Urteil des BGH vom 12.10.2015

Treu Und Glauben, Versicherungsnehmer, Bad, Vollzug

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I V Z R 8 3 / 1 3
vom
12. Oktober 2015
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller
am 12. Oktober 2015
beschlossen:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil der 4. Zivi l-
kammer des Landgerichts Stuttgart vom 6. Februar 2013
wird gemäß § 552a Satz 1 ZPO auf ihre Kosten zurück-
gewiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
1.247,09
€ festgesetzt.
Gründe:
Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerseite
(Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. VN) war gemäß § 552a ZPO
zurückzuweisen, weil die Voraussetzungen für ihre Zulassung n icht vor-
liegen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Senat hat die
Parteien mit Beschluss vom 17. August 2015 auf die beabsichtigte Zu-
rückweisung hingewiesen. Auf die dortigen Gründe wird ergänzend B e-
zug genommen.
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Der Schriftsatz des Klägervertreters vom 27. August 2015 gibt kei-
ne Veranlassung, von der Zurückweisung der Revision abzusehen.
Soweit dort darauf hingewiesen wird, die Revision sei auf die E u-
roparechtswidrigkeit des Policenmodells insgesamt gestützt, begründet
dies im Streitfall nicht die Pflicht zu einer Vorlage an den Gerichtshof der
Europäischen Union, da es auf diese Frage hier nicht entscheidungse r-
heblich ankommt. Wie der Senat in seinem Hinweisbeschluss näher au s-
geführt hat, wäre es d. VN, die trotz Belehrung darüber, dass sie den
Vertrag nicht zustande kommen lassen musste, diesen bis zur Künd i-
gung über mehrere Jahre durchgeführt hat, wegen widersprüchlichen
Verhaltens verwehrt, sich bei unterstellter Gemeinschaftsrechtswidrigkeit
des Policenmodells auf eine Unwirksamkeit des Vertrages zu berufen.
Die Frage einer möglichen Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen
Union in einem Fall, in dem kein widersprüchliches Verhalten der Vers i-
cherungsnehmer festgestellt werden kann, stellt sich im Streitfall nicht.
Entgegen der Ansicht der Revision sind die Maßstäbe für die Berücksic h-
tigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben in der Rechtsprechung
des Gerichtshofs der Europäischen Union auch geklärt (siehe im Einze l-
nen Senatsurteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102
Rn. 41 f.; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 4. März 2015 - 1 BvR
3280/14, juris Rn. 31 ff. m.w.N.) und die Annahme rechtsmissbräuchli-
chen Verhaltens steht in Fällen wie dem vorliegenden in Einklang mit
dieser Rechtsprechung (vgl. Senatsurteil aaO; vgl. auch BVerfG aaO).
Soweit die Revision geltend macht, es sei unionsrechtlich ung e-
klärt, ob verbraucherschützende Widerspruchsrechte durch nationale
Vorschriften zum Rechtsmissbrauch beschränkt werden dürften, berührt
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dies zwar das Gebot der praktischen Wirksamkeit. Der Anwendung des
Grundsatzes von Treu und Glauben und des Verbots widersprüchlicher
Rechtsausübung steht dies aber nicht entgegen, weil die Ausübung di e-
ser Rechte in das nationale Zivilrecht eingebettet bleibt und die nation a-
len Gerichte ein missbräuchliches Verhalten auch nach der Rechtspr e-
chung des Gerichtshofs der Europäischen Union berücksichtigen dürfen
(BVerfG aaO Rn. 32 m.w.N.).
Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben beeinträc h-
tigt auch angesichts der besonderen Umstände des Streitfalles die prak-
tische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts und den Sinn und Zweck
des Widerspruchsrechts nicht. Die Erwägungen der Zweiten und Dritten
Richtlinie Lebensversicherung, eine genaue Belehrung der Versich e-
rungsnehmer über ihr Rücktrittsrecht vor Abschluss des Vertrages si-
cherzustellen, werden auch hier nicht berührt, denn entscheidend ist im
Streitfall, dass d. VN, die dem geltenden nationalen Recht entsprechend
ordnungsgemäß über die Möglichkeit belehrt worden ist, den Vertrag o h-
ne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, diesen gleichwohl in
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Vollzug gesetzt und über mehrere Jahre durchgeführt hat (vgl. ergä n-
zend Senatsurteil vom 10. Juni 2015 - IV ZR 105/13, VersR 2015, 876
Rn. 13 f.).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
AG Stuttgart-Bad Cannstatt, Entscheidung vom 17.04.2012 - 8 C 2961/11 -
LG Stuttgart, Entscheidung vom 06.02.2013 - 4 S 151/12 -