Urteil des BGH vom 29.07.2015

Ablauf der Frist, Ex Nunc, Versicherer, Lebensversicherung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 9 4 / 1 4
Verkündet am:
29. Juli 2015
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftl i-
chen Verfahren, bei dem Schriftsätze bis zum 15. Juli 2015 eingereicht
werden konnten,
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil der
6. Zivilkammer des Landgerichts Kleve vom 20. Februar
2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revision s-
verfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert wird auf 2.551,77
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) b e-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc k-
zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Kapitallebensversiche-
rung.
Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsb e-
ginn zum 1. November 2004 nach dem so genannten Policenmodell des
§ 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG
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a.F.) abgeschlossen. Im Juli 2009 kündigte d. VN den Vertrag und der
Versicherer zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 12. Juli
2011 erklärte d. VN schließlich den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1
VVG a.F.
Mit der Klage verlangt d. VN - soweit für das Revisionsverfahren
noch von Bedeutung - Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Bei-
träge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts , ins-
gesamt 2.551,77
€.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemein-
schaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der W i-
derspruch noch erklärt werden können.
Der Versicherer hat die Einrede der Verjährung erhoben.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die
hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt
d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z u-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus unge-
rechtfertigter Bereicherung verneint. Soweit d. VN den Zugang der von
dem Versicherer reproduzierten und vorgelegten Unterlagen (Beglei t-
schreiben, Versicherungsschein, Versicherungsbedingungen) bestreite,
sei dieses Bestreiten mit Nichtwissen unzulässig. Die erteilte Wide r-
spruchsbelehrung entspreche den gesetzlichen Anforderungen und sei
insbesondere ausreichend deutlich gewesen. Die Regelung des Poli-
cenmodells verstoße nicht gegen die Zweite und Dritte Richtlinie L e-
bensversicherung.
II. Die Revision ist begründet.
1. Der - mit der Revision allein weiterverfolgte - Anspruch auf Prä-
mienrückzahlung folgt dem Grunde nach aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1
BGB.
a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungs vertrag
schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des
Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Wide r-
spruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts belehrte der
Versicherer d. VN nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG
a.F. über das Widerspruchsrecht. Dabei kann dahinstehen, ob - wie die
Revision rügt - die Belehrung in dem Policenbegleitschreiben nicht
drucktechnisch deutlich hervorgehoben war und ob die von dem Vers i-
cherer vorgelegte Reproduktion dem Original entspricht. Die erteilte B e-
lehrung ist deshalb inhaltlich unzureichend, weil sie den Beginn der W i-
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derspruchsfrist entgegen § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. allein an den Er-
halt des Versicherungsscheins, nicht aber auch der Versicherungsbedin-
gungen und der Verbraucherinformation knüpft. Insoweit ist, anders als
die Revisionserwiderung meint, ohne Belang, dass d. VN zusammen mit
dem Versicherungsschein auch die übrigen erforderlichen Unterlagen
zugingen und der Fristbeginn in der Belehrung damit faktisch richtig a n-
gegeben worden war. Dieser Umstand ändert nichts an der inhaltlichen
Fehlerhaftigkeit der Belehrung, sondern betrifft allein die Auswi rkung
derselben auf den konkreten Fall. Für die Frage der Ordnungsgemäßheit
der Belehrung kommt es auf derartige Kausalitätsfragen nicht an (vgl.
BGH, Urteil vom 17. Dezember 1992 - I ZR 73/91, BGHZ 121, 52, 57).
Für einen solchen Fall einer nicht ordnungsgemäßen Wider-
spruchsbelehrung bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass
das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.
Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist
und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des G e-
richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert
werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon er-
fasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum W i-
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derspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder
die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
bb) Die Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem späteren
Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO
Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits
vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl.
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarecht s-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e i-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Der Rückgewähranspruch war bei Erhebung der Klage im No-
vember 2012 noch nicht verjährt. Zu diesem Zeitpunkt war die maßgebl i-
che regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB nicht abge-
laufen. Diese konnte erst mit Schluss des Jahres 2011 beginnen, da d.
VN erst in diesem Jahr den Widerspruch erklärte. Der nach einem W i-
derspruch gemäß § 5a VVG a.F. geltend gemachte Bereicherungsan-
spruch entstand erst mit Ausübung des Widerspruchsrechts i .S. von
§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB; jedenfalls zu diesem Zeitpunkt hatte der Versi-
cherungsnehmer Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen
und der Person des Schuldners i.S. von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB (vgl.
Senatsurteil vom 8. April 2015 - IV ZR 103/15, VersR 2015, 700
Rn. 19 ff.).
3. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
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Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwic k-
lung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Vers i-
cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung z u-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuve r-
weisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu
geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
AG Rheinberg, Entscheidung vom 05.07.2013 - 11 C 204/12 -
LG Kleve, Entscheidung vom 20.02.2014 - 6 S 100/13 -
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