Urteil des BGH vom 09.03.2016

Leitsatzentscheidung zu Anwartschaft, Übergangsregelung, Zahl, Versicherter

ECLI:DE:BGH:2016:090316UIVZR9.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet am:
9. März 2016
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
GG Art. 3 Abs. 1; BetrAVG § 2, § 18 Abs. 2; VBL-Satzung § 79 Abs. 1 und
Abs. 1a
Die in § 79 Abs. 1 der Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Län-
der (VBLS) getroffene Regelung, nach der in jedem Jahr der Pflichtversicherung
lediglich 2,25% der Vollrente erworben werden, führt auch unter Berücksichti-
gung der mit der 17. Satzungsänderung von Januar 2012 ergänzten Bestimmung
des § 79 Abs. 1a VBLS und der darin vorgesehenen Vergleichsberechnung wei-
terhin zu einer sachwidrigen, gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Ungleichbe-
handlung innerhalb der Gruppe der rentenfernen Versicherten und damit zur Un-
wirksamkeit der sie betreffenden Übergangs- bzw. Besitzstandsregelung (Fort-
führung des Senatsurteils vom 14. November 2007 - IV ZR 74/06, BGHZ 174,
127).
BGH, Urteil vom 9. März 2016 - IV ZR 9/15 - OLG Karlsruhe
LG Karlsruhe
- 2 -
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin Mayen, den Richter Felsch, die Richterin Harsdorf -Gebhardt,
den Richter Dr. Karczewski und die Richterin Dr. Bußmann auf die münd-
liche Verhandlung vom 9. März 2016
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 12. Zi-
vilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 18. D e-
zember 2014 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die beklagte Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder hat
die Aufgabe, Angestellten und Arbeitern der an ihr beteiligten Arbeitge-
ber des öffentlichen Dienstes auf der Grundlage entsprechender Versor-
gungstarifverträge im Wege privatrechtlicher Versicherung eine zusätzli-
che Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung zu ge-
währen. Mit Neufassung ihrer Satzung (im Weiteren: VBLS) vom 22. No-
vember 2002 stellte die Beklagte ihr Zusatzversorgungssystem rückwi r-
kend zum 31. Dezember 2001 (Umstellungsstichtag) von einem an der
Beamtenversorgung orientierten Gesamtversorgungssystem auf ein auf
dem Punktemodell beruhendes, beitragsorientiertes Betriebsrentensys-
tem um.
Die neugefasste Satzung enthält Übergangsregelungen zum Erhalt
von bis zur Systemumstellung erworbenen Rentenanwartschaften. Diese
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werden ihrem Wert nach festgestellt, in Versorgungspunkte umgerechnet
und als Startgutschriften den Versorgungskonten der Versicherten gut-
geschrieben. Dabei werden Versicherte, deren Versorgungsfall noch
nicht eingetreten war, in rentennahe und rentenferne Versicherte unte r-
schieden. Rentennah ist nur, wer am 1. Januar 2002 das 55. Lebensjahr
vollendet hatte und im Tarifgebiet West beschäftigt war beziehungsweise
dem Umlagesatz des Abrechnungsverbandes West unterfiel oder Pflich t-
versicherungszeiten in der Zusatzversorgung vor dem 1. Januar 1997
vorweisen kann. Die Anwartschaften der etwa 200.000 rentennahen Ver-
sicherten werden gemäß § 79 Abs. 2 VBLS vorwiegend nach dem alten,
auf dem Gesamtversorgungssystem beruhenden Satzungsrecht der B e-
klagten ermittelt. Die Anwartschaften der übrigen, etwa 1,7 Mio. rente n-
fernen Versicherten berechneten sich demgegenüber nach den §§ 78
Abs. 1 und 2, 79 Abs. 1 Satz 1 VBLS in Verbindung mit § 18 Abs. 2
BetrAVG.
Mit Urteil vom 14. November 2007 (IV ZR 74/06, BGHZ 174, 127
Rn. 122 ff.) erklärte der Senat die Startgutschriftermittlung für rentenfer-
ne Versicherte wegen Verstoßes der zugrunde liegenden Übergangsr e-
gelung gegen Art. 3 Abs. 1 GG für unverbindlich . Daraufhin einigten sich
die Tarifvertragsparteien mit Änderungstarifvertrag Nr. 5 vom 30. Mai
2011 zum Tarifvertrag Altersversorgung (im Weiteren ATVÄndV5), die
bisherige Ermittlung der Startgutschriften beizubehalten, aber - vgl. § 1
Nr. 5 Buchst. a ATVÄndV5, § 33 Abs. 1a ATV - durch ein auf § 2 Abs. 1
Satz 1 BetrAVG zurückgreifendes Vergleichsmodell zu ergänzen. Mit der
17. Satzungsänderung vom Januar 2012 übernahm die Beklagte die ta-
rifvertraglichen Vorgaben in § 79 Abs. 1a ihrer Satzung. Er lautet aus-
zugsweise:
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"(1a)
1
Bei Beschäftigten, deren Anwartschaft nach Absatz 1
(rentenferne Jahrgänge) berechnet wurde, wird auch
ermittelt, welche Anwartschaft sich bei einer Berech-
nung nach § 18 Abs. 2 BetrAVG unter Berücksicht i-
gung folgender Maßgaben ergeben würde:
1.
1
Anstelle des Vomhundertsatzes nach § 18 Abs. 2
Nr. 1 Satz 1 BetrAVG wird ein Unverfallbarkeitsfa k-
tor entsprechend § 2 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG er-
rechnet.
