Urteil des BGH vom 10.02.2011

Leitsatzentscheidung zu Verschulden, Treuhänder, Irrtum, Unrichtigkeit, Hilfsperson

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 250/08
vom
10. Februar 2011
in dem Insolvenzverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
InsO § 290 Abs. 1 Nr. 6; ZPO § 85 Abs. 2
Dem Schuldner kann das Fehlverhalten seines Verfahrensbevollmächtigten, der das
vollständig ausgefüllte und unterzeichnete Vermögensverzeichnis eigenmächtig än-
dert, nicht als eigenes (qualifiziertes) Verschulden zugerechnet werden.
BGH, Beschluss vom 10. Februar 2011 - IX ZB 250/08 - AG Landshut
LG Landshut
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, die Richterin Lohmann und
den Richter Dr. Fischer
am 10. Februar 2010
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Gläubigers wird der Beschluss der
3. Zivilkammer des Landgerichts Landshut vom 29. September
2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Beschwerdegericht zu-
rückverwiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € fest-
gesetzt.
Gründe:
I.
Die anwaltlich vertretene Schuldnerin beantragte am 25. Juli 2006 die
Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über ihr Vermögen sowie Rest-
schuldbefreiung und Stundung der Verfahrenskosten. Dem Antrag war unter
anderem eine Vermögensübersicht beigefügt, welche das Datum 19. Juli 2006
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sowie die Unterschrift der Schuldnerin trägt. Am 12. Oktober 2006 wurde das
Insolvenzverfahren eröffnet und der weitere Beteiligte zu 2 (fortan: Treuhänder)
zum Treuhänder bestellt. Am 4. April 2008 ordnete das Insolvenzgericht unter
Fristsetzung bis zum 3. Juni 2008 das schriftliche Verfahren für den Schluss-
termin an.
Am 15. April 2008 hat der weitere Beteiligte zu 1 (fortan: Gläubiger), der
frühere Ehemann der Schuldnerin, die Versagung der Restschuldbefreiung be-
antragt, weil die Schuldnerin im Vermögensverzeichnis das Miteigentum an ei-
ner Eigentumswohnung, die aus der Vermietung der Wohnung erzielten Miet-
einkünfte, ihre Unterhaltsansprüche gegen ihn sowie insbesondere einen am
17. Juli 2006 überwiesenen Betrag von 1.536 € für die Monate Februar bis Juli
2006 verschwiegen habe; auch den von August bis November 2006 fortlaufend
gezahlten Unterhalt von monatlich 256 € habe sie gegenüber dem Treuhänder
nicht angegeben. Schließlich habe sie nicht mitgeteilt, dass sie mit notariellem
Vertrag vom 25. Juli 2002 ihren Miteigentumsanteil an dem Grundstück V.
in D. gegen Einräumung eines Leibgedinges ein-
schließlich eines Wohnrechts auf ihre Tochter übertragen habe.
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Das Insolvenzgericht hat die Restschuldbefreiung versagt, weil die
Schuldnerin die Mieteinnahmen, den Unterhaltsanspruch sowie das Leibgedin-
ge grob fahrlässig verschwiegen habe. Auf die sofortige Beschwerde der
Schuldnerin hat das Landgericht den Versagungsantrag des Gläubigers unter
Aufhebung des Beschlusses des Insolvenzgerichts abgewiesen. Mit seiner
Rechtsbeschwerde will der Gläubiger die Wiederherstellung des insolvenzge-
richtlichen Beschlusses erreichen.
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II.
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 289 Abs. 2, §§ 6, 7 InsO, § 574 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie führt zur Aufhe-
bung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an
das Beschwerdegericht.
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1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die Vermögensübersicht sei
unvollständig gewesen, weil sie weder die Mieteinnahmen noch den Unterhalts-
anspruch ausgewiesen habe; im Ergänzungsblatt 5c habe das Leibgedinge ge-
fehlt. Die Schuldnerin habe jedoch nicht grob fahrlässig gehandelt. Es seien
lediglich zwei Gläubiger vorhanden gewesen, die bestens informiert gewesen
seien. Die Schuldnerin habe sich anwaltlicher Hilfe sowie einer Schuldnerbera-
terin bedient und sich ersichtlich bemüht, die amtlichen Formulare richtig auszu-
füllen. Den Unterhaltsanspruch habe sie zunächst angegeben. Es könne nicht
ausgeschlossen werden, dass das Überkleben der Eintragung ohne Rückspra-
che mit der Schuldnerin in der Kanzlei ihres Verfahrensbevollmächtigten erfolgt
sei.
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2. Die Schuldnerin hat eine gesetzliche Auskunftspflicht verletzt und da-
mit die objektiven Voraussetzungen des Versagungstatbestandes des § 290
Abs. 1 Nr. 6 InsO erfüllt. Die Ausführungen des Beschwerdegerichts zu dessen
subjektiven Voraussetzungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht in allen
Punkten stand.
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a) Hinsichtlich des Unterhaltsanspruchs hat das Beschwerdegericht ein
vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten der Schuldnerin im Ergebnis zu-
treffend verneint.
