Urteil des BGH vom 19.05.2011

Leitsatzentscheidung zu Verfahrenskosten, Stundung, Anhörung, Auskunft, Verfahrensgegenstand

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 274/10
vom
19. Mai 2011
in dem Restschuldbefreiungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
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InsO § 296 Abs. 1, Abs. 2
Verweigert der Schuldner seine Mitwirkung im Versagungsverfahren nach § 296
Abs. 2 InsO, kann ihm die Restschuldbefreiung nur versagt werden, wenn diesem
Verfahren ein statthafter Versagungsantrag nach § 296 Abs. 1 InsO zugrunde liegt;
zulässig muss der Antrag nicht sein.
BGH, Beschluss vom 19. Mai 2011 - IX ZB 274/10 - LG Aschaffenburg
AG Aschaffenburg
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Fischer, Grupp und die
Richterin Möhring
am 19. Mai 2011
beschlossen:
Dem Schuldner wird wegen Versäumung der Frist zur Einlegung
und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss
der 4. Zivilkammer des Landgerichts Aschaffenburg vom 21. Sep-
tember 2010 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt.
Auf die Rechtsmittel des Schuldners werden die Beschlüsse der
4. Zivilkammer des Landgerichts Aschaffenburg vom 21. Septem-
ber 2010 und des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 14. Juli 2010
aufgehoben.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird
auf 5.000
€ festgesetzt.
Gründe:
I.
Das im Oktober 2004 eröffnete Insolvenzverfahren über das Vermögen
des Schuldners wurde nach Ankündigung der Restschuldbefreiung im April
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2008 aufgehoben, § 200 InsO. Im Mai 2010 hat der Treuhänder dem Insol-
venzgericht mitgeteilt, dass trotz Aufforderung seinerseits der Schuldner keine
Erklärungen über seine Einkommensverhältnisse abgegeben habe. Nachdem
der Schuldner auch gegenüber dem Insolvenzgericht trotz entsprechenden Ver-
langens und einer Belehrung über die Folgen der unterlassenen Mitwirkung die
angeforderten Auskünfte nicht erteilt hatte, hat das Amtsgericht die Rest-
schuldbefreiung versagt und die Stundung der Verfahrenskosten aufgehoben.
Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht zurückge-
wiesen. Hiergegen wendet sich der Schuldner mit seiner Rechtsbeschwerde,
mit der er die Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse über die Versagung
der Restschuldbefreiung und die Aufhebung der Stundung der Verfahrenskos-
ten begehrt.
II.
Dem Schuldner ist nach Gewährung von Prozesskostenhilfe zur Durch-
führung des Rechtsbeschwerdeverfahrens wegen der Versäumung der Frist zur
Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand zu gewähren (§§ 233, 234 Abs. 2, § 575 ZPO).
III.
Die gemäß §§ 7, 6 Abs. 1, § 296 Abs. 3 Satz 1 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 ZPO statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde (§ 574
Abs. 2 Nr. 2 ZPO) ist begründet.
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1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, der Schuldner sei ausweislich
der Auskunft des Treuhänders seinen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten
nicht nachgekommen. Die ihm gerichtlich gesetzte Frist habe er ungenutzt ver-
streichen lassen. Die Versagung der Restschuldbefreiung werde auf § 296
Abs. 2 Satz 3 InsO gestützt; in diesem Fall sei die Restschuldbefreiung von
Amts wegen zu versagen.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Einem Schuldner kann nach § 296 Abs. 2 Satz 3 InsO die Restschuldbefreiung
nur versagt werden, wenn ein hierzu berechtigter Gläubiger einen Versagungs-
antrag nach § 296 Abs. 1 InsO gestellt hat, der zu dem Auskunftsverlangen des
Absatzes 2 der Vorschrift geführt hat.
a) Gemäß § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO bedarf es zur Versagung der Rest-
schuldbefreiung zwingend eines Gläubigerantrages. Ein solcher Antrag ist nur
zulässig, wenn die Versagungsvoraussetzungen glaubhaft gemacht werden, die
sich aus § 296 Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO ergeben. Nach § 296 Abs. 1 Satz 1
InsO muss der Schuldner während der Laufzeit der Abtretungserklärung gemäß
§ 287 Abs. 2 InsO eine seiner Obliegenheiten schuldhaft verletzt haben. Weiter
muss die Befriedigung der Insolvenzgläubiger durch die Obliegenheitsverlet-
zung beeinträchtigt sein (BGH, Beschluss vom 1. Juli 2010 - IX ZB 148/09,
ZInsO 2010, 1558 Rn. 7).