2
Dieser wird ermittelt aus dem Verhältnis
der Pflichtversicherungszeit vom Beginn der
Pflichtversicherung bis zum 31. Dezember 2001 zu
der Zeit vom Beginn der Pflichtversicherung bis
zum Ablauf des Monats, in dem das 65. Lebensjahr
vollendet wird.
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Der sich danach ergebende
Vomhundertsatz wird auf zwei Stellen nach dem
Komma gemeinüblich gerundet und um 7,5 Pro-
zentpunkte vermindert.
2.
1
Ist der nach Nummer 1 Satz 3 ermittelte Vomhun-
dertsatz höher als der bisherige Vomhundertsa tz
nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 BetrAVG, wird für
die Voll-Leistung nach § 18 Abs. 2 BetrAVG ein in-
dividueller Brutto- und Nettoversorgungssatz nach
§ 41 Abs. 2 und 2b d.S. a.F. ermittelt.
2
Als ge-
samtversorgungsfähige Zeit werden dabei berück-
sichtigt
a) die bis zum 31. Dezember 2001 erreichten
Pflichtversicherungsmonate zuzüglich der Mo-
nate vom 1. Januar 2002 bis zum Ablauf des
Monats, in dem das 65. Lebensjahr vollendet
wird, und
b) die Monate ab Vollendung des 17. Lebensjah-
res bis zum 31. Dezember 2001 abzüglich der
Pflichtversicherungsmonate bis zum 31. De-
zember 2001 zur Hälfte.
2
Ist die unter Berücksichtigung der Maßgaben nach
den Nummern 1 und 2 berechnete Anwartschaft höher
als die Anwartschaft nach Absatz 1, wird der Unte r-
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schiedsbetrag zwischen diesen beiden Anwartschaften
ermittelt und als Zuschlag zur Anwartschaft nach Ab-
satz 1 berücksichtigt. …"
Die Startgutschrift rentenferner Versicherter nach § 79 Abs. 1
VBLS wird auch nach der Neufassung weiterhin ermittelt, wie im Senat s-
urteil vom 14. November 2007 (IV ZR 74/06, aaO Rn. 69 f.) dargestellt.
Zusätzlich ist nach dem neu eingefügten § 79 Abs. 1a VBLS eine Ve r-
gleichsberechnung vorzunehmen, die dem Faktor von 2,25 Prozentpun k-
ten je Pflichtversicherungsjahr (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 BetrAVG) einen
an § 2 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG angelehnten Unverfallbarkeitsfaktor g e-
genüberstellt. Dieser wird aus dem Verhältnis der vom Beginn der
Pflichtversicherung bis zur Systemumstellung am 31. Dezember 2001 e r-
reichten Pflichtversicherungszeit zu der vom Beginn der Pflichtversiche-
rung bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres erreichbaren Pflichtvers i-
cherungszeit errechnet und um 7,5 Prozentpunkte vermindert. Ist der so
ermittelte Prozentsatz höher als der nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1
BetrAVG ermittelte, so wird die Voll-Leistung nach § 18 Abs. 2 BetrAVG
mittels eines individuellen Brutto- und Nettoversorgungssatzes nach § 41
Abs. 2 und 2b der bis 2001 geltenden Satzung der Beklagten errechnet,
wobei jedem Versicherten pauschal alle außerhalb der Pflichtversich e-
rung verbrachten Kalendermonate ab Vollendung des 17. Lebensjahres
zur Hälfte angerechnet werden. Daraus wird anhand des geminderten
Unverfallbarkeitsfaktors nach § 2 Abs. 1 BetrAVG die Anwartschaft nach
dem Vergleichsmodell ermittelt. Ist diese höher als die nach § 79 Abs. 1
VBLS (in Anwendung von § 18 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 BetrAVG) errechnete
Startgutschrift, so wird dieser die Differenz hinzugerechnet.
Der am 4. Juli 1960 geborene Kläger trat am 1. September 1991 in
den öffentlichen Dienst ein. Die Beklagte erteilte ihm eine Startgutschrift
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nach § 79 Abs. 1 VBLS. Ein Zuschlag nach § 79 Abs. 1a VBLS ergab
sich nicht.
Der Kläger meint, dass die geänderte Ermittlung der Startgutschrif-
ten weiterhin gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Er begehrt, soweit für
das Revisionsverfahren von Interesse, die Feststellung der Unverbind-
lichkeit der anhand der neugefassten Satzung der Beklagten ermittelten
Startgutschrift. Das Landgericht hat seine Klage abgewiesen. Auf die Be-
rufung des Klägers hat das Oberlandesgericht die begehrte Feststellung
ausgesprochen. Hiergegen wendet sich die Revision der Beklagten, mit
der sie die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erstrebt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts verstößt die neue Über-
gangsregelung weiterhin gegen das Gleichheitsgrundrecht aus Art. 3
Abs. 1 GG. Das durch § 79 Abs. 1a VBLS eingeführte Vergleichsmodell
beseitige den § 79 Abs. 1 VBLS zugrunde liegenden strukturellen Mangel
nicht.
Die Verringerung des nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG zu ermit-
telnden Unverfallbarkeitsfaktors um 7,5 Prozentpunkte habe zur Folge,
dass die Startgutschriften einer relevanten und abgrenzbaren Gruppe
von Personen weiterhin nach der systematisch nicht schlüssigen Rege-
lung des § 79 Abs. 1 VBLS ermittelt würden. Für Angehörige des Jahr-
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gangs 1961 und jünger sei ein Zuschlag nicht zu erreichen. Dass es sich
bei ausbildungsbedingt später eintretenden Versicherten dieser Jahrgä n-
ge um eine größere, abgrenzbare Gruppe handele, liege auf der Hand.
