil vom 11. April 1957 - VII ZR 280/56, BGHZ 24, 91, 94;
Beschluss vom 25. Januar 1978 - IV ZB 9/76, BGHZ 70, 252; vom 13. Juli 1993
- III ZB 17/93, NJW 1993, 2943, 2944; vom 3. Mai 1996 - BLw 54/95,
BGHZ 132, 353, 355; vom 9. November 2010 - VI ZR 249/09, VersR 2011, 507
Rn. 3; Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 56 Rn. 13). Die Rechtsbeschwerde
hat auch in der Sache Erfolg.
III.
Die Rechtsbeschwerde führt zur Zurückverweisung der Sache an das
Beschwerdegericht.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die sofortige Beschwerde sei
unzulässig. Nach § 216 Abs. 2 InsO stehe nur der Schuldnerin gegen die Ab-
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lehnung des Einstellungsantrags gemäß § 212 InsO die sofortige Beschwerde
zu. Bei juristischen Personen müsse bereits der gemäß § 212 InsO mögliche
Einstellungsantrag von sämtlichen organschaftlichen Vertretern gestellt werden.
Entsprechendes gelte für die Beschwerdeberechtigung. Die Schuldnerin sei
eine Kommanditgesellschaft und werde durch die persönlich haftende Gesell-
schafterin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, vertreten. Diese wiede-
rum werde durch die weiteren Beteiligten zu 2 und 3 als gemeinschaftlich ver-
tretungsbefugte Geschäftsführerinnen vertreten. Da die Beschwerde für die
Schuldnerin jedoch lediglich durch die weitere Beteiligte zu 2 eingelegt worden
sei, sei kein wirksames Rechtsmittel erfolgt.
Die Alleinvertretungsbefugnis ergebe sich auch nicht aus dem Beschluss
der Gesellschafterversammlung vom 30. September 2014, durch den die weite-
re Beteiligte zu 3 als Geschäftsführerin der persönlich haftenden Gesellschafte-
rin abberufen worden sei. Dieser Gesellschafterbeschluss sei entsprechend
§ 241 Nr. 1 AktG wegen eines schwerwiegenden Einberufungsmangels nichtig.
Ein solcher schwerwiegender, zur Nichtigkeit des Gesellschafterbeschlusses
führender Einberufungsmangel liege in der Wahl des Orts der Gesellschafter-
versammlung in der Wohnung der weiteren Beteiligten zu 2. Die Einladung ver-
feindeter oder zerstrittener Gesellschafter in die Wohnung eines Mitgesellschaf-
ters sei schikanös und unzumutbar.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die
persönlich haftende Gesellschafterin und damit auch die Schuldnerin wurden
durch die weitere Beteiligte zu 2 wirksam vertreten, wenn die weitere Beteiligte
zu 3 durch einen förmlich festgestellten Beschluss der Gläubigerversammlung
vom 30. September 2014 als Geschäftsführerin der persönlich haftenden Ge-
sellschafterin abberufen worden ist. Denn dann wäre dieser Beschluss wegen
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der Einladung der Gesellschafter in die Privatwohnung der weiteren Beteiligten
zu 2 zwar verfahrensfehlerhaft zustande gekommen, aber nicht nichtig, sondern
nur anfechtbar. Da die weitere Beteiligte zu 3 ihn nicht angefochten hat, wäre
der Beschluss deswegen wirksam. Wenn der Abberufungsbeschluss hingegen
nicht förmlich festgestellt worden ist, führt der festgestellte Ladungsmangel zur
Nichtigkeit des Beschlusses, weil es sich wegen der fehlenden Anwesenheit der
weiteren Beteiligten zu 3 an der Gesellschafterversammlung nicht ausschließen
lässt, dass der Mangel auf die Beschlussfassung keinen Einfluss hatte. Fest-
stellungen dazu, ob der Abberufungsbeschluss förmlich festgestellt worden ist,
hat das Beschwerdegericht nicht getroffen. Eine eigene Sachentscheidung ist
dem Senat wegen fehlender Feststellungen und wegen fehlender Beteiligung
der Beteiligten zu dieser Frage nicht möglich. Zur weiteren Begründung wird auf
den unter dem heutigen Datum ergangenen Beschluss des Senats in der Paral-
lelsache IX ZB 32/15 (zVb) verwiesen.
III.
Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Er ist
aufzuheben. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat nicht möglich. Die
Sache ist deswegen gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO zurückzuverweisen. Das
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Beschwerdegericht wird nunmehr prüfen müssen, ob der Abberufungsbe-
schluss förmlich festgestellt ist. Wenn es dies bejaht, wird es die weiteren
Voraussetzungen des § 212 InsO prüfen müssen.
Kayser
Lohmann
Pape
Grupp
Möhring
Vorinstanzen:
AG Bielefeld, Entscheidung vom 20.01.2015 - 43 IN 957/13 -
LG Bielefeld, Entscheidung vom 14.04.2015 - 23 T 130/15 -