Die Vorschrift des § 296 Abs. 2 Satz 3 InsO enthält gegenüber § 296
Abs. 1 InsO einen eigenständigen Versagungstatbestand, der an die Mitwir-
kungspflichten des Schuldners im Versagungsverfahren nach § 296 Abs. 2
Satz 1 InsO anknüpft. Wegen seiner einschneidenden Wirkungen ist der
Schuldner in geeigneter Weise darüber aufzuklären, dass seine Mitwirkung, die
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allerdings nicht erzwungen werden kann, sanktionsbewehrt ist und im Falle ei-
ner unentschuldigten Verweigerung schon deshalb die Versagung der Rest-
schuldbefreiung droht (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2009 - IX ZB 116/08,
ZInsO 2009, 1268 Rn. 9; vom 21. Januar 2010 - IX ZB 67/09, ZInsO 2010, 391
Rn. 22).
b) Das Verhältnis dieser beiden Versagungstatbestände zueinander ist in
Rechtsprechung und Literatur umstritten. Einerseits wird aus der Gesetzessys-
tematik des § 296 InsO geschlossen, dass die Restschuldbefreiung nach § 296
Abs. 2 Satz 3 InsO nur dann auch ohne Antrag eines Gläubigers versagt wer-
den könne, wenn der Schuldner in dem sich an einen zulässigen Versagungs-
antrag eines Gläubigers gemäß § 296 Abs. 1 InsO anschließenden Verfahren
seinen Auskunftspflichten nach § 296 Abs. 2 Satz 2 InsO nicht nachgekommen
sei (vgl. FK-InsO/Ahrens, 6. Aufl., § 296 Rn. 39, 45; MünchKomm-InsO/
Stephan, 2. Aufl., § 296 Rn. 24, 33; Uhlenbruck/Vallender, InsO, 13. Aufl.,
§ 296 Rn. 31; HK-InsO/Landfermann, 5. Aufl., § 296 Rn. 12, 14). Vorausset-
zung für die Versagung der Restschuldbefreiung gemäß § 296 Abs. 2 Satz 3
InsO sei ein Verstoß gegen die dort geregelten Verfahrensobliegenheiten. Erst
ein solcher Verstoß stelle den von Amts wegen zu berücksichtigenden Versa-
gungsgrund nach § 296 Abs. 2 Satz 3 InsO dar. Diese besonderen Obliegen-
heiten träfen den Schuldner jedoch erst, nachdem der Gläubiger einen nach
§ 296 Abs. 1 InsO zulässigen Versagungsantrag gestellt habe (vgl. LG Frei-
burg, Beschluss vom 13. Januar 2011 - 3 T 312/10 Rn. 7; AG Köln, Beschluss
vom 2. März 2011 - 74 IK 7/09 Rn. 5, 6; AG Wuppertal, Beschluss vom
14. März 2011 - 145 IK 723/08 Rn. 12; alle Entscheidungen nur in juris veröf-
fentlicht; FK-InsO/Ahrens, 6. Aufl., § 296 Rn. 39).
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Andererseits wird die Ansicht vertreten, die Restschuldbefreiung könne
dem Schuldner ohne jeden Gläubigerantrag versagt werden, wenn er schuld-
haft seine Verfahrensobliegenheiten nicht erfülle. Dies soll sich aus Sinn und
Zweck der Obliegenheiten des § 295 InsO auf der einen und des § 296 Abs. 2
Satz 2 InsO auf der anderen Seite ergeben. § 295 InsO sichere die Gläubiger-
befriedigung, § 296 Abs. 2 Satz 3 InsO die Verfahrensförderung. Diese stehe
nicht zur Disposition der Gläubiger, und auf ihre Verletzung könne ein Gläubi-
ger einen Versagungsantrag nicht stützen. Die Verfahrensobliegenheiten des
Schuldners dienten der Entlastung der Insolvenzgerichte, nur diese seien die
Betroffenen, die im Nichterfüllungsfall von Amts wegen darauf reagieren könn-
ten (vgl. AG Mannheim, NZI 2010, 490 f; AG Hamburg, NZI 2010, 446 f; Jacobi,
ZVI 2010, 289, 290 f).
c) Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 296 Abs. 2 Satz 1
InsO kann es eine Versagung der Restschuldbefreiung ohne einen Gläubi-
gerantrag nicht geben.
aa) Ohne den Antrag eines hierzu berechtigten Gläubigers setzt die
Amtsermittlungspflicht des Insolvenzgerichts zum Vorliegen von Versagungs-
gründen nicht ein (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2003 - IX ZB
37/03, BGHZ 156, 139, 142). Mit seinem Antrag bestimmt der Gläubiger zu-
gleich den Verfahrensgegenstand. Das Insolvenzgericht darf die Entscheidung
über die Versagung der Restschuldbefreiung nicht von Amts wegen auf andere
als die vom Antragsteller geltend gemachten Versagungsgründe stützen (vgl.
BGH, Beschluss vom 21. Januar 2010 - IX ZB 67/09, ZInsO 2010, 391 Rn. 11).