Die Beklagte habe nach ihren eigenen Unterlagen allein für ab dem vol l-
endeten 23. Lebensjahr eintretende Versicherte der Jahrgänge 1961 bis
1978 mehr als 450.000 Startgutschriften erteilt, von denen zahlreiche
Versicherte mit berufsnotwendig langer Ausbildung betroffen seien. Auch
die abgrenzbare und zahlenmäßig nicht zu vernachlässigende Gruppe
der Versicherten der Jahrgänge ab 1948, die mit 25 Jahren oder jünger
bei der Beklagten versichert worden seien, könne die nach § 79 Abs. 1a
Nr. 2 Satz 1 VBLS notwendige Differenzschwelle von 7,5 Prozentpunkten
rechnerisch nicht erreichen. Ein Berufseinstieg mit 25 Jahren sei jedoch
für Versicherte mit längerer Ausbildung geradezu typisch.
Für die vom Zuschlag ausgeschlossenen Versicherten lasse sich
nicht feststellen, dass die Ermittlung der Startgutschrift nach § 79 Abs. 1
VBLS die Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
erfülle. Zwar sei es nicht geboten, jedem Späteinsteiger einen Zuschlag
zur bisherigen Startgutschrift zu gewähren, daraus folge aber nicht, dass
bestimmten Jahrgangsgruppen und Versicherten mit einem bestimmten
- typischerweise ausbildungsbedingt verzögerten - Diensteintrittsalter ei-
ne systematisch stimmige Berechnung der Startgutschrift von vornehe r-
ein verweigert werden dürfe. Dass es jüngeren Versicherten leichter fal-
le, Versorgungslücken durch eigene Anstrengungen, etwa den Aufbau
einer privaten Altersversorgung, auszugleichen, könne es rechtfertigen,
insgesamt in das Niveau der Zusatzversorgung jü ngerer Versicherter
stärker einzugreifen als in dasjenige älterer Versicherter. Es erlaube
aber nicht, für eine nicht kleine Gruppe rentenferner Versicherter mit
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langen Ausbildungszeiten die Startgutschrift nach einem systematisch
nicht konsistenten Modell zu ermitteln.
Die verfassungsrechtliche Prüfung könne sich auf einen Vergleich
der Startgutschriften beschränken und müsse nicht die bei Eintritt ins
Rentenalter erworbenen Anwartschaften vergleichen. Zwar sei die von
der Beklagten geleistete Rente bei jüngeren rentenfernen Versicherten
stärker als bei älteren Mitgliedern dieser Personengruppe von den erst
nach Systemumstellung erworbenen Versorgungspunkten geprägt, so
dass der Startgutschrift für die Rentenberechnung ein verhältnismäßig
geringeres Gewicht zukomme; dies rechtfertige es aber nicht, den Versi-
cherten für die Zeit bis zur Systemumstellung eine gleichheitsgemäße
Startgutschrift zu versagen.
Der Abzug von 7,5 Prozentpunkten vom Unverfallbarkeitsfaktor
lasse sich nicht damit rechtfertigen, dass die Tarifvertragsparteien ihn
als noch angemessen angesehen hätten. Auch wenn bei der verfas-
sungsrechtlichen Prüfung von Tarifverträgen der Einschätzungsprärog a-
tive und den Beurteilungs- und Bewertungsspielräumen der Tarifver-
tragsparteien Rechnung getragen werden müsse, erlaube dies nicht, ei-
nen Gleichheitsverstoß nur für einen Teil des betroffenen Personenkre i-
ses und auch für diesen nur mit Einschränkungen zu korrigieren. Der
Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 14. November 2007 sei nicht
zu entnehmen, dass überproportionale Eingriffe lediglich vermindert we r-
den müssten, dem Grunde nach aber erhalten bleiben dürften. Ebenso
rechtfertige es den Abzug von 7,5 Prozentpunkten nicht, dass dieser
sämtliche Versicherte gleichermaßen betreffe, weil das auf dem Abzug
beruhende Vergleichsmodell nicht geeignet sei, die vorher bestehende
Ungleichbehandlung zu beseitigen.
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Die Ungleichbehandlung könne schließlich nicht dadurch gerecht-
fertigt werden, dass ein Normgeber zur Typisierung, Generalisierung und
Pauschalierung von Sachverhalten befugt sei. Die damit verbundene B e-
lastung sei nur dann hinzunehmen, wenn sie nur unter Schwierigkeiten
vermeidbar sei, lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen
betreffe und der Gleichheitsverstoß nicht sehr intensiv sei. Bei der Prü-
fung der Intensität des Verstoßes seien einerseits die Belastung des Be-
troffenen, andererseits die mit der Typisierung verbundenen Vorteile zu
berücksichtigen. Zwar vermeide die von der Beklagten gewählte Ermit t-
lung der Startgutschriften individuelle Feststellungen dazu, ob der Versi-
cherte aufgrund berufsnotwendig langer Ausbildungszeiten nur kurze
Versicherungszeiten bis zur Systemumstellung zurückgelegt habe, dies
rechtfertige aber nicht die Anwendung eines Vergleichsmodells, das von
vorneherein eine größere und abgrenzbare Gruppe von Versicherten mit
berufsbedingt längeren Ausbildungszeiten nicht erfasse.
II. Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.
Das Berufungsgericht hat zu Recht festgestellt, da ss die von der
Beklagten ermittelte Startgutschrift den Wert der vom Kläger erlangten
Anwartschaft nicht verbindlich festlegt. Die ihrer Ermittlung zugrunde li e-
gende Übergangsregelung in § 79 Abs. 1 und 1a VBLS ist weiterhin mit
dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.
1. Zutreffend hat das Berufungsgericht die Wirksamkeit der Sat-
zungsbestimmungen der Beklagten unmittelbar an Art. 3 Abs. 1 GG ge-
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messen (vgl. Senatsurteil vom 24. September 2008 - IV ZR 134/07,
BGHZ 178, 101 Rn. 25; st. Rspr.).
2. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz folgt - auch für die Tarif-
vertragsparteien (vgl. Senatsurteil vom 14. November 2007 - IV ZR
74/06, BGHZ 174, 127 Rn. 60 m.w.N.) - das Gebot, wesentlich Gleiches
gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Das Grund-
recht ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache
folgender oder sonst sachlich einleuchtender Grund für die jeweilige Di f-
ferenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt (BVerfGE 3, 58,
135; st. Rspr.). Der die Ungleichbehandlung tragende sachliche Grund
muss dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen
sein. Dabei gilt nach neuerer verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung
ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte r ver-
fassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich
nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedl i-
chen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Hinsichtlich der
verfassungsrechtlichen Anforderungen ergeben sich aus dem allgemei-
nen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungs -
merkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gel o-
ckerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu stre n-
gen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (BVerfG WM
2015, 1535 unter B III 1 b aa (1); WM 2015, 1032 unter B I 1 a; jeweils
m.w.N.).
3. Einer Überprüfung anhand dieser Vorgaben hält die neu gefas s-
te Übergangsregelung nicht stand.
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a) Das Berufungsgericht sieht zwar richtig, dass die in § 79
Abs. 1a VBLS vorgesehene Vergleichsberechnung als solche die vom
Senat (Urteil vom 14. November 2007 - IV ZR 74/06, aaO Rn. 128 ff.)
beanstandeten Systembrüche und Ungereimtheiten vermeidet, weil der
Unverfallbarkeitsfaktor nunmehr aus kompatiblen Werten errechnet wird.
Ebenfalls zu Recht erkennt es aber eine neu geschaffene U n-
gleichbehandlung darin, dass die Ausgestaltung der Übergangsregelung
bestimmte Versicherte von vorneherein von einem Zuschlag ausschließt,
so dass diese weiterhin auf ihre gemäß § 79 Abs. 1 VBLS errechnete,
mit der Neufassung der Übergangsregelung wieder für verbindlich erklä r-
te Anwartschaft verwiesen bleiben. Nach § 79 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 Satz
1 VBLS wird die, einen möglichen Zuschlag begründende, V ergleichsan-
wartschaft nur ermittelt, wenn der nach § 79 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 VBLS
errechnete, um 7,5 Prozentpunkte geminderte Unverfallbarkeitsfaktor
den nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG errechneten Wert übersteigt. Dies
schließt, wie das Berufungsgericht zutreffend feststellt, alle Versicherten
aus, die bei Eintritt in den öffentlichen Dienst - jeweils vereinfachend auf
ganze Jahre gerechnet - nicht älter als 25 Jahre oder zum Umstellungs-
stichtag 41 Jahre und jünger gewesen sind, weil der für sie ermittelte
Unverfallbarkeitsfaktor rechnerisch belegbar das 2,25-fache der Zahl ih-
rer Pflichtversicherungsjahre nicht übersteigen kann. Ebenfalls rechne-
risch belegbar bleiben über die vom Berufungsgericht genannten Grup-
pen hinaus Versicherte der zum Umstellungsstichtag zwischen 42 und
49 Jahre alten Jahrgänge - in Abhängigkeit von ihrem Alter beim Eintritt
in den öffentlichen Dienst - von einem Zuschlag ausgeschlossen: Je jün-
ger der Versicherte zum Umstellungsstichtag ist, desto höher muss sein
Diensteintrittsalter liegen, damit der geminderte Unverfallbarkeitsfaktor
den nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG errechneten Wert überschreitet. Bei
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einem Versicherten, der zum Umstellungsstichtag 49 Jahre alt gewesen
ist, ist dies beispielsweise erst ab einem Diensteintrittsalter v on 27 Jah-
ren der Fall. Bei einem zum Umstellungsstichtag 45 Jahre alten Vers i-
cherten gilt dies erst ab einem Diensteintrittsalter von 28 Jahren, bei ei-
nem zum Umstellungsstichtag 42 Jahre alten Versicherten erst ab 31
Jahren.