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aa) Entgegen der Ansicht des Gläubigers kann der Schuldnerin ein mög-
liches Fehlverhalten ihrer Verfahrensbevollmächtigten nicht gemäß §§ 4 InsO,
85 Abs. 2 ZPO zugerechnet werden. Gemäß § 85 Abs. 2 ZPO steht das Ver-
schulden eines Prozessbevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich. Im
Insolvenzverfahren könnte diese Vorschrift über die Verweisung in § 4 InsO
entsprechende Anwendung auf die Versäumung von Verfahrenshandlungen
Anwendung finden (vgl. MünchKomm-InsO/Ganter, 2. Aufl. § 4 Rn. 52). Kommt
es jedoch darauf an, ob der Schuldner in den nach § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO vor-
zulegenden Verzeichnissen seines Vermögens und seines Einkommens, seiner
Gläubiger und der gegen ihn gerichteten Forderungen vorsätzlich oder grob
fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat (§ 290 Abs. 1
Nr. 6 InsO), kann dies jedoch nur nach dem Verhalten des Schuldners selbst
beurteilt werden. Die Versagungstatbestände des § 290 Abs. 1 InsO sind Aus-
druck des Grundsatzes, dass nur dem redlichen Schuldner Gelegenheit gege-
ben werden soll, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien (§ 1
Satz 2 InsO; vgl. auch BT-Drucks. 12/2443, S. 190). Kommt es auf die Redlich-
keit des Schuldners an, können Versagungsgründe nur in seiner Person ent-
stehen. Verstößt ein vom Schuldner hinzugezogener, seiner Qualifikation nach
grundsätzlich geeigneter Berater vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen seine
Beratungspflichten, lässt dies keinen Rückschluss auf die Redlichkeit oder Un-
redlichkeit des Schuldners zu. Eine Versagung der Restschuldbefreiung allein
wegen des Fehlverhaltens einer Hilfsperson kommt daher nicht in Betracht (im
Ergebnis ebenso HmbKomm-InsO/Streck, 3. Aufl. § 290 Rn. 40).
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Dies bedeutet nicht, dass sich der Schuldner durch die Einschaltung von
Hilfspersonen jeglicher Verantwortung entledigen könnte. Lässt der Schuldner
etwa die Antragsformulare, insbesondere das Vermögensverzeichnis gemäß
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§ 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO, von einem Dritten vervollständigen, hat er vor der Un-
terzeichnung die Richtigkeit aller Angaben zu überprüfen. Unrichtige Angaben
sind ihm dann aufgrund eigenen Fehlverhaltens zuzurechnen; das ungeprüfte
Unterschreiben eines von dritter Seite ausgefüllten oder noch auszufüllenden
Formulars wird regelmäßig als grob fahrlässig, unter Umständen sogar als be-
dingt vorsätzlich hinsichtlich jeglicher im Text enthaltenen Unrichtigkeit angese-
hen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2010 - IX ZB 167/09,
ZVI 2010, 345 Rn. 9, 11). Die Entscheidung AG Göttingen ZVI 2003, 88, 89, die
in der Kommentarliteratur als Beleg für eine mögliche Zurechnung fremden Ver-
schuldens angeführt wird (FK-InsO/Ahrens, 6. Aufl. § 290 Rn. 73), behandelt
ebenfalls einen Fall eigenen Verschuldens des Schuldners, der ein unrichtig
ausgefülltes Formular ungeprüft unterzeichnet hatte. Auch bei der Auswahl ei-
ner ersichtlich ungeeigneten, nicht fachkundigen oder mit den tatsächlichen
Umständen des Falles nicht vertrauten Hilfsperson kann dem Schuldner vor-
sätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten zur Last fallen.
