Urteil des BGH vom 22.07.2015

Treu Und Glauben, Rückzahlung, Versicherer, Versicherungsvertrag

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 6 0 / 1 4
Verkündet am:
22. Juli 2015
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftl i-
chen Verfahren, bei dem Schriftsätze bis zum 24. Juni 2015 eingereicht
werden konnten,
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Stuttgart vom 16. Januar 2014 wird
auf Kosten der Klägerseite zurückgewiesen.
Der Streitwert wird auf 5.192,54
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) be-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc k-
zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Rentenversicherung mit
Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung.
Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbe-
ginn zum 1. März 1999 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a
VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.)
abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erhiel t
d. VN mit dem Versicherungsschein die Versicherungsbedingungen, eine
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Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes
(VAG) und ein Policenbegleitschreiben, das eine ordnungsgemäße Be-
lehrung über das Widerspruchsrecht in drucktechnisch deutlicher Form
gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. enthielt.
D. VN zahlte von März 1999 bis einschließlich Dezember 2009
Prämien in Höhe von insgesamt 8.525,44
€. Mit Schreiben vom
10. Dezember 2009 erklärte d. VN den Widerspruch nach § 5a Abs. 1
Satz 1 VVG a.F. und hilfsweise die Kündigung des Vertrages. Der Versi-
cherer akzeptierte die Kündigung und zahlte den Rückkaufswert aus.
Mit der Klage verlangt d. VN - soweit für das Revisionsverfahren
noch von Bedeutung - Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Be i-
träge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts, in s-
gesamt 5.192,54
€.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen, weil das Policenmodell mit den Lebensversich e-
rungsrichtlinien der Europäischen Union nicht vereinbar sei.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht
die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit d er Revision ver-
folgt d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
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I. Das Berufungsgericht hat einen Prämienrückerstattungsanspruch
aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. D. VN habe die Prämien
mit Rechtsgrund geleistet. Der Versicherungsvertrag sei wirksam z u-
stande gekommen. D. VN sei ordnungsgemäß über das Widerspruchs-
recht belehrt worden und habe nicht innerhalb der damit in Gang geset z-
ten Widerspruchsfrist den Widerspruch erklärt. Die Regelung des Poli-
cenmodells verstoße nicht gegen die Zweite und Dritte Richtlinie L e-
bensversicherung.
II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
D. VN kann nicht gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB Rückzah-
lung der Prämien verlangen.
1. Die Voraussetzungen für ein Zustandekommen des Versich e-
rungsvertrages sind hier erfüllt. Nach den von der Revision nicht ange-
griffenen Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt d. VN mit dem
Versicherungsschein die Versicherungsbedingungen, eine Verbrau cher-
information und eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung. Bis zum
Ablauf der damit in Gang gesetzten 14-tägigen Widerspruchsfrist erklärte
d. VN den Widerspruch nicht.
2. Ob solchermaßen nach dem Policenmodell geschlossene Vers i-
cherungsverträge wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 5a VVG
a.F. Wirksamkeitszweifeln unterliegen (vgl. dazu Senatsurteil vom
16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 16 ff.; BVerfG, Be-
schluss vom 2. Februar 2015 - 2 BvR 2437/14, VersR 2015, 514
Rn. 30 ff.), kann im Streitfall dahinstehen. Die von der Revision begehrte
Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union scheidet bereits
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deshalb aus, weil es auf die Frage, ob das Policenmodell mit den g e-
nannten Richtlinien unvereinbar ist, hier nicht entscheidungse rheblich
ankommt. D. VN ist es auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaft s-
rechtswidrigkeit des Policenmodells nach Treu und Glauben wegen w i-
dersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durc h-
führung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen
und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten. Die Treuwidrigkeit liegt
darin, dass d. VN nach ordnungsgemäßer Belehrung über die Möglic h-
keit, den Vertrag ohne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, di e-
sen jahrelang unter regelmäßiger Prämienzahlung durchführte und erst
dann von dem Versicherer, der auf den Bestand des Vertrag es vertrauen
durfte, unter Berufung auf die behauptete Unwirksamkeit des Vertrages
Rückzahlung aller Prämien verlangte (vgl. im Einzelnen zu den Maßst ä-
ben Senatsurteil vom 16. Juli 2014 aaO Rn. 32-42; BVerfG, Beschluss
vom 2. Februar 2015 aaO Rn. 42 ff.). D. VN verhielt sich objektiv wider-
sprüchlich. Die zumindest vertraglich eingeräumte und bekannt gemac h-
te Widerspruchsfrist ließ er bei Vertragsschluss im Februar 1999 ung e-
nutzt verstreichen. D. VN zahlte von März 1999 bis einschließlich D e-
zember 2009, somit zehn Jahre und zehn Monate die Versicherungspr ä-
mien, bevor er im Dezember 2009 den Widerspruch erklärte. Die jahre-
langen Prämienzahlungen des bereits im Februar 1999 über die Möglic h-
keit, den Vertrag nicht zustande kommen zu lassen, belehrten VN haben
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bei der Beklagten ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Ve r-
trages begründet. Diese vertrauensbegründende Wirkung war für d. VN
auch erkennbar.
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Stuttgart, Entscheidung vom 04.09.2013 - 18 O 260/13 -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 16.01.2014 - 7 U 204/13 -