Für die weiterhin auf eine nach § 79 Abs. 1 VBLS ermittelte Start-
gutschrift verwiesenen Versicherten bleibt es bei der vom Senat (Urteil
vom 14. November 2007 - IV ZR 74/06, aaO Rn. 128 ff.) beanstandeten
Ungleichbehandlung. Haben sie ihre Tätigkeit im öffentlichen Dienst mit
20 Jahren und sieben Monaten (genau 65 - 44,44 = 20,56 Jahren) oder
älter begonnen, sind sie weiterhin von der höchstmöglichen Versorgung
ausgeschlossen. Dies benachteiligt Versicherte mit längeren Ausbi l-
dungszeiten, wie etwa Akademiker oder solche mit abgesch lossener Be-
rufsausbildung oder einem Meisterbrief in einem handwerklichen Beruf,
unangemessen (Senatsurteil vom 14. November 2007 - IV ZR 74/06, aaO
Rn. 136), weil eine Ausbildung oder ein Studium einen früheren Eintritt in
den öffentlichen Dienst verhindern und zugleich eine außerdienstliche
Ausbildung, ein Meisterbrief oder ein Studium für bestimmte Tätigkeiten
im öffentlichen Dienst erwünscht ist oder sogar zwingend notwendig sein
kann.
b) Diese sich aus der neu gefassten Übergangsregelung ergebe n-
de Ungleichbehandlung begegnet mit Blick auf den allgemeinen Gleich-
heitssatz durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
aa) Dass § 79 Abs. 1a VBLS nicht zur Voraussetzung für einen
Zuschlag zur Startgutschrift macht, dass der Versicherte tatsächli ch vor
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seinem Eintritt in den öffentlichen Dienst ein Studium oder eine Ausbi l-
dung absolviert hat, erscheint für sich genommen mit Blick auf Art. 3
Abs. 1 GG allerdings unbedenklich. Zwar zielt die neu gefasste Über-
gangsregelung auf eine Nachbesserung der Startgutschrift bislang be-
nachteiligter Versicherter mit vordienstlichen Studien - oder Ausbildungs-
zeiten ab. Der Beklagten ist es aber nicht von vorneherein verwehrt,
stattdessen auf einen Vergleich des nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Be-
trAVG errechneten Prozentsatzes (Zahl der Pflichtversicherungsjahre x
2,25%) mit einem nach der Berechnungsweise des § 2 Abs. 1 Satz 1
BetrAVG ermittelten Unverfallbarkeitsfaktor zurückzugreifen, selbst wenn
danach nicht alle Versicherten mit vordienstlichen Studien - oder Ausbil-
dungszeiten einen Zuschlag erhalten und zugleich nicht ausgeschlossen
ist, dass ein Zuschlag auch Versicherten ohne solche Zeiten zugut e-
kommt. Die Ordnung von Massenerscheinungen wie der Zusatzverso r-
gung des öffentlichen Dienstes berechtigt die Beklagte dazu, generalisie-
rende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden, o h-
ne allein wegen der damit verbundenen Härten und Ungerechtigkeiten
gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (Senatsurteile vom
25. September 2013 - IV ZR 207/11, VersR 2014, 89 Rn. 29; vom
14. November 2007 - IV ZR 74/06, aaO Rn. 105; vgl. auch BVerfG ZTR
2008, 374 unter II 2 b bb (1); BVerfGE 111, 115 unter C I 1 a).
bb) Ermittelt die Beklagte diejenigen Versicherten, die einer Nac h-
besserung der Startgutschrift bedürfen, aber nicht anhand vordienstlicher
Studien- oder Ausbildungszeiten, sondern greift stattdessen auf andere,
typisierende Kriterien zurück, müssen diese am vorgegebenen Sachve r-
halt orientiert und sachlich vertretbar sein (BVerfGE 111, 115 unter C I 1
a; 100, 59 unter C I 1 c cc (4)).
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(1) Dem entspricht der von der Beklagten gewählte Unverfallba r-
keitsfaktor bereits aufgrund des Abzugs von 7,5 Prozentpunkten nicht.
Dass die Tarifvertragsparteien und ihnen folgend die Beklagte bei der
Bestimmung der Abzugshöhe die tatsächlichen Umstände der bei der
Beklagten Versicherten in den Blick genommen haben, hat das Ber u-
fungsgericht nicht festgestellt. Das macht auch die Revision nicht gel-
tend. Sie beruft sich stattdessen darauf, die Tarif vertragsparteien hätten
- ausgehend von der Differenz von 11,77 Prozentpunkten zwischen dem
nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 BetrAVG errechneten Prozentsatz (Zahl
der Pflichtversicherungsjahre x 2,25%) und dem Unverfallbarkeitsfaktor
aus dem im Senatsurteil vom 14. November 2007 (IV ZR 74/06, aaO
Rn. 136) entwickelten Beispiel - einen vom Versicherten auf den erreich-
baren Höchstversorgungssatz hinzunehmenden Abschlag von 7,5 Pr o-
zentpunkten "noch als angemessen" angesehen (vgl. Gilbert/Hesse, Die
Versorgung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, Stand: 52. Erg.
Lieferung 1. April 2014 § 79 VBLS Rn. 39d; Hebler, ZTR 2011, 534, 536).
Dies rechtfertigt aber den Abzug - auch unter dem Gesichtspunkt
eines den Tarifvertragsparteien zustehenden, weiten Gestaltungsspiel-
raums (vgl. Senatsurteil vom 14. November 2007 - IV ZR 74/06, aaO
Rn. 139) - nicht. Der erforderliche Sachverhaltsbezug ist nicht belegt. Es
ist nicht ersichtlich und wird von der Beklagten auch nicht vorgetragen,
dass der Beurteilung der Angemessenheit Erkenntnisse zur tatsächlichen
Verteilung der Versicherten mit vordienstlichen Studien - oder Ausbil-
dungszeiten zugrunde gelegen haben und sich die pauschale Kürzung
des Unverfallbarkeitsfaktors um 7,5 Prozentpunkte daran orientiert hat.
