Urteil des BGH vom 16.02.2012

Rechtliches Gehör, Vergütung, Abschlag, Aufwand, Berechnungsgrundlage

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 20/10
vom
16. Februar 2012
in dem Insolvenzverfahren
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, die Richter Raebel, Dr. Pape, Grupp und die Richterin Möhring
am 16. Februar 2012
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer
des Landgerichts Erfurt vom 22. Januar 2010 wird auf Kosten des
weiteren Beteiligten als unzulässig verworfen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 945.992,89
festgesetzt.
Gründe:
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 7, 6, 64 Abs. 3 Satz 1 InsO iVm
Art. 103f EGInsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO), aber unzulässig. Weder hat
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des
Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entschei-
dung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO).
1. Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen die Vergütungsfest-
setzung des Insolvenzgerichts war zulässig, ohne dass es auf die möglicher-
weise rechtsgrundsätzliche Frage ankäme, ob die erforderliche Beschwer der
Schuldnerin mit ihrem Interesse an einer hohen Gläubigerbefriedigung begrün-
det werden kann. Die antragsgemäße Festsetzung der Vergütung durch das
Insolvenzgericht beschwert die Schuldnerin unmittelbar. Nach dem eigenen
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Vorbringen der Rechtsbeschwerde kann sich bei einer geringeren Vergütung
des Insolvenzverwalters eine Teilungsmasse ergeben, die nicht nur eine voll-
ständige Befriedigung der Gläubiger ermöglicht, sondern auch zu einem be-
trächtlichen Überschuss führt, welcher der Schuldnerin zugute käme. Ein sol-
ches Ergebnis geht nicht über das Beschwerdeziel hinaus, denn die Schuldne-
rin hat ihre Beschwerde nicht auf eine Herabsetzung der Vergütung in dem Um-
fang, der eine vollständige Befriedigung der Gläubiger ermöglicht, beschränkt.
2. Die Beurteilung des Beschwerdegerichts, dass erwartete Steuererstat-
tungen in Höhe von 114.073,85
€ nicht in die Berechnungsgrundlage einzube-
ziehen seien, beruht nicht auf der von der Rechtsbeschwerde geltend gemach-
ten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) be-
züglich der Zuordnung der geltend gemachten Beträge zu bestimmten Steuern.
Die Beurteilung wird von der nicht zu beanstandenden Erwägung getragen, es
sei nicht konkret dargelegt, dass die behaupteten Steuererstattungen mit Si-
cherheit zu erwarten seien. Im Übrigen ist zugunsten des weiteren Beteiligten in
die Berechnungsgrundlage eine Erstattung der Umsatzsteuer auf seine Vergü-
tung in der vollen Höhe des Vergütungsantrags einbezogen, obwohl diese auf
der Grundlage der Festsetzung des Beschwerdegerichts nur in wesentlich ge-
ringerer Höhe anfällt.
3. Auch die Angriffe der Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung des
Beschwerdegerichts zu den beantragten Zuschlägen und zu dem vorgenom-
menen Abschlag decken keinen Grund für die Zulässigkeit der Rechtsbe-
schwerde im Sinne von § 574 Abs. 2 ZPO auf.
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a) Soweit im Zusammenhang mit dem beantragten Zuschlag für die Aus-
führung der übertragenen Zustellungen Grundsatzbedeutung geltend gemacht
wird, ist die betreffende Rechtsfrage nicht entscheidungserheblich. Das Be-
schwerdegericht hat die Versagung des Zuschlags zusätzlich damit begründet,
dass die durch die Ausführung der Zustellungen verursachte Mehrbelastung
durch die Entlastung aufgewogen werde, die durch die Einschaltung einer Ver-
wertungsgesellschaft bei der Verwertung der beweglichen Sachen eingetreten
sei. Auf die angesprochene Rechtsfrage kommt es deshalb nicht an.
b) Auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Ent-
scheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht erforderlich.
aa) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde weicht die Entschei-
dung des Beschwerdegerichts zu den beantragten Zuschlägen, insbesondere
für die Betriebsveräußerung, für den Aufwand bei der Abwicklung des Scha-
densereignisses vom 21./22. Juni 2005, für die Feststellung und Geltendma-
chung von Anfechtungsrechten, für besonderen Aufwand beim Forderungsein-
zug, für die Prüfung der Versicherungs- und Versorgungsverträge der Schuld-
nerin, für die Ausführung der übertragenen Zustellungen und zum Abschlag
wegen der Vorbefassung des weiteren Beteiligten als vorläufiger Insolvenzver-
walter nicht von der Rechtsprechung des Senats ab.
bb) Ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde in verschiedener Hinsicht
eine Verletzung des Anspruchs des weiteren Beteiligten auf rechtliches Gehör
(Art. 103 Abs. 1 GG). Zum Teil beruhen die betreffenden Beurteilungen des Be-
schwerdegerichts nicht auf den behaupteten Gehörsverletzungen. Im Übrigen
kann nach dem insoweit anzulegenden Maßstab (vgl. etwa BGH, Beschluss
vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 300) nicht festgestellt wer-
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den, dass das Beschwerdegericht den angeblich übergangenen Vortrag nicht
zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat. Dies
gilt insbesondere für die Ausführungen des weiteren Beteiligten in seiner Stel-
lungnahme vom 25. November 2009. Auch war das Beschwerdegericht nicht
verpflichtet, im Anschluss an diese Stellungnahme erneut einen Hinweis auf
fortbestehende Bedenken bezüglich der Substantiierung des Tatsachenvortrags
zu den beantragten Zuschlägen zu erteilen, nachdem es solche Bedenken be-
reits mit der Hinweisverfügung vom 30. Oktober 2009 mitgeteilt hatte.
cc) Die Ausführungen der Rechtsbeschwerde zeigen auch nicht auf,
dass das Beschwerdegericht den Anspruch des weiteren Beteiligten auf ein
objektiv willkürfreies Verfahren (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt hätte. Das Willkürver-
bot wäre nur dann verletzt, wenn eine fehlerhafte Rechtsanwendung unter kei-
nem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar wäre und sich daher der
Schluss aufdrängte, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. etwa
BGH, aaO S. 299 f); davon kann hier nicht die Rede sein.
dd) Ohne einen Zulässigkeitsgrund hat der Bundesgerichtshof nicht
nachzuprüfen, ob die Berechnung der Vergütung in jedem Punkt angemessen
erscheint. Die Bemessung der Zu- und Abschläge im Einzelfall verantwortet
grundsätzlich der Tatrichter. Das Zustandekommen und den Inhalt des Insol-
venzplans hat das Beschwerdegericht in mehrfacher Hinsicht als untypischen
Sachverhalt gewertet. Zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde führende Fragen
der Maßstabsbildung oder -verschiebung stellen sich daher im vorliegenden
Fall nicht.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO
abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grund-
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sätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer ein-
heitlichen Rechtsprechung beizutragen.
Kayser
Raebel
Pape
Grupp
Möhring
Vorinstanzen:
AG Erfurt, Entscheidung vom 09.09.2009 - 171 IN 1065/04 -
LG Erfurt, Entscheidung vom 22.01.2010 - 1 T 480/09 -