bb) Das Beschwerdegericht hat nicht ausschließen können, dass der
Unterhaltsanspruch im Vermögensverzeichnis aufgeführt war, als die Schuldne-
rin es unterschrieb, und dass die betreffende Eintragung nachträglich im Büro
der Verfahrensbevollmächtigten der Schuldnerin "geweißt" worden ist, ohne
dass die Schuldnerin hiervon erfuhr. Dieser Vorgang kann der Schuldnerin nicht
als eigenes (qualifiziertes) Verschulden zugerechnet werden. Weder wusste sie
von einer so bewirkten Unrichtigkeit des Vermögensverzeichnisses, noch muss-
te sie mit einem derart groben Fehlverhalten ihrer Verfahrensbevollmächtigten
rechnen. Die Feststellungslast trifft den Gläubiger (vgl. BGH, Beschluss vom
11. September 2003 - IX ZB 37/03, BGHZ 156, 139, 147).
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b) Hinsichtlich der nicht angegebenen Mieten kann ein vorsätzliches oder
grob fahrlässiges Verhalten nicht deshalb verneint werden, weil die vorhande-
nen Gläubiger über die Vermögensverhältnisse der Schuldnerin „bestens infor-
miert“ gewesen seien. Objektiv ändern Kenntnisse von Gläubigern nichts an
den Pflichten des Schuldners aus § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Die Vorlage der in
diesen Vorschriften genannten Verzeichnisse dienen der Information der Gläu-
biger über die geplante Schuldenbereinigung, aber auch der Entlastung des
Insolvenzgerichts (BGH, Beschluss vom 17. März 2005 - IX ZB 260/03, ZVI
2005, 641, 642; vom 16. Dezember 2010 - IX ZB 63/09, z.V.b., Rn. 6 mwN). Für
das im Verbraucherinsolvenzverfahren der Verfahrenseröffnung vorangehende
Schuldenbereinigungsverfahren sind richtige und vollständige Angaben des
Schuldners erforderlich. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts-
hofs unterliegt es deshalb nicht der Beurteilung des Schuldners, Angaben zu
unterlassen, weil sie für die Gläubiger nicht von Interesse seien (BGH, Be-
schluss vom 17. März 2005, aaO; vom 7. Dezember 2006 - IX ZB 11/06, ZInsO
2007, 96 Rn. 8; vom 16. September 2010 - IX ZB 128/09, NZI 2010, 911 Rn. 2).
Ein unvermeidbarer Irrtum des Schuldners über den Umfang seiner aus §§ 305,
307 InsO folgenden Pflichten kann Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit im Einzel-
fall allerdings ausschließen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 2010,
aaO). Dass sie angenommen hätte, den Gläubigern bekannte Umstände nicht
in ihren Antrag aufnehmen zu müssen, hat die Schuldnerin im Schriftsatz vom
2. Juli 2008, auf den das Beschwerdegericht Bezug genommen hat, jedoch
selbst nicht behauptet und hat das Beschwerdegericht auch nicht festgestellt.
Ein etwaiger Irrtum der Schuldnerin wäre zudem nicht unvermeidbar gewesen.
Die Schuldnerin hätte gegebenenfalls ihre Verfahrensbevollmächtigten sowie
die Schuldnerberaterin, mit deren Hilfe sie den Antrag auf Eröffnung des
Verbraucherinsolvenzverfahrens vorbereitet hat, befragen müssen.
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Das Beschwerdegericht hat ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Ver-
halten der Schuldnerin hinsichtlich der Mieteinnahmen auch deshalb verneint,
weil die Schuldnerin die Mieteinnahmen ihrem mit der Abgabe der Erklärung
betrauten anwaltlichen Vertreter gegenüber nicht verschwiegen habe. Diese
Begründung trägt die Zurückweisung des Versagungsantrags jedoch ebenfalls
nicht.
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Das Beschwerdegericht hat nicht festgestellt, aus welchen Gründen die
den Verfahrensbevollmächtigten der Schuldnerin bekannten Mieteinnahmen
nicht in das Vermögensverzeichnis aufgenommen worden sind. Vorsätzliches
oder grob fahrlässiges Verhalten der Schuldnerin ist nicht schon deshalb aus-
geschlossen, weil ihrem Verfahrensbevollmächtigten die Mieteinnahmen be-
kannt gewesen sein sollen. Die Schuldnerin hat mit ihrer Unterschrift die Rich-
tigkeit und Vollständigkeit der in der Vermögensübersicht gemäß Anlage 4 ent-
haltenen Angaben bestätigt. Ein "blindes" Unterschreiben einer von einem Drit-
ten verfassten Erklärung kann grob fahrlässig sein (vgl. BGH, Beschluss vom
11. Mai 2010 - IX ZB 167/09, ZVI 2010, 345 Rn. 9). Dass das Verschweigen der
Mieteinnahmen auf einer unrichtigen Belehrung seitens der Verfahrensbevoll-
mächtigten der Schuldnerin oder der Schuldnerberaterin beruht habe, ist eben-
falls weder vorgetragen noch vom Beschwerdegericht festgestellt worden.
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c) Hinsichtlich der Nichtangabe des Leibgedinges gilt das zu den Miet-
einkünften Gesagte. Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit sind nicht schon deshalb
ausgeschlossen, weil den beiden am Verfahren beteiligten Gläubigern die
Übertragung des Hausgrundstücks bekannt war.
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III.
Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Er ist
aufzuheben; die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdege-
richt zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO). Dieses wird unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Senats die Voraussetzungen eines vorsätzlichen oder
grob fahrlässigen Verhaltens der Schuldnerin erneut zu prüfen haben. Nicht
berücksichtigt wurde bisher, dass der Gläubiger seinen Versagungsantrag auch
darauf gestützt hat, dass die Schuldnerin die im Juli 2007 geleistete Unterhalts-
nachzahlung nicht angegeben hat. Eine nur geringfügige Verletzung von
Auskunfts- und Mitwirkungspflichten rechtfertigt eine Versagung der Rest-
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schuldbefreiung nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2003 - IX ZB 388/02,
ZVI 2003, 170, 171; vom 8. Januar 2009 - IX ZB 73/08, ZVI 2009, 168 Rn. 23;
Uhlenbruck/Vallender, InsO 13. Aufl. § 290 Rn. 74).
Kayser Gehrlein Vill
Lohmann
Fischer
Vorinstanzen:
AG Landshut, Entscheidung vom 01.08.2008 - 4 IK 674/06 -
LG Landshut, Entscheidung vom 29.09.2008 - 32 T 2274/08 -