Darüber hinaus lässt die von der Revision angeführte Begründung nicht
erkennen, dass die Tarifvertragsparteien die Angemessenheit des Ab-
zugs sachgerecht beurteilt haben. Ihre Beurteilung durfte sich nicht auf
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einen Vergleich des Unverfallbarkeitsfaktors mit dem nach § 18 Abs. 2
Nr. 1 Satz 1 BetrAVG errechneten Prozentsatz (Zahl der Pflichtversich e-
rungsjahre x 2,25%) beschränken, da diese beiden Faktoren für sich ge-
nommen keine Rückschlüsse auf die dem Versicherten letztlich gutz u-
schreibende Anwartschaft zulassen. Deren Höhe ergibt sich erst im Zu-
sammenwirken der Faktoren mit den mit ihnen jeweils zu multipliziere n-
den Versorgungssätzen (vgl. Wagner/Fischer, NZS 2015, 641, 647). Zw i-
schen der Berechnung des Faktors und des Versorgungssatzes besteht
ein innerer Zusammenhang (vgl. Senatsurteil vom 14. November 2007
- IV ZR 74/06, aaO Rn. 129).
(2) Die sich aus dem Abzug von 7,5 Prozentpunkten mittelbar e r-
gebende Beschränkung des Zuschlags anhand des Diensteintrittsalters
der Versicherten ist in der von den Tarifvertragsparteien gewählten Um-
setzung ebenfalls nicht sachgerecht, weil sie einen wesentlichen Teil der
zu berücksichtigenden Versicherten nicht erfasst.
Die pauschalierende Vereinfachung erlaubt es, bestimmte in w e-
sentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte no rmativ zu-
sammenzufassen. Dazu muss sie indes von einer möglichst breiten, alle
betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließenden B e-
obachtung ausgehen (BVerfGE 133, 377 Rn. 103 m.w.N.). Insbesondere
darf ein Normgeber für eine Typisierung keinen atypischen Fall zum
Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht den typischen Fall als
Maßstab zugrunde legen (vgl. BVerfGE 132, 39 unter B I 2 c bb; 117, 1
unter C I 2 a; 112, 268 unter C I 2 b). Dem genügt die Neuregelung nicht.
Die sich aus dem Abzug von 7,5 Prozentpunkten ergebende Al-
tersgrenze führt dazu, dass Arbeitnehmer, die nach ihrem Schula b-
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schluss zügig die für den Eintritt in den öffentlichen Dienst erforderliche
Ausbildung oder ein dafür erforderliches Studium absolvieren und nach
einer durchschnittlichen Ausbildungsdauer in den öffentlichen Dienst ei n-
treten, von einem Zuschlag zur Startgutschrift von vorneherein ausg e-
schlossen bleiben. Das Berufungsgericht geht aufgrund der von ihm z u-
grunde gelegten Erfahrungswerte, die die Revision nic ht infrage stellt,
nachvollziehbar davon aus, dass Versicherte trotz einer Ausbildung oder
eines Studiums außerhalb des öffentlichen Dienstes üblicherweise im A l-
ter von 25 Jahren oder jünger in den öffentlichen Dienst eintreten können
(ebenso OLG München, Urteil vom 22. Mai 2015 - 25 U 3827/14, Juris
Rn. 45; vgl. Wagner/Fischer, NZS 2015, 641, 649). Ein Hochschulstudi-
um von bis zu sieben Jahren schließt bei entsprechend frühem Beginn
einen Eintritt in den öffentlichen Dienst mit spätestens 25 Jahren ebenso
wenig aus wie eine durchschnittlich drei Jahre dauernde Ausbildung.
Treten diese Versicherten aufgrund ihrer Ausbildung oder des Studiums
im Alter von mehr als 20 Jahren und sieben Monaten in den öffentlichen
Dienst ein, können sie wegen des Abzugs von 7,5 Prozentpunkten auf
den Unverfallbarkeitsfaktor und der sich daraus ergebenden Altersgrenze
von 25 Jahren keinen Zuschlag zu ihrer Startgutschrift erhalten, zugleich
aber wegen der weniger als 44,44 Jahre erreichbarer Pflichtversiche-
rungszeiten keine 100% der Voll-Leistung erreichende Anwartschaft er-
werben. Entsprechendes gilt für zum Umstellungsstichtag zwischen 42
und 49 Jahre alte Versicherte, denen, abhängig von ihrem Alter, ein Z u-
schlag zur Startgutschrift sogar bei einem Eintritt in den öffentlichen
Dienst mit bis zu 30 Jahren von vorneherein verschlossen bleibt.
cc) Mit der neugefassten Übergangsregelung überschreitet die B e-
klagte zudem die Grenzen zulässiger Typisierung.
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(1) Ob die mit der Typisierung verbundenen Härten und Ungerec h-
tigkeiten hingenommen werden müssen, hängt zum einen von der Inte n-
sität der Benachteiligungen und der Zahl der betroffenen Personen ab.
Es darf lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betroffen
und die Ungleichbehandlung nicht sehr intensiv sein. Z um anderen
kommt es auf die Dringlichkeit der Typisierung und die mit ihr verbund e-
nen Vorteile an. Dabei ist zu berücksichtigen, wie kompliziert die ger e-
gelte Materie ist, welche praktischen Erfordernisse für sie sprechen und
wie groß die Schwierigkeiten bei der Vermeidung der Ungleichbehand-
lung sind (Senatsurteile vom 25. September 2013 - IV ZR 207/11, aaO
Rn. 29; vom 24. September 2008 - IV ZR 134/07, aaO Rn. 61; BVerfG
ZTR 2008, 374 unter II 2 b bb (1); VersR 2000, 835 unter II 2 c aa;
BVerfGE 87, 234 unter C I). Diese Grenzen sind hier überschritten.