Dies belegt, dass das Verfahren auf Versagung der Restschuldbefreiung der
Gläubigerautonomie unterliegt. Ausdrücklich wird in der Begründung zum Re-
gierungsentwurf
des
Einführungsgesetzes
zur
Insolvenzordnung
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(BT-Drucks. 12/3803 S. 65) darauf verwiesen, dass die Entscheidung über die
Restschuldbefreiung in einem kontradiktorischen Verfahren nach Anhörung der
Beteiligten ergehe (vgl. FK-InsO/Ahrens, aaO, § 296 Rn. 21).
bb) Da es für den Insolvenzgläubiger in der Regel schwierig ist, Erkennt-
nisse darüber zu erlangen, ob der Schuldner seinen Obliegenheiten in der
Treuhandzeit nachkommt, begründet § 296 Abs. 2 Satz 2 InsO besondere Aus-
kunftspflichten für den Schuldner (vgl. FK-InsO/Ahrens, aaO, § 296 Rn. 39), die
jedoch erst entstehen, wenn ein Gläubiger einen Antrag nach § 296 Abs. 1
InsO
gestellt
hat
(vgl.
die
Begründung
zu
§ 245
RegE-InsO,
BT-Drucks. 12/2443, S. 193). Wenn der Schuldner diesen besonderen, sich
aus § 296 Abs. 2 Satz 2 InsO ergebenden Auskunftspflichten nicht nachkommt,
ist ihm die Restschuldbefreiung zu versagen, ohne dass es eines zusätzlichen
Antrages, der diesen Tatbestand aufgreift, bedarf (vgl. BGH, Beschluss vom
14. Mai 2009 - IX ZB 116/08, ZInsO 2009, 1268 Rn. 9).
cc) Allerdings tritt das Insolvenzgericht nach § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO
grundsätzlich erst auf der Grundlage eines zulässigen Gläubigerantrages in die
Amtsermittlung ein (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2003 - IX ZB
37/03, BGHZ 156, 139, 142). Dem entspricht es, dass die besonderen Aus-
kunftspflichten des Schuldners regelmäßig auch erst nach einem zulässigen
Gläubigerantrag entstehen (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2009 - IX ZB 116/08,
ZInsO 2009, 1268 Rn. 9). Jedoch kann ein zunächst zulässiger Versagungsan-
trag im Laufe des Verfahrens unzulässig werden, wenn etwa aufgrund von Vor-
trag des Schuldners der Versagungsgrund nicht mehr glaubhaft erscheint. Auch
mag die Bewertung des Gerichts, ob nach umfassender Würdigung aller Um-
stände mehr für das Vorliegen eines Versagungsgrundes spricht, sich im Laufe
des Verfahrens ändern, schließlich kann es verschiedene vertretbare Bewer-
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tungen geben. Deswegen kann es für die Versagung nach § 296 Abs. 2 Satz 3
InsO nicht darauf ankommen, ob der Versagungsantrag nach Auffassung des
Beschwerdegerichts zum Zeitpunkt der Versagungsentscheidung zulässig war.
Es widerspräche Sinn und Zweck der Anhörung nach § 296 Abs. 2 Satz 1 InsO,
wenn in diesem Termin über die Zulässigkeit des Versagungsverfahrens gestrit-
ten werden könnte. Anderenfalls wäre dem Schuldner die Möglichkeit eröffnet,
sich unter Hinweis auf eine nach seiner Ansicht nicht ausreichende Glaubhaft-
machung des Gläubigerantrags den Anordnungen des Insolvenzgerichts
- gegebenenfalls auch das Verschulden ausschließend - zu widersetzen und
das Verfahren zu verzögern. Dem Schuldner, der die Rechtswohltat der Rest-
schuldbefreiung erstrebt, ist es zuzumuten, über die Erfüllung seiner Obliegen-
heiten Auskunft zu erteilen, selbst wenn der Versagungsantrag des Gläubigers
unzureichend ist.
d) Vorliegend fehlt es an einem Gläubigerantrag. Das Insolvenzgericht
hat das Versagungsverfahren nach § 296 Abs. 2 InsO von Amts wegen einge-
leitet. Dies sieht die Insolvenzordnung nicht vor. Der Versagungsbeschluss
kann deswegen keinen Bestand haben und ist aufzuheben.
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3. Da die Aufhebung der bewilligten Stundung der Verfahrenskosten al-
lein mit der Versagung der Restschuldbefreiung begründet worden ist (§ 4c
Nr. 5 InsO), war der Beschluss auch insoweit aufzuheben.
Kayser Gehrlein Fischer
Grupp Möhring
Vorinstanzen:
AG Aschaffenburg, Entscheidung vom 14.07.2010 - 4 IN 336/04 -
LG Aschaffenburg, Entscheidung vom 21.09.2010 - 43 T 161/10 -
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