(2) Die Ungleichbehandlung betrifft nicht nur eine verhältnismäßig
kleine Zahl von Personen und geht über eine nicht sehr intensive B e-
nachteiligung hinaus. Anders als die Revision meint, reichen die v om
Berufungsgericht getroffenen Feststellungen aus, um diese Wertung zu
treffen.
Danach umfasst, von der Revision unangegriffen, allein die Gru p-
pe der ab dem vollendeten 23. Lebensjahr in den öffentlichen Dienst ei n-
getretenen Versicherten der Jahrgänge 1961 bis 1978, die aufgrund ih-
res Alters von vorneherein keinen Zuschlag erhalten können, mehr als
450.000 Personen. Demgegenüber erhalten nach dem Vorbringen der
Beklagten lediglich "über 14%" der insgesamt 1,7 Mio. rentenfernen Ver-
sicherten, also etwa 250.000 Versicherte, einen Zuschlag zur Startgu t-
schrift. Angesichts dieser Größenordnungen hat das Berufungsgericht
auch ohne weitergehende Feststellungen dazu, wie viele der betroffenen
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Versicherten nach einer vorangegangenen Ausbildung oder einem Stud i-
um in den öffentlichen Dienst eingetreten sind, rechtsfehlerfrei davon
ausgehen dürfen, dass eine Vielzahl der rentenfernen Versicherten, die
aufgrund ihrer vergleichsweise längeren Ausbildung erst zu einem spät e-
ren Zeitpunkt zusatzversicherungspflichtig werden, auf die bisherige
Startgutschrift verwiesen bleiben, sich die Gruppe der gleichheitswidrig
benachteiligten Versicherten mit anderen Worten nicht lediglich auf eine
verhältnismäßig kleine Zahl beschränkt. Anders als im vom Senat en t-
schiedenen Fall der Versicherten mit berufsständischer Grundversorgung
(Senatsurteil vom 25. September 2013 - IV ZR 207/11, aaO Rn. 33) be-
ruhen die Ausführungen des Berufungsgerichts danach nicht auf bloßen
Vermutungen.
Auch der Umfang der mit der Neuregelung verbunden en Härten
und Ungerechtigkeiten überschreitet das zulässige Maß. Innerhalb der
vom Zuschlag ausgeschlossenen Versicherten wiegt d ie mit der bisheri-
gen Ermittlung der Startgutschriften nach § 79 Abs. 1 VBLS verbundene
Benachteiligung für am Umstellungsstichtag ältere Versicherte und sol-
che Versicherte besonders schwer, die erst relativ spät in den öffentli-
chen Dienst eingetreten sind. Bei älteren Versicherten kommt der unter
Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz ermittelten Startgu t-
schrift im Verhältnis zur gesamten Rentenanwartschaft anteilig ein grö-
ßeres Gewicht zu und Späteinsteiger verfehlen die zum Erreichen des
höchstmöglichen Versorgungssatzes erforderlichen 44,44 Pflichtversi-
cherungsjahre in besonderem Maß. § 79 Abs. 1a VBLS gewährt indes,
wenn überhaupt, nur solchen Versicherten einen Zuschlag, die den Jah r-
gängen 1960 und älter angehören und zugleich relativ spät in den öffen t-
lichen Dienst eingetreten sind. Für Späteinsteiger der Jahrgänge 1961
und jünger oder Versicherte der Jahrgänge 1960 und älter, die zwischen
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20 Jahren und sieben Monaten sowie 25 Jahren in den öffentlichen
Dienst eingetreten sind, verringert sich dagegen von vorneherein der
Umfang der sich aus der bisherigen Startgutschriftenermittlung ergebe n-
den Benachteiligungen nicht.
Bei diesen Härten und Ungerechtigkeiten verbleibt es für S pätein-
steiger der Jahrgänge 1960 und älter, ohne dass weitergehende Fest-
stellungen zu den am Ende nach dem neuen Punktesystem voraussich t-
lich zu leistenden Zusatzrenten zu treffen sind. Diese sind bei Beurtei-
lung der Intensität der Ungleichbehandlungen dann in den Blick zu ne h-
men, wenn bei der gebotenen generalisierenden Betrachtung die von
den Versicherten nach der Systemumstellung zu erwerbenden Verso r-
gungspunkte die sich aus der Ermittlung der Startgutschriften ergeben-
den Härten oder Ungerechtigkeiten abmildern oder aufheben können
(vgl. Senatsurteil vom 25. September 2013 - IV ZR 207/11, aaO Rn. 33;
BAG NZA 2014, 36 Rn. 34). Das betrifft aber nur Versicherte unter-
schiedlicher Jahrgänge, die aufgrund der ihnen nach der Systemumstel-
lung verbleibenden Zeit in unterschiedlichem Umfang Versorgungspunkte
erwerben können. Demgegenüber kann dies eine auf dem Einstiegsalter
beruhende Ungleichbehandlung Versicherter gleicher Jahrgänge, die
nach der Systemumstellung in gleichem Umfang Versorgungspunkte e r-
werben können, weder beheben noch mildern. Bei diesen Versicherten
schlagen sich vielmehr die bei Ermittlung der Startgutschrift erlittenen
Nachteile in einer entsprechenden Differenz bei der späteren Rent enleis-
tung nieder.
(3) Die der Beklagten aus der Typisierung erwachsenden Vorteile
gleichen die mit ihr verbundenen Härten und Ungerechtigkeiten nicht
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aus. Ein Bedürfnis nach einer handhabbaren Ermittlung der Startgut-
schriften rechtfertigt die neugefasste Übergangsregelung nicht.
Die Neuregelung beruht ersichtlich nicht auf Zweckmäßigkeits -
oder Vereinfachungsgesichtspunkten. Sie verpflichtet die Beklagte neben
der Ermittlung der bisherigen Startgutschrift zu weiteren Rechenschritten
und Vergleichsbetrachtungen, die bis zu einer zweiten Ermittlung der
Versorgungsanwartschaft anhand des individuell zu berechnenden Ve r-
sorgungssatzes führen können. Die den Tarifvertragsparteien weiterhin
offenstehenden anderen Wege der Startgutschriftermittlung (vgl. Senats-
urteil vom 14. November 2007 - IV ZR 74/06, aaO Rn. 149) sind demge-
genüber mit keinem höheren Verwaltungsaufwand verbunden und verrin-
gern zugleich die mit der bestehenden Regelung verbundenen Härten
und Ungleichheiten für die Versicherten.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sprechen d ie im Se-
natsurteil vom 14. November 2007 (IV ZR 74/06, aaO Rn. 126) aufge-
führten Bedenken (vgl. auch Konrad, ZTR 2008, 296, 303; Wagner/
Fischer, NZS 2015, 641, 647; Wein, BetrAV 2008, 451, 455) nicht gene-
rell gegen einen Rückgriff auf den ungeminderten Unverfallbarkeitsfaktor
des § 2 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG. Dem inneren Zusammenhang zwischen
dem Unverfallbarkeitsfaktor und der Versorgungsleistung genügt es,
wenn zugleich der zugrunde zu legende Versorgungssatz, wie in § 79
Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 VBLS geschehen, abweichend von § 18 Abs. 2 Nr. 1
Satz 1 BetrAVG individuell ermittelt wird (vgl. Hebler, ZTR 2011, 534,
537).
Auch der Veränderung des Prozentpunktesatzes von 2,25 (§ 79
Abs. 1 VBLS i.V.m. § 18 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 BetrAVG) oder der pauscha-
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len Berücksichtigung von Ausbildungszeiten steht, a nders als die Revisi-
on meint, nicht entgegen, dass diese allen Versicherten unabhängig von
einer etwaigen Ausbildung oder einem Studium vor Eintritt in den öffen t-
lichen Dienst zugutekommt. Die mit diesen Ansätzen jeweils verbundene
Pauschalierung verbietet, worauf die Revisionserwiderung zutreffend
hinweist, eine isolierte Betrachtung der Auswirkungen auf einzelne Ver-
sicherte. Stattdessen muss eine Gesamtbetrachtung zeigen, ob diese
Modelle die mit der ursprünglichen Ermittlung der Startgutschrift anhand
des § 18 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 BetrAVG verbundene Ungleichbehandlung
in einem größeren Umfang beseitigen, als dies nach der derzeitigen Re-
gelung gelingt.
c) Dass die Neuregelung darauf abzielt, mit einer Nachbesserung
der Startgutschriftenermittlung verbundene Mehrausgaben auf ein als
angemessen empfundenes Maß zu beschränken (vgl. Hebler, ZTR 2011,
534, 535; Krusche, BetrAV 2012, 41, 43), kann bei der Rechtfertigung
einer Ungleichbehandlung Berücksichtigung finden, reicht aber für sich
genommen regelmäßig nicht aus, um eine differenzierende Behandlung
verschiedener Personengruppen zu rechtfertigen (BVerfGE 75, 40 unter
C IV 2 b; 19, 76 unter B II 1 a aa; jeweils m.w.N.). Es kann ein legitimes
Ziel einer Ungleichbehandlung sein, die die Zusatzversorgung des öffent-
lichen Dienstes tragenden öffentlichen Haushalte finanziell zu entlasten
und dadurch die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems der Zu-
satzversorgung im Interesse aller zu erhalten (BVerfGE 98, 365 unter C
II 3 g). In welchem Umfang damit verbundene Belastungen von Arbeitg e-
bern oder Versicherten zu tragen sind, ist aber unter dem Gesichtspunkt
der Verteilungsgerechtigkeit zu regeln (Senatsurteil vom 24. September
2008 - IV ZR 134/07, aaO Rn. 30; BAG DB 2007, 2850, 2852 = BAGE
124, 1 unter B IV 2 b bb (4)). Dem entspricht die einseitige Belastung
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jüngerer Versicherter oder Versicherter mit einem Eintrittsalter bis zu 25
Jahren durch die neu gefasste Startgutschriftenermittlung nicht. Entspre-
chend scheiden die den Tarifvertragsparteien offenstehenden alternati-
ven Möglichkeiten einer sachgerechten Bestimmung der Startgutschriften
nicht bereits deswegen von vorneherein aus, weil sie möglicherweise mit
Mehrkosten verbunden sind.
III. Auf die vom Berufungsgericht aufgeworfenen Bedenken betre f-
fend die Anwendbarkeit des Näherungsverfahrens kommt es danach
nicht entscheidungserheblich an.
Mayen Felsch Harsdorf -Gebhardt
Dr. Karczewski Dr. Bußmann
Vorinstanzen:
LG Karlsruhe, Entscheidung vom 21.03.2014 - 6 O 229/13 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 18.12.2014 - 12 U 124/14 -
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